Archiv für den Monat: September 2023

Der Spezialdemokrat

Ob es daran liegt, daß er nicht mehr in der ersten Reihe der Grünen steht, oder ob es einfach seine Natur ist: hin und wieder muß er einen ‚raushauen. So ist er halt, der Hofreiter Toni. Was ihm derzeit offenbar tierisch auf den Geist geht, das sind Wahlerfolge und Umfragewerte der AfD, für ihn natürlich die Wiedergeburt der Nazi-Partei, was zu seinem Kummer indessen immer weniger Leute in Deutschland glauben. Wie anders wäre es auch zu erklären, daß inzwischen gut ein Fünftel der wahlberechtigten Bürger in Umfragen erklären, diese Partei bei der nächsten Bundestagswahl wählen zu wollen? Himmiherrgottzackrament! Zefixhallelujah! Da muß doch was gescheh’n!

Die Idee

Und da fällt ihm natürlich was ein. Parteien kann man bekanntlich nicht so einfach verbieten. Aber austrocknen, indem man ihnen Mitglieder nimmt, das wäre doch ein Weg! Würde man schon alle Beamten und sonstigen Angehörigen des öffentlichen Dienstes aus dieser Partei verjagen können, dann bliebe ja nicht mehr viel, so denkt sich der erfahrene Politiker. Also sind sämtliche Mitglieder der AfD aus dem Staatsdienst zu entfernen. So erklärt er der Berliner Morgenpost, die AfD sei eine weitgehend rechtsradikale Partei. Sie werde von Verfassungsschutz überwacht. Daher hätten AfD-Mitglieder im Staatsapparat nichts zu suchen. Auch in den Kommunen sei eine „klare Trennwand“ zu ziehen. Friedrich Merzens Brandmauer läßt grüßen.

Ja so einfach ist das. Wird bekannt, daß Herr Meier oder Frau Müller Mitglied jener Partei sind, schwupps, fliegen sie aus dem Dienst. Seine Freundin im Geiste Nancy Faeser hat es ja schon erklärt. Das umständliche jahrelange Disziplinarverfahren bei den Gerichten, wo der Diensther ja erst einmal beantragen muß, den mißliebigen, pardon, verfassungsfeindlichen Beamten aus dem Dienst zu entfernen, taugt natürlich nichts im Kampf gegen rechts. Das Verfahren muß umgedreht werden. Das Gericht kann erst nach dem Rausschmiss angerufen werden. Ob dann nach Jahr und Tag die Wiedereinstellung erfolgt, bleibt zweifelhaft. Darauf kann sich kein Beamter oder Angestellter einlassen. Also vermeidet er jeden Angriffspunkt, vor allem tritt er aus der AfD aus oder erst gar nicht ein.

Ach, das Grundgesetz! Brauchen wir das überhaupt?

Dumm nur, daß da die Verfassung entgegensteht. Jeder hat nun einmal das Recht, Vereinen oder politischen Parteien seiner Wahl beizutreten. Jeder, das sind nun einmal auch Angehörige des öffentlichen Dienstes. Solange Vereinigungen oder politische Parteien nicht verboten sind, geht es den Dienstherrn nichts an, ob seine Beamten und Angestellten dort Mitglied sind, möglicherweise sogar führende Funktionäre. Erst die Mitgliedschaft in einer vom Bundesverfassungsgericht – das dafür allein zuständig ist – verbotenen politischen Partei oder einem vom Bundesinnenministerium verbotenen Verein, wobei dieses Verbot gerichtlich bis hinauf zum Bundesverfassungsgericht überprüft werden kann, begründet Zweifel an der Verfassungstreue des Beamten bzw. Soldaten oder Richters. Wenn sich diese Zweifel in der Person des betreffenden Beamten oder Soldaten bzw. auch Richters so verdichten, daß die zuständigen Gerichte davon ausgehen müssen, daß er eben nicht jederzeit für die freiheitliche demokratische Grundordnung einzutreten gewillt ist, erst dann kann das Gericht die Entfernung aus dem Dienstverhältnis anordnen. Wie gesagt, als Instrument im Kampf gegen rechts nach dem Geschmack von Herrn Hofreiter und Konsorten taugt das nicht.

