Archiv für den Monat: Juli 2015

Mein Krampf

70 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges wird naturgemäß sehr viel über diesen Krieg und seine Ursachen geschrieben. Erstaunlich wenig liest man in diesen Tagen über den Mann, der für den Ausbruch dieses Krieges nach verbreiteter Ansicht allein Verantwortung trägt, auf jeden Fall jedoch zu einem erheblichen Teil. Wer sich mit einem ausdrücklich als programmatisch bezeichneten Buch an die Öffentlichkeit wendet und sich mit gleichlautenden Reden und Programmen zur Wahl stellt, der muß sich daran auch messen lassen. Somit muß als authentische Formulierung der nationalsozialistischen Ideologie Hitlers „Mein Kampf“ angesehen werden.

Angesichts des politischen Erfolges seines Autors verblüfft den Leser das intellektuelle Niveau dieses Buches. Abgesehen davon, daß es nicht entfernt die Anforderungen erfüllt, die an ein Sachbuch, geschweige denn an ein Werk auf wissenschaftlichem Niveau gestellt werden müssen, überrascht auch die Vielzahl von offensichtlichen Unrichtigkeiten, die selbst dem akademisch nicht gebildeten Leser ins Auge springen. Stilistisch handelt es sich im Grunde genommen um eine Aneinanderreihung von Redemanuskripten, besser: Redemitschriften. Belegstellen für Tatsachenbehauptungen oder einen wissenschaftlichen Meinungsstand findet man an keiner Stelle. Demgemäß fehlt auch ein Literaturverzeichnis. Auf welche Forschungsergebnisse, Statistiken und Literaturmeinungen sich der Verfasser stützt, erfährt der Leser mit keiner Silbe. Die Vielzahl von offensichtlich sachlich unzutreffenden Behauptungen, an die jedoch ganz grundsätzliche Schlussfolgerungen geknüpft werden, ist mehr als erstaunlich.

Ich will das am Beispiel des aus der Sicht des Verfassers wohl zentralen Kapitels, übertitelt: „Volk und Rasse“, kurz belegen. In diesem Kapitel will der Verfasser seinen Lesern seine Überzeugung vermitteln, daß die Arier die edle und lebenswerte Rasse sind, die Juden hingegen minderwertig und alleine von dem Gedanken besessen sind, sich die übrigen Rassen zu unterjochen. Die angebliche Minderwertigkeit der jüdischen Rasse will Hitler unter anderem daran festmachen, daß das jüdische Volk niemals über ein eigenes Staatswesen auf einem Staatsgebiet verfügt habe. Nun müßte er eigentlich beim Niederschreiben dieser Behauptung darüber gestolpert sein, daß im Alten Testament eben die Geschichte des jüdischen Staates erzählt wird, dessen Ende bekanntlich auf die Vertreibung der Juden durch die Römer im Jahre 70 nach Christus zu datieren ist. Und deswegen müßte es ihm klar gewesen sein, daß alle seine Leser, auch die mit keinem größeren Bildungshorizont als ihrem Volksschulabschluß, genau das ebenso gut wußten wie er selbst. Die Minderwertigkeit der jüdischen Rasse macht er im gleichen Kapitel daran fest, daß Juden etwa im Bereich der Kunst allenfalls als Schauspieler hervorgetreten seien, keinesfalls jedoch als Komponisten oder Dichter. Auch das verblüfft vor dem Hintergrund, daß es damals praktisch jedem Deutschen geläufig war, welche großen und bekannten Komponisten und Dichter jüdischer Herkunft waren. Aus dem Bereich Musik wären etwa Felix Mendelssohn-Bartholdy, Jacques Offenbach, Gustav Mahler und Max Bruch zu nennen, aus dem Bereich der Literatur Heinrich Heine, Franz Kafka und Stefan Zweig. Hitler behauptet weiter, das Judentum kenne keinen Glauben an ein Leben nach dem Tode wie etwa das Christentum. Auch dies ist mit Blick auf das Alte Testament, das damals noch mehr als heute zum Allgemeinwissen gehörte, schlicht abwegig.

Um so mehr erstaunt, daß ein Mann mit derartigen Ansichten in freien Wahlen immerhin ca. ein Drittel der Wähler hinter sich bringen konnte. Es erstaunt auch, daß seine wichtigsten Paladine allesamt über einen akademischen Hintergrund verfügten. Zwar hatten nur Goebbels (promovierter Germanist) und Himmler (abgeschlossenes Studium der Landwirtschaft) einen regulären Hochschulabschluß. Doch auch Göring und Heß hatten jeweils mehrere Semester eines Hochschulstudiums absolviert, allerdings jeweils das Studium abgebrochen. Auch wenn man die Liste der 16 Parteigenossen, die beim Marsch auf die Feldherrenhalle am 09.11.1923 von der bayerischen Polizei erschossen worden sind näher betrachtet, so findet man darin auf jeden Fall vier Akademiker, darunter einen Richter am Bayerischen Obersten Landesgericht sowie eine Reihe von Berufsbezeichnungen wie Kaufmann und Bankbeamter, hinter denen sich der ein oder andere akademische Abschluss verbergen mag.

