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Werft das alte Denken über Bord!

Die Wahlen in den USA und in den ostdeutschen Bundesländern, aber auch das Scheitern der Ampel-Koalition, geben deutliche Hinweise auf einen tiefgreifenden gesellschaftlichen Wandel, der jedoch jedenfalls in Deutschland von der großen Mehrheit der Politiker und Journalisten offenbar nicht gesehen wird. Vielmehr scheint das „Weiter so!“ die Devise zu sein. Doch wir folgen dieser Devise schon viel zu lange. Vor jeder Entscheidung ist jedoch eine Beurteilung der Lage notwendig, denn sonst entscheidet man an der Realität vorbei.

Wer hat wen warum gewählt?

Die jüngsten Wahlergebnisse in Deutschland und den USA werden allgemein als „Rechtsruck“ interpretiert. Indessen bleibt man allgemein dabei stehen, ohne nach den Ursachen zu fragen. Es fällt zunächst einmal auf, daß sowohl die Wähler von Donald Trump als auch die Wähler der AfD in ihrer Zusammensetzung gerade nicht den Klischees entsprechen, die man über Jahre hinweg propagiert hat. Die Wähler sogenannter rechtspopulistischer Parteien und Politiker sind keineswegs durchweg die sprichwörtlichen alten weißen Männer von hinterwäldlerischer Denkungsart und niedrigem Bildungsgrad. Wir hören aus den USA, daß erstaunlich viele Frauen, junge Leute, Latinos und sogar Schwarze Donald Trump und nicht Kamala Harris gewählt haben. Wir hören, daß die Grundlage ihrer Wahlentscheidung regelmäßig die Sorgen um die eigenen wirtschaftlichen Verhältnisse und damit auch um die Wirtschaft des Landes überhaupt, die Probleme der ungezügelten Zuwanderung und ein tiefsitzendes Misstrauen gegen die Eliten der Gesellschaft waren.

Betrachtet man das Wahlverhalten der unter 30-jährigen in Deutschland am Beispiel der Wahl in Thüringen vom 1.9.2024, dann stellt man fest, daß 35 % die AfD, 15 % die Linke, 13 % die CDU, 12 % das BSW, 9 % die SPD und 6 % die Grünen gewählt haben. Betrachtet man CDU, SPD und Grüne als staatstragende Parteien, als die sie sich selbst sehen, dann entfiel auf sie in dieser Altersgruppe ein Wähleranteil von nur 28 %. Rechnet man das BSW ebenfalls zu den populistischen Parteien, allerdings eher linkspopulistisch, dann finden die sogenannten Populisten bei den unter 30-jährigen in Thüringen bei immerhin 47 % der Wähler Zustimmung. Einer von dem Meinungsforschungsinstitut statista am 11.7.2024 veröffentlichten Umfrage zum Wählerprofil der AfD nach Altersgruppen und Geschlecht 2024 zufolge wählten in der Altersgruppe über 60 Jahre nur 15 % der Männer und nur 7 % der Frauen AfD, während es bei den 18 bis 29-jährigen 18 % bzw. 9 %, bei den 30 bis 44-jährigen 23 % bzw. 15 % und bei den 45 bis 59-jährigen 25 % der Männer und 12 % der Frauen waren. Dazu paßt, daß bei der Europawahl die 16 bis 24-jährigen zu 17 % AfD gewählt haben, bei einem Gesamtergebnis von 15,9 %.

Die wirklichen Probleme unseres Landes

Wenn man von den Programmen der Parteien auf die Zustimmung bei den Wählern schließen darf, dann haben auch in Deutschland vor allem die als Rechtspopulisten gescholtenen AfD-Politiker erfolgreich die Wünsche vor allem junger Wähler bedient. In erster Linie die Sorge um den Wirtschaftsstandort Deutschland und damit verbunden die eigene finanzielle Zukunft. Aber auch das Problem der ungeregelten und überbordenden, zum großen Teil illegalen Immigration, gerade mit ihren Folgen für die innere Sicherheit. Wenn man beim abendlichen Zug um die Häuser und durch die Diskotheken stets im Hinterkopf haben muß, daß man attackiert, belästigt, vergewaltigt oder gar abgestochen wird, dann macht das was mit einem, wie man so schön sagt. Und wenn Politik und Medien daran offensichtlich nichts ändern wollen, was schon beim Sprachgebrauch in der Berichterstattung beginnt (Täter werden irreführend lediglich als „Männer“ bezeichnet, und nicht zutreffend als junge Männer muslimischen Glaubens aus dem Orient), dann fühlt man sich eben allein gelassen. Hinzu kommt das Misstrauen gegen staatliche Institutionen, insbesondere die Sorge um den Verlust der Meinungsfreiheit. Es sollte doch zu denken geben, daß auch unter jungen Leuten nicht wenige durchaus nicht grundlos glauben, daß man in Deutschland nicht mehr alles sagen kann/darf. Das ist ähnlich wie in den USA ein Misstrauen gegen die Politik und die gesellschaftlich bestimmenden Eliten, die in Wahrheit nur in ihrer Selbstwahrnehmung Eliten sind, indessen glauben, ihre abgehobenen Vorstellungen über die Welt dem Rest der Menschheit aufoktroyieren zu können.

Der ganz normale Wahnsinn in Deutschland

Nur beispielhaft will ich dazu die sogenannte Gender-Politik und ihre angeblich wissenschaftliche Begründung anführen. Schon der Sprachgebrauch dieser akademisch sozialisierten Kaste ist verräterisch. Ebenso typisch wie für diese Gruppe prägend ist die amerikanische irgendwas mit Kultur, Soziologie und Medien-Wissenschaftlerin Judith Butler, die gemeinhin als Gründerin der sogenannten Gender-Wissenschaften gilt. Weitab von der Lebenswirklichkeit ist zum Beispiel Butlers Theorie der Performativität. Und das klingt so: „Die Geschlechterrealität ist performativ, was ganz einfach bedeutet, daß sie nur insoweit real ist, als sie performt wird“. Butler geht sogar so weit, zu behaupten, daß Geschlecht als objektives, natürliches Phänomen nicht existiere. Die politische Klasse in den westlichen Ländern saugt so etwas auch noch begierig auf mit der Folge, daß man Schwierigkeiten bekommt, wenn man auf die biologische Tatsache hinweist, daß es nur zwei Geschlechter gibt. Dann wird einer Biologin (!) von einer Universität untersagt, einen Vortrag mit diesem Inhalt zu halten. So etwas versteht der größte Teil der Bevölkerung schon sprachlich nicht, vom inhaltlichen ganz abgesehen. Indessen wird das weltweit in die Gesetzgebung eingebracht, wie in Deutschland jüngst das sogenannte Selbstbestimmungsgesetz gezeigt hat. Es gibt dann Politiker, selbstverständlich linksgrün, die etwa behaupten, es gebe Frauen mit Penis. Da werfen die Anhängerinnen solcher Theorien mit Begriffen wie TERF um sich, die selbstverständlich auch außerhalb ihrer Filterblase niemand versteht. TERF ist nach Wikipedia „ein Akronym für englisch Trans-Exclusionary Radical Feminist („Trans-ausschließende(r) Radikalfeminist(in)“. Es soll ausdrücken, daß die damit bezeichnete Person transgender Personen, insbesondere trans Frauen, diskriminiert. Ich bin mir sicher, daß selbst die zitierte Definition außerhalb der linksgrünen akademischen Filterblase nur selten überhaupt sprachlich verstanden, geschweige denn inhaltlich akzeptiert wird. Meinen denn unsere Politiker und Ihre journalistischen Steigbügelhalter wirklich, die Arbeiterin am Fließband bei VW und der Dachdecker auf der Baustelle um die Ecke wüssten überhaupt nur, über was da gesprochen wird? Oder das etwa wichtig finden? Sogar notwendig?

Das Versagen der Politik

Die Wirtschaft unseres Landes stürzt derzeit in atemberaubendem Tempo ab. Nahezu täglich lesen wir in den Zeitungen und hören in den Nachrichten von Massenentlassungen, geplanten Werksschließungen und Verlagerung der Produktion ins Ausland. Zur Begründung wird regelmäßig angeführt, daß in Deutschland die Energie viel zu teuer, die Bürokratie überbordend und die Steuern viel zu hoch sind. Die politische Klasse dieses Landes indessen ist offensichtlich weder fähig noch willens, die Ursachen zu benennen und dann auch zu beseitigen, im Grunde genommen das Land wieder vom Kopf auf die Füße zu stellen. Auch wenn die Spatzen von den Dächern pfeifen, daß die irrsinnigen Energiekosten wesentlich auf die wahnhafte Klimapolitik zurückzuführen sind, die zur Abschaltung sämtlicher Kernkraftwerke und damit ebenso preisgünstiger wie umweltfreundlicher Energieproduktion in Deutschland geführt hat, während rund um unser Land und selbstverständlich auch sonst in der Welt der Bau von Kernkraftwerken boomt, und der Ersatz durch Flüssiggas aus Übersee nicht nur unglaublich teuer, sondern selbstverständlich auch alles andere als umweltschonend ist, die politische Klasse unseres Landes sieht darin das Heil. Nicht die Wirtschaftswissenschaftler und Vorstandsvorsitzenden bestimmen insoweit die politische Debatte, sondern die Dummschwätzer und Klugscheißer vom Schlage Luisa Neubauer und Jakob Blasel. Davor ist nicht einmal der Oppositionsführer und voraussichtlich künftige Kanzler Friedrich Merz gefeit, der jüngst davon gesprochen hat, die sogenannte Klimawende sei irreversibel.