Grundrechte gelten für alle, auch für angebliche Nazis

Vielmehr würde ein solches Verfahren nach dem Geschack von Herrn Hofreiter das von der Verfassung garantierte Grundrecht aller Deutschen, Vereine und Gesellschaften zu bilden, in seinem Wesensgehalt aushöhlen. Das Grundrecht der Vereinigungsfreiheit wäre dann auf kaltem Wege abgeschafft. Das scheint auch das Ziel des famosen Herrn Hofreiter zu sein. Die Grundrechte gelten eben nur für die braven, politisch korrekten Bürger des Landes. Für angebliche oder auch wirkliche Rechtsradikale gelten sie eben nicht. Das ist doch ein sehr spezielles Verständnis von Demokratie und Rechtsstaat, ein grünes eben.

Offenbar hat es Herrn Hofreiter auch tief getroffen, daß vor einigen Tagen in Thüringen ein Gesetz gegen die von seinen Freunden gestellte Landesregierung mit den Stimmen von CDU, FDP und – verdammt noch mal! – der AfD zustande gekommen ist. „Eine demokratische Partei darf sich nicht davon abhängig machen, die eigene Idee mit den Stimmen der AfD durchzubringen.“ Wenn beispielsweise eine neue Turnhalle nur mit Stimmen der AfD gebaut werden könne, und diese würde dafür stimmen, „sollte man sie nicht bauen“. Also kommt es nicht darauf an, ob ein Beschluss oder ein Gesetz für die Bürger gut oder schlecht ist, sondern alleine darauf, ob es ohne die Teufelsanbeter von der AfD nicht hätte zustande kommen können. Das ist natürlich Demokratie in Reinform, jedenfalls nach dem Geschmack von Toni Hofreiter und seinen (Gesinnungs-)genossen.

Auch hier wird die Verfassung auf den Kopf gestellt. Das demokratische Grundprinzip, wonach die Mehrheit bestimmt, und die Minderheit nur Schutz vor Willkür genießt, vor allem wonach die gewählten Abgeordneten ihr Mandat frei und unabhängig ausüben, all das wirft der Spezialdemokrat Hofreiter auf den Müllhaufen der Geschichte. Moderne Demokratie geht eben anders. Nicht die Mehrheit, sondern die „richtige“ Gesinnung entscheidet.

Wehret den Anfängen!

Nun ist ja Hofreiter nicht irgendwer. Seine Auslassungen und Äußerungen sind von Gewicht. Lässt man ihn gewähren, so wächst die Gefahr, daß seine zutiefst undemokratischen Ansichten sich auf Dauer durchsetzen. Man könnte das auch im Sinne der Verfassungsschutzgesetze Bestrebungen zur Abschaffung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung nennen. Nichts anderes ist hier festzustellen. Damit ist der gesetzliche Aufgabenbereich des Verfassungsschutzes eröffnet. Für Behörden gilt das Legalitätsprinzip. Das heißt, sie haben tätig zu werden, wenn ihr Aufgabenbereich betroffen ist.

Herr Haldenwang, übernehmen Sie!

Von Kriegstreibern und Putin-Verstehern

Der Krieg in der Ukraine währt nun schon mehr als eineinhalb Jahre. Schon in Vergessenheit geraten sind die damaligen Prognosen über die voraussichtliche Dauer des Krieges. Ausgehend vom Kriegsbild, das die Planungen im Kalten Krieg von 1947 (Truman Doktrin) bis 1991 (Ende der Sowjet-Union) bestimmt hatte, dachte man allgemein, der Krieg werde schon nach höchstens drei bis vier Wochen zu Ende sein. Sowohl die personellen als noch mehr die materiellen Ressourcen der Kriegsparteien wären dann erschöpft. Es werde dann schlicht und einfach die Munition ausgegangen sein. Heute wissen wir, daß diese Annahme falsch war, denn das Kriegsbild auch in einem Konflikt zwischen hochgerüsteten Industriestaaten ist nun ein völlig anderes.

