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Sprachverwirrung

In Deutschland herrscht eine eigentümliche Scheu vor Begriffen, die klar beschreiben, worum es geht, doch anscheinend politisch vergiftet sind. Dazu gehört neben anderen das Wort Ideologie. Vor allem konservative, aber auch sozialdemokratische Politiker und Journalisten möchten die eigene Position ungern mit diesem Begriff belegt sehen, belegen aber gerne die Position des Gegners mit diesem Begriff. Es lohnt sich daher, sich diesem Begriff mit den Methoden der Semantik zu nähern, die ja dazu dient, den Sinngehalt eines Wortes herauszuarbeiten. Die Vokabel setzt sich aus den Bestandteilen Idee und logos zusammen, also dem Gedanken, der Vorstellung einerseits und dem Wort andererseits. Das Wort benennt die Sache. Eine Ideologie ist demnach der ausgesprochene bzw. niedergeschriebene Gedanke. So ist es ja auch. Eine Ideologie ist nach allgemeinem Verständnis ein Gedankengebäude, eine Theorie. Das ist zunächst einmal eine sachliche Beschreibung und paßt deswegen auch auf jedes theoretische Gedankengebäude. In Verruf geraten ist das Wort offensichtlich dadurch, daß man die jeweils abgelehnte politische Theorie des Anderen damit bezeichnet hat, weswegen im Laufe der Zeit die Vokabel Ideologie negativ konnotiert ist. Wer von Ideologen spricht, meint genau genommen die Anhänger einer Ideologie, die der seinen entgegengesetzt ist. Aus der Sicht des Konservativen ist der Linke ein Ideologe, aus der Sicht des Linken ist der Konservative ein Ideologe. Das gilt natürlich auch für jede andere politische Theorie, denn sie ist die Ausformung einer Idee, mithin eine Ideologie. Warum also wehrt man sich so vehement dagegen, als Anhänger einer Ideologie bezeichnet zu werden? Warum will man partout nicht eine Ideologie verbreiten? Sprachlich zutreffend ist es also, zur Beschreibung politischer Grundsatzpositionen und Theorien stets von einer Ideologie zu sprechen. Die kann richtig oder falsch, hilfreich oder schädlich sein, Ideologie ist sie immer. Man sollte also den Vorwurf, eine „ideologische“ Position zu vertreten, als substanzlos betrachten, wenn man nicht gar seinen Gegenüber mit der Frage bloßstellen will, ob es eine Theorie ohne Idee geben kann.

Merkwürdig ist auch die Scheu konservativer Bürger, Journalisten und Politiker vor der Bezeichnung des eigenen Standpunktes als „rechts“. Linke hingegen, ob sozialdemokratisch oder sozialistisch orientiert, haben mit der Benennung ihres Standpunktes als „links“ offenbar überhaupt kein Problem. Kommunisten und noch weiter links zu verortende Extremisten erst recht nicht. Warum eigentlich werden politische Positionen („Ideologien“!) mit Begriffen benannt, die zunächst einmal von ihrer Wortbedeutung her völlig neutral sind, weil sie lediglich eine topographische Zuordnung bezeichnen? Links und rechts bezeichnen die Lage eines Gegenstandes vom Betrachter aus, sei es die eigene Hand, die eben aus dem Blickwinkel eines jeden Menschen eben die rechte oder linke ist, sei es das Gebäude, das sich aus dem Blickwinkel des Betrachters vor dem Hause rechter Hand, aus dem Betrachter hinter dem Hause aber linker Hand befindet, vorausgesetzt die Standpunkte der beiden Betrachter liegen auf den Schnittpunkten der Linie, welche die Vorder- und Rückseite des Hauses im rechten Winkel schneidet. Inhaltlich sagt die Situierung eines Menschen im Raum zunächst einmal nichts aus. Erstmals politisch wurde die unschuldige Richtungsbezeichnung 1789, als in der französischen Nationalversammlung die Anhänger einer egalitären Umgestaltung des politischen Systems im Sitzungssaal vom Parlamentspräsidenten aus gesehen links Platz nahmen, um möglichst weit von den Vertretern der ersten beiden Stände Adel und Klerus entfernt zu sitzen, die rechts vom Präsidenten die Ehrenplätze einnahmen. Auf der vom Präsidenten aus gesehenen rechten Seite im Saal nahmen denn auch die Monarchisten Platz, denen eben eine konstitutionelle Monarchie als künftige Gesellschaftsordnung vorschwebte. Seither gibt es neben der aussagekräftigen inhaltlichen Beschreibung einer Parlamentsfraktion bzw. der sie tragenden politischen Partei eben auch die von der Saaltopographie abgeleitete Bezeichnung als links, rechts und in neuerer Zeit Mitte. Was also ist an einer Bezeichnung wie „rechts“ so schlimm, außer ihrer Unschärfe, besser gesagt Inhaltslosigkeit?

