Archiv für den Monat: Januar 2021

Das Gedenken an das Undenkbare

Die Geschichte ohne Hitler

Am 27. Januar gedenkt nicht nur Deutschland, sondern die Welt des Menschheitsverbrechens, dessen Bezeichnung als Holocaust, sinngemäß übersetzt ganz und gar verbrannt, seine Ungeheuerlichkeit, aber auch gleichzeitig das Fehlschlagen der Absichten seiner Initiatoren benennt, denn ganz und gar wurde das Volk, das man doch von der Erde tilgen wollte, eben nicht vernichtet. Wir werden zu diesem Anlaß die üblichen Reden hören und die Leitartikel in den Zeitungen lesen, die von der einzigartigen Schuld des „Tätervolks“ künden. Wir werden natürlich auch, wenn auch in abnehmender Zahl, Verharmlosungen oder gar das Kleinreden des Geschehenen zur Kenntnis nehmen müssen. Das alles droht zur ermüdenden Routine zu werden. Mir scheint, daß man das Gedenken neu denken muß.

Man stelle sich einen Augenblick vor, Hitler wäre seinerzeit beim Marsch auf die Feldherrnhalle ebenso unter den Kugeln der bayerischen Polizei gefallen, wie eine Reihe seiner Anhänger. Die NSDAP hätte wohl bald aufgehört zu existieren, denn diese Partei war in extremer Weise auf die Person ihres Anführers zugeschnitten. Ohne ihn hätte sie auf keinen Fall eine maßgebliche Rolle in der deutschen Politik spielen können, von einer Regierungsübernahme, auch nur der Beteiligung daran ganz zu schweigen. Mithin wäre es auch nicht zur Entrechtung, Verfolgung und Ermordung der Juden in Deutschland und Europa gekommen. Denn auch der in Teilen der Bevölkerung unseres Landes damals virulente Antisemitismus hatte nicht entfernt das Potenzial zu dem, was Hitler dann tatsächlich ins Werk gesetzt hat.

Literatur statt Wirklichkeit

Hätte ein Schriftsteller sich derartiges ausgedacht und niedergeschrieben, dann hätten die Leser dies wohl ähnlich eingeordnet wie auch Orwells 1984 und ähnliche Dystopien. Literaturwissenschaftler hätten sich Gedanken über die Abgründe der menschlichen Seele und die Verfügbarkeit der Massen gemacht, auch Parallelen zu blutrünstigen Ereignissen wie den französischen  und russischen Revolutionen gezogen. Als Beschreibung einer real zu erwartenden Zukunft hätte man das ob seiner Monströsität wohl kaum aufgefasst. Die Vorstellung, daß einem ganzen Volk gewissermaßen eine genetische Mutation zugeschrieben wird, die jeden Angehörigen dieses Volkes zu einem gefährlichen Schädling macht, den man deswegen vernichten muß, weil man sonst selbst sein Opfer würde, eine solche Vorstellung ist in der Tat derartig abstrus und monströs, daß man sie allenfalls in der überbordenden Fantasie eines Schriftstellers verortet, im realen Leben jedoch nicht für möglich hält. Und dennoch hat uns die Geschichte eines Schlechteren belehrt.

Das „Denkmal der Schande“

Wenden wir uns nun der Gedenkkultur, aber auch Unkultur in unserem Lande zu. Dazu gehören auch Gedanken über das Holocaustdenkmal in Berlin wie auch die Diskussionen darüber. Fangen wir mit letzteren an. Björn Höcke hat es ein Denkmal der Schande genannt. Dies wohl eher abwertend in dem Sinne, daß nur wir Deutschen ein solches Denkmal errichtet haben. Klarstellend hat er nachgeschoben, es erinnere an die Schande, die der Holocaust für Deutschland nun einmal ist. Andere verweisen eben darauf, daß die Erinnerung an eben diese Schande wach gehalten werden muß.

Das Denkmal der Tauer

Das greift alles zu kurz. Der Mord hat einen Täter, und er hat ein Opfer. Das Ruchlose der Tat ist untrennbar verbunden mit dem Leid des Opfers und seiner Angehörigen. Übertragen auf den Holocaust heißt das, daß nicht nur die Verdammung der Täter Bestandteil der Erinnerung an den Holocaust sein darf, sondern daß ebenso die Trauer um die Opfer im Bewußtsein bleiben muß.

Beginnen wir mit der Trauer. Denn das kommt jedenfalls in Deutschland im Zusammenhang mit Gedenktagen wie diesem zu kurz. In Deutschland ist man sehr auf die Verurteilung der Täter und leider auch auf eine kollektive Schuldzuschreibung fixiert, eine Schuldzuschreibung zu Lasten einer ganzen Generation. Das Gerede vom Tätervolk insinuiert ja, daß die Deutschen jener unseligen Jahre nicht nur zu einem erheblichen Anteil an diesen Untaten schuldhaft beteiligt gewesen seien, sondern sich auch in der Form schuldig gemacht hätten, daß sie nicht den Aufstand gewagt und das Grauen beendet haben. Wer so redet, verkennt das Wesen von Diktaturen wie in Russland seit 1917 und in Deutschland seit 1933. Damit wollen wir es an dieser Stelle bewenden lassen, denn dies ist ein eigenes Thema und seine auch nur kursorische Behandlung würde den Rahmen dieses Beitrages sprengen.