Wir wissen zu wenig

Das ist aber wohl das einzige, was wir über diesen Krieg wirklich wissen. Je weniger man weiß, umso trefflicher läßt es sich über die Dinge streiten. Das gilt nicht nur für den Kriegsverlauf im engeren Sinne, also den Verlauf der Gefechte und Kämpfe entlang der Frontlinien und die Luftangriffe auf militärische und zivile Ziele weitab vom Kampfgeschehen auf dem Boden, sowohl in der Ukraine als auch gelegentlich in Russland. Auch das Thema Kriegsverbrechen entzieht sich derzeit noch einer realistischen Bewertung. Eindeutig sind die Luftangriffe auf zivile Ziele Kriegsverbrechen. Eindeutig ist die Hinrichtung von Kriegsgefangenen jeweils ein Kriegsverbrechen. Eindeutig ist die Entführung ukrainischer Kinder nach Russland ein Kriegsverbrechen, dazu noch mit genozidalem Charakter. Allerdings wissen wir über diese Fälle viel zu wenig, insbesondere auch seitens ukrainischer Truppen, die es natürlich gibt und aller Erfahrung nach auch geben muß, ebenso wie das auf russischer Seite offensichtlich der Fall ist. Das gilt vermehrt für die Kriegsziele beider Seiten und in noch stärkerem Maße für die Auswirkungen auf die internationale Politik. Sogar die Rechtslage scheint jedenfalls in der öffentlichen Diskussion nicht unumstritten zu sein. Wir haben es also mit einer recht unübersichtlichen Gemengelage aus geopolitischen Gegebenheiten, machtpolitischen Motiven, militärischen Möglichkeiten und juristischen Fragen zu tun. Gemessen daran ist indessen die öffentliche Debatte häufig unterkomplex.

Der Streit um die Ursachen des Krieges

Beginnen wir mit den Ursachen des Krieges. Nach wie vor herrscht jedenfalls in Teilen der öffentlichen Debatte Uneinigkeit auch in diesem Punkt.

Die russische Auffassung, wie sie insbesondere in den Reden Putins vom 21. und 24. Februar 2022 zum Ausdruck kommt, aber auch seither immer wieder neu formuliert wird ist die, daß Russland gewissermaßen die Notbremse ziehen mußte, um das weitere Heranrücken der NATO an seine Grenzen aufzuhalten. Ungeachtet der einschlägigen Verträge zwischen Russland und der Ukraine sowie Russland und der NATO sei darin ein massiver Wortbruch zu sehen, denn im Zusammenhang mit der Auflösung der Sowjetunion habe der Westen doch Russland garantiert, sich nicht auf das Gebiet des ehemaligen Warschauer Pakts auszudehnen. Zwar habe man dann später einschlägige Verträge unterschrieben, doch, so Putin wörtlich: man hat uns reingelegt. Darüber hinaus sei in der Ukraine ein Nazi-Regime an die Macht gekommen, das den russischstämmigen Teil der Bevölkerung unterdrücke. Somit habe man reagieren und eine „militärische Spezialoperation“ beginnen müssen.

Diametral dazu steht die ukrainische Auffassung. Man sei unter Bruch bestehenden Völkerrechts angegriffen worden. Die Beschuldigungen, ein Nazi-Regime errichtet zu haben und die russischstämmige Bevölkerung zu unterdrücken, seien haltlos. Die eigenen Bemühungen, Teil der westlichen Völkergemeinschaft zu werden seien legitim, die russische Vorstellung hingegen, die Ukraine sei mehr oder weniger ein historisch gewachsener Bestandteil der russischen Welt, beginnend mit den Kiewer Rus im frühen Mittelalter, sei historisch nicht haltbar und im übrigen mit dem Recht eines jeden souveränen Staates, sich Bündnissen und Gemeinschaften seiner Wahl anschließen zu können, unvereinbar. In dieser Auffassung wird die Ukraine auch von einem wesentlichen Teil der Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen, vor allem der NATO und der EU unterstützt. Die Haltung anderer Länder, insbesondere der BRICS-Staaten, dazu ist ersichtlich eher abwartend bis ablehnend.

