Mit Kopftuch auf der Richterbank

Nicht zum ersten Mal hat eine Rechtsreferendarin muslimischen Glaubens entgegen bestehender Dienstanweisung verlangt, auch im Sitzungsdienst ein Kopftuch tragen zu dürfen, weil ihre Religion das gebietet. Es ist hier nicht darüber zu rechten, ob der Islam das wirklich allen weiblichen Angehörigen dieser Religion mit Eintritt der Pubertät zwingend vorschreibt oder nicht. Die Realität sieht nun einmal so aus, daß nicht nur in den Ländern, in denen der Islam tatsächlich auch Staatsreligion ist wie Saudi Arabien, Iran und Pakistan oder aber doch dominiert wie in Indonesien oder der Türkei, sondern auch zunehmend in Europa muslimische Frauen dieses Kleidungsstück tragen. Weitergehend werden vielfach auch lange Mäntel getragen, die auch die Silhouette der Trägerin optisch verschwinden lassen. Auch soll hier dahingestellt bleiben, ob alle diese Frauen das aus freien Stücken tun, oder damit bestimmten Erwartungen ihrer Familien entsprechen.

Im jüngsten Fall hat nun das Verwaltungsgericht Augsburg auf die Klage einer muslimischen Rechtsreferendarin eine einschlägige Dienstanweisung aufgehoben. Zur Begründung hat das Verwaltungsgericht ausgeführt, jedenfalls fehle es für ein solches Verbot an einer gesetzlichen Grundlage. Ob diese Entscheidung Bestand haben wird, bleibt abzuwarten. Denn der erstinstanzlich unterlegene Freistaat Bayern hat dem Vernehmen nach Berufung gegen dieses Urteil zum Bayerischen Verwaltungsgerichtshof eingelegt. Abzuwarten bleibt auch, ob der Freistaat Bayern eine entsprechende gesetzliche Regelung treffen wird. Hier dürfte es sich dann erweisen, ob zwischen den mutigen Worten vieler CSU-Politiker und ihren Taten als Gesetzgeber ein Unterschied besteht. Mit der absoluten Mehrheit der CSU wäre jedenfalls ein solches Gesetz möglich. Die Stimmen der SPD und der Grünen dürfte eine solche Gesetzesvorlage sicherlich nicht bekommen. Es kann auch nicht unbedingt erwartet werden, daß sich die Sache einfach durch das Ende des Vorbereitungsdienstes der jungen Dame erledigt. Denn es kann angenommen werden, daß die hinter ihr stehenden Islamfunktionäre sich eine solche Rechtsreferendarin ausgesucht haben, deren bisherige Examensnoten die begründete Erwartung rechtfertigen, daß sie auch die große juristische Staatsprüfung mit einer Gesamtnote bestehen wird, die ihr den Weg in den bayerischen Justizdienst öffnet.

Der Fall wirft natürlich grundsätzliche Fragen auf. Der Vorbereitungsdienst soll die examinierten Jurastudenten an die juristische Praxis heranführen. Dazu gehört auch die Verrichtung von Dienstgeschäften der Richter und Staatsanwälte wie auch im übrigen die Wahrnehmung von Prozeßhandlungen, die den zugelassenen Rechtsanwälten vorbehalten sind. So kann ein Rechtsreferendar den Sitzungsdienst eines Staatsanwalts übernehmen. Das bedeutet, daß er in der Sitzung die Anklage verliest, den Angeklagten befragt, Zeugen verhören muß und am Ende der Hauptverhandlung zu plädieren hat. Das Plädoyer des Staatsanwaltes faßt das Ergebnis der Hauptverhandlung aus seiner Sicht zusammen. Dazu gehört die Beweiswürdigung. Und dazu gehört vor allem die Formulierung eines Antrages dahin, ob und gegebenenfalls wie der Angeklagte zu bestrafen ist, oder ob etwa ein Freispruch aus der Sicht der Staatsanwaltschaft Ergebnis der Hauptverhandlung sein muß. Gleiches gilt für den Verteidiger, als der ein Rechtsreferendar mit entsprechender Vollmacht des Rechtsanwaltes, dem er zur Ausbildung zugewiesen ist, tätig werden kann. Das gilt natürlich nicht nur in Strafsachen, sondern auch in Zivilsachen sowie bei den Arbeits-, Finanz-, Sozial- und Verwaltungsgerichten. Soweit die richterliche Tätigkeit betroffen ist, können Referendare unter Aufsicht des Richters, dem sie zur Ausbildung zugewiesen sind, die Sitzung leiten und dabei Parteien befragen sowie Zeugen vernehmen. Lediglich die richterliche Spruchtätigkeit, also die Entscheidung selbst, kann Ihnen nicht übertragen werden. Regelmäßig sitzen einem Richter zur Ausbildung zugewiesene Referendare auch neben ihm am Richtertisch. Insbesondere mit gerichtlichen Verfahren nicht vertraute Parteien und Zeugen glauben auch häufig, daß diese Referendare „Gerichtspersonen“ sind und ordnen sie irgendwie auch der richterlichen Gewalt zu.