Wenn einem selbst das zustößt…

Es ist nicht allein die schiere Zahl der Opfer jenes Staatsverbrechens. Es ist vor allem die Ideologie zu betrachten, die ein solch monströses Verbrechen möglich machen konnte. Die Vorstellung, ein Mensch sei kraft seiner Geburt, nicht etwa wegen seiner persönlichen Eigenschaften, seiner Religion oder seiner politischen Überzeugung, sondern nur weil er eben von diesen und keinen anderen Eltern und Großeltern und Urgroßeltern abstammt, nicht nur minderwertig, sondern eine Gefahr für die Allgemeinheit („die Juden sind unser Unglück“), diese Vorstellung allein ist schon schlicht unmenschlich. Man stelle sich einmal vor, selbst zu denen zu gehören, denen andere Menschen diese unabänderliche Eigenschaft zuschreiben. Man sei eben unabänderlich schlecht, gewissermaßen ein Coronavirus auf zwei Beinen. Man gehöre deswegen eigentlich nicht zu diesem Volk, man habe da nichts zu suchen, mehr noch, am besten sei es, man existiere erst gar nicht. Und das vielleicht noch vor dem Hintergrund, daß man sich selbst durchaus als guter deutscher Patriot fühlt, wie so viele deutsche Juden in den zwanziger und dreißiger Jahren, auch mit Blick auf die eigenen Leistungen als Soldat im Ersten Weltkrieg. Man hält dem Pöbel von der SA sein Eisernes Kreuz entgegen und muß sich anhören: „Juda verrecke!“ Man muß sich als Arzt anhören, man sei einfach unwürdig, „Arier“ zu behandeln. Man muß sich als angesehener Rechtsanwalt darauf verweisen lassen, künftig nur noch als „Judenkonsulent“ sein Brot verdienen zu dürfen. Schon das allein sprengt doch das Vorstellungsvermögen des normal denkenden Menschen. Und dann wird das alles bis zur unvorstellbaren Konsequenz des Völkermordes umgesetzt.

Es war ein Verbrechen an unserem Volk, denn die Opfer gehörten zu ihm wie die Täter

Die Menschen, denen solches widerfahren ist, verdienen ein ehrendes Gedenken. Das unterstreicht, daß nicht einmal dieses unvorstellbare Verbrechen ihnen ihre Menschenwürde nehmen konnte. Wir geben ihnen daher ihre Menschenwürde nicht zurück, wenn wir ihrer gedenken, nein, sie bleiben für uns schlicht und einfach Menschen wie alle anderen auch, Menschen allerdings, die Opfer eines Menschheitsverbrechens geworden sind. Wir denken nicht zuletzt daran, daß dies ja, soweit sie nicht Polen oder Franzosen oder Niederländer waren, Deutsche waren. Sie waren Nachbarn, Kollegen, Freunde. Sie waren je nach persönlicher Begabung, glänzende Wissenschaftler, begnadete Künstler, erfolgreiche Unternehmer und Selbständige, aber auch einfache Leute, Handwerker und Angestellte, kurzum eben unsere Leute. So sahen sie sich selbst, und so sahen sie ihre Nachbarn. Es sind ja nicht etwa Fremde entrechtet und ermordet worden. Es sind Bürger unseres Landes so behandelt worden. Auch das macht die Gedanken daran schwer, nimmt aber nichts vom Abscheu vor der Tat auch zu Lasten Angehöriger anderer Nationen.

Über die Täter muß kein Wort mehr verloren werden

Über die Täter, also jene politischen Schwerstverbrecher, die nicht nur diese unglaubliche Tat zu verantworten haben, sondern auch diejenigen, in deren Namen sie zu sprechen und zu herrschen vorgaben, in schlimmster Weise unterjocht haben, über sie ist schon so viel geschrieben worden, daß wir an dieser Stelle dazu nichts weiter sagen müssen, als daß sie Schande über unser Land gebracht haben.

Schande und was sie bedeutet

Ja das alles hat Schande über uns gebracht, und somit ist auch der Schande zu gedenken. Welche Schande das war, das haben kurz nach dem Kriege die Richter formuliert, die über Verbrechen der Nationalsozialisten zu urteilen hatten. Ich zitiere aus dem Urteil eines Landgerichts, das über die Anführer der Pogrome vom 9. November 1938 zu richten hatte.: „Die Schändung, die die Täter ihren unglücklichen Opfern zudachten, hat sich auf sie selbst und, was schlimmer ist, auf das ganze deutsche Volk zurück gewandt. Daran kann bei der strafrechtlichen Würdigung so wenig vorbeigegangen werden, wie an der unheilvollen geschichtlichen Bedeutung dieser Taten, die ein Markstein waren auf dem Wege in Rechtlosigkeit, Gewalt, Greuel und Untergang.“ Und in einem anderen Falle bescheinigte der Richter einen solchen Angeklagten: „Er hat tätigen Anteil an der Schändung des deutschen Namens in der Welt.“ Die Geschichte beläßt alle Ereignisse an ihrem Ort und in ihrer Zeit. Auch die Schande dieser Taten bleibt an den Tätern haften und verunstaltet nicht das Antlitz ihrer Opfer aus dem eigenen Volk, noch weniger das ihrer Nachkommen. Aber damit alleine ist es nicht getan, man muß, wie ausgeführt, auch um die Ermordeten trauern. Und man muß sich dessen bewußt sein, daß offenbar die menschliche Natur auch Abgründe hat, in die man nur mit Schaudern blicken kann.

