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Identität

In Deutschland hat man Probleme mit der nationalen Identität. Das zeigt sich am verdrucksten Umgang mit der deutschen Geschichte. Am besten spricht man nicht über sie, denn man kommt dann ganz schnell und ganz ausschließlich auf die zwölf dunklen Jahre. Da ist es nur konsequent, wenn man beginnt, den Geschichtsunterricht aus den Lehrplänen der Schulen herauszunehmen und irgendwie in den sozialkundlichen Fächern aufzulösen. Vom deutschen Volk redet man als Politiker lieber nicht, das könnte ja als völkisches Denken diffamiert werden. Nationale Symbolik wird möglichst auf ein Minimum reduziert oder ganz vermieden. International beachtete Leistungen großer Deutscher aus dem 19. und 20. Jahrhundert werden kleingeredet oder ganz verschwiegen. Wünschen von muslimischen Einwanderern nach Frauenbadetagen in öffentlichen Schwimmbädern und schweinefleischfreiem Kita-Essen entspricht man, kultursensibel wie man ist, gerne. Weihnachtsfeiern in Kindergärten oder gar der Besuch des Nikolaus im Bischofsornat haben kultursensibel natürlich zu unterbleiben. Der Besuch einer Moschee indessen ist auch für Kinder aus christlichen Familien Pflicht, bußgeldbewehrt natürlich. Wir sind ja in Deutschland! (Wirklich?)

Kein Wunder, daß ein Volk mit einem solchen Verhältnis zur eigenen Identität für Einwanderer aus fremden Kulturen nicht sonderlich attraktiv ist, bzw. seine Attraktivität sich auf Wirtschaftskraft und Sozialleistungen reduziert. In einem lesenswerten Artikel auf Tichy’s Einblick vom 7.11.2016 befaßt sich der junge Deutsch-Chinese Marcel Zhu mit diesem Tatbestand. „Eine deutsche Gesellschaft in Verleugnung und Marginalisierung ihrer nationalen Identität ist jedoch nicht in der Lage, den Migranten eine neue, deutsche Identität zu geben…. Eine erfolgreiche Integrationspolitik in Deutschland setzt deshalb voraus, daß sich die deutsche Mehrheitsgesellschaft wieder auf ihre eigene nationale Identität besinnt, nicht zuletzt mit den positiven, identitätsstiftenden Teilen ihrer Geschichte.“

