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Bomben auf Aleppo – mit Recht?

Nahezu täglich werden wir mit den Bildern des Krieges in Syrien konfrontiert. Vor allem die Filme und Fotos der Luftangriffe auf die Stadt Aleppo zeigen das unsägliche Leid, das hier über die Zivilbevölkerung hereinbricht. Herzzerreißende Bilder von Toten, schwer verletzten oder aus den Trümmern geretteten Kindern können niemanden kalt lassen. Entsprechend eindeutig sind auch die Verurteilungen des Geschehens an sich oder aber der Konfliktparteien durch die Politiker und Journalisten im fernen Europa. Es fällt auch schwer, angesichts des Elends der Menschen in den betroffenen Stadtteilen etwas anderes zu empfinden als Empörung auf die Verantwortlichen und Mitleid mit den Bewohnern der Stadt, die nun ganz offensichtlich keine Schuld an diesem Geschehen tragen. Doch schon bei dem letzten Halbsatz kratzt die Feder etwas auf dem Papier. Immerhin handelt es sich jedenfalls in der Ausgangslage um einen Bürgerkrieg. In den Nachrichten ist auch davon die Rede, daß sogenannte Rebellenviertel bombardiert bzw. beschossen werden. Diese Formulierungen deuten darauf hin, daß sich dort nicht ausschließlich unbeteiligte Zivilbevölkerung befindet und massakriert wird, sondern auch Beteiligte an den Kampfhandlungen, was die Bezeichnung als Rebellen nahelegt. Grund genug, den Versuch zu unternehmen, eine juristische Betrachtung dieser Kriegshandlungen anzustellen.

Natürlich ist in modernen Konflikten wie diesem zunächst einmal zu fragen, ob das klassische Kriegsvölkerecht, wie wir es in Gestalt der Haaager Landkriegsordnung und der Genfer Übereinkommen zum Schutze der Zivilbevölkerung samt ihrer Zusatzprotokolle kennen, hier überhaupt gilt. Wie schwer sich das Völkerrecht damit tut, zeigen die überaus komplizierten Definitionen der nationalen und internationalen Konflikte in den genannten Verträgen wie auch im römischen Statut des Internationalen Strafgerichtshofs. Das Zeitalter, in dem ausschließlich Staaten gegeneinander Krieg führten, ist längst vergangen. Der Krieg in Syrien ist ein Musterbeispiel dafür. Ebenso gehören Sezessionskriege, in denen eine Region oder eine Bevölkerungsgruppe versucht, die staatliche Unabhängigkeit zu erlangen, der Vergangenheit an. Vielmehr treten hier inzwischen dann auch auf beiden Seiten Drittstaaten und diverse Rebellenorganisationen den eigentlichen Konfliktparteien bei. So werden nationale Konflikte internationalisiert. Als Minimum dürfte gelten, daß Kampfhandlungen, an denen ausländische Truppen beteiligt sind, nach den Regeln des internationalen Konfliktes zu beurteilen sind, wenn im Zusammenhang mit einem internen Konflikt die ausländischen Truppen die Regierungstruppen bekämpfen, obwohl der gleiche Konflikt rein interne Komponenten besitzt. Für den umgekehrten Fall, nämlich der ausländischen Intervention gegen die aufständische Partei, hat der US Supreme Court allein den gemeinsamen Art. 3 der Genfer Konventionen als verbindlichen Minimum-Standard angesehen, der bei der amerikanischen Intervention in Afghanistan zu beachten war. Das sind die Minimalstandards zum Schutze der Zivilbevölkerung. Somit ist im vorliegenden Falle erst einmal festzustellen, wer alles an diesem Krieg mitwirkt. Zum einen natürlich die syrische Regierung, wobei kriegsvölkerrechtlich nicht danach zu fragen ist, ob sie legal, legitim oder völkerrechtlich anerkannt ist. Kriegsrecht gilt grundsätzlich für jede Konfliktpartei, wenn es überhaupt anwendbar ist. Zum anderen sind diverse Rebellengruppen beteiligt, die teils die syrische Regierung, teils aber auch andere Rebellengruppen bekämpfen. Und, das macht diesen Konflikt doch zu einem internationalen Konflikt, sind eine Reihe von Drittstaaten beteiligt, nämlich Russland, die USA, der Iran und die Türkei. Inwieweit auch Deutschland durch seine militärischen Beistandshandlungen in Form von Ausbildung, aber auch Luftaufklärung, als Konfliktpartei zu gelten hat, soll einmal offen bleiben.

