Flüchtlinge gestern, heute, morgen

Historiker künftiger Generationen werden bei ihrem Bemühen, die Geschichte in Zeitalter einzuteilen oder grundlegende Veränderungen festzustellen, höchstwahrscheinlich einen solchen Wendepunkt in der Zeit des Überganges vom zweiten in das dritte Jahrtausend n. Chr. verorten. Es wird Ihnen auffallen, daß die Menschen jener Zeit damit begonnen haben, auf kriegerische Ereignisse in ihren Ländern anders zu reagieren, als dies ihre Vorfahren getan haben. Sie werden feststellen, daß damals Kriege große Fluchtbewegungen der betroffenen Bevölkerungen ausgelöst haben, in den Jahrhunderten zuvor jedoch nicht. Während des Zweiten Weltkrieges zum Beispiel sind weder die Deutschen, noch die Franzosen oder die Polen in Massen aus ihren Ländern geflüchtet, als sie von feindlichen Armeen angegriffen und nach teilweise harten Kämpfen besetzt wurden. Zwar sind Menschen aus Deutschland geflohen, weil sie rassisch verfolgt wurden, aber nicht, weil der Krieg ihr Land heimsuchte. Zwar sind Menschen aus den östlichen Landesteilen Deutschlands zunächst vor den Greueltaten der Roten Armee geflohen, dann aber zu Millionen von den Polen und den Tschechen vertrieben worden. Wären sie nicht zum Verlassen ihrer Heimat gezwungen worden, würden sie bzw. ihre Nachkommen noch heute dort leben. Die Eroberung und Besetzung Polens durch die deutsche Wehrmacht und die Rote Armee führte eben nicht zum Exodus der polnischen Bevölkerung aus ihrem Land. Ebenso wenig war das nach der Eroberung und teilweisen Besetzung Frankreichs durch die deutsche Wehrmacht der Fall.

Gleiches läßt sich von allen voraufgegangenen Kriegen in Europa sagen. Auch Ereignisse wie der nordamerikanische Bürgerkrieg lösten keine massenhaften Fluchtbewegungen der Zivilbevölkerung aus. Selbst die Greuel des dreißigjährigen Krieges lösten keine Völkerwanderung aus. Und auch der Exodus der Hugenotten aus Frankreich, um ein weiteres Beispiel zu nennen, war nicht die Folge eines Krieges oder wenigstens eines Bürgerkrieges, sondern religiöser Verfolgung

Anders ist dies erst seit den Balkankriegen der neunziger Jahre und den Kriegen im Nahen Osten seit dem Beginn dieses Jahrhunderts. Wir erleben, daß die Bevölkerung der betroffenen Länder in großer Zahl flieht, allerdings häufig nicht einfach in die nächstgelegene Region, in der keine Kämpfe stattfinden. Nein, in aller Regel will man nach Mittel-  und Nordeuropa, vorzugsweise nach Deutschland. Die Gründe dafür liegen auf der Hand. Allerdings fragt man sich schon, welcher Sinneswandel hier eingetreten ist. In früheren Jahrhunderten bis in den Zweiten Weltkrieg hinein war es selbstverständlich, daß die jungen Männer in den Armeen ihrer Länder kämpften, natürlich auch gegen eingedrungene feindliche Streitkräfte. Ihre Familien blieben zu Hause und hielten das Wirtschaftsleben schlecht und recht in Gang. War der Krieg zu Ende, baute man das mehr oder weniger zerstörte Land wieder auf.