Daß ein Mensch mit derartig wirren, buchstäblich bodenlosen Auslassungen (von Theorien möchte man wirklich nicht sprechen) Menschen mit Hochschulbildung und Lebenserfahrung derartig beeindrucken konnte, daß sie unter seiner Führung zu jedem Verbrechen bereit waren, gehört zu den bis jetzt ungelösten Rätseln der Menschheit. Dieses Urteil ist ausdrücklich nicht auf die Kenntnis vom Verlauf der Geschichte nach 1933 gegründet, und es gründet auch nicht auf dem Wissensstand unserer Zeit. Nein, auch bei Anlegung der Maßstäbe jener Zeit ist es schlicht nicht nachvollziehbar, wie man mit derartigem Unsinn reüssieren konnte. Denn an und für sich muß damals wie heute gelten, daß der Verfasser von solch wirrem Zeug dringend zum Arzt muß, und zwar zum Facharzt für Psychiatrie.

Euromania

Wer einer Wahnvorstellung anhängt, umgangssprachlich von einer fixen Idee besessen ist, dem entgleitet immer mehr die Wirklichkeit, bis er endgültig in seiner Traumwelt angekommen ist, der er auch nicht mehr entrinnen kann. Diesen Eindruck erwecken die führenden Politiker der Eurozone, allen voran unsere Bundeskanzlerin. Anders kann man es nicht erklären, daß gegen allen Sachverstand die sogenannten Rettungsprogramme für Griechenland fortgeführt werden. Es dürfte inzwischen in Deutschland, aber auch in den anderen Zahlmeisterländern der Eurozone bekannt sein, daß es sich bei Griechenland nicht um einen Staat im herkömmlichen Sinne handelt, sondern um ein Gebilde, das lediglich die äußere Form eines Staates aufweist. Seine Einwohner – von Bürgern will ich nicht sprechen, denn zum Bürger gehört der Bürgersinn – haben zu diesem Staatswesen ganz offensichtlich ein feindseliges Verhältnis. Dies ist sicherlich aus der Geschichte des griechischen Volkes gut erklärbar. Man hat immerhin gut 400 Jahre Joch und Knute der Osmanen ertragen und eine Überlebensstrategie entwickelt, deren Grundlage es war, die feindlichen Besatzer zu hintergehen, wo es nur ging. Gerade dabei wurde eine Klientelwirtschaft entwickelt, die im Sinne des klassischen do ut des die Gunst der Herrschenden mit der Gefolgschaft der Beherrschten erkaufte. Nur so ist es verständlich, daß auch heute noch politische Ämter im Wege der Bestechung der Wähler mittels Posten- und Arbeitsplatzvergabe erlangt werden, und die Macht mit dem Reichtum zusammengehört, weshalb dieses nur dem Namen nach als Staat firmierende Gebilde seit Jahrhunderten die Beute der griechischen Oligarchie ist, die politische Ämter und Reichtümer des Landes unter sich aufteilt, selbstverständlich selbst keine Steuern bezahlt und ihr Geld auf Schweizer Banken wohlverwahrt weiß.

Unter diesen Umständen nimmt es doch nicht wunder, wenn etwa die Bewohner griechischer Inseln sich weigern, ihre Steuereinnahmen an die Athener Regierung abzuführen, oder wenn selbst die Angehörigen der politischen Klasse für ihre längst erwachsenen Kinder noch Kindergeld kassieren, wie das jüngst im Falle der griechischen Parlamentspräsidentin (!) bekannt geworden ist. Demgemäß darf es auch keine Liegenschaftskataster und Grundbuchämter geben, ebensowenig wie eine Steuerfahndung. Denn dann könnte ja irgendwann eine Regierung auf den Gedanken kommen, auch die Reichen des Landes zu besteuern. Doch selbst bei Vorliegen der technischen Voraussetzungen dürfte das kaum eintreten, denn dazu müßte sich ja erst einmal die kollektive Mentalität des Volkes fundamental ändern.

Es liegt also auf der Hand, daß keine von der derzeitigen oder auch einer künftigen griechischen Regierung versprochene Reform umgesetzt werden kann. Denn dazu fehlen sowohl die technischen Voraussetzungen als auch der politische Wille des Volkes.