Identitätsstiftung von Staats wegen kann man anderenorts durchaus studieren. In den dritten Fernsehprogrammen wird derzeit der Dokumentarfilm „#uploading_holocaust – Die Reise nach Polen“ gezeigt. Es geht um eine Dokumentation der seit vielen Jahren israelischen Teenagern angebotenen Reise zu den Gedenkstätten des Holocaust. Man sieht nicht ohne innere Bewegung diese jungen Leute zunächst fröhlich und unbeschwert, wie man in diesem Alter einfach ist, und dann in der Konfrontation mit dem unsagbaren Grauen, eingehüllt in ihre Nationalflaggen, dort wo einst Kinder ihres Volkes ermordet worden sind, in Tränen ausbrechen. Ganz offensichtlich soll dieses Projekt auch dazu dienen, die Erinnerung an den Holocaust wachzuhalten, genauer gesagt in die Seelen dieser jungen Leute einzupflanzen. Es geht ganz ersichtlich um die nationale Identität, die jedenfalls zu einem bedeutenden Teil aus dem Holocaust hergeleitet wird. Eine Identität als Opfer, eine seelisch belastende Identität. Sie wird offenbar ergänzt durch das Bestreben nach einer exklusiven Identität. Diesen Gedanken kann man formulieren, wenn man sich die Rezeption des Romans „wir sehen uns am Meer“ der jungen israelischen Autorin Dorit Rabinyan durch das offizielle Israel ansieht. Dieser Roman ist eine der vielen bittersüßen Liebesgeschichten nach dem Muster von Romeo und Julia. Hier eben wird die Geschichte der nach Lage der Dinge eben unmöglichen Liebe zwischen einer Israelin und einem Palästinenser erzählt. Zwei liebende junge Menschen interessiert ihre Umgebung nicht, nicht der Haß zwischen den Völkern, nicht Ausgrenzung und Verbot. Sie versinken eben ganz und gar in ihrem privaten Glück. Der Roman scheint auch durchaus gelungen, wenn man den Kritikern glauben darf. Er eignet sich auch sicher dazu, das Romeo und Julia Sujet eben auch in der Schule als aktuelle Variante des Shakespeare’schen Klassikers vorzustellen, gerade in Israel und in den arabischen Ländern. Daß er in letzteren Eingang in den Unterricht gefunden hätte, wird man ohnehin kaum annehmen. Daß aber das israelische Kultusministerium es abgelehnt hat, diesen Roman für den Schulunterricht freizugeben, erstaunt doch bei einem Land, das doch eher als Vorposten westlich-demokratischer Kultur im Nahen Osten gesehen wird und auch durchaus so gesehen werden will. Doch das Ministerium hat die Genehmigung mit der Begründung versagt, es müßten die Jugendlichen vor der Gefahr der Assimilierung geschützt werden. Intime Beziehungen zwischen Juden und Nicht-Juden bedrohten die getrennten Identitäten. Die Angst vor dem Verlust der eigenen Identität, indem man etwa sich vorstellt, als kleines Volk im Ozean der umgebenden arabischen Massen zu versinken, scheint durchaus virulent. So wurde bei der Vorstellung des Romans eine Dame mit der Befürchtung zitiert, daß die Gefahr der Assimilierung drohe, sobald der Krieg mit den Arabern vorbei sei. Solange der Krieg anhalte, lebe man gewissermaßen hinter dem Schutz eines Zauns. Auch wenn das ganz sicherlich nicht die Wahrnehmung aller, vielleicht nicht einmal der meisten Israelis ist, bemerkenswert sind eine solche Haltung von Interviewpartnern und eine derartige offizielle Äußerung aus der Regierung des Landes durchaus.

Man stelle sich einmal vor, deutsche Schüler würden nach Ostpreußen, Polen und Tschechien gebracht um ihnen die Stätten der Massenmorde an Deutschen am Ende des Zweiten Weltkrieges zu zeigen und ihnen diese Vorgänge minutiös zu erläutern. In T-Shirts mit dem Bundesadler und mit der Bundesflagge behängt, pilgerten diese Jugendlichen zu den wenigen Grabstätten ihrer Vorfahren, die es dort überhaupt noch gibt, und zu den vielen Orten, an denen nur noch die Erzählungen ihrer Geschichtslehrer diese schrecklichen Ereignisse wieder lebendig werden lassen können. Allein schon diese Vorstellung zu formulieren, erscheint abenteuerlich. Wahrscheinlich wird man mir vorhalten, einen unzulässigen Vergleich angestellt zu haben, schließlich gehe es einmal um die Nachfahren der Opfer, und ein andermal des Tätervolkes. Abgesehen davon, daß dies schon deswegen nicht zulässig ist, weil auch der Völkermord an den Deutschen im Osten selbst dann ein solcher bleibt, wenn man den Deutschen jener Jahre pauschal die Täterschaft am Holocaust zuschreiben könnte, was ganz sicher nicht möglich ist, so haben derartige Kritiker überhaupt nicht verstanden, um was es wirklich geht. Es geht im Falle Israel und es ginge im Falle Deutschland zunächst einmal darum, ob man wirklich Generation für Generation jungen Menschen den Seelenschmerz zumuten darf, der sich unweigerlich mit dieser Art der Präsentation des Völkermordes an den eigenen Vorfahren einstellen muß.