Zwar ist für einen großen, wenn nicht sogar den allergrößten Teil der Wähler die Zuwanderung, insbesondere die illegale Einwanderung, eines der wesentlichen Probleme unserer Zeit. Indessen reagiert die Politik nur mit halbherzigen Maßnahmen, die dann natürlich auch nur zu überschaubaren Ergebnissen führen. Hatte man 1993 noch wenigstens den Mut, das Grundgesetz zu ändern, um den massenhaften Missbrauch des Asylrechts wenigstens einzugrenzen, so ist das heute leider nicht mehr so, obgleich es verfassungsrechtlich unproblematisch wäre. Obgleich spätestens mit Putins Angriff auf die Ukraine am 24. Februar 2022, tatsächlich jedoch bereits seit 2014 mit der Besetzung der Krim und von Teilen des Donbass, der Krieg nach Europa zurückgekommen ist, bleibt die notwendige Vergrößerung und Wiederaufrüstung der Bundeswehr auf ein Maß, das für die Landesverteidigung unerlässlich ist, weiter aus. Statt 2 % des Bruttosozialprodukts müssten es wenigstens 3-4 % sein, so wie seinerzeit während des Kalten Krieges. Statt der derzeit rund 180.000 präsenten Soldaten müßte es eigentlich die doppelte Menge sein, plus rund 300-400.000 gut ausgebildeten und sofort verfügbaren Reservisten. Aber wir müssen zur Kenntnis nehmen, daß die dafür notwendige Wehrpflicht nicht wieder in Vollzug gesetzt wird, und Beschaffung von Panzern und Artillerie nur in dem bescheidenen Umfang, wie wir ihn vor 20 Jahren hatten, zwischen 40 und 100 Jahren dauern wird, wenn das Tempo nicht erheblich erhöht wird.

Umdenken tut not

Indessen fehlt es bereits an der nüchternen und vorurteilslosen Lagebeurteilung. Denn dazu müssten die Deutschen erst einmal umdenken und ihr altes, verstaubtes, in einer Endlosschleife verharrendes Denken über Bord werfen. Es darf keine Tabus geben. Was in der Vergangenheit als der Weisheit letzter Schluss gegolten hat, muß gegebenenfalls als Irrweg erkannt werden. Gerade in der Ausgabenpolitik des Staates ist die Aufgabenkritik zunächst ansetzen. Warum in aller Welt fördern wir mit unglaublichen Finanzmitteln die sogenannten NGO’s, darunter solche Negativbeispiele wie die Desinformationszentrale Correctiv? Warum in aller Welt bezahlen wir Bürger die Kosmetikerin der Außenministerin und den Fotografen des Wirtschaftsministers? Warum in aller Welt bezahlen wir Radwege in Peru und „Genderprojekte“ in Afrika? Auch wenn das jeweils im Einzelfall keine großen Summen, gemessen an den Staatsausgaben sind, die ja insgesamt auf den Billionenbereich zugehen, kann man derartiges nicht vernachlässigen, sondern sollte eigentlich damit anfangen, das zu ändern, denn nur so wird ein Bewusstsein für sparsame Haushaltsführung entwickelt.

Das gilt aber auch für den gesellschaftspolitischen Irrsinn, der schon in die Gesetzbücher eingedrungen ist. Es wird ja inzwischen bestraft, wer wahrheitsgemäß benennt, daß es sich bei laut Einwohnerregister Frau Julia Müller (mit Penis und ohne Gebärmutter) jedenfalls bis dahin um Herrn Julius Müller gehandelt hat. Und es wird nicht etwa in die geschlossene Psychiatrie eingewiesen, wer seiner minderjährigen Tochter einflüstert, sie sei in Wirklichkeit ein Junge, weil das Kind in seinen schlechten Träumen davon fantasiert hat, und dann noch weitergehend das Kind dazu ermuntert, sich die Brüste abschneiden zu lassen, damit die „Transformation“ auch wirklich gelingt.

Nur dem Mutigen gehört die Zukunft

Wir müssen hier nicht den legendären Spruch von Oliver Kahn zitieren. Es braucht offenbar Mut dazu, radikale Veränderungen durchzusetzen, vor allem für Berufspolitiker, die leider offenbar mehr die Fortdauer ihrer Karriere, als das Staatswohl im Auge haben. Natürlich wird man so manche unpopuläre Maßnahme, insbesondere in den Augen der linksgrünen Journalistenblase, ergreifen müssen. Daß dies aber möglich ist, hat beispielsweise Gerhard Schröder mit seiner Agenda 2010 bewiesen. Sie hat ihn durchaus erwartbar das Amt gekostet, die finanzielle und wirtschaftliche Stabilität des Landes jedoch auf Jahre gesichert. Allerdings war es Schröder seinerzeit wohl auch gelungen, sowohl seine Partei als auch den Koalitionspartner davon zu überzeugen, daß es anders eben nicht mehr geht. Wenn wir in der Geschichte unseres Landes weiter zurückgehen, dann stellen wir fest, daß auch die Grundentscheidung Konrad Adenauers für die Westbindung der Bundesrepublik eine mutige Entscheidung war. Denn sie war in weiten Teilen der Bevölkerung nicht populär, insbesondere die damit verbundene Notwendigkeit der Wiederaufrüstung. Daß dies heute noch so wäre, ist offen, ist aber den Versuch nicht nur wert, sondern unerlässlich.

Wer Veränderungen will, darf keine Tabus ernst nehmen

Zu den Tabus, die einfach gebrochen werden müssen, damit aus dem kranken Mann Europas, der Deutschland in den Augen seiner Nachbarn inzwischen ist, wieder die führende Wirtschaftsnation werden kann, gehört auch der Umgang mit den sogenannten Populisten, zuvörderst der AfD. Außerhalb Deutschlands versteht man nicht, daß eine Partei, die auch bundesweit gegen 20 % der Wähler hinter sich hat, völlig aus dem politischen Leben ausgegrenzt wird. Abgesehen davon, daß damit ja auch diesen 20 % der Wähler der Status des Demokraten aberkannt wird, verbaut sich das bürgerliche Lager in der Politik damit den Weg zu stabilen Mehrheiten nachhaltig. Sehr zur Freude der Linken aller Schattierungen, die allein auf diesem Wege zu eigenen Mehrheiten, teils in politisch absurden Konstellationen, gelangen können. Sowohl im Bund als auch in den Bundesländern hätte eine schwarz-blaue Koalition eine solide Mehrheit. Es ist natürlich abwegig anzunehmen, damit würde etwa eine Politik des Nationalsozialismus in Deutschland Einkehr halten können. Weder aus dem Parteiprogramm noch aus den Äußerungen führender Politiker der AfD ist so etwas auch nur in Ansätzen herzuleiten. Aus diesem Grunde wird ja auch erst gar kein Parteiverbotsverfahren gegen sie eingeleitet. Soweit dort Standpunkte vertreten werden, die mit der Mehrheitsmeinung im Lande nicht vereinbar sind, ist das natürlich Sache der Koalitionsverhandlungen. Niemand geht aus Koalitionsverhandlungen mit einem Regierungsprogramm heraus, mit dem er in sie hineingegangen ist. Vor allem der jeweils kleinere Koalitionspartner muß regelmäßig einen erheblichen Teil seiner Forderungen fallen lassen. Das ist zwar alles ganz offensichtlich, indessen sprechen Unionspolitiker mit nahezu religiöser Inbrunst von der Notwendigkeit einer „Brandmauer“ gegen die angeblichen Demokratieverächter. Das ist altes, verstaubtes Denken in der Endlosschleife der political correctness. Mehr noch, man kann das nur noch als albern bezeichnen. Auch das ist rund um Deutschland herum in Europa völlig anders. Denn in vielen Ländern sind die sogenannten Rechtspopulisten selbstverständlicher Teil des politischen Spektrums und stehen nicht selten auch in Regierungsverantwortung. Schon wieder mal ein deutscher Sonderweg.

Zu dem notwendigen Mentalitätswechsel gehört unter anderem die Abschaffung solcher deutschen Besonderheiten wie ein Verfassungsschutz genannter Inlandsgeheimdienst, der sich als Gedankenpolizei präsentiert, unglaublich viel Geld kostet und die wirklichen Gefahren für unser Land, wie sie in Gestalt des islamistischen Terrors auftreten, nicht wirksam bekämpft. Dazu gehört auch, endlich einmal die Nachwirkungen des Dritten Reiches wie die Strafbarkeit von wirklichen oder angeblichen Naziparolen („Alles für Deutschland“) der Rechtsgeschichte zu überantworten. Kann es denn wirklich eine Gefahr für die Demokratie sein, wenn etwa ein Rudel von Deppen hinter einer Hakenkreuzfahne durch die Fußgängerzone stolpert? Reicht es nicht, daß sie sich lächerlich machen und sich die Leute angesichts dieses Schauspiels an die Stirn tippen? Wo ist eigentlich der Unterschied zwischen Donald Trumps Parole „America first“ und Björn Höckes „Alles für Deutschland“? Diese Bekämpfung des nun wirklich mausetoten Nationalsozialismus ist völlig aus der Zeit gefallen und ruft bei verständigen Menschen hierzulande, im Ausland sowieso, nur noch Kopfschütteln hervor.

Deutschland muß den Staub aus seinen Kleidern schütteln.

Recht schlägt Macht

Julian Assange ist frei. Jenseits der tagespolitischen Diskussionen will ich das grundsätzliche ethische und juristische Problem des Falles kurz anreißen. Die Rechtslage ist ja so, daß Assange zweifelsfrei gegen Gesetze der USA verstoßen hat, die eben militärische Geheimnisse auch mit den Mitteln des Strafrechts schützen. Auf der anderen Seite sind die von ihm aufgedeckten Kriegsverbrechen so unerträglich, daß sich die Frage erhebt, ob ein Staat wirklich für sich in Anspruch nehmen kann, derartige Dinge geheim halten zu dürfen, mit der Folge, daß die Aufdeckung derartiger Kriegsverbrechen nach nationalem Recht jedenfalls als Straftat verfolgt werden muß.

