Archiv für den Monat: Dezember 2020

Der deutsche Pazifismus

Da Ist er wieder, der deutsche Pazifismus. Die Weigerung der SPD, trotz Regelung im Koalitionsvertrag der Anschaffung von Kampfdrohnen zuzustimmen, ist ja nur mit dem tief verinnerlichten Pazifismus linker und kirchlicher Kreise nicht nur in dieser Partei zu erklären. Krieg bedingt ein Ja zum töten. Das ist nicht schön, aber eben unumgänglich. Deswegen kann nur ein Pazifist daran Anstoß nehmen, daß eine ferngesteuerte unbemannte Drohne von ihrem Bedienungspersonal ohne persönliches Risiko eingesetzt werden kann, auch zum zielgenauen Abfeuern tödlicher Waffen. Für den Pazifisten wird damit die „Hemmschwelle zum Töten“ herabgesetzt, für den verantwortungsvollen Politiker oder General das Leben der eigenen Soldaten im Gefecht geschützt. Realpolitik ist eben kein Wunschkonzert. Doch woher kommt dieser realitätsfremde Pazifismus eigentlich?

Ist der Pazifismus relgiös, vor allem christlich begründet?

Pazifisten sind schnell mit der Bibel zur Hand, auch wenn sie sonst vielleicht gar nicht religiös sind. Denn das fünfte Gebot (nach christlicher Zählung) lautet nun einmal unmissverständlich: „Du sollst nicht töten“. Wirklich?

Ein Blick in die Urtexte und ihre Übersetzungen

In der Tat heißt es in allen deutschen Bibelübersetzungen so. Töten ist aber ein umfassender Begriff für alle Tötungshandlungen, gleichgültig in welcher Absicht, in welcher Weise, in welcher Situation, und auf welcher Grundlage, etwa Rechtsgrundlage. Das Wort beschreibt den Vorgang von seinem Erfolg her, also final. Jede Tätigkeit, die zum Tode eines Lebewesens führt, ist ganz allgemein gesprochen, Tötung. Das gilt für die fahrlässige Tötung, etwa durch den unachtsamen Kraftfahrer im Straßenverkehr wie für den Mörder, der jemanden heimtückisch aus niedrigen Beweggründen getötet hat. Das gilt für den Henker, der das Todesurteil eines ordentlichen Gerichts vollstreckt ebenso wie für den Soldaten, der im Gefecht den feindlichen Soldaten tötet. Weil das so ist, haben alle Sprachen auch unterschiedliche Worte für diese unterschiedlichen Sachverhalte entwickelt. So kennen wir in der deutschen Sprache neben dem Wort „töten“, das gewissermaßen den Oberbegriff für alle Formen und Umstände von Tötungshandlungen darstellt, zum Beispiel das Wort „hinrichten“ für die Tötungshandlungen des Henkers, oder auch das Wort „morden“ für die Tötung eines Menschen unter den Bedingungen, die unser Strafgesetzbuch in § 211 definiert, etwa die Heimtücke oder die niedrigen Beweggründe. Sowohl in rechtlicher als auch in ethischer Hinsicht gibt es hier also bedeutende Unterschiede. Gäbe es diese sprachliche Differenzierung nicht, so wäre es mindestens schwer, wenn nicht nahezu unmöglich, auch in der Sache zu differenzieren. Die Sprache gibt den Dingen einen Namen. An diesem Namen erkennen wir die Natur der Dinge.

Die Regeln der Flüsterpost

Es ist daher durchaus sinnvoll und zweckmäßig, die deutsche Übersetzung des fünften Gebots einmal auf ihre Richtigkeit zu überprüfen und dazu zum hebräischen Urtext und seinen Übersetzungen erst in das Altgriechische, dann in das Lateinische und später in das Deutsche zu gehen. Dabei kann passieren, was wir aus dem beliebten Kinderspiel „Flüsterpost“ alle kennen.

Was schrieb Moses?