Das Datum 27. Januar ist nicht gut gewählt

Man hat den Gedenktag auf das Datum gelegt, das die Befreiung des Vernichtungslagers Auschwitz-Birkenau durch die Rote Armee markiert. Das ist nicht unbedingt das Datum, das dieses Verbrechen symbolisiert. Man hätte eher das Datum der Wannseekonferenz am 20. Januar 1942 nehmen sollen. Denn an diesem Tag wurde die sogenannte Endlösung der Judenfrage, also die Ingangsetzung des Holocaust, beschlossen. Man hätte auch die Verkündung der sogenannten Nürnberger Gesetze am 15. September 1935 als Datum eines Gedenktages festschreiben können. Denn damit begann förmlich die Entrechtung der Juden in Deutschland. Daten wie diese zwingen zur Auseinandersetzung mit der unmenschlichen Ideologie, die solches ermöglicht hat.

Ein würdigeres Denkmal wäre besser gewesen

Man hat in Berlin nach langen Diskussionen ein Denkmal errichtet, das zu Recht umstritten ist. Nicht die Tatsache, daß man ein Denkmal errichtet hat, nicht der Ort, nämlich die Hauptstadt unseres Landes, in der damals die Täter herrschten, sondern die konkrete Ausgestaltung wirft Fragen auf. Der künstlerische Gedanke, die Monströsität der Tat optisch auch quantitativ zu erfassen, mag ja legitim sein. Doch zeigt der tatsächliche Umgang mit dem Denkmal, daß es seine Aufgabe, ein Ort des Gedenkens und der Trauer zu sein, verfehlt. Herumliegende Bierflaschen und Cola-Dosen künden von einem ganz anderen Umgang des Publikums mit dem Denkmal, als sich Künstler und Auftraggeber erwartet haben. Ich halte es auch für unmöglich, der Monströsität des Verbrechens dadurch entsprechen zu wollen, daß man ein überdimensioniertes Areal, angefüllt mit Betonblöcken, mitten in die belebte Innenstadt von Berlin setzt, umbraust vom Straßenverkehr und vorgeführt als touristische Sehenswürdigkeit.

Einen Begriff davon, wie man der namenlosen Trauer um die zahllosen Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft einen Ort geben kann, gibt uns die ebenso ergreifend schlichte wie ausdrucksstarke Plastik von Käthe Kollwitz in der Neuen Wache zu Berlin. Der Ort eines Waldes oder eines Parks, in dem der Betrachter vor einem schlichten Denkmal seinen Gedanken hingegeben verweilt, erscheint mir angemessener als ein touristisches Highlight mitten in einer Großstadt, wo sich eben das ehrende und stille Gedenken nur sehr schwer gegen die Umgebungseindrücke durchzusetzen vermag. Doch es ist nun so, wie es ist. Wir müssen eben Gedenktage und Denkmäler hinnehmen, wie sie uns einfachen Bürgern von der Politik gegeben werden. Es liegt an uns selbst, wie wir mit der Geschichte umgehen. Betreuungsangebote aus Politik und Medien benötigen wir nicht. Wir bedienen uns lieber unseres eigenen Verstandes, wie uns das wirklich kluge Leute vom Schlage eines Horaz oder Kant geraten haben.


Merkels letzter Sieg

Adieu, Angela, du hast es geschafft!

Angela Merkel wird sich nach Bildung der neuen Bundesregierung unter Armin Laschet im Herbst dieses Jahres aus der Politik zurückziehen. Ihr Feld hat sie bestellt. Ihre Arbeit hinter den Kulissen hat sich ausgezahlt. Die knappe Mehrheit der Delegierten des CDU-Parteitages, die ihren Wunschkandidaten Laschet dann doch gewählt haben, war natürlich keine Zufallsmehrheit. Es ist davon auszugehen, daß sie jeden einzelnen Delegierten bearbeitet und ihm bzw. ihr vor allem eine lukrative Karriere in der Politik garantiert hat, falls Laschet ihr Erbe antreten kann. Denn, da machen wir uns nichts vor, so und nicht anders geht Politik.

Wenn sich dann diese Versprechungen nicht alle erfüllen, weil dann wieder andere Ehrgeizlinge eingekauft werden müssen, dann ist das eben so. So und nicht anders geht Politik.

Der lange Marsch ist beendet

Bei den Grünen knallen jetzt nicht die Sektkorken. Es sind natürlich Champagnerkorken, die nun in den luxussanierten Altbauwohnungen des grünen Milieus an die Decke knallen. Sie können sicher sein, daß sie nicht nur in der kommenden Bundesregierung Laschet/Baerbock personell überproportional vertreten sein werden, sondern daß dort reinrassige grüne Politik gemacht werden wird. Abgesehen davon, daß diese Politik ganz im Sinne Merkels ist, was sich ja in den letzten Jahren insbesondere an der Flüchtlings– pardon, Migrationspolitik – gezeigt hat, abgesehen davon ist doch die Union in den letzten Jahren mehr und mehr zur Hure der Politik geworden. Wie die echte Hure für Geld jeden Wunsch ihres Freiers erfüllt, so erfüllt die Union jeden politischen Wunsch, wenn sie dafür nur Macht und lukrative Ämter erhält. Frei nach dem Motto: es ist völlig egal, was gemacht wird, entscheidend ist, daß wir es machen.