Recht über das Gesetz hinaus

Die deutsche Rechtsordnung kennt das Rechtsinstitut des übergesetzlichen Notstandes, der dann gegeben ist, wenn zwar nach dem Buchstaben des Gesetzes die Handlung des Täters strafbar wäre, er aber aus übergeordneten Gesichtspunkten gegen das Gesetz verstoßen darf. Das gilt nach deutschem Recht allerdings nur für eine gegenwärtige und unmittelbare Gefahr für Leib und Leben Dritter, die nicht anders abgewendet werden kann, als eben durch eine Tat, die nach dem Buchstaben des Gesetzes mit Strafe bedroht ist. Im Falle der von Assange aufgedeckten Kriegsverbrechen ist dies jedoch anders. Indessen erhebt sich die Frage, ob der Rechtsgedanke des übergesetzlichen Notstandes auch dahingehend ausgeweitet werden muß, daß auch dann, wenn zwar nicht unmittelbar Gefahr für Leib und Leben besteht, die nicht anders, als durch Gesetzesverstoß abgewandt werden kann, straffrei ausgehen muß, wer gegen Gesetze verstößt, die im Ergebnis Unrecht verdecken und verhindern, daß Unrecht auch gesühnt wird.

Das scheint mir im vorliegenden Falle so zu sein. Zwar hat Assange gegen amerikanisches Recht verstoßen, das letztendlich zum Schutze der amerikanischen Soldaten dient, allerdings im Ergebnis auch dazu führt, daß es sie vor der Verfolgung von Kriegsverbrechen schützt. Hier stellt sich doch die Frage, ob nicht übergeordnetes Recht es nicht nur erlaubt, sondern sogar erfordert, daß nationales Recht zurücktreten muß, wenn überragende allgemeine Rechtsprinzipien entgegenstehen. Und ein solches überragendes allgemeines Rechtsprinzip ist, daß auch im Kriege Zivilbevölkerung, Kriegsgefangene und sonstige Nichtkombattanten geschützt werden müssen. Wenn die Rechtsordnung eines Staates dem entgegensteht, dann muß nach dem Weltrechtsprinzip diese Rechtsordnung weichen, wenn nicht anders das natürliche Recht durchgesetzt werden kann.

Der Präzedenzfall

Bemerkenswert ist, daß im vorliegenden Falle die Weltmacht Nr. 1, die USA, letztendlich dem Druck der internationalen Gemeinschaft – nicht der rechtlich verfassten Staatengemeinschaft der Vereinten Nationen – sondern der Gemeinschaft der zivilisierten Bürger vieler Länder, aber auch solcher Staaten wie Australien, nachgeben mußte. Dieser Sachverhalt kann nicht hoch genug eingeschätzt werden. Denn er begründet jedenfalls die leise Hoffnung darauf, daß auch künftig jedenfalls in dem ein oder anderen Falle Recht vor Macht gehen kann.

Klarheit

Die Diskussionen um Waffenlieferungen an die Ukraine, aktuell um das Waffensystem Taurus, sind teils verworren, teils unterkomplex und bisweilen intellektuell defizitär.

Die entscheidende Grundlage

Grundlegend ist zunächst einmal die Rechtslage. Alles, was im Zusammenhang mit der Unterstützung der einen oder anderen Kriegspartei zu erwägen ist, muß sich in erster Linie an der Rechtslage orientieren. Erst danach kann überhaupt über politische Argumente nachgedacht werden.

Es sollte allgemein unstrittig sein, daß der Angriff Russlands auf die Ukraine vor zwei Jahren ein glatter Bruch des Völkerrechts, vor allem auch bestehender Verträge zwischen den beiden Staaten, aber auch internationaler Abkommen war. Ich habe das in meinem Buch Tatort Ukraine, erschienen im Oktober 2022, kurz und übersichtlich dargestellt. Es ist damit aber auch unzweifelhaft, daß die Ukraine sich gegen einen unrechtmäßigen Angriff verteidigen darf. So ist das in Art. 51 der UN-Charta eindeutig geregelt. Waffenlieferungen an Kriegsparteien sind völkerrechtlich erst einmal neutral zu werten. Sie machen den Lieferanten nach überwiegender Auffassung im Völkerrecht nicht zur Kriegspartei. Als historisches Beispiel mag die Schweiz dienen. Sie hat im Zweiten Weltkrieg sowohl das Deutsche Reich als auch die Alliierten mit Waffen beliefert. Ihr Status als neutraler Staat wurde deswegen von keiner der Kriegsparteien in Zweifel gezogen.

Dürfen unbeteiligte Staaten Waffen an Kriegsparteien liefern?

Damit beantwortet sich schon fast von selbst die Frage, welche Waffen geliefert werden dürfen. Waffen an sich haben keine rechtliche Qualität. Rechtliche Qualität hat ihr Einsatz. Insbesondere ist es gleichgültig, auf welche Entfernung sie wirken können. Die Debatte um den Marschflugkörper Taurus mit einer Reichweite von rund 500 km ist aus militärischer Sicht auch grotesk. Zweifellos kann die Ukraine mit diesem Waffensystem Ziele tief im russischen Staatsgebiet bekämpfen. Das kann sie allerdings auch mit Artilleriesystemen, die zum Beispiel Reichweiten um die 80 km haben, von der Luftwaffe ganz zu schweigen. Wenn sie in Grenznähe disloziert sind, wirken sie also auch in das Staatsgebiet des Feindes. Es kommt alleine darauf an, ob militärische Ziele oder zivile Ziele bekämpft werden. Letzteres würde gegen das Kriegsvölkerrecht verstoßen, ersteres wäre eine nicht nur legitime, sondern völkerrechtlich auch legale Kriegshandlung. Im übrigen sollte es für klar denkende Menschen auf der Hand liegen, daß die Ukraine mit dem gleichen Recht wie Russland militärische Ziele im jeweils anderen Land bekämpfen darf. Kriegsverbrechen hingegen ist immer die Bekämpfung ziviler Ziele.

Politik

Bemerkenswert ist die heutige Abstimmung im Deutschen Bundestag. Mehrheitlich haben die Abgeordneten beschlossen, an die Ukraine weitreichende Waffensysteme zu liefern. Die Lieferung des weitreichenden Waffensystems Taurus indessen lehnte die Mehrheit der Abgeordneten ab. Politische Entscheidungen sind eben häufig unlogisch und widersprüchlich, Politik eben.

Krieg und Frieden

Eine ganz andere Frage ist, ob die Kriegsparteien nicht endlich zu Friedensverhandlungen kommen sollten. Das ist aber deren Sache, worin wir uns nicht einzumischen haben. Natürlich können wir einen guten Rat geben. Völlig verfehlt indessen sind Vorstellungen, wonach es zum Frieden führen würde, wenn man die Waffenlieferungen an die Ukraine einstellt, und sie so nicht mehr imstande ist, wenigstens den status quo zu verteidigen. Vielmehr ermöglicht nur die Unterstützung der Ukraine mit Waffenlieferungen die Aufnahme von Friedensverhandlungen.

Es liegt im übrigen nahe, daß die Ukraine kein Staat ist, der unseren Vorstellungen von Demokratie und Rechtsstaat genügt. Daß sie ebenso wie Russland zu den korruptesten Ländern der Welt gehört, ist eine Binsenweisheit. Inwieweit die derzeitige Regierung von ihrer Bevölkerung getragen wird, inwieweit allgemeiner Konsens mit der Regierungspolitik herrscht, und inwieweit auch ihre Armee in Kriegsverbrechen involviert ist, wissen wir nicht genau. Gerade zu letzterem gibt es noch keine justizförmigen, vor allem unabhängige Untersuchungen, von förmlichen Gerichtsverfahren ganz zu schweigen. Somit muß man sich mit derartigen Bewertungen zurückhalten. Das ändert aber alles nichts daran, daß völkerrechtlich die Lage ist, wie sie ist. Für Juristen ist das keine Frage. Auch der Dieb kann Opfer eines Diebstahls sein. Beethoven läßt im Fidelio den Pizzaro singen: „Nun ist es mir geworden, den Mörder selbst zu morden!“ Schon damals bestand daran kein Zweifel. Das Recht schützt jeden.

Warum das Grundgesetz unsere Verfassung ist

Zu den nicht totzukriegenden populären Irrtümern gehört jedenfalls in sich besonders patriotisch gebärdenen Kreisen die Überzeugung, das Grundgesetz sei keine Verfassung, demgemäß hätten wir auch keine, und folglich existiere die Bundesrepublik Deutschland als Staat überhaupt nicht, vielmehr bestehe von Rechts wegen das Deutsche Reich von 1871, wahlweise auch von 1919, weiter fort. Wer sich zu den sogenannten Reichsbürgern zählt, erkennt in der Konsequenz dieser Auffassung die staatliche Ordnung unseres Landes nicht an, hält dann auch das Ganze für eine im Prvatrecht angesiedelte GmbH und dergleichen mehr. Wohl nur nolens volens zahlt er dann trotzdem Steuern, hält die Regeln der Straßenverkehrsordnung ein und nimmt die Dienste von Ämtern in Anspruch.

Wir wollen also einmal prüfen, was es mit diesen Theorien eigentlich auf sich hat und einen Blick in die Verfassungsgeschichte werfen.