Das fünfte – nach jüdischer Zählung sechste – Gebot findet sich im zweiten Buch Mose, Exodus, 20,13, je nach späterer Übersetzung auch 20,15. Im hebräischen Urtext findet sich das Wort „ratzach“ bzw. „ratsah“, je nach phonetischer Umschrift des hebräischen Alphabets, das wir hier an dieser Stelle aus praktischen Gründen nicht wiedergeben. Zum philologischen Verständnis ist das auch nicht unbedingt erforderlich. Aus den gleichen Gründen werden nachstehend die griechischen Vokabeln in phonetischer Umschrift wiedergegeben. Die zitierte Vokabel aus dem hebräischen Urtext bedeutet jedoch „morden“. Töten in seiner allgemeinen Bedeutung wird im hebräischen durch das Verb „harag“ ausgedrückt. Wir stellen also fest, daß Moses, nach jüdischer und christlicher Glaubensgewissheit, Gott selbst, formuliert hat: „Du sollst nicht morden.“ Das Alte Testament, also der Teil der Bibel, der vor dem Wirken Jesu Christi entstanden ist, aber nach seiner eindeutigen Weisung voll und ganz Teil seiner göttlichen Offenbarung ist, dieses Alte Testament enthält eben auch die zehn Gebote. Nachdem insbesondere durch das Wirken des Apostels Paulus die Ausbreitung des Christentums nicht auf das Volk der Juden beschränkt werden, sondern alle Völker dieser Erde zum christlichen Glauben bekehrt werden sollten, wie das auch Jesus selbst angeordnet hat, mußte natürlich das Alte Testament in die damaligen Verkehrssprachen übersetzt werden. Das war in erster Linie das Altgriechische, das in der hellenistisch gewordenen Welt des vorderen Orients gewissermaßen Lingua Franca war. Hinzu kam mit Blick auf die Verbreitung des Glaubens nach Westen die Staats- und Verkehrssprache des römischen Reichs, Latein.

Die erste Übersetzung ist noch richtig

Die bedeutendste Übersetzung des Alten Testaments in das Altgriechische ist die sogenannte Septuaginta. Dort wird in Kapitel 20, Vers 15 des zweiten Buch Mose dieses Gebot formuliert mit „ou phoneuseis“ (phonetisch). Und das heißt: „Du sollst nicht morden“. Denn „phoneo“ heißt nun einmal Mörder sein oder morden. Für den allgemeinen, eher neutralen Begriff für töten stehen andere Vokabeln, wie etwa „thanateo, diaseio, apokteino, skotono“. Man erkennt daran, daß die wörtliche Übersetzung häufig nicht weiterhilft, sondern eine Herleitung aus dem Textzusammenhang erforderlich ist. Denn nicht selten haben gerade Vokabeln aus den alten Sprachen mehrere, zum Teil sich sogar  wechselseitig ausschließende Bedeutungen.

Die zweite Übersetzung ist schon mehrdeutig

Grundlage für die Übersetzung in die lateinische Sprache war neben der verbreiteten Septuaginta auch der hebräische Urtext, soweit dem jeweiligen Übersetzer bekannt und auch geläufig. Die bedeutendste lateinische Übersetzung stammt von dem Kirchenlehrer Hieronymus und ist unter dem Namen Vulgata bekannt. Dort heißt es im zweiten Buch Mose, Kapitel 20, Vers 13: „non occides“. Die Vokabel „occidere“ kann je nach Sachzusammenhang einfach „töten“ bedeuten, etwa in der Schlacht, aber auch das verwerfliche einer Tötungshandlung zum Ausdruck bringen, und damit „morden“ bedeuten. Ebenso sind zunächst die Begriffe „necare“, Interficere“ oder „iugulare“ mit „töten“ zu übersetzen, können aber im Sachzusammenhang aber auch anders gelesen werden.

Die dritte Übersetzung ist falsch

Erst in der Luther-Bibel findet sich die Formulierung: „Du sollst nicht töten“. Seither lautet das fünfte Gebot in deutscher Sprache eben: „Du sollst nicht töten“ und nicht: „Du sollst nicht morden.“ Daß Luther dies bewußt so getan hat, etwa um jeden Tötungsakt, auch den staatlichen mittels Gerichtsurteil oder durch die Hand des Soldaten am Feinde, zur Sünde zu erklären, muß bezweifelt werden. Denn bekanntlich hat Luther dem Staat durchaus das Schwert in die Hand gegeben. Und er hat in seiner Schrift: „Ob die Kriegsleute in seligem Stande sein können“ aus dem Jahre 1526 die Kriegführung unter gewissen Umständen gebilligt. Philipp Melanchthon hat in Art. 16 der Confessio Augustana denn auch erklärt, daß Christen ohne Sünde im Obrigkeits-, Fürsten- und Richteramt sein mögen, nach kaiserlichen und anderen üblichen Rechten urteilen und Recht zu sprechen, Übeltäter mit dem Schwert zu bestrafen, rechtmäßige Kriege zu führen, zu streiten etc. Demnach war Luther jedenfalls kein Pazifist.