Soweit in Kürze die Skizzierung der unterschiedlichen Standpunkte. Treten wir nun in die Sachprüfung ein.

Die Rechtslage:

„Nimm das Recht weg, was ist der Staat dann anderes als eine Räuberbande?“. Dieser berühmte Satz des Kirchenlehrers Augustinus beschreibt in lakonischer Kürze unser Staatsverständnis, vor allem die Legitimierung staatlicher Gewalt. Beginnend mit der klassischen Antike in Athen und Rom ist bei uns – in anderen Regionen dieser Erde ist das durchaus anders – ein Gesellschafts- und Staatsverständnis gewachsen, in dem das Recht eine entscheidende Rolle spielt. Das gilt sowohl für das innere Gefüge der Staaten, Stichwort demokratischer Rechtsstaat, als auch die Beziehungen der zivilisierten Staaten untereinander, Stichwort Völkerrecht. Somit zieht unbeschadet aller übrigen Gesichtspunkte einschließlich der von der geographischen Lage der Länder bestimmten geostrategischen Interessen das Völkerrecht die Grenzen der außen- und machtpolitischen Spielräume ihrer Regierungen. Das ist, soweit ersichtlich, auch allgemeiner Konsens mit Ausnahme natürlich der russischen Staatsführung. Selbst die Unterstützer Russlands, die sein Vorgehen als legitime Selbstverteidigung gegen die Expansionsbestrebungen des Westens sehen, räumen ein, daß der Angriff vom 24. Februar 2022 gegen geltendes Völkerrecht verstoßen hat.

Jenseits des Völkerrechts

Unbeschadet dessen, daß die völkerrechtliche Lage insoweit klar ist, findet die Debatte zu den Ursachen des Krieges und vor allem über die Möglichkeiten einer Konfliktlösung nicht im luftleeren Raum statt. Indessen beschränkt sie sich im allgemeinen auf die Wiedergabe des eigenen Standpunktes, was denknotwendig mit dem Ansinnen an die jeweilige Gegenseite verbunden ist, ihre gegenteilige Auffassung eben aufzugeben. Je nach Standpunkt hat dann die Ukraine aufzuhören, als unabhängiger Staat zu existieren, oder aber Russland sich vollständig aus der Ukraine einschließlich der seit 2014 okkupierten Gebiete zurückzuziehen. Es sollte unstrittig sein, daß man auf diese Weise keine Lösung finden kann, es sei denn, eine Seite würde militärisch vollständig unterliegen. Derzeit deutet darauf aber nichts hin.

Die militärische Lage

Beginnen wir also mit der militärischen Lage. Zwar sind Zeitungen und Fernsehkanäle voll von Berichten über den Kriegsverlauf. Indessen ist die Faktenbasis jeweils sehr dünn, insbesondere gibt es keine neutralen Beobachter im Kriegsgebiet, die zuverlässig über die tatsächliche Entwicklung der Gefechte, Geländegewinne und Personal- und Materialsituation der jeweiligen Streitkräfte berichten könnten. Wir können lediglich die große Lage sehen, also ob sich die Frontlinien wesentlich verschieben oder nicht. Auf dieser unklaren Faktenbasis sind alle Prognosen über den weiteren Kriegsverlauf unsicher.

Was spricht für Verhandlungen?