Somit ist die Bombardierung von Aleppo nun unter dem Gesichtspunkt des internationalen Konflikts zu betrachten. Es sind also die Regeln des Kriegsvölkerrechts zu beachten. Sollte es zutreffen, daß tatsächlich nur die Stadtteile Luftangriffen und Artilleriebeschuß ausgesetzt sind, in denen sich Rebellen festgesetzt haben und gegen die Streitkräfte der syrischen Regierung und ihrer Verbündeten kämpfen, dann wären diese Angriffe kriegsvölkerrechtlich wohl zunächst als zulässig zu beurteilen. Art. 48 der Haaager Landkriegsordnung verbietet nur die Beschießung sogenannter unverteidigter Plätze, und auch Art. 59 und 60 des Zusatzprotokolls I zu den Genfer Übereinkommen zum Schutze der Zivilbevölkerung stellen nur unverteidigte Orte und entmilitarisierte Zonen unter den Schutz eben dieser Abkommen. Demgemäß ist als Kriegsverbrechen gemäß Art. 8 Abs. 2 b) ii) des Römischen Statuts des Internationalen Strafgerichtshofs nur der vorsätzliche Angriff auf zivile Objekte, zu denen nach den einschlägigen Abkommen eben verteidigte Stadtteile nicht gehören, als Kriegsverbrechen zu bestrafen. Allerdings wird auch das Kriegsvölkerecht vom Grundsatz der Verhältnismäßigkeit beherrscht. D.h. also, Art und Ausmaß der Angriffe auf eine Ansiedlung, in der sich feindliche Streitkräfte befinden und zwar gegen den Willen der Wohnbevölkerung, müssen sich allein daran orientieren, was unbedingt notwendig ist, um die feindliche Truppe aus ihren Stellungen zu werfen. Unterschiedslose Angriffe auf Zivilisten und Kämpfer wären demnach rechtswidrig und gegebenenfalls als Kriegsverbrechen zu bestrafen. Der Teufel liegt indessen im Detail, in der Feststellung des Sachverhalts. Was ist hier militärisch notwendig und was nicht? Ganz sicherlich mutet das Kriegsvölkerecht es den Kombattanten nicht zu, bei der Wahl der Mittel alleine das Wohl der unbeteiligten Zivilbevölkerung beachten zu müssen, unabhängig davon, ob sie sich damit selbst in größere Gefahr bringen, als bei Anwendung wirksamerer Mittel. Im vorliegenden Falle eine solche Unterscheidung treffen zu können, sollte selbst kriegs-und rechtskundigen Beobachtern an Ort und Stelle kaum möglich sein. Noch weniger können wir dies aus der Ferne leisten.

Festzuhalten bleibt somit, daß es jenseits allen berechtigten Mitleids mit der betroffenen Zivilbevölkerung nicht möglich ist, einfache und wohlfeile Verurteilungen der einen oder anderen Kriegspartei auszusprechen. Was aber meines Erachtens möglich und geboten ist, das ist der Hinweis darauf, daß Verursacher all diesen Elends stets die Kriegspartei ist, die entgegen dem Regelwerk der Haager und Genfer Abkommen die Zivilbevölkerung gewissermaßen als Schutzschild mißbraucht, hinter der sie sich in der Absicht verschanzt, vor feindlichen Beschuß sicher zu sein, um aus dieser Position gefahrlos den Feind bekämpfen zu können. Auch wer noch so berechtigt zur Waffe greift, um einen Despoten zu stürzen: Auch er muß dabei die Regeln des Kriegsvölkerrechts beachten, die ja gerade zum Schutze der Schwächsten, und das sind die Zivilisten, geschaffen worden sind. Jedenfalls jenseits aller juristischen Überlegungen ist moralisch zu verurteilen, wer den Krieg in die Häuser der Unbeteiligten trägt.