Wer Nationen ihre Existenzberechtigung zuspricht, und das tue ich sehr wohl mit Blick auf jede Nation, die ihre Existenzberechtigung genauso gut hat, wie jeder einzelne Mensch das Recht auf Leben und Respekt hat, der muß es auch für gut halten, daß sie ihre Identität hochhalten und ihrer Jugend vermitteln will. Indessen sollte man bei der Wahl der Mittel bedenken, was man am Ende erreichen will, und was am Ende dabei herauskommt. Nicht, daß man die dunklen Seiten der Geschichte beschweigen sollte. Die dunklen Seiten erzählen zum Beispiel von Völkermorden. Da gibt es eben Mörder und Opfer. Für beide Seiten ist das eine schlimme Geschichte, sie steht deswegen auf den dunklen Seiten. Doch Identität, wenn sie dabei helfen soll, zu bestehen, muß vor allem eine positive sein. Die großen Erzählungen der Nationen, die Leistungen ihrer Künstler und Wissenschaftler, ihre Selbstbehauptung gegen äußere Feinde und Überwindung inneren Streits, all das ist geeignet, die nachwachsenden Generationen anzuspornen, es ihren Vorfahren gleich zu tun. Weil die Geschichte aber eben nicht nur diese glänzenden Seiten hat, werden ihre dunklen Seiten durchaus nicht übersehen. Das ist auch durchaus dazu geeignet, das Entstehen allzu großen Übermutes zu verhindern. Geht man jedoch umgekehrt vor, so wird all das Dunkle und Grausame den Blick auf die hellen und schönen Seiten der Geschichte verstellen.

Die Deutschen jedenfalls wären gut beraten, der eingangs zitierten Aufforderung des jungen Mannes zu folgen, der aus seiner persönlichen Vertrautheit mit den Kulturen der Deutschen wie der Chinesen offenbar die Weisheit schöpft, die aus seinen Zeilen spricht. Das Bildnis der Pallas Athene ist deshalb diesem Beitrag nicht zufällig vorangestellt.

Deutschland zahnlos

Einst war Deutschland ein wehrhaftes Land. Seine Bürger hielten es für wichtig, eine starke Armee zu haben, denn nur so waren Freiheit und Wohlstand zu gewährleisten. Der Soldat stand in hoher Achtung. Selbst Soldat gewesen zu sein („gedient zu haben“) war selbstverständlich, ja es war eine Ehre, seinem Land zu dienen. In allen sozialen Schichten stand der aktive Soldat wie der Angehörige der Reserve in hohem Ansehen. Der sprichwörtliche preußische Assessor, dessen Dienstgrad Leutnant der Reserve gesellschaftlich höher geschätzt wird, als seine zivile Amtsbezeichnung, ist nur das bekannteste Beispiel dafür. Allerdings war er auch – unberechtigt – Zielscheibe des Spotts der linken Presse. Die Identifizierung der Bürger mit „seinen“ Streitkräften ging so weit, daß man glaubte den Staat finanziell über die Steuerpflicht hinaus unterstützen zu müssen, damit er eine angemessen ausgerüstete Streitmacht vorhalten konnte. Das bekannteste Beispiel hierfür ist der Deutsche Flottenverein, der bis zu seiner Auflösung durch das NS-Regime 1934 Geld für den Bau von Kriegsschiffen sammelte. Nicht schwer zu erraten ist, daß diese Beschreibung auf Deutschland vor dem I. Weltkrieg zutrifft. Die bittere Niederlage in diesem Krieg hat – aus heutiger Sicht vielleicht erstaunlich – an dieser Wertschätzung des Soldaten nichts geändert. Gerade die demütigenden Bedingungen des Versailler Vertrages, die Deutschland zu einer Abrüstung und Verkleinerung seiner Streitkräfte zwangen, die es auf den Status eines machtlosen und unbedeutenden Kleinstaates reduzieren sollte, führten bei der übergroßen Mehrheit des Volkes zu einer trotzigen jetzt-erst-recht Haltung. Sie war die Grundlage für die heimliche Aufrüstung und das Unterlaufen der hunderttausend Mann Regelung für die Reichswehr dergestalt, daß in diesem engen Rahmen ein Offiziers- und Unteroffizierskorps herangebildet werden konnte, das auf Grund seiner Ausbildung für eine Verwendung auf Führungsebenen weit über dem aktuellen Dienstgrad binnen kürzester Frist eine mehrfach größere Armee zu führen in der Lage war. Die Selbstverständlichkeit, mit der Bürger aller Schichten und beruflichen Qualifikationen der Einberufung zum Dienst auch im Krieg folgten, mag heute ungläubiges Staunen hervorrufen. Damals war die Verweigerung des Wehrdienstes ungesetzlich und wurde auch nur von Sektierern praktiziert. Dieses ausgeprägte Bewußtsein der Wehrhaftigkeit, gespeist aus Einsicht in die Notwendigkeit und Stolz auf das Vaterland, gepaart mit einer aus dem Vollen schöpfenden Bestenauswahl schufen Armeen, die nach dem Urteil führender Militärhistoriker an Kampfkraft, Führungskunst und Disziplin ihresgleichen nicht hatten. Das galt auch für den II. Weltkrieg, und zwar bis zum letzten Tag, wobei gerade die Leistungen der deutschen Soldaten in den letzten Kriegsmonaten unter den Bedingungen des Mangels und der monströsen materiellen und personellen Überlegenheit des Feindes nur noch ungläubiges Staunen auslösen.