Töten oder morden – Recht oder Verbrechen

Die Frage der richtigen Übersetzung „töten“ oder „morden“ ist gerade hinsichtlich der christlichen Bewertung des Krieges und der Soldaten von entscheidender Bedeutung. Denn ein absolutes Tötungsverbot ließe keinen Raum für staatliche Gewaltanwendung, insbesondere nicht im Kriege. Es würde bei radikaler Auslegung sogar die Tötung im Wege der Notwehr oder Nothilfe ausschließen.

Was hat Jesus dazu gesagt?

Für den Christen ist insoweit die höchste Autorität natürlich Christus selbst. Schauen wir nach im Neuen Testament bei Lukas, Kapitel 3, Vers 14. Die Stelle beginnt damit, daß ihn (Jesus) Soldaten fragten: „Was sollen wir tun?“ Die Antwort lautet im griechischen Text: „medena diaseisete, mede sykophantesete“(wiederum phonetisch). Der Evangelist Lukas war ein gebildeter Mann und in der hellenistischen Welt zu Hause. Er benutzte die griechische Sprache. Wir können also davon ausgehen, daß er geschrieben hat, was er auch sagen wollte. Die Vokabel „diasein“ ist natürlich wie fast alle griechischen Vokabeln mehrdeutig und daher aus dem Sachzusammenhang heraus auszulegen. In der Grundbedeutung „heftig schütteln“ kann sie in diesem Zusammenhang nur bedeuten: „jemanden etwas heftig abpressen“, was hinsichtlich des Verhaltens von Soldaten im Krieg zu damaliger Zeit ohne weiteres mit „plündern“ übersetzt werden kann, zumal es im nächsten Halbsatz heißt, sie sollten mit ihrem Sold zufrieden sein. Die weitere Aufforderung, „mede sykophantesete“, zu deutsch niemanden falsch zu beschuldigen, mag aus heutiger Sicht schwer verständlich sein, könnte aber im Hinblick auf die Rechtspflege der damaligen Zeit, in der Soldaten eben auch zu polizeilichen Zwecken eingesetzt wurden, durchaus ebenfalls dahingehend verstanden werden, daß die Soldaten eben nicht durch unredliches Handeln ungerechtfertigte persönliche Vorteile anstreben sollten. In der lateinischen Vulgata finden wir dann an dieser Stelle die Aufforderung Christi an die Soldaten übersetzt mit: „neminem concutiatis, neque calumniam faciatis“. Concutere heißt erschüttern, schütteln, erschrecken, ängstigen. In diesem Zusammenhang also durchaus auch ein Verhalten gegenüber der Bevölkerung in einem eroberten Gebiet, das in der Abnötigung von Wirtschaftsgütern, sprich: plündern, besteht. Die zweite Aufforderung, keine falschen Anschuldigungen zu machen, ist hier vom Altgriechischen wörtlich ins Lateinische übertragen worden. Vor allem aber finden wir in der Antwort Jesu an die Soldaten nicht den mindesten Hinweis darauf, daß er ihre Kernaufgabe, den Feind im Gefecht zu töten, auch nur missbilligt, geschweige es ihnen verbietet. Das nimmt er vielmehr hin, er bedingt sich aber ein diszipliniertes Verhalten aus, das die Ausübung von Gewalt auf den eigentlichen militärischen Zweck beschränkt. Daß die Menschen untereinander Gewalt anwenden, nimmt er offenbar jedenfalls im staatlichen Bereich hin.

Die Bibel kennt den Pazifismus nicht. Das fünfte Gebot begründet ihn nicht.

Man mag mit allerlei Erwägungen den Pazifismus erklären oder begründen können. Aus der Bibel herleiten kann man ihn jedoch nicht. Gute Bibelübersetzungen sollten auch zum Urtext zurückkehren. Das läßt sich auch zwanglos aus dem achten Gebot herleiten. „Du sollst nicht lügen“, bzw. „Du sollst nicht falsch Zeugnis ablegen wider deinen Nächsten“, und was der mehr oder weniger urtextnahen Formulierungen mehr sind. Es ist schlicht und einfach das Wahrheitsgebot. Und an dieses sollte sich der redliche Übersetzer halten. So aber ergibt sich der fatale Eindruck, daß gewisse Theologen schon mit der Übersetzung ihre theologische Überzeugung vermitteln wollen. Der theologisch begründete Pazifismus steht jedenfalls auf tönernen Füßen. Die Gewaltanwendung als Ultima Ratio des Staates indessen läßt sich zwanglos auch aus der Bibel begründen, sowohl aus dem Alten wie auch aus dem Neuen Testament.


