Rechtsstaat Türkei und Leisetreter Deutschland

Anne Will hatte zu ihrer Talkrunde letzten Sonntagabend nur zwei Gäste eingeladen. Statt der üblichen 5-6 Gesprächspartner nahmen der deutsche Kanzleramtsminister und der türkische Sportminister auf den Sesseln im Studio Platz. Grundsätzlich ist diese Reduzierung auf nur zwei Gesprächspartner zu begrüßen. Denn dann hat jeder ausreichend Zeit, seine Gedanken auszuformulieren und stringent zu argumentieren. Bei dem üblichen Format indessen steht schon die schiere Zahl der Gesprächspartner in Verbindung mit der beschränkten Zeit einer Diskussion entgegen, die ihren Namen verdient. Soweit das Positive.

Der türkische Sportminister erwies sich sehr schnell als durchaus gefährlicher Politiker, weit ab von dem wackeren Sportfunktionär, der staatliche Fördermittel an ländliche Fußballklubs verteilen darf. Der deutsche Kanzleramtsminister hingegen erwies sich als treuer Diener seiner Herrin, die offensichtlich immer noch nicht dem türkischen Despoten die klare Kante zeigen will, von der unsere Politiker doch so gerne sprechen.

Besonders bemerkenswert waren zwei Aussagen des türkischen Ministers, der im übrigen in einer ganz speziellen Mischung von Arroganz und Selbstgefälligkeit stets zwischen der deutschen und der türkischen Sprache hin und her wechselte. Möglicherweise gehört auch das zu seinem Habitus und seiner Ideologie, wonach selbstverständlich Türken auch noch nach Generationen in Deutschland eben genauso gut Türken wie Deutsche sein sollen. Natürlich in erster Linie Türken. Und genau deswegen lobte er auch das Gefasel unserer Kanzlerin, wonach Deutsche alle Menschen sind, die in Deutschland leben. Auf die Bemerkung des deutschen Kollegen, wonach gewisse Dinge bei uns von den Gerichten entschieden werden, und die Regierung darauf keinen Einfluß hat, hatte er die Stirn zu erklären, dies sei in der Türkei genauso. „Wenn unsere Gerichte entscheiden, dann gilt das. Dann ist es nicht in der Macht der Regierung, zu sagen, das Gericht kann das nicht machen.“ Von seinem deutschen Kollegen kam darauf nichts. Dabei hätte er durchaus sagen müssen, worin die Unterschiede zwischen unabhängigen Gerichten in Deutschland und der Türkei jedenfalls derzeit liegen. Stand Ende Juli 2016 existierten in der Türkei gegen 2854 Richter und Staatsanwälte Haftbefehle, davon waren 1684 in U-Haft. Ja, hätte der deutsche Kanzleramtsminister antworten müssen, das war bei uns in Deutschland schon mal genauso wie bei Ihnen in der Türkei. Zwischen 1933 und 1945 haben Gerichte entschieden, wie es dem Regime gefiel. Zuvor waren natürlich eine Reihe von „unzuverlässigen“ Richtern ihres Amtes enthoben worden. Zudem hatte das Regime für die Rechtsgebiete, auf die es ihm besonders ankam, Sondergerichte installiert, die natürlich mit 150-prozentigen Nazis besetzt waren. Da konnte das Regime auch getrost sagen, daß die Regierung nicht sagen kann, das dürften die Gerichte nicht oder nicht so entscheiden. Einen signifikanten Unterschied zwischen der Situation damals in Deutschland und in der Türkei heute kann man wirklich nicht erkennen. In der DDR war das natürlich von 1949 bis 1989 genauso. Damit hätte Altmaier auch gleichzeitig die richtige Antwort auf die unsäglichen und unverschämten Nazivergleiche des Herrn Erdogan und seiner Paladine gegeben.

Der türkische Minister ging dann noch weiter. Den Vorhalt seines Kollegen, daß nach dem Putschversuch im Sommer 2016 viele Beamte entlassen worden seien, konterte er mit dem Hinweis darauf, daß ja auch nach der Wende viele ehemalige Beamte in den neuen Bundesländern entlassen worden seien, weil sie nicht als zuverlässig im Sinne des Grundgesetzes galten. Auch hier fehlte die angemessene Reaktion des deutschen Ministers. Denn es ist ja wohl ein fundamentaler Unterschied, ob Tausende von Beamten aus heiterem Himmel und ohne Vorwarnung einfach entlassen, teilweise auch inhaftiert werden, oder aber ob in einem rechtsstaatlichen Verfahren unter Beibringung belastbarer Beweismittel und der Ermöglichung einer sachgerechten Verteidigung  eine dazu noch gerichtlich anfechtbare Entscheidung steht, daß der betreffende Beamte wegen seiner Verstrickung in das Unrechtsregime der DDR nicht mehr weiter im öffentlichen Dienst beschäftigt werden kann. Also schlicht und einfach der Unterschied zwischen dem Wüten eines Despoten und einem rechtsstaatlichen Verfahren.

Dem türkischen Minister war im Laufe der Sendung auch anzusehen, wie sehr er das ganze genossen hat. Zu Recht fand er sich ganz prima und seinem Gegenüber weit überlegen. Es war halt der Unterschied zwischen Schlagstock und Waschlappen, zwischen Selbstbewusstsein und Leisetreterei.

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