Was ist davon geblieben? 70 Jahre nach dem Ende des II. Weltkrieges ist Deutschland als militärische Macht nicht mehr ernst zu nehmen. Betrachten wir stellvertretend für das gesamte militärische Potential eines Landes einmal die Zahl der durchsetzungsfähigen Landsysteme ausgewählter Staaten welt- und europaweit:

Land      KPz             SPz           GTK/Tpz         Art (Rohr)        Art (Rak)           Kampfhubschr.

USA          8.325         8.580          k.A.                 k.A.              1.000                 908

RUS       12.000        25.000     25.000            2.000               1.500                 700

SYR          2.600          2.300       1.500                450                    ?                      36

ÄGY         2.450          1.042        1.400               800                  380                     7

CHI          7.500          5.000           ?                 1.000               3.500                 148

ISR          2.800             350         5.500               672                    48                    80

POL           478           1.737          –                      315                  180                    30

ITA            500              442         1.127                 70                     20                    59

GBR          200              786         1.150                 89                     36                    66

FRA          448              630          2.080               114                     13                    60

DEU         225             350              918                 89                      28                    40

Die Zahlen lehnen sich (außer USA) an Janes Defence, zit. in Europäische Sicherheit & Technik 2/2015 an.

Dieses Zahlenbild zeigt mit erschreckender Deutlichkeit, welchen Stellenwert das wirtschaftlich starke Deutschland seiner militärischen Stärke beimißt. Die Bundeswehr verfügt über gerade mal halb so viele Kampfpanzer wie die NATO-Partner Polen, Frankreich oder auch Italien, bei SPz bzw. GTK sieht es noch schlechter aus. Nur bei der Artillerie kann man mit Armeen wie der italienischen, britischen oder französischen mithalten, bei den Kampfhubschraubern fällt man schon deutlich ab. Im weltweiten Vergleich steht man hinter Staaten wie Syrien und Ägypten weit zurück. Selbst das kleine Israel ist militärisch im Vergleich zu Deutschland eine Großmacht. Dazu paßt natürlich, daß Deutschland seit Jahren nur 1,3 % des Bruttosozialprodukts für seine Verteidigung ausgibt, obwohl die Vorgaben der NATO md. 2% verlangen.