Am Katzentisch

Wer als Konservativer noch einen Funken Hoffnung darin gesetzt hatte, daß ein CDU-Vorsitzender Friedrich Merz die Lawine noch aufhalten werde, die einst von den Achtundsechzigern als kleiner Schneeball von der Zugspitze gerollt wurde, und nun Deutschland in die Tiefe reißt, muß sich Gedanken darüber machen, wo sein Platz in diesem Lande und in dieser Gesellschaft künftig noch sein kann. Das wird wohl nur noch ein Klappsitz auf dem Oberrang des Absurditätentheaters sein, auf dessen Spielplan die Stücke stehen werden, die grüne Evangelisten dem schwarzen Regisseur geschrieben haben. Falls es das Schicksal dann doch gnädig mit unserem Lande meinen sollte, werden sie vielleicht in 10 bis20 Jahren zuschauen können, wie der bunte Zirkuswagen mit dem Zeitgeist am Steuer an einem massiven Brückenpfeiler aus dem Granit der Wirklichkeit zerschellt. Vielleicht wird dann eine tatkräftige Generation Deutschland erneut wieder aufbauen, so wie es nach den beiden Weltkriegen geschehen ist.

Finis Germania

Ich habe fertig, so beendete Giovanni Trappatoni seine berühmte Wutrede beim FC Bayern. Das ist auch eine gute Umschreibung für das, was man für Deutschland ab jetzt sagen kann. Auch mit dieser Grammatik, denn klassische Bildung und Kultur werden zu den Dingen gehören, die künftig in Deutschland keinerlei Stellenwert mehr haben werden. Nicht nur der Niedergang der Wirtschaft, sondern auch die Aufgabe des Restes von nationalem Selbstbewusstsein werden zwangsläufig der grünen Agenda geschuldet sein. Dann wird es nur noch Symbolkraft haben, wenn die Inschrift „Dem deutschen Volke“ auf dem Tympanon des Reichstages entweder ersatzlos weggemeißelt oder durch irgendeine schwachsinnige Parole in „gendergerechter“ Sprache ersetzt wird.

Deutschland hat fertig.




Recht und Politik – zwei Welten begegnen sich

Die Bundesrepublik Deutschland ist ein Rechtsstaat. Das ist so in Art. 20 des Grundgesetzes festgelegt. Eine Änderung dieses Grundsatzes, egal mit welcher Mehrheit, ist nach Art. 79 Abs. 3 des Grundgesetzes ausgeschlossen. Ausprägung dieses Grundsatzes ist unter anderem, daß die Richter unabhängig und nur dem Gesetz unterworfen sind, Art. 97 Abs. 1 des Grundgesetzes.

Die Verfassung lebt

Angesichts der politischen Verwerfungen in unserem Lande erscheint es angebracht, auf diesen tragenden Grundsatz unserer Verfassung hinzuweisen und weiter darauf, daß es sich dabei auch nicht lediglich um hehre Verfassungslyrik handelt, sondern daß dies auch in der Realität so ist. Allerdings muß leider auch gesagt werden, daß die überwiegende Mehrheit der Akteure in Politik und Medien das anders sieht, wenngleich diese Leute es selbstverständlich empört zurückweisen, wenn man ihnen diesen Spiegel vorhält. Denn sie, denen es um nichts anderes als die Macht geht, halten sich gern die Larve der Rechtsstaatlichkeit vor das hässliche Gesicht des Machtmenschen.

Der Brandstifter ruft nach der Feuerwehr

Einer der übelsten Demokratieheuchler dieser Art ist der bayerische Ministerpräsident Söder. Er gehört zu denen, die den politischen Gegner statt mit sachlichen Argumenten zu widerlegen gerne als Rechtsextremisten und damit Verfassungsfeind diffamieren. Das erspart natürlich die politische Auseinandersetzung in der Sache, die ja immer das Risiko in sich birgt, Teile der Wählerschaft eben nicht zu überzeugen und damit dem politischen Gegner den Raum zu geben, der ihm in unserer rechtsstaatlichen Verfassungsordnung zusteht. Dazu gehört auch das Mittel der Übertreibung bis hin zur glatten Lüge. So wird ganz aktuell in Richtung der Leute, die mit den Corona-Bekämpfungsmaßnahmen von Bund und Ländern aus den unterschiedlichsten Gründen so nicht einverstanden sind, die Warnung ausgesprochen, da könne sich ein „zunehmend aggressiver und sogar gewalttätiger Corona-Mob aus dem Umfeld der AfD“ bilden. Sogar eine Art Corona-RAF. Gerade diesen Begriff muß man sich einmal auf der Zunge zergehen lassen. Die RAF, seinerzeit auch Baader-Meinhof-Bande genannt, zog in den siebziger Jahren des vorigen Jahrhunderts eine Blutspur durch Deutschland mit dem Ziel, den demokratischen Rechtsstaat durch eine kommunistische Diktatur zu ersetzen. Solches Gerede kann man als politische Wahnvorstellung einstufen, im vorliegenden Falle muß man es jedoch als eiskalte Taktik und Meinungsmanipulation bewerten. Natürlich darf auch der Sturm von ebenso fanatischen wie dummen Anhängern des abgewählten amerikanischen Präsidenten auf das Capitol in diesem Zusammenhang nicht fehlen. Wenn es den Teufel real nicht gibt, muß er halt an die Wand gemalt werden. Die von den Medien täglich indoktrinierten Bürger werden’s schon glauben.