Ich habe das etwas ausführlicher dargestellt, weil diese Einzelheiten allgemein nicht bekannt sind. Sie sind aber wesentlich, wenn man das Problem fundiert behandeln will, um das es hier geht. Richter haben nach dem Gesetz unabhängig zu sein und sind in der Ausübung ihrer richterlichen Tätigkeit ausschließlich dem Gesetz unterworfen. Auch wenn die Staatsanwaltschaften in gewissen Grenzen weisungsgebunden sind, erwarten die Bürger von ihnen doch zu Recht, daß sie ihren Entscheidungen ausschließlich das Gesetz zugrunde legen und unvoreingenommen ihre Fälle bearbeiten. Auch die Rechtsanwälte, die natürlich ausschließlich die Interessen ihrer Mandanten zu vertreten haben, haben dies persönlich unabhängig und unbefangen zu tun. Nicht umsonst tragen sie wie Richter und Staatsanwälte im Sitzungssaal eine Robe als Zeichen ihrer Unabhängigkeit wie auch Bindung an das geltende Recht. Sie haben wie die Richter und Staatsanwälte einen Eid auf die Verfassung abgelegt.

Dem entspricht es auch, daß Richter und Staatsanwälte, aber auch die meisten Rechtsanwälte in den Gerichtssälen keinerlei religiöse Symbole oder politische Abzeichen sichtbar tragen. Selbst Halskettchen mit Anhängern in Kreuzesform, kleinen Davidsternen oder Halbmonden sieht man bei den Damen in Robe nicht. Auch wenn sie privat getragen werden, sind sie unter hochgeschlossener Bluse und Robe verborgen. Bei Männern stellt sich die Frage erst gar nicht, weil dergleichen ja nie über Hemd und Krawatte getragen wird. Damit unterstreicht die Justiz ihre Unabhängigkeit wie ihre Neutralität. Rechtssuchende Parteien, Angeklagte und Zeugen müssen sicher sein können, daß ihr Anliegen oder ihre Aussage nicht durch den Filter einer religiösen oder politischen Überzeugung des Gerichts wahrgenommen werden. Schon der geringste Anschein der Voreingenommenheit begründet zu Recht die Besorgnis der Befangenheit und führt zur Ablehnung eines Richters. Genau aus diesem Grunde haben auch Referendare im juristischen Vorbereitungsdienst, wenn sie im Gerichtssaal Sitzungsdienst in richterlicher oder auch staatsanwaltschaftlicher Funktion leisten, ebenfalls die Robe zu tragen. Für das Publikum sind sie von Richtern oder Staatsanwälten äußerlich nicht zu unterscheiden. Das ist auch richtig so, denn sie üben hier Staatsgewalt, teilweise sogar richterliche Gewalt aus. Und es führt ihnen selbst vor Augen, welchen Maßstäben sie zu entsprechen haben, wenn sie nach Abschluß ihrer Ausbildung einen dieser Justizberufe ergreifen.

Diese Überlegungen müssen vorangestellt werden, wenn man sich mit der Frage befaßt, ob einer Rechtsreferendarin gestattet werden soll, im Sitzungsdienst ein islamisches Kopftuch zu tragen. Es ist völlig klar und unbestritten, daß dieses Kopftuch jedenfalls weit überwiegend als religiöses Symbol wahrgenommen wird. Mehr noch, es wird als Zeugnis besonderer Religiosität verstanden. Denn es ist allgemein bekannt, daß viele Musliminnen sich nicht verpflichtet sehen, ein solches Kleidungsstück in der Öffentlichkeit zu tragen. Eine Richterin, die im Sitzungssaal so gekleidet erscheint, kann eben nicht als weltanschaulich neutral und innerlich unabhängig wahrgenommen werden. Das gilt nicht nur in solchen Rechtssachen, in denen religiöse Überzeugungen von Beteiligten – etwa in bestimmten Familien- oder Strafsachen – eine Rolle spielen können. Vielmehr durchdringt die religiöse Überzeugung eines Menschen sein Denken vollständig. Ich selbst gehe nun seit 40 Jahren als Rechtsanwalt in den Gerichtssälen dieses Landes ein und aus. Angesichts einer Kopftuch tragenden Richterin hätte ich genau diese Zweifel an ihrer Unbefangenheit, Unabhängigkeit und Verfassungstreue. Letzteres, weil eine Reihe von Umfragen und wissenschaftlichen Untersuchungen in den letzten Jahren ergeben hat, daß gläubige Muslime ihren religiösen Gesetzen (Scharia) den Vorrang vor den Gesetzen unseres Landes einschließlich der Verfassung einräumen.