Richtigstellung

Unser derzeitiger Bundespräsident, der bisher schlechteste, hat bekanntlich zum 30. Jahrestag der Wiedervereinigung Deutschlands eine Ansprache gehalten, die von Geschichtsklitterungen, ja von Geschichtsfälschungen, nur so strotzt. Allerdings beweist er damit nicht nur seine intellektuelle Mittelmäßigkeit, sondern auch seine feste Verankerung im politisch-medialen Establishment unserer Zeit. Dazu gehört es ja, das Zweite Kaiserreich von 1871-1918 komplett in die Tonne zu treten.

Geschichtsfälschung von Amts wegen

Zu den vielen Unwahrheiten – angesichts der akademischen Bildung des Herrn Präsidenten, immerhin ist der Mann promovierter Jurist, muß man davon ausgehen, daß er diese wissentlich vorgetragen hat, mithin gelogen hat – gehört auch die Behauptung: „Katholiken, Sozialisten, Juden galten als Reichsfeinde, wurden verfolgt, ausgegrenzt, eingesperrt, Frauen von politischer Mitbestimmung ausgeschlossen.“ Davon ist nichts, zumindest in dieser Allgemeinheit, richtig. Beispielhaft will ich mich im folgenden mit der Lage der Juden im Kaiserreich befassen.

Die Mär von der Judenverfolgung schon im Kaiserreich

Der Begriff der Verfolgung legt gerade angesichts der Verbrechen des Nationalsozialismus nahe, daß Juden während des Kaiserreichs pogromartige Drangsalierungen erdulden mußten. Davon kann nicht entfernt die Rede sein. Nicht ein einziger Fall ist bekannt geworden, in dem jemand allein deswegen, weil er Jude war, verfolgt, eingesperrt, misshandelt oder getötet worden wäre. Schon deswegen ist diese Formulierung des Herrn Präsidenten eine Unverschämtheit gegenüber seinem Volk, das ja schließlich in seiner übergroßen Mehrheit immer noch von den Leuten abstammt, denen er die Verfolgung der Juden wahrheitswidrig zur Last gelegt. Daß sie gewissermaßen amtlich zu Reichsfeinden erklärt worden wären, ist eine ebenso dreiste Lüge und findet selbstverständlich in der Geschichte nicht den Hauch einer Bestätigung.

Wie es denn gewesen ist…

Kommen wir also zur angeblichen Ausgrenzung. Tatsächlich ist in der Reichsverfassung von 1871 nachzulesen, daß die Juden gleichberechtigte Staatsbürger des Reiches sind, denn sie enthält für keine  Minderheit unter den Staatsangehörigen irgendwelche Beschränkungen. Anders war dies noch in der preußischen Verfassung von 1850, welche den Juden den Zugang zu höheren Staatsämtern und den Offiziersrängen versagte. Tatsächlich waren Juden nicht nur in der Wirtschaft häufig sehr erfolgreich, vor allem im Bankwesen. Legendär ist Bismarks Bankier Gerson von Bleichröder, der in seiner Person beweist, daß sogar der Aufstieg in den Adel möglich war. Der jüdische Reeder Albert Ballin, Gründer der legendären Hapag, stand bei Kaiser Wilhelm II in hohem Ansehen. Eduard von Simson machte nicht nur in der Politik Karriere und stieg bis zum Präsidenten des Deutschen Reichstages auf, um anschließend Präsident des Reichsgerichts zu werden. Seine jüdische Herkunft war für Siegfried Sommer, Schulfreund des Kaisers, kein Hindernis. Er brachte es zum Präsidenten eines Oberlandesgerichts. Der Kaiser selbst beteiligte sich mit einer namhaften Summe an der Ausstattung einer Berliner Synagoge. Er entließ sogar seinen Hofprediger, weil ihm dessen penetranter Antisemitismus zu viel geworden war. Die große Zahl der jüdischen Offiziere im Ersten Weltkrieg, die proportional nicht geringer war, als ihrer christlichen Kameraden, insbesondere bei den Reserveoffizieren, spricht für sich.