Heute indessen frage ich mich schon, warum etwa junge Männer aus Syrien in unseren Cafés sitzen und die Nachrichten aus ihrer Heimat auf ihren Tablets lesen, statt ihre Heimat mit der Waffe in der Hand zu verteidigen. Zwar war es entgegen einem römischen Literaturzitat noch niemals süß, allerdings des öfteren ehrenvoll, für sein Vaterland zu sterben. Die verdammte Pflicht und Schuldigkeit eines jungen Mannes gegenüber seiner Familie und seinem Volk war es jedoch allemal. Diese moralische Selbstverständlichkeit ist verschwunden. Unsere in ihrer Eigenwahrnehmung moralisch hochstehenden Intellektuellen in Politik, Medien und Kirchen begrüßen das. Die Dekadenz ist keineswegs auf das alte Europa beschränkt. Sie breitet sich vielmehr aus. Die Welt wird dadurch aber nicht sicherer. Denn der Pazifismus befällt ja niemals alle, wie die gegenwärtigen Kriege und Bürgerkriege zeigen. Vielmehr macht er es den politischen Verbrechern leichter.

3 Gedanken zu „Flüchtlinge gestern, heute, morgen

  1. Peter B.

    Im ersten Moment hört es sich ganz gut an, syrische Flüchtlinge zum Kampfeinsatz in deren Heimat zu schicken, aber bei näherer Betrachtung ist dies kontraproduktiv.
    Warum?
    Im Gegensatz zu den zitierten klassischen symmetrischen Kriegen, in denen die Fronten klar waren, handelt es sich bei dem Konflikt in Syrien um einen höchst komplexen, asymmetrischen Krieg.
    Mindestens 11 verschiedene inländische und ausländische Konfliktparteien mit den verschiedensten widerstreitenden Interessen kämpfen im Konfliktgebiet zum Teil miteinander, zum Teil gegeneinander.
    Dies erschwert ja bekanntlich die Konfliktlösung.
    Diese liegt jedoch mit Sicherheit nicht in weiteren militärischen Kampfhandlungen mit noch mehr Kämpfern mit der Folge weiterer tausender von Toten auch Zivilisten, totaler Zerstörung des Landes und weiterer Flüchtlingsströme.
    Nein, falls überhaupt eine Lösung dieses schrecklichen Gemetzels möglich ist, besteht sie im Bohren dicker diplomatischer Bretter.
    Welcher Konfliktpartei sollten sich demzufolge diese „…jungen Männer aus Syrien, die in unseren Cafés sitzen und die Nachrichten aus ihrer Heimat auf ihren Tablets lesen…“ als Kämpfer anschließen mit der oben genannten schrecklichen Konsequenz?!

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    1. 73687496 Beitragsautor

      zur Frage am Ende: jedenfalls nicht IS. Und vielleicht wäre es sinnvoll, wie Stauffenberg zwar in der Armee seines Landes gegen dessen Feinde zu kämpfen und den Diktator zu beseitigen. „Besser“ als die Gestapo dürfte der syrische Terrorapparat kaum sein.

      Rainer Thesen

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      1. Frieder Kammerer

        … der Stauffenberg-Vergleich ist freiweg genial und gefällt mir sehr gut!
        Aber grundsätzlich: Wir machen uns viel zu viele Gedanken über fremder Völker Probleme. Ich glaube nicht, daß die – wenn wir sie schon so nett benannt haben – „jungen Männer aus Syrien, die in unseren Cafés sitzen und so weiter…“ sich auch nur halb so viele ethische und humanistische Fragen um ihre „Heimat“ (diesen Begriff gibt es seltsamerweise nur im Deutschen) machen, wie wir mit unserer typisch deutschen „Fernstenliebe“. Nein. Ich weiß, ich bin ein Chauvinist: Die wollen es ganz einfach nur gut haben, egal wo! Alles andere ist ihnen Sch…egal (´tschuldigung!) – zumindest dem weitaus größten Teil davon. Und abends vor´m Fernseher klopfen sie sich wahrscheinlich auf die Schenkel vor Lachen über ihre idiotischen deutschen „UnterstützerInnen“. Das deutsche Gutmenschentum kennt leider kein Maß und keine Grenzen.
        Um am Ende nochmals elegant auf Stauffenberg einzuschwenken: Es wird in unserem Land in absehbarer Zeit zum Schwur kommen, unweigerlich …

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