Damit ist völlig klar, daß es in unseren Gerichtssälen keine Richterinnen, Staatsanwältinnen und Rechtsanwältinnen geben darf, die im Dienst ein Kopftuch oder gar sonstige von ihrer Religion vorgeschriebenen Kleidungsstücke tragen. Denn mit der gleichen Begründung, mit der Juristinnen muslimischen Glaubens verlangen, im Gerichtssaal ein Kopftuch tragen zu dürfen, können sie ja verlangen, etwa in Burka oder Niqab zu erscheinen. Eine Richterin, der man nicht einmal ins Gesicht sehen kann! Undenkbar! Was im übrigen Muslimen recht ist, müßte dann zum Beispiel auch Juden billig sein. Ein jüdischer Richter oder Rechtsanwalt müßte mit dem gleichen Recht dann im Sitzungssaal seine Kippa auf dem Kopf tragen dürfen. Und weil Art. 4 Abs. 3 des Grundgesetzes (Freiheit der Religionsausübung) nicht nur Christen, Juden und Muslime schützt, lassen sich weitere Szenarien dieser Art denken. Wer wollte dann zum Beispiel einem Sikh verwehren, sein niemals geschnittenes Haupthaar mit einem Turban zu bedecken und mit bis auf den Richtertisch wallendem Bart zu amtieren? Welchen Grad an Unvoreingenommenheit dürfen wir etwa von einer Kammer des Verwaltungsgerichts erwarten, die in Asylangelegenheiten entscheidet, und deren Mitglieder ihre aus den Herkunftsländern stammende strenge Religiosität im Sitzungssaal durch Tragen entsprechender Kleidungsstücke zur Schau stellen?

In diesem Zusammenhang wird ja gerne eingewandt, daß in deutschen, vor allem bayerischen Gerichtssälen allgemein Kruzifixe an den Wänden zu sehen sind. Das hat jedoch mit dem hier behandelten Thema überhaupt nichts zu tun. Vielmehr beruht unsere Kultur unter anderem auf der christlichen Tradition des Abendlandes. Sie prägt unser Land, auch seine Rechtstradition, seit mehr als 1000 Jahren. Deswegen findet sich das Kreuz vielfach in Nationalflaggen (Schweiz, skandinavische Länder) wie auch in  Stadtwappen (Bonn, Koblenz, Wien), oder ist Grundform staatlicher Auszeichnungen (Bundesverdienstkreuz, bayerischer Verdienstorden, Ehrenzeichen der Bundeswehr) und Symbol von Hilfsorganisationen (Arbeitersamariterbund, Johanniter, Malteser, Rotes Kreuz). Muslime zum Beispiel leben erst seit wenigen Jahrzehnten in nennenswerter Zahl bei uns. Kultur- oder gar traditionsprägend ist das offensichtlich nicht. Auch wenn nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts ein Gericht auf Antrag eines Beteiligten die (vorübergehende) Entfernung des Kruzifixes aus dem Gerichtssaal verfügen kann (nicht muß!), ändert sich daran nichts. Ich habe es im übrigen noch nie erlebt und es ist mir auch noch nie zu Ohren gekommen, daß irgendein Beteiligter im Gerichtssaal einmal einen solchen Antrag gestellt hätte. Es wäre im übrigen interessant zu wissen, wie dann vom Gericht entschieden würde, zumal wenn ein anderer Beteiligter beantragt hätte, das Kruzifix im Sitzungssaal zu belassen. Ich zum Beispiel würde so etwas mit der Begründung beantragen, daß ich meinerseits Zweifel an der Unbefangenheit eines Gerichts hätte, das unseren altehrwürdigen Traditionen so wenig Wert beimißt, daß es einem Querulanten nachgibt, der da meint, alle anderen hätten nach seiner Pfeife zu tanzen, auch wenn sie die Mißtöne gar nicht hören wollen, die er ihr entlockt.

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