Eine solche Entwicklung ist natürlich nicht zufällig. Sie hat Gründe und Ursachen. Die Politik tut im Großen und Ganzen durchaus, was die Wähler wollen. Wenn die übergroße Mehrheit der Deutschen an einer starken Armee interessiert wäre, könnte man als Politiker mit dem Versprechen, einen hohen Verteidigungshaushalt zu beschließen, Wahlen gewinnen. Von nichts verstehen Politiker mehr, als von der Erwartungshaltung ihrer Wähler. Weil die Deutschen schon während des kalten Krieges, aber erst recht seit dessen Ende, für Militär und Rüstung nichts übrig haben, kümmert die Bundeswehr dahin. Die Aussetzung (de facto Abschaffung) der Wehrpflicht ist von den meisten Deutschen gleichgültig bis zustimmend zur Kenntnis genommen worden, von den nicht wenigen Pazifisten in Politik, Medien und Kirchen enthusiastisch begrüßt worden.

Wie konnte das geschehen? Die totale Niederlage von 1945 wurde von vielen, viel zu vielen maßgeblichen meinungsbildenden Institutionen nicht nur als Scheitern des Nationalsozialismus, verlorener Krieg oder Meilenstein der Weltgeschichte, sondern viel tiefer gehend als Ende des deutschen Weges – manche sagten Sonderweges – gesehen. Dabei spielte natürlich die massiv betriebene Umerziehung vor allem durch die USA eine Rolle, von der zu sprechen heute als unschicklich, wenn nicht gar rechtsradikal gilt. Die destruktiven Lehren der sog. Frankfurter Schule um Marcuse und Habermas, die auf weite Teile der deutschen akademischen Jugend eine große Anziehungskraft ausübten und letztendlich die theoretischen Grundlagen der 68er schufen, taten ein übriges. Das Ergebnis ist eine Gesellschaft, die ihre eigene Armee allenfalls mit freundlichem Desinteresse betrachtet, wie es ein früherer Bundespräsident treffend formuliert hat. Hinzu kommt ein Wohlstandspazifismus, der angestrengt darüber hinwegsieht, daß unsere Art zu leben nur möglich ist, weil es einen militärischen Zaun um diese Idylle gibt, den aber bittschön doch die anderen bezahlen und bewachen sollen. Peter Scholl-Latour hat diese dümmliche Spießigkeit einmal als den „blökenden Pazifismus“ der Deutschen bezeichnet. Ich habe in meiner Ansprache als scheidender Kommandeur des PiBtl 761 im November 1995 zustimmend ergänzt, daß ihnen auch ein „grunzender Hedonismus“ eignet. Ein solches Volk findet auch kaum irgendwo auf dieser Erde seinesgleichen. Wer etwa die Wertschätzung des Soldaten in den USA, Frankreich oder Italien, die sich nicht nur an den nationalen Gedenk- und Feiertagen, sondern im Alltag zeigt, mit der Bedeutung der Streitkräfte in unserem Land vergleicht, der wird erhebliche Unterschiede feststellen. Das beginnt mit solchen Äußerlichkeiten wie Paradeuniformen und der selbstverständlichen Führung des Dienstgrades auch ausgeschiedener Soldaten im gesellschaftlichen Verkehr und vollendet sich eben in der materiellen Ausstattung der Streitkräfte, aber auch der Bereitschaft, sie ganz selbstverständlich als Machtmittel im Inneren wie auch nach außen einzusetzen. Daß Welten zwischen dem Selbstverständnis der Bundeswehr und den Streitkräften anderer Nationen liegen, kann der aufmerksame Beobachter etwa bei Paraden mit internationaler Beteiligung sehen. Nicht nur das Fehlen einer Paradeuniform historischen Gepräges, selbstverständlich mit Seitenwaffe für die Offiziere, läßt die schlicht gewandeten Deutschen irgendwie merkwürdig erscheinen, auch der Paradedrill, als dessen