Vorbemerkung

Unter den Verfechtern dieser Überzeugung finden sich keine Juristen. Das ist zunächst einmal erstaunlich. Indessen gibt es wohl keine andere akademische Disziplin, nicht einmal außerakademische Fachgebiete, wo Hinz und Kunz meinen, es besser zu wissen, als die studierten und praktizierenden Juristen. Zwar käme niemand auf den Gedanken, einen anderen Menschen am Herzen zu operieren, ohne zuvor Medizin studiert und Facharzt für Chirurgie geworden zu sein, es käme auch niemand auf den Gedanken, eine Autobahnbrücke zu konstruieren, ohne zuvor ein Ingenieurstudium absolviert und vertiefte Kenntnisse der Statik erlangt zu haben. Auch würde niemand etwa einen Steuerberater mit der Entwicklung eines Arzneimittels betrauen, zumindest das auf diesem Wege entstandener Arzneimittel tunlichst nicht einnehmen. Der Gedanke, daß ein juristischer Laie ein Rechtsproblem lösen kann, oder sogar die Königsdisziplin der Jurisprudenz, das Verfassungsrecht, beherrscht, sollte damit eigentlich hinreichend ad absurdum geführt worden sein. Indessen zeigt mir als Rechtsanwalt das praktische Leben oft genug, daß juristische Laien glauben, die Rechtslage selbst einschätzen zu können. Und die Existenz kruder Theorien über die Existenz oder Nichtexistenz der Bundesrepublik Deutschland und ihrer Verfassung zeigt schlagend, daß offenbar jedermann, der des Lesens und Schreibens mächtig ist, meint, mit Rechtstexten umgehen zu können. Dabei sollte doch klar sein, daß das wörtliche Verständnis von Texten über das Verständnis der inhaltlichen Bedeutung nichts aussagen muß. Wer etwa einen medizinischen Befund trotz der vielfach verwendeten lateinischen Fachausdrücke zu entziffern vermag, hat damit noch lange nicht verstanden, was der Verfasser damit festgestellt hat. Nur ein Gesetzestext oder gar ein Verfassungsgerichtsurteil scheint indessen ohne die Hilfe von Fachleuten für juristische Laien sonnenklar zu sein.

Wer also wirklich wissen will, was es mit dem Grundgesetz und der Bundesrepublik Deutschland auf sich hat, der kann sich nun kundig machen und weiterlesen. Wer indessen sich in seiner Fantasiewelt des Deutschen Reiches ganz eigener Art wohlig eingerichtet hat, der mag dort bleiben.

Die Paulskirchenverfassung vom 28.3.1848

Als Mutter aller nachfolgenden deutschen Verfassungen gilt die sogenannte Paulskirchenverfassung. Sie wurde von der Frankfurter Nationalversammlung beschlossen. Es handelte sich dabei um gewählte Abgeordnete aus den Einzelstaaten des damaligen Deutschen Bundes. Dieser war auf dem Wiener Kongress nach der Niederlage Napoleons und Befreiung der unterworfenen Staaten entstanden. Rechtliche Grundlage war die sogenannte Bundesakte vom 8.6.1815. Sie war nicht etwa von einer Nationalversammlung beschlossen worden, sondern es handelte sich um einen völkerrechtlichen Vertrag der deutschen Einzelstaaten mit Billigung der übrigen europäischen Länder. Die starken Bestrebungen im gesamten deutschen Sprachraum, endlich zu einer nationalen Einigung und damit einem Staat aller Deutschen zu kommen, waren begleitet von dem ebenso starken Streben nach einem demokratischen Staatswesen, mindestens aber einer Zurückdrängung der Monarchie, weswegen es ja dann auch zur konstitutionellen Monarchie kam. Zwar war die Verfassung von 1848 populär und auch in den kleineren Staaten akzeptiert, die großen Bundesstaaten wie Preußen und Österreich wollten davon aber nichts wissen. Somit blieb die Paulskirchenverfassung ein achtbarer Versuch, wurde jedoch nicht zur Verfassung eines deutschen Staates, den es ja auch noch gar nicht gab. Ihre Grundzüge indessen finden sich in den nachfolgenden Verfassungen bis in unser Grundgesetz hinein.

Die Verfassung des deutschen Kaiserreichs

Nach dem Sieg über Frankreich im Krieg von 1870/71, den man auch als den letzten der Einigungskriege bezeichnen kann, proklamierten die versammelten Fürsten des Deutschen Bundes mit Ausnahme von Österreich den König von Preußen am 18.1.1871 zum deutschen Kaiser. Damit war die deutsche Einigung vollendet, wenn auch nur mit der sogenannten kleindeutschen Lösung unter Ausschluss Österreichs. Was noch fehlte, war eine Verfassung für den neuen Staat. Zunächst wurde am 3.3.1871 die erste gesamtdeutsche Wahl zum Reichstag durchgeführt. Am 14.4.1871 verabschiedete der Reichstag dann eine Verfassung, die in weiten Bereichen auf der Paulskirchenverfassung aufbaute. Indessen fehlte ein Grundrechtsteil, wie er noch in der preußischen Verfassung von 1850 enthalten war. Zweifellos muß man diese Verfassung als demokratisch zustandegekommen ansehen, auch wenn sie inhaltlich weitgehend von den staatsrechtlichen Vorstellungen Bismarcks geprägt war. Denn der Reichstag war, jedenfalls nach damaligen Vorstellungen, durch allgemeine und freie Wahlen zustande gekommen. Zwar konnten Frauen noch nicht wählen, und in Preußen galt sogar noch das Dreiklassenwahlrecht mit unterschiedlicher Gewichtung je nach Einkommen und Vermögen. Im internationalen Vergleich, auch mit als Mutterländern der Demokratie angesehenen Staaten wie Frankreich, Großbritannien und den USA, kann man darin keine wesentlichen demokratischen Defizite sehen, vielmehr entsprach das damals noch dem Zeitgeist. Großbritannien führte das Wahlrecht für Frauen erst 1918 ein, die USA 1920 und Frankreich erst 1944. Schwarze, oder wie das heute politisch korrekt heißt, People of Colour, können in den USA erst seit 1965 wählen. Und auch die in unseren Augen je nach Geschmack skurril oder diskriminierend anmutende Leseprüfung für schwarze Wähler entfiel erst 1964.

Die Weimarer Verfassung

Nachdem die deutschen Fürsten einschließlich des Kaisers 1919 abgedankt hatten – heute würde man sagen, zurückgetreten waren -, gab es die in der Verfassung festgeschriebene konstitutionelle Monarchie nicht mehr. Schon deswegen war es an der Zeit, eine neue Verfassung zu beschließen, denn die Staatsorganisation von 1871 existierte ja nicht mehr. Am 19.1. / 2.2.1919 kam es zur Wahl einer Nationalversammlung, die auch ausdrücklich als verfassunggebende Versammlung konzipiert war. Sie trat am 6.2.1919 in Weimar zusammen. In ihren Beratungen spielte natürlich auch die Paulskirchenverfassung ebenso eine Rolle, wie der damalige Stand der verfassungsrechtlichen Lehre in den juristischen Fakultäten. Staatsrechtlich wurde ein republikanischer Staatsaufbau gewählt, hinzu trat ein Grundrechtskatalog. Der Verfassungstext wurde von den hierzu berufenen Vertretern der verfassunggebenden Versammlung am 11.8.1919 unterzeichnet. Die nach ihrem Entstehungsort Weimarer Verfassung genannte Verfassung des Deutschen Reiches gilt heute unter Verfassungsrechtlern als durchaus respektables Werk und hat auch mit dem heute geltenden Grundgesetz sehr viele Gemeinsamkeiten. Sie blieb bis zum Zusammenbruch der staatlichen Ordnung Deutschlands am 8.5.1945 in Kraft, wenngleich sie faktisch bereits am 28.2.1933 mit der sogenannten Reichstagsbrandverordnung auf Wunsch, besser Befehl, Hitlers durch den Reichspräsidenten von Hindenburg außer Kraft gesetzt worden war.

Das Grundgesetz

Der 8.5.1945 führte mit der Kapitulation der deutschen Wehrmacht nicht nur das Ende der Kampfhandlungen herbei, sondern die staatliche Ordnung war nicht mehr existent. Es existierte keine Reichsregierung mehr, und auch die nachgeordneten Staatsgewalten waren entweder weggefallen oder ohne Legitimation. Zwar arbeiteten tatsächlich die Verwaltungsbehörden auf unterer Ebene weiter. Die Staatsgewalt war jedoch völkerrechtlich gemäß Art. 42 der Haager Landkriegsordnung auf die Besatzungsmächte übergegangen (occupatio bellica). Art. 43 HLKO bestimmt für diesen Fall: „Nachdem die gesetzmäßige Gewalt tatsächlich in die Hände des Besetzenden übergegangen ist, hat dieser alle von ihm abhängenden Vorkehrungen zu treffen, um nach Möglichkeit die öffentliche Ordnung und das öffentliche Leben wiederherzustellen und aufrecht zu erhalten, und zwar, soweit kein zwingendes Hindernis besteht, unter Beachtung der Landesgesetze.“ Somit war nicht nur eine ordnungsgemäße staatliche Verwaltung und Rechtsprechung zu gewährleisten, was ja auch tatsächlich geschah, unbeschadet dessen, daß durch die Kontrollratsgesetze der Alliierten als nationalsozialistisch kontaminiert erkannte Gesetze außer Kraft gesetzt worden waren. Es war auch die öffentliche Ordnung in Gestalt der Staatsorganisation wiederherzustellen. Grundlage jeder modernen Staatsorganisation ist eine Verfassung. Der einfachste Weg dazu wäre natürlich gewesen, es bei der rechtlich nach wie vor existenten Weimarer Verfassung zu belassen. Indessen hielten es die Alliierten für geboten, eine neue Verfassung beschließen zu lassen, natürlich unter ihrer Aufsicht und unter Beachtung ihrer Vorstellungen von einem demokratischen und gewissermaßen von Geburt an gegen das nationalsozialistische Virus immunen Deutschland. Die weitreichenden Rechte des Reichspräsidenten verdächtigten sie als Einfallstor für Diktatoren, obgleich doch die Stellung des Präsidenten in den USA noch stärker ist, als die des deutschen Reichspräsidenten jemals war, sieht man von den sogenannten Notverordnungen ab, die man jedoch aus der Verfassung hätte streichen können.