Dennoch spricht alles dafür, nach Friedensverhandlungen der Parteien zu rufen. Vor allem das Schicksal der vom Krieg betroffenen Zivilbevölkerung, aber auch der Blutzoll, den die Streitkräfte beider Seiten entrichten müssen, rechtfertigen alle Anstrengungen, endlich zu einem Frieden zu kommen. Indessen muß es sich dabei um einen Verständigungsfrieden handeln. Und ein solcher Verständigungsfrieden kann nur zustande kommen, wenn die Kriegsparteien auf Augenhöhe miteinander verhandeln. Wesentlich zu kurz greift, wer einfach meint, wenn die Ukraine nicht mehr mit Waffen und Munition beliefert werde, wäre ein Friedensvertrag nicht mehr weit. Denn in einem solchen Falle käme es natürlich nur zu einem Diktatfrieden nach dem Muster von Versailles oder einer Kapitulation nach dem Muster von Berlin-Karlshorst. Gerade wir Deutschen wissen aus unserer Geschichte, was das zu bedeuten hat. Eine solche Unterwerfung unter das Diktat des Siegers ist der Ukraine schlicht und einfach nicht zumutbar. Es zeugt daher nicht etwa von mangelndem Friedenswillen, wenn aktuell ein Friedensangebot der Ukraine von Russland zurückgewiesen wird. Denn ganz unabhängig davon, welche konkreten Vorschläge jeweils gemacht werden, ist es Verhandlungen aller Art wesenseigen, daß am Beginn der Vorschlag einer Partei steht, der von der anderen Partei zurückgewiesen wird und umgekehrt, bis die dann in der Folge immer weiter veränderten Vorschläge der Parteien nahe genug beieinanderliegen, daß eine Einigung möglich erscheint. Wer das anders sieht, und das lediglich als Beleg für die Verhandlungsunwilligkeit einer Seite ansieht, hat offensichtlich noch niemals Verhandlungen geführt, und sei es über die umstrittene Höhe einer geschuldeten Kaufpreiszahlung.

Atomkriegsgefahr?

Wenig überzeugend ist auch das Argument, Deutschland begebe sich durch seine Unterstützungsleistungen in die Gefahr, selbst Kriegspartei zu werden mit der Folge, eventuell sogar einem russischen Atomschlag ausgesetzt zu sein. Nicht nur, daß das Völkerrecht zweifellos die Unterstützung eines zu unrecht angegriffenen Staates zulässt, sogar im Wege der Unterstützung mit eigenen Streitkräften, sondern auch die geschichtliche Erfahrung, daß die bloße Lieferung von Waffen bisher noch nie von einem kriegführenden Staat als militärische Einmischung angesehen worden ist, und weiter, daß die Sowjetunion wie alle anderen Atommächte auch nur für den Fall des Angriffs auf eigenes Staatsgebiet oder als ultima ratio in einem konventionellen Krieg den Einsatz von Atomwaffen für möglich erklärt haben, lassen es ausgeschlossen erscheinen, daß Russland Deutschland wegen seiner Unterstützung der Ukraine atomar bedrohen könnte.

Wann wird verhandelt?

Ob, wann und unter welchen Umständen Friedensverhandlungen geführt werden, ist natürlich in erster Linie Sache der beiden Kriegsparteien. Natürlich spielen dabei geopolitische Interessen Dritter eine große Rolle, insbesondere der USA auf Seiten der Ukraine. Dies in Abrede zu stellen, wäre naiv. Entsprechend groß ist auch die Verantwortung der USA (und ihrer Verbündeten in der NATO) für eine Verhandlungsführung mit Augenmaß, auch wenn man selbst nicht physisch am Verhandlungstisch präsent ist. Und es ist ganz offensichtlich so, daß die Lage an der Front die Verhandlungsmöglichkeiten der Kriegsparteien bestimmt. Noch niemals ist ein Krieg am Verhandlungstisch entschieden worden, vielmehrhat jeweils die Entscheidung auf dem Schlachtfeld, vor allem dann, wenn sie für beide Beteiligte jeweils nur ein Teilerfolg war, die Grundlage für anschließende Friedensverhandlungen erzeugt.