Mit der Unverfrorenheit des abgebrühten Politikers ruft dieser selbsternannte Verteidiger einer weit und breit nicht angegriffenen Demokratie nach dem Verfassungsschutz, der den Teufel beobachten soll, den er höchstpersönlich gerade eben an die Wand gemalt hat. Daß ihm eine weitestgehend gleichförmig aufgestellte Presse, die eine Gleichschaltung, wie sie in Diktaturen üblich ist, deswegen entbehrlich macht, nicht widerspricht, sondern begeistert zustimmt, gehört leider zur Lebenswirklichkeit unserer Tage. Eine wirklich auch geistig-innerlich freie, gerne auch regierungskritische Presse hatten wir im vor-Merkel’schen Deutschland. Heute haben wir die Propaganda-Abteilungen der Mainstream-Politik.

Nur die Gerichte schützen die Grundrechte

Man kann tatsächlich nur hoffen, daß die Politik nun endlich ihre Drohung wahr macht, die AfD und möglicherweise auch solche diffusen Gruppierungen wie die sogenannte Querdenker-Bewegung förmlich zu beobachten. Denn wenn dann dagegen geklagt wird, hört das dumme Geschwätz auf und die juristische Beurteilung des Sachverhalts beginnt. Das kann ich aus meiner Erfahrung als Anwalt sagen, und führe nachstehend auch Fälle aus meiner Praxis auf. Die Gerichte werden dann die Einschätzung der Verfassungsschutzbehörden überprüfen, ob die jeweils als Verdachtsfall einer verfassungsfeindlichen Organisation beobachtete Partei oder Gruppe tatsächlich verfassungsfeindliche Aktivitäten betreibt oder nicht. Nur das würde die Beobachtung durch den Verfassungsschutz rechtfertigen, denn nur dann sieht das Gesetz dies auch vor. Die Meinung des politisch Andersdenkenden indessen ist insoweit ohne Belang. Selbst die Kritik an einem Bestandteil der freiheitlich-demokratischen Grundordnung muß als bloße Kritik unberücksichtigt bleiben. Anders ist es nur dann, wenn diese Kritik verbunden ist mit der Ankündigung konkreter Aktivitäten zur Beseitigung dieses Verfassungsgrundsatzes oder mit der Aufforderung zu solchen Aktivitäten. Weiteres qualifizierendes Merkmal der Bestrebung in diesem Sinne ist das Hinzutreten finalen Handelns (Agitation, vorbereitende Handlungen, Gewalttaten). Bestrebungen gehen über politische Meinungen hinaus, da allein die Gesinnung des politisch Andersdenkenden den Verfassungsschutz nicht zu interessieren hat.

Aus der aktuellen Rechtsprechung

Das ist auch nicht etwa bloß meine private Rechtsauffassung, sondern das hat das Verwaltungsgericht München in einem Urteil vom 17.07.2020 so formuliert. Mit dieser Entscheidung hat es den bayerischen Verfassungsschutz in seine Schranken gewiesen. Dieses Amt hat – sicher nicht ohne politischen Einfluß – einen Verein, der sich mit zeitgeschichtlichen Themen befaßt, als „geschichtsrevisionistisch“ und damit auch rechtsextremistisch eingestuft, beobachtet und dies auch in seinem Verfassungsschutzbericht so veröffentlicht. Die Rechtsfindung erfolgte in diesem Falle ausschließlich auf der Grundlage offener Quellen, also ohne Auswertung von Informationen, die nur mit nachrichtendienstlichen Mitteln erlangt werden können. Es gibt eben einen himmelweiten Unterschied zwischen politisch nicht genehmen Meinungen einerseits und verfassungsfeindlichen Umtrieben andererseits. Hier greift eben der Grundsatz der Meinungsfreiheit und Wissenschaftsfreiheit aus Art. 5 des Grundgesetzes. Der Schutz dieses Grundrechts wird, wie auch eine Reihe von anderen Fällen in den letzten Jahren zeigen, ausschließlich von den Gerichten gewährleistet. Gerade weil sie die verfassungsrechtlich garantierte Unabhängigkeit besitzen, sind sie in der Lage, Entscheidungen zu fällen, die der Politik nicht gefallen, und tun es auch.

Es muß also in jedem Falle vom Gericht geprüft werden, ob von der Organisation, die gegen ihre Beobachtung durch den Verfassungsschutz klagt, tatsächlich Bestrebungen zur Abschaffung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung ausgehen. Bloß vom politischen Mainstream abweichende Meinungen indessen können niemals die Einstufung als verfassungsfeindliche Organisation rechtfertigen. Denn, wie gesagt, allein die Gesinnung des politisch Andersdenkenden hat den Verfassungsschutz nicht zu interessieren.

Von den kleinen Schmutzeleien

Wie bedenkenlos die herrschende politische Klasse bereit ist, geltendes Recht zu brechen, um auf diesem Wege die politische Arbeit der verhassten Konkurrenz zu behindern, zeigen auch aktuelle Entscheidungen der bayerischen Verwaltungsgerichte zum Kommunalverfassungsrecht. Nach den Kommunalwahlen in Bayern stand jeweils die Konstituierung der Gemeinde- und Kreisräte an. Wie auch in den Bundes- und Landesparlamenten gibt es dort Ausschüsse, die teilweise nicht nur Beschlüsse der Gemeinderäte vorbereiten, sondern als beschließende Ausschüsse an deren Stelle treten. Die AfD, die nun im politischen System unseres Landes die Rolle des Parias besetzt und von den übrigen Parteien ausgegrenzt wird wie ein Pestkranker, diese Partei hatte in vielen Städten, Gemeinden und Landkreisen Mandate errungen.