Erfinder sie lange galten, ist offensichtlich nicht im international üblichen Maß vorhanden, wenn nicht gerade das Wachbataillon eingesetzt wird. So konnte es sich Adalbert Weinstein, der legendäre Fachmann für das Militär bei der FAZ, der immerhin als als wehrübender Reserveoffizier einmal eine Brigade des deutschen Heeres führen durfte, in seinem Bericht über eine Parade von NATO-Truppen 1979 nicht verkneifen, den Auftritt der deutschen Formation unter die Überschrift zu stellen: „Unbeholfen stolperte der Leutnant vor seinen Reisigen her…“. Man mag das für unwesentlich halten. Doch schon Friedrich Schiller hat in „Wallensteins Lager“ festgestellt: „Der Soldat muß sich können fühlen!“ Wenn das Auto nicht geputzt wird, dann wird bald auch das Motoröl nicht mehr nachgefüllt und die Inspektion vergessen. In diesen Zusammenhang gehört auch die offensichtliche Mißachtung der soldatischen Traditionen unseres Landes. Wenn ein Generalinspekteur zum Thema Traditionspflege nichts anderes beizutragen weiß, als daß die Tradition der deutschen Streitkräfte „in die Waschmaschine gehört“, und wenn nur die preußischen Reformer und die Befreiungskriege, der militärische Widerstand gegen Hitler und die Geschichte der Bundeswehr selbst als identitätsstiftend für diese Armee gelten dürfen, dann ist klar, daß die Politik eine Verteidigungsorganisation wünscht, die nichts mehr mit den Armeen früherer Zeiten zu tun hat. Auch hier ist die Saat aufgegangen, die Historiker Wie Hans-Ulrich Wehler und andere gesät haben, denen die Uminterpretation der deutschen Geschichte als verhängnisvoller Sonderweg heraus aus der aufgeklärten demokratischen Gesellschaft, hinein in autoritäre Strukturen und eine aggressive Außenpolitik, Aufgabe und Verpflichtung war. Die Armee des auf diese Weise geschaffenen neuen, demokratischen und zivilen Deutschland soll kostengünstig politische Ziele unterstützen, nur ja keinen Bezug zur als unrühmlich angesehenen Vergangenheit aufweisen und ein unauffälliger Bestandteil der bundesrepublikanischen Wirklichkeit sein. Dazu paßt es und ist nachgerade bezeichnend, daß die Auslieferung des neuen SPz „Puma“ sich deswegen verzögert, weil noch keine Lösung dafür gefunden worden ist, wie hochschwangere Soldatinnen im hinteren Kampfraum transportiert werden können. Daß Gefechtsfahrzeuge und Luftfahrtgerät inzwischen „kannibalisiert“ werden, damit wenigstens ein kleiner Teil davon einsatzfähig bleibt, rundet das Bild ab. Daß der Ruf nach einer Vermehrung des Verteidigungshaushalts um 1 Mrd. € jährlich, damit die Bundeswehr überhaupt noch einsatzfähig bleibt, nicht etwa von den verantwortlichen hohen Offizieren kommt, sondern wie bei der ähnlich gelagerten Problematik im Bereich der inneren Sicherheit von der berufsständischen gewerkschaftlichen Vertretung der Soldaten bzw. Polizei, spricht Bände über das Verhältnis der Politik zu ihren hochqualifizierten Soldaten. Sie wünscht sich nicht Blücher, nicht von der Marwitz, sie wünscht sich „Lakeitel“ in Bundeswehruniform.

Vielleicht würde es in Deutschland kaum jemand merken, wenn die Bundeswehr völlig verschwände und bei Staatsbesuchen nur noch eine Komparsentruppe der Babelsberger Filmstudios die Ehrenformation stellte. Kostengünstiger wäre es allemal.

 

Nachsatz: Das Bild zeigt mich als wehrübenden Major in der Verwendung als Urlaubsvertreter des Kommandeurs PiBtl 10 in Ingolstadt 1989

10.02.2015