Erst einmal verbal abrüsten!

Wenig hilfreich ist in diesem Zusammenhang die Art und Weise, in der die öffentliche Debatte zu diesem Thema geführt wird. Schon der Sprachgebrauch auf Stammtischniveau entwertet die jeweiligen Debattenbeiträge aus den beiderseitigen Unterstützungslagern. Es ist einfach nicht hilfreich, aber auch intellektuell defizitär, etwa die Befürworter von Waffenlieferungen an die Ukraine hysterisch als Kriegstreiber zu beschimpfen. Denn ein Krieg wird grundsätzlich auf beiden Seiten befeuert. Im vorliegenden Falle kommt hinzu, daß die Ukraine ohne Hilfe des Westens in Gestalt von Waffenlieferungen und damit einhergehender Ausbildung von Soldaten an eben diesen Waffen alsbald kapitulieren müsste. Danach gäbe es eben keinen Friedensvertrag, sondern nur eine Unterwerfung. Das kann niemand ernsthaft wünschen. ebenso wenig trägt es zur Versachlichung bei.

Der Sache nicht dienlich sind auch hämische Bemerkungen über die persönliche Integrität der handelnden Personen. Sowohl Russland als auch die Ukraine gehören zu den korruptesten Ländern in Europa. Nicht von ungefähr hat sich der Begriff des Oligarchen sowohl für die russische als auch die ukrainische Machtelite eingebürgert. Die jeweiligen mehr oder weniger demokratisch an die Macht gelangten und gebliebenen Staatsführer können davon nicht ausgenommen sein. Unabhängig davon muß man jedoch mit Bismarck konstatieren, daß man mit den Leuten reden muß, die man eben vor sich hat.

Ebenso wenig ist es hilfreich, aber auch intellektuell defizitär, denjenigen, die auf geostrategische Interessen Russlands hinweisen, einfach das Etikett Putinversteher anzuheften. So ist es unbeschadet der völkerrechtlichen Lage, wonach mangels von den Vereinten Nationen anerkannter Volksabstimmungen in offensichtlich vorwiegend von russischstämmiger Bevölkerung bewohnten Gebieten wie der Halbinsel Krim der Rechtsanspruch der Ukraine auf diesen Teil ihres Staatsgebiets unangefochten ist, doch im Sinne einer nachhaltigen Befriedung der Situation zu prüfen, ob insoweit nicht eine einvernehmliche Lösung gefunden werden kann. Diese einvernehmliche Lösung kann auch nicht ohne Beteiligung der jeweils betroffenen Bevölkerung gefunden werden. Daß man damit in ein Wespennest sticht, ist klar. Die UNO meidet daher auch Volksabstimmungen in ähnlichen Konstellationen wie der Teufel das sprichwörtliche Weihwasser, denken wir nur an Konfliktregionen wie Katalonien und das Baskenland in Spanien, aber auch die nach wie vor ungelösten ethnischen Konflikte entlang der willkürlich gezogenen kolonialen Grenzen heute souveräner Staaten in Afrika oder den schon klassisch gewordenen Konflikt zwischen Indien und Pakistan um Kaschmir. Verhandlungen indessen, die diese Bezeichnung verdienen, müssen auch das scheinbar Unmögliche angehen. Leider stehen imperiale Bestrebungen und wirtschaftliche Interessen, vor allem der beteiligten Großmächte, dem berechtigten Friedenswunsch der betroffenen Bevölkerungen im Wege. Wirkliche Verhandlungskunst und ehrlicher Wille auf beiden Seiten zeigen sich daran, inwieweit man willens und in der Lage ist, auch solche Probleme zu lösen und dabei jeweils über den eigenen Schatten zu springen. Am Beginn steht die verbale Abrüstung. Vokabeln aus dem Wörterbuch der Boulevardpresse wie Kriegstreiber und Putin-Versteher müssen dann dem Vergessen anheimfallen.