Nachdem die deutschen Länder politisch, teilweise in neuen Grenzen, wiederhergestellt waren und über demokratisch gewählte Parlamente verfügten, wurde aus insgesamt 65 Abgeordneten der Länderparlamente ein Parlamentarischer Rat genannter Verfassungssausschuss gegründet. Er konstituierte sich am 1.9.1948 in Bonn. Seine Beratungen bauten auf dem Verfassungskonvent von Herrenchiemsee auf, der von den Ministerpräsidenten der Länder einberufen worden war. Er tagte vom 10. bis 23.8.1948 und leistete in dieser kurzen Zeit die Vorarbeit für den späteren Verfassungstext. Ihm gehörten natürlich die maßgeblichen deutschen Verfassungsjuristen jener Zeit an. Der Parlamentarische Rat hatte einen ausdrücklich vorläufigen Charakter, wie auch die zu beschließende Verfassung selbst. Das beruhte auf der allgemeinen Überzeugung in Deutschland, daß wegen der inzwischen bereits faktisch eingetretenen Teilung infolge der Abspaltung des sowjetisch besetzten Teils Deutschlands nur in den Besatzungszonen der Westalliierten ein demokratisches Staatswesen errichtet werden konnte. Die Wiedervereinigung indessen war fest ins Auge gefasst und wurde auch in der neuen Verfassung festgeschrieben. Um diesen provisorischen Charakter des Unternehmens auch sprachlich zu kennzeichnen, sprach man nicht von einer Verfassunggebenden Versammlung, sondern von einem Parlamentarischen Rat, und nannte die Verfassung auch nicht so, sondern Grundgesetz. Es trat bekanntlich am 23.5.1949 in Kraft. Auch wenn die Staatsgewalt damals noch gemäß Art. 43 HLKO in den Händen der Alliierten lag, gab sich das deutsche Volk in den Besatzungsgebieten der Westalliierten durch gewählte Volksvertreter eine Verfassung im materiellen Sinne. Ihre Rechtsgültigkeit kann nicht infrage gestellt werden. Zwar ist es allgemeine Auffassung, daß die Befugnis zur Erstellung einer Verfassung in einer Demokratie nur beim Volk liegen kann. Indessen ist nirgendwo geregelt, in welcher Form diese Befugnis ausgeübt wird. In einer repräsentativen Massendemokratie kann das nur eine gewählte Vertreterversammlung sein; über die Art und Weise der Wahl und Auswahl gibt es einfach keine allgemein verbindlichen Regelungen. Sicher ist nur, daß nicht in jedem Falle eigens eine verfassunggebende Versammlung gewählt werden muß, wie schon die Befugnis des Bundestages und Bundesrates zur Änderung der Verfassung zeigt. Der pouvoir constituant kann demgemäß durchaus eine Abordnung gewählter Parlamentarier sein.

Leute ohne juristische Kenntnisse vertreten vielfach die Meinung, wir hätten schon deswegen keine Verfassung, weil doch Art. 146 des Grundgesetzes lautete bis 1990:

Dieses Grundgesetz verliert seine Gültigkeit an dem Tage, an dem eine Verfassung in Kraft tritt, die von dem deutschen Volke in freier Entscheidung beschlossen worden ist.

Eine solche Verfassung gebe es bis heute nicht. Das ist natürlich Unsinn. Im Einigungsvertrag vom 31.8.1990, der am 20.9.1990 von Bundestag und Volkskammer der DDR angenommen worden ist, wurde die Wiedervereinigung Deutschlands nicht auf der Grundlage einer neu beschlossenen Verfassung verwirklicht, sondern man wählte bewusst den Weg über Art. 23 GG, der den Beitritt deutscher Länder zum Geltungsbereich des Grundgesetzes regelte. Das hatte den rechtlichen Vorteil der Kontinuität der bestehenden Verfassung und damit auch, worauf wir noch kommen werden, der Identität der nun größer gewordenen Bundesrepublik Deutschland mit dem Deutschen Reich, das von Rechts wegen am 8.5.1945 eben nicht untergegangen ist. Das ist jedenfalls einhellige Auffassung der Juristen, die dann auch bereits am 31.7.1973 vom Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil zum Grundlagenvertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der DDR festgehalten worden ist. Denn, so das Gericht:

„Das Grundgesetz – nicht nur eine These der Völkerrechtslehre und der Staatsrechtslehre! – geht davon aus, daß das Deutsche Reich den Zusammenbruch 1945 überdauert hat und weder mit der Kapitulation noch durch Ausübung fremder Staatsgewalt in Deutschland durch die alliierten Okkupationsmächte, noch später untergegangen ist; das ergibt sich aus der Präambel, aus Art. 16, Art. 23, Art. 116 und Art. 146 GG. Das entspricht auch der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, an der der Senat festhält. Das Deutsche Reich existiert fort, besitzt nach wie vor Rechtsfähigkeit, ist allerdings als Gesamtstaat mangels Organisation, insbesondere mangels institutionalisierter Organe, selbst nicht handlungsfähig. Im Grundgesetz ist auch die Auffassung vom gesamtdeutschen Staatsvolk und von der gesamtdeutschen Staatsgewalt ‚verankert‘. Verantwortung für ‚Deutschland als Ganzes‘ tragen – auch – die vier Mächte. Mit der Errichtung der Bundesrepublik Deutschland wurde nicht ein neuer westdeutscher Staat gegründet, sondern ein Teil Deutschlands neu organisiert. Die Bundesrepublik Deutschland ist also nicht Rechtsnachfolger des Deutschen Reiches, sondern als Staat identisch mit dem Staat Deutsches Reich, – in Bezug auf seine räumliche Ausdehnung allerdings „teilidentisch“, sodaß insoweit die Identität keine Ausschließlichkeit beansprucht. Die Bundesrepublik umfasst also, was ihr Staatsgebiet und ihr Staatsvolk angeht, nicht das ganze Deutschland, unbeschadet dessen, daß sie ein einheitliches Staatsvolk des Völkerrechtssubjekts „Deutschland“ (Deutsches Reich), zu dem die eigene Bevölkerung als untrennbarer Teil gehört, und ein einheitliches Staatsgebiet „Deutschland“ (Deutsches Reich), zu dem ihr eigenes Staatsgebiet als ebenfalls nicht abtrennbarer Teil gehört, anerkennt. Sie beschränkt staatsrechtlich ihre Hoheitsgewalt auf den „Geltungsbereich des Grundgesetzes“, fühlt sich aber auch verantwortlich für das gesamte Deutschland (vgl. Präambel des Grundgesetzes). Derzeit besteht die Bundesrepublik aus den in Art. 23 GG genannten Ländern, einschließlich Berlin; der Status des Landes Berlin der Bundesrepublik Deutschland ist nur gemindert und belastet durch den sogenannten Vorbehalt der Gouverneure der Westmächte. Die Deutsche Demokratische Republik gehört zu Deutschland und kann im Verhältnis zur Bundesrepublik Deutschland nicht als Ausland angesehen werden.“ (Die jeweils vom Gericht zitierten Belegstellen habe ich der leichteren Lesbarkeit wegen weggelassen.)

Soweit die maßgeblichen Passagen in diesem Urteil zum hier behandelten Thema. Anzumerken ist, daß hier bereits die rechtliche Gestaltung der Wiedervereinigung 1990 über Art. 23 GG vorgezeichnet worden ist.

Folgerichtig beschloss der Deutsche Bundestag mit verfassungsändernder Mehrheit die Neufassung des Art. 146 GG, der nunmehr lautet:

„Dieses Grundgesetz, das nach Vollendung der Einheit und Freiheit Deutschlands für das gesamte deutsche Volk gilt, verliert seine Gültigkeit an dem Tage, an dem eine Verfassung in Kraft tritt, die von dem deutschen Volk in freier Entscheidung beschlossen worden ist.“

Zum einen ist damit festgehalten, daß das Grundgesetz von 1949 weiterhin gilt, nur auf dem inzwischen größer gewordenen Staatsgebiet. Zum anderen wird damit die an sich banale Tatsache deklaratorisch festgehalten, daß dieses Grundgesetz wie jedes andere Gesetz und auch jeder andere Verfassung, durch eine nachfolgende neue Verfassung aufgehoben und ersetzt werden kann. Dies folgt aus dem allgemeinen Rechtsgrundsatz lex posterior derogat legi priori, für Nichtlateiner: das spätere Gesetz setzt das voraufgegangene Gesetz außer Kraft. Dieser Grundsatz gilt seit Alters her auf allen Rechtsgebieten einschließlich des Staats- und Völkerrechts. Jedenfalls unter Juristen gibt es darüber keinen Streit.

Ein allgemeiner Rechtsgrundsatz ist auch, daß durch ständige Beachtung von Verträgen, Rechtsvorschriften und Institutionen Gewohnheitsrecht entsteht und verfestigt wird. Die Staatsordnung des Grundgesetzes ist seit 1949 in unzähligen Wahlen vom Volk immer wieder bestätigt worden. Denn wenn auf der Grundlage der damals beschlossenen Verfassung namens Grundgesetz immer wieder Parlamente gewählt, von Ihnen erlassene Gesetze befolgt und die Urteile der von dieser Verfassung geschaffenen Gerichte beachtet werden, dann kann man durchaus von einer opinio communis, also einer allgemeinen Überzeugung ausgehen, daß dieser Staat in dieser Form existiert. Diese Verfassung stellt sich seit 1949 immer wieder dem Plebiszit. Selbst wenn man der abwegigen Auffassung wäre, die Verfassung von 1949 sei nicht rechtmäßig zustande gekommen, dann müsste man unter Anwendung des allgemeinen Rechtsgrundsatzes, daß auch vollmachtloses Handeln durch Genehmigung legitimiert wird, eben diese Genehmigung durch das Volk über Jahrzehnte hinweg feststellen.