Die Kommunalpolitiker der etablierten Parteien in den Kommunalparlamenten nahmen sich dann ein Beispiel an ihren großen Vorbildern aus dem Deutschen Bundestag, die ja bis heute entgegen parlamentarischem Brauch der AfD den Posten eines Vizepräsidenten des Deutschen Bundestages verweigern. Mit diversen Geschäftsordnungstricks stellte man sicher, daß den Vertretern jener Partei mit dem höllischen Schwefelgeruch kein Sitz in den Ausschüssen zufiel. Dabei war man durchaus phantasievoll. Ansonsten politisch sich spinnefeind gegenüberstehende Kleinstparteien bildeten sogenannte Ausschussgemeinschaften, die dann zahlenmäßig vor den Jüngern Luzifers rangierten, und so die entscheidenden Ausschußsitze besetzen konnten. Daß die jeweiligen Wähler sich eine solche Kumpanei bei der Wahl nicht hatten träumen lassen, hatte dabei natürlich keine Rolle zu spielen. Eine weitere Stellschraube am Manipulationsapparat ist das Zählverfahren, von denen es drei gibt, die zu unterschiedlichen Ergebnissen führen können. In einem Falle verstieg man sich sogar dazu, zwei verschiedene Zählverfahren je nach zu besetzendem Gremium anzuwenden, alles mit dem ganz offen kommunizierten Ziel, diesen angeblichen Antidemokraten den Einzug in die Ausschüsse der Kommunalparlamente zu verwehren, was natürlich deren politische Arbeit und damit einhergehend, deren Wahrnehmung als Politiker in der Öffentlichkeit erheblich beeinträchtigt.

Wie der Herr, so das Gescherr

Natürlich waren auch die Parteisoldaten des selbsternannten Feldherrn im Krieg gegen den erklärten Verfassungsfeind, Generalfeldmarschall Markus Söder, tschädderedäng, hier an vorderster Stelle zu finden. Indessen riefen die Jünger des Satans die Verwaltungsgerichte an und fanden dort auch je nach Sach- und Rechtslage Gehör. Die in der Geschäftsordnung des Gemeinderats getroffenen Organisations- oder Verfahrensregelungen sind nämlich nach allgemeiner Auffassung der Gerichte willkürlich und daher unzulässig, wenn sie sich gegen eine bestimmte politische Gruppierung richten und das alleinige oder vorrangige Ziel verfolgen, deren Tätigkeit zu beeinträchtigen oder sie als unerwünschte politische Kraft auszuschalten. Auch das ist ein Zitat aus einer Entscheidung eines bayerischen Verwaltungsgerichts.

Die Parteisoldaten des Herrn Söder und seiner Kollegen aus der politischen Oberklasse unseres Landes müssen sich jetzt zum Beispiel in Nürnberg wohl oder übel mit der Sachpolitik ihrer „Schmutzkonkurrenz“ auseinandersetzen und den Bürgern dieser Stadt jeweils im einzelnen erläutern, warum ihre eigenen politischen Rezepte besser sind als die jener Satansjünger. Man nennt das auch Demokratie.

Videant iudices (frei übersetzt: die Richter sollen sehen und entscheiden)

Derartiges sollte sich auch herumsprechen. Denn es ist zum einen wichtig, daß die Bürger unseres Landes weiterhin Vertrauen in den Rechtsstaat setzen können. Nichts kann dieses Vertrauen mehr stärken, als Entscheidungen der Gerichte, die der politisch motivierten Willkür Einhalt gebieten. Und es ist zum anderen wichtig, daß die Grundlagen unserer Demokratie nicht zur Disposition der Politik stehen, sondern unter dem Schutz der unabhängigen Gerichte.



Jahrestage 2021

Am ersten Tage eines neuen Jahres richtet sich der Blick auf den Kalender. Was wird das neue Jahr wohl bringen? Wir wissen es nicht. Wohl wissen wir aber, oder sollten wissen, was frühere Jahre gebracht haben, vor allem, wenn man an runde Jubiläen denkt.

Der 18. Januar

Gerade in diesem Jahr wird der 18. Januar ein Tag der Erinnerung sein. In der deutschen Geschichte fallen auf diesen Tag zwei herausragende Ereignisse mit Wirkung bis in unsere Tage und sicher weit darüber hinaus.