Wir müssen davon ausgehen, daß unsere Politiker all dies wissen. Denn diese Dinge sind allgemein bekannt. Selbst wenn die Politiker nicht selbst Sachbücher und Zeitungen lesen sowie die Wissensmagazine der Rundfunkanstalten in Anspruch nehmen, so werden sie doch von ihren umfangreichen Beraterstäben informiert. Daran schließt sich die Frage an, warum sie wider besseres Wissen weiter zig Milliarden Euro in ein Faß ohne Boden kippen. Die Antwort liegt auf der Hand. Wir hören seit Monaten das Mantra von der europäischen Idee, die nicht sterben darf. Was diese europäische Idee genau sein soll, sagen unsere Politiker allerdings nicht. Vielmehr hören wir immer nur nebulöse Formulierungen wie etwa „mehr Europa“. Gelegentlich hören wir auch von der Notwendigkeit einer gemeinsamen oder gar europäischen, also Brüsseler Finanzordnung. Ebenso notwendig scheint wohl eine in diesem Sinne gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik zu sein. Das bedeutet nichts anderes, als die Aufgabe des herkömmlichen Nationalstaats zugunsten eines europäischen Zentralstaates. Denn zum Kernbestand eines Staates ebenso wie zur Demokratie gehört die Verfügung seiner Bürger und Parlamente über Finanzmittel und die Streitkräfte sowie die existenzielle Frage von Krieg und Frieden. Wenn dies in die Hände einer europäischen Institution gelegt wird, dann sind deren Mitgliedsstaaten nur noch leere Hülsen ohne Souveränität. Hinzu kommt, daß jedenfalls nach der derzeitigen Konstruktion sowohl der Europäischen Union als auch der Eurozone hinsichtlich dieser Gebilde von einer Demokratie nicht entfernt die Rede sein kann. Wesensmerkmal des modernen demokratischen Staates ist es doch, daß jeder wahlberechtigte Bürger in gleichem Maße an der Willensbildung teilnehmen kann. Die Eurozone kennt überhaupt keine parlamentarische Willensbildung. Das Europaparlament ist nach einem Schlüssel zusammengesetzt, der den Wählern etwa aus Malta und Luxemburg ein Vielfaches des Stimmengewichts zumißt, das einem Wähler aus Deutschland zukommt. Hinzu kommt die mit Händen zu greifende Tatsache, daß es  ein europäisches Staatsvolk nicht gibt. Nach allgemeiner Anschauung ist ein Volk eine Abstammungs-, Kultur-und Erlebnisgemeinschaft. Zur Kultur gehört eine gemeinsame Sprache. Demgemäß sind die meisten Nationalstaaten auch solche, deren weit überwiegende Mehrheit von Bürgern einem Volk in diesem Sinne angehört. Vielvölkerstaaten sind in der europäischen Vergangenheit zum einen selten gewesen, und zum anderen immer gescheitert. Eine europäische Sprache gibt es nicht. Die Kulturen der europäischen Völker mögen sich mehr oder weniger ähneln, wobei etwa zwischen Finnland und Griechenland doch erhebliche Unterschiede vorliegen, ebenso wie etwa zwischen Rumänien und den Niederlanden.

Die Verbissenheit, mit der die politische Klasse der europäischen Länder die Traumvorstellung eines europäischen Zentralstaates verwirklichen will, erstaunt unter diesen Umständen. Das legt die Vermutung nahe, daß es hier nicht um Rationalität, sondern um eine Glaubensvorstellung geht. Gegenüber religiösen Überzeugungen versagen alle rationalen Argumente. Und so muß dann eben dieses europäische Projekt weiterverfolgt werden, koste es was es wolle. Wenn eben im Falle Griechenlands eine Angleichung an wirtschaftlich stabile Verhältnisse wie in Mitteleuropa aufgrund der dortigen Kultur einfach unmöglich ist, dann verschließt man davor eben die Augen und stellt wie Palmström fest, daß nicht sein kann was nicht sein darf. Und das führt dann zu den Verhaltensweisen, die ich in meinem Beitrag vom 22.02.2015 „Der listenreiche Odysseus“ zugegeben süffisant beschrieben habe. Davon habe ich allerdings leider nichts zurückzunehmen.

Natürlich weiß man auch, daß jedenfalls eine immer weiter wachsende Zahl von Bürgern dieses Spiel durchschaut. Ob Arbeiterin, Arzthelferin oder Apothekerin, ob Müllmann, Metzgermeister oder Ministerialrat, inzwischen ist der Bildungs- und Wissensstand allgemein so hoch, daß Politiker vor ihren Wählern keinen Wissensvorsprung mehr haben. Daß sie dennoch ganz offen bekennen, die Bürger zu belügen, ist ein weiteres Mirakel unserer Zeit. Wir verdanken ja dem derzeit höchstrangigen Europapolitiker Jean-Claude Juncker die Erkenntnis, daß man in der Europapolitik bisweilen lügen muß und nach der Methode verfährt, erst einmal etwas zu tun, was Europa in die gewünschte Richtung verändert, abzuwarten was geschieht und dann, wenn die Proteste ausbleiben, den nächsten Schritt zu gehen.

Die Frage ist nur noch, wann der Schritt getan wird, der in den Abgrund führt. Die Milliarden, die in dieses Projekt buchstäblich geschaufelt werden, wirken wie der Sprengstoff, mit dem die Bombe angefüllt wird. Je größer die Ladung, so gewaltiger die Explosion.

Bis jetzt können Frau Palmström – pardon, Frau Merkel – und ihre Kollegen sich der mehrheitlichen Zustimmung ihrer Wähler sicher sein. Bertolt Brecht hatte ja recht: nur die allerdümmsten Kälber wählen ihre Metzger selber.