Schuld daran sind zunächst die politischen Extreme, vor allem aber der Mißbrauch der Sprache durch die Linke, die ja nun einmal die Deutungshoheit über die politischen Begriffe usurpiert hat. Das konnte sie, weil nun einmal Journalisten und Publizisten in ihrer übergroßen Mehrheit im weitesten Sinne „links“ sind, und mit ihren Waffen für die Umgestaltung der Gesellschaft in ihrem Sinne kämpfen. Die Waffe des Intellektuellen ist das Wort. Wie bei den „richtigen“ Waffen gibt es auch hier solche, die man ehrlich nennen kann, weil sie offen getragen und angewandt werden, wie auch solche, die hinterhältig benutzt werden und wie ein schleichendes Gift wirken. Das Sachargument tritt offen auf und will am Gegenargument gemessen werden; es gleicht dem regelgerecht geführten Angriff des Fechters, der mit einer ebenso regelgerechten Abwehr beantwortet werden kann. In beiden Fällen obsiegt, wer das überzeugendste Argument bzw. die durchschlagendste Aktion in die Auseinandersetzung einführt. Die Manipulation der Sprache indessen setzt anders an. Sie will den redlichen Teilnehmer am Diskurs hintergehen, indem sie die Regeln ändert, ohne daß er es bemerkt. Wie der Fechter, dessen Florett kürzer ist, als das seines Gegners, ohne daß er davon weiß, kämpft er auf verlorenem Posten. Im Falle der politischen Topographie ist es nun so, daß den bloß die Sitzordnung im Parlament beschreibenden Begriffen eine moralische Wertung injiziert worden ist. Links ist demnach mit Begriffen wie sozial, gerecht, mitfühlend, demokratisch, international konnotiert, rechts hingegen mit national(istisch), kapitalistisch, privilegiert, kaltherzig, autoritär. Vor allem aber wird „rechts“ konsequent auch gleichbedeutend mit „rechtsradikal“ bzw. sogar „rechtsextrem“ gebraucht, was den Begriff vergiftet. Deutlich wird das in Deutschland am sogenannten „Kampf gegen rechts“. Es heißt eben nicht gegen Rechtsextremismus, nein es heißt gegen „rechts“. Das geschieht natürlich mit der Absicht, auch die politischen Positionen zu diffamieren, deren Vertreter in der klassischen Sitzordnung der Parlamente die vom Präsidium aus gesehen rechten Sitze einnehmen, und an deren demokratischer Überzeugung nicht der leiseste Zweifel bestehen kann. Denn das ist wirkungsvoller, als die mühselige Argumentation mit Fakten. Ich sage Absicht, weil den Virtuosen des Sprachgebrauchs, die Intellektuelle nun einmal sind, dergleichen nicht einfach unterläuft. Wer sich beruflich mit Sprache befaßt, wer darauf angewiesen ist, daß seine Gedanken verstanden und übernommen werden, der verschreibt sich nicht, der manipuliert, wenn er Begriffen Bedeutungen gibt, die sie ursprünglich nicht hatten.

Diese Entwicklung hat dazu geführt, daß Intellektuelle und Politiker des klassischen rechten Spektrums, zu dem in Deutschland vor vielen Jahren auch einmal die Unionsparteien gehört haben, diese Zuordnung meiden wie der Teufel das Weihwasser. Statt dessen verortet man sich in der Mitte. Die hat es ursprünglich nicht gegeben. Sie hat erst mit der zunehmenden Differenzierung innerhalb der klassischen Rechten und Linken Eingang in den Sprachgebrauch gefunden. In den meisten europäischen Ländern führt das seit langer Zeit auch zu Mitte-Bindestrich Koalitionen wie Mitte-Rechts-Regierung oder Mitte-Links-Opposition. In Deutschland indessen würden sich die ehemals „rechten“ Unionsparteien pikiert dagegen verwahren, wenn man sie so bezeichnen und etwa eine CDU-CSU/FDP Koalition als „Mitte-Rechts-Koalition“ bezeichnen würde. Das führt zu dem absurden Ergebnis, daß wir in unseren deutschen Parlamenten linke Parteien (Die Linke, Bündnis 90 – Die Grünen, SPD) und Parteien „der Mitte“ (CDU, CSU, FDP, Freie Wähler, AfD) haben, wobei letztere übrigens aus dem linken Spektrum heraus gerne als rechte, schlimmer noch „rechtspopulistische“ Partei bezeichnet wird. Dabei hilft es auch nicht, daß der Vorsitzende der SPD mit Blick auf die Pegida-Bewegung geäußert hat, es habe doch jeder das gute Recht, nationalkonservativ zu sein. Denn das Recht zu haben, eine bestimmte politische Meinung zu haben, heißt noch lange nicht, daß diese als gleichwertig neben anderen anerkannt wird. Etwas pointierter gesagt, man kommt nicht ins Gefängnis, wenn man zum Beispiel nationalkonservativ ist, man wird aber auch nicht akzeptiert.

Es ist an der Zeit, den politischen Sprachgebrauch zu entgiften. Der erste Schritt muß sein, sich als Konservativer und/oder Wirtschaftsliberaler nicht mehr ängstlich dem Sprachgebrauch des politischen Gegners anzupassen, besser, zu unterwerfen, sondern selbstbewußt zu sagen: Ich bin rechts, wenn es um die politische Gesäßtopographie geht. Im zweiten Satz folgt dann die Forderung, doch bitte inhaltlich zu diskutieren, statt bei der Sitzordnung stehen zu bleiben. Denn da kann man vielleicht nette Wortspielchen veranstalten wie „right is right and left is wrong“ (der Wortwitz geht im Deutschen verloren). In der Sachdiskussion hingegen kann man mit den besseren Argumenten aufwarten und obsiegen. Wer wagt, der winnt, sagt ein altes Sprichwort. Feigheit indessen hat noch nie zum Sieg geführt.