Preußen

Am 18. Januar 1701 setzte sich Friedrich III, Kurfürst von Brandenburg, in Königsberg die Krone des Staates auf, der von nun an Preußen hieß. Aus staatsrechtlichen Gründen, die wir an dieser Stelle nicht im einzelnen vertiefen wollen, war er nun zunächst Friedrich I, König in Preußen, statt von Preußen. Bemerkenswert in der Rückschau ist allerdings, wie fortschrittlich und aufgeklärt gerade dieser Staat im Vergleich zu anderen großen Ländern in Europa war. Der unbestritten bedeutendste der preußischen Könige, Friedrich der Große, schaffte 1740 mit einer seiner ersten Amtshandlungen die Folter ab, die zu diesem Zeitpunkt im übrigen Europa noch fester Bestandteil der Rechtspflege war. Um bei der Rechtspflege zu bleiben: in diesem angeblichen Musterbeispiel eines autoritären und undemokratischen Staates gab es unabhängige Gerichte. Ja, jeder Untertan des Königs konnte auch ihn verklagen, wie der berühmt gewordene Fall des Müllers Arnold zeigt. Dieser Staat führte bereits 1717 die allgemeine Schulpflicht ein. In England geschah dies erst 1880, in Frankreich 1882. Damit wollen wir es bewenden lassen. Eine Aufzählung all der Dinge, die aus unserer Sicht fortschrittlich waren, würde den Rahmen dieser Betrachtung sprengen. Natürlich müsste man an dieser Stelle auch wenigstens die bedeutendsten Fürstentümer und Königreiche in Deutschland nennen, wie Bayern, Württemberg, Sachsen, Baden und Hannover. Indessen spielt hier der 18. Januar keine Rolle. Es würde auch den Rahmen dieser Abhandlung sprengen, auch die durchaus bemerkenswerte wie stolze Geschichte dieser deutschen Teilstarten wenigstens zu streifen.

Das Deutsche Reich

Am 18. Januar 1871 riefen die versammelten deutschen Fürsten im Spiegelsaal des Schlosses zu Versailles den preußischen König Wilhelm I zum deutschen Kaiser aus. Unbeschadet dessen, daß Zeitpunkt und Ort unglücklich gewählt waren, war dies die Geburtsstunde eines im internationalen Vergleich bemerkenswert erfolgreichen Staates. Eben das Deutsche Reich, in dem unter Ausschluß Österreichs, das im Zuge der Gründung von Nationalstaaten im 19. Jahrhundert den damals schon anachronistisch gewordenen Vielvölkerstaat beibehalten wollte, und sich somit in einen deutschen Nationalstaat nicht eingliedern konnte, nun die Deutschen gefunden hatten, was Briten, Franzosen, Italiener und Spanier teils schon seit Jahrhunderten hatten, nämlich die Einheit von Nation und Staat. Weil man unseren Kindern und Enkeln offiziell und offiziös im Bildungswesen wie in den Medien seit Jahren weismachen will, dieses Deutsche Reich sei rückständig, undemokratisch und militaristisch gewesen, wollen wir an dieser Stelle auf einige wenige Fakten hinweisen. Dieses Deutsche Reich hatte seit 1871 bereits das allgemeine Wahlrecht, was allerdings wie auch überall sonst auf der Erde, das Frauenwahlrecht noch nicht einschloss. In Großbritannien zum Beispiel wurde das allgemeine Wahlrecht für die männliche Bevölkerung erst 1918 eingeführt. Das allgemeine Wahlrecht für Frauen kam in Deutschland erst 1918. Dieses „erst“ ist jedoch richtigerweise dahingehend zu verstehen, daß es in Deutschland zuerst kam. In den USA, die allgemein als das Musterland der Demokratie gelten, kam es erst 1920, in Großbritannien, dem Mutterland der parlamentarischen Demokratie, erst 1928, Italien zog 1946 nach, Frankreich 1948 und somit erst 159 Jahre nach der französischen Revolution, gleichzeitig mit Belgien. Die Schweiz, allgemein doch als Bastion der Demokratie angesehen, führte das Frauenwahlrecht erst 1971 ein. Genau 63 Jahre nach dem Deutschen Reich.

Das Deutsche Reich wurde kulturell von Preußen dominiert, was nicht weiter wunder nimmt, weil Preußen nun sowohl von der Fläche als von der Bevölkerung der der bei weitem größte seiner Bundesstaaten war. Sein Bildungswesen wurde dann auch rasch von den übrigen deutschen Ländern übernommen, soweit sie es nicht schon zuvor den Preußen gleich getan hatten. Damit war das Deutsche Reich auf diesem Gebiet weltweit führend, wie zum Beispiel der Anteil der Analphabeten an der jeweiligen Bevölkerung im Jahre 1900 zeigt. Im Deutschen Reich waren das gerade mal 0,9 %, in England 9,6 %, in Frankreich 10 %, in den USA 12 % (unter den Farbigen, die man heute politisch korrekt wohl mit dem englischen Begriff People of Color bezeichnen muß, betrug der Anteil der Analphabeten allerdings 49 %), im k. und k. Österreich immerhin 21 %, wobei das in den deutschsprachigen Reichsteilen nur 1,2 % waren, und in Italien 47 %. Da nimmt es nicht weiter wunder, daß bis 1918  von den Nobelpreisen in Medizin und Naturwissenschaften 14 nach Deutschland gingen. Frankreich zählte bis 1918 in diesen Disziplinen 11 Laureaten, Großbritannien deren 8, die in den späteren Jahrzehnten dominierenden USA hingegen nur 2.

„Militarismus“

Was den angeblichen preußischen Militarismus und die stets als historisches Kontinuum behauptete deutsche Aggressivität angeht, so kann das auf seinen Wahrheitsgehalt überprüft werden, wenn man einfach nachzählt, in welchem Prozentsatz ausgewählte Staaten an Kriegen beteiligt waren. In der Zeit von 1701-1933 waren an Kriegen beteiligt: Frankreich mit 28 %, England mit 23 %, Russland mit 21 %, Österreich mit 19 %, die Türkei mit 15 %, Polen mit 11 %, Preußen/Deutschland mit 8 %. Die Bedeutung des Militärischen für die Gesellschaft eines Staates zeigt sich auch an dem Anteil der Bevölkerung, der in seiner Armee dient. Vor 1914 waren das in Frankreich 1,53 %, in Deutschland 0,79 %. Wer angesichts dieser Zahlen weiter von einem deutschen Militarismus spricht, dem ist nicht mehr zu helfen.