Namen sind Schall und Rauch

Selbst ernannte Verfassungsjuristen mit Reichsbürgerqualität verweisen gern triumphierend darauf, daß wir ja nur ein Grundgesetz und keine Verfassung haben. Dieses Argument ist, zurückhaltend ausgedrückt, unbehelflich. Zur rechtlichen Qualität als Staatswesen gehören nach allgemeiner Anschauung die drei Elemente Staatsgebiet, Staatsvolk und Staatsgewalt. Ob ein solcher Staat eine Verfassung hat oder nicht, ob sie Verfassung heißt oder nicht, ist völkerrechtlich ohne jeden Belang. Die nach allgemeiner Auffassung älteste Demokratie der Welt, das Vereinigte Königreich von Großbritannien und Nordirland, besitzt ebenso wenig eine geschriebene Verfassung wie etwa Israel und Neuseeland. Die Verfassung Dänemarks heißt Grundgesetz, Schweden hat eine Verfassungsgrundlage, die wörtlich übersetzt „Regierungsform“ heißt. Die griechische Verfassung heißt Syntagma, was so viel wie „Zusammenordnung“ bedeutet, im altgriechischen auch ein Wort für Heerbann oder Kontingent. Auch wenn inzwischen der provisorische Charakter des Staates Bundesrepublik Deutschland und seiner Grundgesetz genannten Verfassung weggefallen sind, und deswegen auch, seinem materiellen Gehalt entsprechend, die Bezeichnung Grundgesetz ohne weiteres durch das Wort Verfassung ersetzt werden könnte, es würde sich nichts ändern. Die Wiedervereinigung der nach den kriegsbedingten und völkerrechtlich festgeschriebenen Gebietsverlusten verbliebenen deutschen Länder und der Wegfall der alliierten Vorbehalte im 2 + 4 Vertrag haben das Deutsche Reich von den Kriegsfolgen mit Ausnahme der Gebietsverluste befreit. Sein neuer Name Bundesrepublik Deutschland spiegelt nicht nur seine staatsrechtliche Organisation wieder, sondern entspricht auch eher seiner verminderten politischen und geographischen Größe, als der doch mächtig daher kommende Name Deutsches Reich.

Von Kriegstreibern und Putin-Verstehern

Der Krieg in der Ukraine währt nun schon mehr als eineinhalb Jahre. Schon in Vergessenheit geraten sind die damaligen Prognosen über die voraussichtliche Dauer des Krieges. Ausgehend vom Kriegsbild, das die Planungen im Kalten Krieg von 1947 (Truman Doktrin) bis 1991 (Ende der Sowjet-Union) bestimmt hatte, dachte man allgemein, der Krieg werde schon nach höchstens drei bis vier Wochen zu Ende sein. Sowohl die personellen als noch mehr die materiellen Ressourcen der Kriegsparteien wären dann erschöpft. Es werde dann schlicht und einfach die Munition ausgegangen sein. Heute wissen wir, daß diese Annahme falsch war, denn das Kriegsbild auch in einem Konflikt zwischen hochgerüsteten Industriestaaten ist nun ein völlig anderes.

Wir wissen zu wenig

Das ist aber wohl das einzige, was wir über diesen Krieg wirklich wissen. Je weniger man weiß, umso trefflicher läßt es sich über die Dinge streiten. Das gilt nicht nur für den Kriegsverlauf im engeren Sinne, also den Verlauf der Gefechte und Kämpfe entlang der Frontlinien und die Luftangriffe auf militärische und zivile Ziele weitab vom Kampfgeschehen auf dem Boden, sowohl in der Ukraine als auch gelegentlich in Russland. Auch das Thema Kriegsverbrechen entzieht sich derzeit noch einer realistischen Bewertung. Eindeutig sind die Luftangriffe auf zivile Ziele Kriegsverbrechen. Eindeutig ist die Hinrichtung von Kriegsgefangenen jeweils ein Kriegsverbrechen. Eindeutig ist die Entführung ukrainischer Kinder nach Russland ein Kriegsverbrechen, dazu noch mit genozidalem Charakter. Allerdings wissen wir über diese Fälle viel zu wenig, insbesondere auch seitens ukrainischer Truppen, die es natürlich gibt und aller Erfahrung nach auch geben muß, ebenso wie das auf russischer Seite offensichtlich der Fall ist. Das gilt vermehrt für die Kriegsziele beider Seiten und in noch stärkerem Maße für die Auswirkungen auf die internationale Politik. Sogar die Rechtslage scheint jedenfalls in der öffentlichen Diskussion nicht unumstritten zu sein. Wir haben es also mit einer recht unübersichtlichen Gemengelage aus geopolitischen Gegebenheiten, machtpolitischen Motiven, militärischen Möglichkeiten und juristischen Fragen zu tun. Gemessen daran ist indessen die öffentliche Debatte häufig unterkomplex.

Der Streit um die Ursachen des Krieges

Beginnen wir mit den Ursachen des Krieges. Nach wie vor herrscht jedenfalls in Teilen der öffentlichen Debatte Uneinigkeit auch in diesem Punkt.

Die russische Auffassung, wie sie insbesondere in den Reden Putins vom 21. und 24. Februar 2022 zum Ausdruck kommt, aber auch seither immer wieder neu formuliert wird ist die, daß Russland gewissermaßen die Notbremse ziehen mußte, um das weitere Heranrücken der NATO an seine Grenzen aufzuhalten. Ungeachtet der einschlägigen Verträge zwischen Russland und der Ukraine sowie Russland und der NATO sei darin ein massiver Wortbruch zu sehen, denn im Zusammenhang mit der Auflösung der Sowjetunion habe der Westen doch Russland garantiert, sich nicht auf das Gebiet des ehemaligen Warschauer Pakts auszudehnen. Zwar habe man dann später einschlägige Verträge unterschrieben, doch, so Putin wörtlich: man hat uns reingelegt. Darüber hinaus sei in der Ukraine ein Nazi-Regime an die Macht gekommen, das den russischstämmigen Teil der Bevölkerung unterdrücke. Somit habe man reagieren und eine „militärische Spezialoperation“ beginnen müssen.

Diametral dazu steht die ukrainische Auffassung. Man sei unter Bruch bestehenden Völkerrechts angegriffen worden. Die Beschuldigungen, ein Nazi-Regime errichtet zu haben und die russischstämmige Bevölkerung zu unterdrücken, seien haltlos. Die eigenen Bemühungen, Teil der westlichen Völkergemeinschaft zu werden seien legitim, die russische Vorstellung hingegen, die Ukraine sei mehr oder weniger ein historisch gewachsener Bestandteil der russischen Welt, beginnend mit den Kiewer Rus im frühen Mittelalter, sei historisch nicht haltbar und im übrigen mit dem Recht eines jeden souveränen Staates, sich Bündnissen und Gemeinschaften seiner Wahl anschließen zu können, unvereinbar. In dieser Auffassung wird die Ukraine auch von einem wesentlichen Teil der Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen, vor allem der NATO und der EU unterstützt. Die Haltung anderer Länder, insbesondere der BRICS-Staaten, dazu ist ersichtlich eher abwartend bis ablehnend.

Soweit in Kürze die Skizzierung der unterschiedlichen Standpunkte. Treten wir nun in die Sachprüfung ein.

Die Rechtslage:

„Nimm das Recht weg, was ist der Staat dann anderes als eine Räuberbande?“. Dieser berühmte Satz des Kirchenlehrers Augustinus beschreibt in lakonischer Kürze unser Staatsverständnis, vor allem die Legitimierung staatlicher Gewalt. Beginnend mit der klassischen Antike in Athen und Rom ist bei uns – in anderen Regionen dieser Erde ist das durchaus anders – ein Gesellschafts- und Staatsverständnis gewachsen, in dem das Recht eine entscheidende Rolle spielt. Das gilt sowohl für das innere Gefüge der Staaten, Stichwort demokratischer Rechtsstaat, als auch die Beziehungen der zivilisierten Staaten untereinander, Stichwort Völkerrecht. Somit zieht unbeschadet aller übrigen Gesichtspunkte einschließlich der von der geographischen Lage der Länder bestimmten geostrategischen Interessen das Völkerrecht die Grenzen der außen- und machtpolitischen Spielräume ihrer Regierungen. Das ist, soweit ersichtlich, auch allgemeiner Konsens mit Ausnahme natürlich der russischen Staatsführung. Selbst die Unterstützer Russlands, die sein Vorgehen als legitime Selbstverteidigung gegen die Expansionsbestrebungen des Westens sehen, räumen ein, daß der Angriff vom 24. Februar 2022 gegen geltendes Völkerrecht verstoßen hat.

Jenseits des Völkerrechts

Unbeschadet dessen, daß die völkerrechtliche Lage insoweit klar ist, findet die Debatte zu den Ursachen des Krieges und vor allem über die Möglichkeiten einer Konfliktlösung nicht im luftleeren Raum statt. Indessen beschränkt sie sich im allgemeinen auf die Wiedergabe des eigenen Standpunktes, was denknotwendig mit dem Ansinnen an die jeweilige Gegenseite verbunden ist, ihre gegenteilige Auffassung eben aufzugeben. Je nach Standpunkt hat dann die Ukraine aufzuhören, als unabhängiger Staat zu existieren, oder aber Russland sich vollständig aus der Ukraine einschließlich der seit 2014 okkupierten Gebiete zurückzuziehen. Es sollte unstrittig sein, daß man auf diese Weise keine Lösung finden kann, es sei denn, eine Seite würde militärisch vollständig unterliegen. Derzeit deutet darauf aber nichts hin.

Die militärische Lage

Beginnen wir also mit der militärischen Lage. Zwar sind Zeitungen und Fernsehkanäle voll von Berichten über den Kriegsverlauf. Indessen ist die Faktenbasis jeweils sehr dünn, insbesondere gibt es keine neutralen Beobachter im Kriegsgebiet, die zuverlässig über die tatsächliche Entwicklung der Gefechte, Geländegewinne und Personal- und Materialsituation der jeweiligen Streitkräfte berichten könnten. Wir können lediglich die große Lage sehen, also ob sich die Frontlinien wesentlich verschieben oder nicht. Auf dieser unklaren Faktenbasis sind alle Prognosen über den weiteren Kriegsverlauf unsicher.

Was spricht für Verhandlungen?