Natürlich hatte das auch seine Schattenseiten. Von einer vollständigen gesellschaftlichen Gleichstellung konnte noch nicht die Rede sein, trotz vieler glänzender Karrieren und der gesellschaftlichen Stellung jüdischer Bürger. Berühmt geworden ist die Geschichte des unglücklichen Liebespaares Wilhelm und Herta Isenbart. Herta, Tochter eines jüdischen Kaufmannes, verheiratet mit dem wesentlich älteren jüdischen Bankier Carl Pringsheim, verliebte sich als dessen Witwe in den schneidigen Kavallerieoffizier Oberst Wilhelm Isenbart, der ihren Reizen so nachhaltig erlag, daß er sich von seiner Ehefrau scheiden ließ und nun Herta ehelichte. Das hatte für beide gesellschaftliche Folgen. Hertas Familie verstieß sie, fand sie jedoch hinsichtlich des Pflichtteils nach ihrem verstorbenen Ehemann mit der gewaltigen Summe von 12 Millionen Goldmark ab. Auch Oberst Isenbart wußte, was er zu tun hatte. Er ging zu seinem Kaiser, bat um seinen Abschied, der ihm auch gewährt wurde, allerdings mit der gleichzeitigen Beförderung zum Generalmajor. Ihrer unglücklichen Liebe zu ihrem früh verstorbenen Mann setzte Herta dann ein Denkmal in Gestalt des heutigen Schlosshotels Bühlerhöhe im Schwarzwald, das sie als Erholungsheim für alte und kranke Generale errichtet hatte.

Licht und Schatten

Unbeschadet dessen ist festzuhalten, daß gerade im Bereich der Kultur von einer Gleichstellung gesprochen werden muß. Die Vielzahl der berühmten Künstler und Intellektuellen wie Martin Buber, Albert Einstein, Sigmund Freud, Max Liebermann, Gustav Mahler oder Walter Rathenau spricht für sich. Auf den preußischen Gymnasien waren Juden im Jahr 1906 um das sechsfache überrepräsentiert. Daß auf der anderen Seite Männer wie Richard Wagner einem wüsten Antisemitismus frönten, gehört natürlich auch zur vollen Wahrheit. Von einer generellen Ausgrenzung, wie sie der aktuelle Bundespräsident seinem Volk weismachen will, konnte allerdings nicht entfernt die Rede sein.

Was bleibt, ist die schlichte Tatsache, daß die Juden wie andere Minderheiten auch, sich selbst von der nichtjüdischen Welt abgegrenzten. Das war ihrer exklusiven Religion geschuldet, die nun einmal grundsätzlich nur geborene Juden kennt. Zwar ist es nicht ausgeschlossen, zum Judentum zu konvertieren, jedoch ist es schwierig, insbesondere mit einem langwierigen, nahezu akademischen Studium der Religion verbunden. Ganz anders bekanntlich im Christentum, das als missionierende Religion die Taufe von Konvertiten nach relativ kurzer Einweisung über Glaubensgrundsätze zuläßt, ganz zu schweigen vom Islam, dem man durch schlichte Erklärung, Allah als alleinigen Gott anzuerkennen, angehört, soweit man die Religion nicht von seinen Eltern „ererbt“ hat. Eine gewisse Abgrenzung, die natürlich spiegelbildlich auch eine gewisse Fremdheit nach sich zog. Fremdes indessen ist dem Menschen in aller Regel erst einmal suspekt. Von einer Ausgrenzung im Sinne einer Abwertung als Mensch kann indessen nicht die Rede sein.

Wenn oben gelogen wird, muß unten die Wahrheit benannt werden

Angesichts dieser präsidialen Geschichtsklitterung erscheint es notwendiger denn je, den jungen Leuten in unserem Land, die ohnehin kaum noch Geschichtskenntnisse haben, und wenn, dann derartig falsche, wie sie Steinmeier e tutti quanti vermitteln, immer wieder die historische Wahrheit nahe zu bringen. Denn so wie es junge Menschen belasten muß, wenn sie erfahren, daß einer ihrer Vorfahren in der Familie als Mörder unter dem Fallbeil geendet ist, so muß es eine Generation belasten, wenn sie hört, daß eine der Generationen vor ihnen einer Menschenfeindlichkeit frönte, die sich in Verfolgung, Ausgrenzung und Freiheitsberaubung gegenüber Minderheiten äußerte. Genau das scheint mir aber die Absicht dieser selbst ernannten Volkserzieher, in Wahrheit aber Volksverdummer, zu sein. Mit dem Amtseid des Bundespräsidenten, wonach er auch Schaden von seinem Volk abzuwenden hat, ist das jedenfalls nicht vereinbar. Bisweilen bedauert man, daß solche Verstöße gegen die Amtspflicht nicht den Staatsanwalt auf den Plan rufen können.