Die staatsrechtliche Kontinuität

Wenn wir über das Deutsche Reich sprechen, sollten wir nicht übersehen, daß dieses Deutsche Reich staatsrechtlich tatsächlich bis heute besteht. Dies natürlich nicht in dem Sinne, in dem das Zeitgenossen verstehen wollen, die sich „Reichsbürger“ nennen. Auf deren juristisch unhaltbare Vorstellungen wollen wir an dieser Stelle erst gar nicht eingehen. Tatsache ist, daß das Deutsche Reich sich alsbald nach seiner Gründung am 16. April 1871 eine Verfassung gab. In dieser Verfassung war unter anderem das Budgetrecht des Parlaments festgeschrieben. Man spricht insoweit auch vom Königsrecht der Parlamente. Von Anfang an hatte das Deutsche Reich also ein frei gewähltes Parlament, das über die Staatsfinanzen verfügte. Diese Verfassung kannte natürlich auch eine unabhängige Justiz. Das Reich war eine bundesstaatlich verfasste konstitutionelle Monarchie. In seinen rechtsstaatlichen Strukturen deutete übrigens nichts darauf hin, daß in diesem Reich bereits die Hitler’sche Diktatur angelegt gewesen wäre. An dieser Stelle muß natürlich ein Wort über diese zwölf Jahre verloren werden, die in der Tat ein Fremdkörper in der historischen Entwicklung unseres Landes sind, nichtsdestoweniger bis heute eine Belastung des nationalen Selbstbewusstseins verursachen. Man kann das nicht ungeschehen machen, jedoch richtig einordnen, wie das Papst Benedikt XVI bei seinem Besuch in Auschwitz getan hat. Vor der Weltöffentlichkeit erklärte er: „Ich komme als Sohn des Volkes, über das eine Schar von Verbrechern mit lügnerischen Versprechungen, mit der Verheißung der Größe, des Wiedererstehens der Ehre der Nation und ihrer Bedeutung, mit der Verheißung des Wohlergehens und auch mit Terror und Einschüchterung Macht gewonnen hatte, sodaß unser Volk zum Instrument ihrer Wut des Zerstörens und des Herrschens gebraucht und missbraucht werden konnte.“

Die Weimarer Reichsverfassung – Fortschreibung und nicht Neugründung

Die Abdankung des Kaisers und der Reichsfürsten am 9. November 1918 änderte am staatsrechtlichen Bestand des Reiches nichts. Es gab sich am 11. August 1919 lediglich eine neue Verfassung, die aber ausdrücklich die Kontinuität in staatsrechtlicher Hinsicht betont. In ihrem Art. 178 wird zwar die Verfassung vom 16. April 1871 aufgehoben, die übrigen Gesetze und Verordnungen des Reichs bleiben jedoch in Kraft, soweit ihnen diese neue Verfassung nicht entgegensteht. Diese Weimarer Reichsverfassung ist auch entgegen landläufiger Auffassung durch die Nationalsozialisten nicht aufgehoben worden, vielmehr ließ sich Hitler innerhalb des Verfassungsrahmens Vollmachten geben, die ein diktatorisches Regime ermöglichten. Eine förmliche Aufhebung der Verfassung war somit nicht notwendig, und wurde auch nicht vorgenommen.

Das Grundgesetz – ebenfalls Fortschreibung und nicht Neugründung

Unser Grundgesetz vom 23. Mai 1949 hat nicht etwa einen neuen Staat aus der Taufe gehoben, sondern hat dem keineswegs als Völkerrechtssubjekt untergegangenen Deutschen Reich nur zum zweiten Mal eine neue Verfassung gegeben, worauf das Bundesverfassungsgericht in seiner Rechtsprechung von Anfang an immer wieder hingewiesen hat, und was schon die Meinung der Mehrheit der Mitglieder des Verfassungskonvents von Herrenchiemsee im August 1948 war. In ihren Grundzügen weist die heutige Verfassung auch große Ähnlichkeit mit ihren Vorgängerinnen auf. So ist Deutschland weiterhin ein Bundesstaat, was ja nun auch in seinem Namen zum Ausdruck kommt. Das Grundgesetz ist auch nicht nur der bloße Gegenentwurf zur nationalsozialistischen Diktatur, sondern es ist eben die Fortschreibung der deutschen Verfassungstradition und damit eo ipso das Gegenteil der nationalsozialistischen Staats- und Gesellschaftsordnung. Aus der konstitutionellen Monarchie von 1871 hat sich in den vergangenen 150 Jahren nun die parlamentarische Demokratie entwickelt, die wir auch gegen alle Angriffe von innen wie von außen verteidigen wollen. Perstet et aeterna pace fruatur (es bestehe fort und erfreue sich ewigen Friedens), wollen wir also unserem Lande wünschen. Denn wir haben allen Grund, auf unsere Vorfahren stolz zu sein, die dieses Land in der Tradition von Humanismus und Aufklärung geschaffen und entwickelt haben.