Dennoch spricht alles dafür, nach Friedensverhandlungen der Parteien zu rufen. Vor allem das Schicksal der vom Krieg betroffenen Zivilbevölkerung, aber auch der Blutzoll, den die Streitkräfte beider Seiten entrichten müssen, rechtfertigen alle Anstrengungen, endlich zu einem Frieden zu kommen. Indessen muß es sich dabei um einen Verständigungsfrieden handeln. Und ein solcher Verständigungsfrieden kann nur zustande kommen, wenn die Kriegsparteien auf Augenhöhe miteinander verhandeln. Wesentlich zu kurz greift, wer einfach meint, wenn die Ukraine nicht mehr mit Waffen und Munition beliefert werde, wäre ein Friedensvertrag nicht mehr weit. Denn in einem solchen Falle käme es natürlich nur zu einem Diktatfrieden nach dem Muster von Versailles oder einer Kapitulation nach dem Muster von Berlin-Karlshorst. Gerade wir Deutschen wissen aus unserer Geschichte, was das zu bedeuten hat. Eine solche Unterwerfung unter das Diktat des Siegers ist der Ukraine schlicht und einfach nicht zumutbar. Es zeugt daher nicht etwa von mangelndem Friedenswillen, wenn aktuell ein Friedensangebot der Ukraine von Russland zurückgewiesen wird. Denn ganz unabhängig davon, welche konkreten Vorschläge jeweils gemacht werden, ist es Verhandlungen aller Art wesenseigen, daß am Beginn der Vorschlag einer Partei steht, der von der anderen Partei zurückgewiesen wird und umgekehrt, bis die dann in der Folge immer weiter veränderten Vorschläge der Parteien nahe genug beieinanderliegen, daß eine Einigung möglich erscheint. Wer das anders sieht, und das lediglich als Beleg für die Verhandlungsunwilligkeit einer Seite ansieht, hat offensichtlich noch niemals Verhandlungen geführt, und sei es über die umstrittene Höhe einer geschuldeten Kaufpreiszahlung.

Atomkriegsgefahr?

Wenig überzeugend ist auch das Argument, Deutschland begebe sich durch seine Unterstützungsleistungen in die Gefahr, selbst Kriegspartei zu werden mit der Folge, eventuell sogar einem russischen Atomschlag ausgesetzt zu sein. Nicht nur, daß das Völkerrecht zweifellos die Unterstützung eines zu unrecht angegriffenen Staates zulässt, sogar im Wege der Unterstützung mit eigenen Streitkräften, sondern auch die geschichtliche Erfahrung, daß die bloße Lieferung von Waffen bisher noch nie von einem kriegführenden Staat als militärische Einmischung angesehen worden ist, und weiter, daß die Sowjetunion wie alle anderen Atommächte auch nur für den Fall des Angriffs auf eigenes Staatsgebiet oder als ultima ratio in einem konventionellen Krieg den Einsatz von Atomwaffen für möglich erklärt haben, lassen es ausgeschlossen erscheinen, daß Russland Deutschland wegen seiner Unterstützung der Ukraine atomar bedrohen könnte.

Wann wird verhandelt?

Ob, wann und unter welchen Umständen Friedensverhandlungen geführt werden, ist natürlich in erster Linie Sache der beiden Kriegsparteien. Natürlich spielen dabei geopolitische Interessen Dritter eine große Rolle, insbesondere der USA auf Seiten der Ukraine. Dies in Abrede zu stellen, wäre naiv. Entsprechend groß ist auch die Verantwortung der USA (und ihrer Verbündeten in der NATO) für eine Verhandlungsführung mit Augenmaß, auch wenn man selbst nicht physisch am Verhandlungstisch präsent ist. Und es ist ganz offensichtlich so, daß die Lage an der Front die Verhandlungsmöglichkeiten der Kriegsparteien bestimmt. Noch niemals ist ein Krieg am Verhandlungstisch entschieden worden, vielmehrhat jeweils die Entscheidung auf dem Schlachtfeld, vor allem dann, wenn sie für beide Beteiligte jeweils nur ein Teilerfolg war, die Grundlage für anschließende Friedensverhandlungen erzeugt.

Erst einmal verbal abrüsten!

Wenig hilfreich ist in diesem Zusammenhang die Art und Weise, in der die öffentliche Debatte zu diesem Thema geführt wird. Schon der Sprachgebrauch auf Stammtischniveau entwertet die jeweiligen Debattenbeiträge aus den beiderseitigen Unterstützungslagern. Es ist einfach nicht hilfreich, aber auch intellektuell defizitär, etwa die Befürworter von Waffenlieferungen an die Ukraine hysterisch als Kriegstreiber zu beschimpfen. Denn ein Krieg wird grundsätzlich auf beiden Seiten befeuert. Im vorliegenden Falle kommt hinzu, daß die Ukraine ohne Hilfe des Westens in Gestalt von Waffenlieferungen und damit einhergehender Ausbildung von Soldaten an eben diesen Waffen alsbald kapitulieren müsste. Danach gäbe es eben keinen Friedensvertrag, sondern nur eine Unterwerfung. Das kann niemand ernsthaft wünschen. ebenso wenig trägt es zur Versachlichung bei.

Der Sache nicht dienlich sind auch hämische Bemerkungen über die persönliche Integrität der handelnden Personen. Sowohl Russland als auch die Ukraine gehören zu den korruptesten Ländern in Europa. Nicht von ungefähr hat sich der Begriff des Oligarchen sowohl für die russische als auch die ukrainische Machtelite eingebürgert. Die jeweiligen mehr oder weniger demokratisch an die Macht gelangten und gebliebenen Staatsführer können davon nicht ausgenommen sein. Unabhängig davon muß man jedoch mit Bismarck konstatieren, daß man mit den Leuten reden muß, die man eben vor sich hat.

Ebenso wenig ist es hilfreich, aber auch intellektuell defizitär, denjenigen, die auf geostrategische Interessen Russlands hinweisen, einfach das Etikett Putinversteher anzuheften. So ist es unbeschadet der völkerrechtlichen Lage, wonach mangels von den Vereinten Nationen anerkannter Volksabstimmungen in offensichtlich vorwiegend von russischstämmiger Bevölkerung bewohnten Gebieten wie der Halbinsel Krim der Rechtsanspruch der Ukraine auf diesen Teil ihres Staatsgebiets unangefochten ist, doch im Sinne einer nachhaltigen Befriedung der Situation zu prüfen, ob insoweit nicht eine einvernehmliche Lösung gefunden werden kann. Diese einvernehmliche Lösung kann auch nicht ohne Beteiligung der jeweils betroffenen Bevölkerung gefunden werden. Daß man damit in ein Wespennest sticht, ist klar. Die UNO meidet daher auch Volksabstimmungen in ähnlichen Konstellationen wie der Teufel das sprichwörtliche Weihwasser, denken wir nur an Konfliktregionen wie Katalonien und das Baskenland in Spanien, aber auch die nach wie vor ungelösten ethnischen Konflikte entlang der willkürlich gezogenen kolonialen Grenzen heute souveräner Staaten in Afrika oder den schon klassisch gewordenen Konflikt zwischen Indien und Pakistan um Kaschmir. Verhandlungen indessen, die diese Bezeichnung verdienen, müssen auch das scheinbar Unmögliche angehen. Leider stehen imperiale Bestrebungen und wirtschaftliche Interessen, vor allem der beteiligten Großmächte, dem berechtigten Friedenswunsch der betroffenen Bevölkerungen im Wege. Wirkliche Verhandlungskunst und ehrlicher Wille auf beiden Seiten zeigen sich daran, inwieweit man willens und in der Lage ist, auch solche Probleme zu lösen und dabei jeweils über den eigenen Schatten zu springen. Am Beginn steht die verbale Abrüstung. Vokabeln aus dem Wörterbuch der Boulevardpresse wie Kriegstreiber und Putin-Versteher müssen dann dem Vergessen anheimfallen.

Patriotisch oder völkisch?

Im allgegenwärtigen „Kampf gegen Rechts“ der politischen Mehrheit unseres Landes, im Verbund mit den vorwiegend linksgrün gesinnten Medien, wird gern und häufig der Vorwurf erhoben, eine gesellschaftspolitische Position, die kritisch zur Einwanderung allgemein und insbesondere ihren gesellschaftlichen und kulturellen Verwerfungen steht, sei „völkisch“, mithin letztendlich die Fortsetzung des Nationalsozialismus, auf jeden Fall aber mit der grundgesetzlichen Garantie der Menschenrechte nicht vereinbar. Wäre dem tatsächlich so, verstießen solche politischen Forderungen in der Tat gegen einen tragenden Grundsatz unserer Verfassung und riefen zu Recht den Verfassungsschutz auf den Plan. Im Falle einer politischen Partei müßte das auch zum Verbot gemäß Art. 21 GG führen.

Beispielhaft kann dies im Urteil des Verwaltungsgerichts Köln vom 08.03.2022 zur Beobachtung der AfD durch das Bundesamt für den Verfassungsschutz nachgelesen werden. Der Verfassungsschutz und ihm folgend das Verwaltungsgericht in seiner – nicht rechtskräftigen, beim Oberverwaltungsgericht angefochtenen – Entscheidung heben unter anderem darauf ab, daß die Jugendorganisation der AfD (Junge Alternative) ein Menschen- und Gesellschaftsbild habe, wonach eingewanderte oder einen Migrationshintergrund aufweisende deutsche Staatsangehörige keine adäquate Vergleichsgruppe zum autochthonen Deutschen seien. Es existierten nach der Vorstellung der JA demnach deutsche Staatsangehörige erster und zweiter Klasse. Idealbild sei dort der autochthone Deutsche. Mit dem genannten Maßstab würden jedoch alle Deutschen ausgegrenzt, die nicht zu den autochthonen Deutschen zählten, da sie eingewandert seien oder einen Migrationshintergrund aufwiesen. Diese Klassifizierung sei auch für den Einzelnen unveränderlich, da sie auf einem ethnischen – und nicht auf einem kulturellen – Kriterium beruhe (RNr. 240 des Urteils). Maßgeblich hebt das Gericht auch auf zitierte Äußerungen des seinerzeitigen Parteivorsitzenden Alexander Gauland ab, wonach Kultur angeboren (!) sei. Damit werde deutlich, daß auch das kulturelle Element des Volksverständnisses letztlich abstammungsmäßig begründet werde. Gauland bediene sich ja auch der Formel des „Austauschs“ und erhebe den „Umvolkungs“-Vorwurf (RNr. 867).

Wer ernsthaft an der politischen Diskussion in unserem Lande teilnehmen will, der muß sich innerhalb des Verfassungsbogens bewegen, wie die etwas blumige metaphorische Umschreibung dafür lautet, daß die Grenzen der Meinungsfreiheit und des politischen Gestaltungswillens eben von den Grundwerten der Verfassung gezogen werden. Die deutsche Verfassung, das Grundgesetz, unterstreicht dies durch die sogenannte Ewigkeitsklausel des Art. 79 Abs. 3, wonach die in den Artikeln 1 und 20 GG beschriebenen Prinzipien auch nicht vom verfassungsändernden Gesetzgeber wesentlich verändert oder gar völlig aufgegeben werden dürfen.

In diesem Beitrag ist also zu untersuchen, wo die Grenze zwischen gesundem und verfassungskonformen Patriotismus und völkischer, und damit verfassungsfeindlicher Ideologie zu ziehen ist.

Schutz der Menschenwürde vs. völkischer Begriff der Ethnie resp. des Staatsvolks:

Seit der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 17.01.2017 im zweiten NPD-Verbotsverfahren (BVerfG NJW 2017, 611 ff.) wird vielfach angenommen, das Bundesverfassungsgericht habe in dieser Entscheidung den herkömmlichen Begriff von der historisch-kulturell gewachsenen und auch auf gemeinsamer Abstammung beruhenden Nation aufgegeben. Die Folge sei, daß man sich eine verfassungsfeindliche Einstellung vorhalten lassen müsse, wenn man weiterhin einen solchen Begriff der Nation vertrete. Das findet in der genannten Entscheidung keine Grundlage.

Die wesentlichen Passagen der Entscheidung zu diesem Teil der Problematik– daneben ging es um den wesentlichen Kern des Demokratiebegriffs unserer Verfassung – sollen daher erst einmal zitiert werden:

RNr. 541:         

Die Menschenwürde ist egalitär; sie gründet ausschließlich in der Zugehörigkeit zur menschlichen Gattung, unabhängig von Merkmalen wie Herkunft, Rasse, Lebensalter oder Geschlecht. Dem Achtungsanspruch des Einzelnen als Person ist die Anerkennung als gleichberechtigtes Mitglied in der rechtlich verfassten Gemeinschaft immanent. Mit der Menschenwürde sind daher ein rechtlich abgewerteter Status oder demütigende Ungleichbehandlungen nicht vereinbar. Dies gilt insbesondere, wenn derartige Ungleichbehandlungen gegen die Diskriminierungsverbote des Art. 3 Abs. 3 GG verstoßen, die sich –ungeachtet der grundsätzlichen Frage nach dem Menschenwürdegehalt der Grundrechte – jedenfalls als Konkretisierung der Menschenwürde darstellen. Antisemitische oder auf rassistische Diskriminierung zielende Konzepte sind damit nicht vereinbar und verstoßen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung.

Das Parteiprogramm der NPD vom 4./5.6.2010 indessen missachtet die durch die Garantie der Menschenwürde geschützte Subjektqualität des Einzelnen und verletzt den Anspruch auf elementare Rechtsgleichheit.

Denn

RNr. 639:

Die dem Programm vorangestellten „Grundgedanken“ lauten zwar: „Gleich sind die Menschen dagegen vor dem Gesetz und in der Unantastbarkeit ihrer Würde“. Zugleich wird dieses Bekenntnis zur Menschenwürde aber eingeschränkt, wenn es heißt: „Die Würde des Menschen als soziales Wesen verwirklicht sich vor allem in der Volksgemeinschaft“. Ihrem Verständnis des Vorrangs der „Volksgemeinschaft“ entsprechend fordert die Antragsgegnerin (die NPD) als oberstes Ziel deutscher Politik die Erhaltung des durch Abstammung, Sprache, geschichtliche Erfahrungen und Wertvorstellungen geprägten deutschen Volkes. Anzustreben sei die „Einheit von Volk und Staat“ und die Verhinderung einer „Überfremdung Deutschlands, ob mit oder ohne Einbürgerung“. Deutschland müsse das Land der Deutschen bleiben und dort, wo dies nicht mehr der Fall sei, wieder werden. Grundsätzlich dürfe es für Fremde in Deutschland kein Bleiberecht, sondern nur eine Rückkehrpflicht in ihre Heimat geben.

RNr. 640:

Auf dieser Grundlage wird von der Antragsgegnerin (der NPD) ein politisches Konzept entwickelt, das vor allem auf die strikte Exklusion und weitgehende Rechtlosstellung aller ethnisch Nichtdeutschen gerichtet ist.

RNr. 641:

Die Geltung der Grundrechte wird ausdrücklich auf alle Deutschen bezogen und die Anwendung des Solidaritätsprinzips auf die Gemeinschaft aller Deutschen beschränkt.

RNr. 642:

Die Antragsgegnerin (die NPD) fordert daher eine gesetzliche Regelung zur Rückführung der hier lebenden Ausländer („Rückkehrpflicht statt Bleiberecht“). Integration sei Völkermord.

Daraus folgert das Bundesverfassungsgericht:

RNr. 646:

„Vor allem aber zielt das Parteiprogramm auf einen rechtlich abgewerteten, nahezu rechtlosen Status aller, die der ethnisch definierten „Volksgemeinschaft“ im Sinne der Antragsgegnerin nicht angehören. Grundlage ist der Ausschluss der Nichtdeutschen aus dem Geltungsbereich der Grundrechte. Soweit die Antragsgegnerin dies mit dem Hinweis bestreitet, die fragliche Textstelle des Programms setzte sich lediglich kritisch mit der Unterdrückung der Meinungsfreiheit in Deutschland auseinander, steht dem bereits entgegen, daß, obwohl es sich nicht um ein Deutschengrundrecht handelt, die Meinungsfreiheit dennoch auf Deutsche begrenzt wird und für eine abweichende Behandlung anderer Grundrechte nichts ersichtlich ist.

RNr. 690:

Der von der Antragsgegnerin vertretene Volksbegriff ist verfassungsrechtlich unhaltbar. Das Grundgesetz kennt einen ausschließlich an ethnischen Kategorien orientierten Begriff des Volkes nicht. Insoweit hat das Bundesverfassungsgericht festgestellt, daß gemäß Art. 20 Abs. 2 Satz 1 GG das Volk, von dem die Staatsgewalt in der Bundesrepublik Deutschland ausgeht, „von den deutschen Staatsangehörigen und denen ihnen nach Art. 116 Abs. 1 gleichgestellten Personen“ gebildet wird. Für die Zugehörigkeit zum deutschen Volk und den daraus sich ergebenden staatsbürgerlichen Status ist demgemäß die Staatsangehörigkeit von entscheidender Bedeutung. Dabei überlässt das Grundgesetz dem Gesetzgeber, wie sich aus Art. 73 Abs. 1 Nr.2 und Art. 116 Abs.1 GG ergibt, die Regelung der Voraussetzungen für den Erwerb und den Verlust der Staatsangehörigkeit…. Die Auffassung der Antragsgegnerin, der Gesetzgeber sei bei der Konzeption des Staatsangehörigkeitsrechts streng an den Abstammungsgrundsatz gebunden, findet demgegenüber im Grundgesetz keine Stütze.

Demgemäß kommt bei der Bestimmung des „Volkes“ im Sinne des Grundgesetzes ethnischen Zuordnungen keine exkludierende Bedeutung zu. Wer die deutsche Staatsangehörigkeit erwirbt, ist aus der Sicht der Verfassung unabhängig von seiner ethnischen Herkunft Teil des Volkes. Diese verfassungsrechtliche Vorgabe steht in deutlichem Gegensatz zur Auffassung der Antragsgegnerin, nach deren Überzeugung der Erwerb der Staatsangehörigkeit nicht dazu führt, daß der Eingebürgerte Teil des deutschen Volkes wird.

RNr. 693:

Die Antragsgegnerin kann sich zur Begründung der Behauptung, einen verfassungsgemäßen Volksbegriff zu vertreten, auch nicht auf Art. 116 GG und den dazu ergangenen „Teso“-Beschluss des Zweiten Senats berufen. Zwar erweitert Art. 116 GG als Ausdruck der Pflicht, die Einheit des deutschen Volkes als Träger des Selbstbestimmungsrechts nach Möglichkeit zu bewahren, die Eigenschaft als Deutscher auf die sogenannten „Statusdeutschen“. Dies führt aber nicht dazu, daß der Volksbegriff des Grundgesetzes sich vor allem oder auch nur überwiegend nach ethnischen Zuordnungen bestimmt. Vielmehr erhält Art.116 GG als Kriegsfolgenrecht erst dadurch Sinn, daß der Träger der deutschen Staatsgewalt im Ausgangspunkt durch die Gesamtheit der deutschen Staatsangehörigen zu definieren ist. Im „Teso“-Beschluss hatte das Bundesverfassungsgericht darüber zu befinden, ob der Erwerb der Staatsbürgerschaft der Deutschen Demokratischen Republik durch eine Person, die von einem italienischen Vater abstammte, zugleich den Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit im Sinne des Grundgesetzes zur Folge hatte. Daß das Bundesverfassungsgericht dies – unabhängig von der ethnischen Zuordnung –bejahte, dokumentiert die fehlende Ausschließlichkeit der ethnischen Herkunftfür die Bestimmung der Zugehörigkeit zum deutschen Volk.

Soweit das Bundesverfassungsgericht in dieser Entscheidung.

Politisches Ziel einerseits und Rechtsstatus andererseits

Davon zu unterscheiden ist das politische Ziel der Wahrung der Identität der Nation bzw. des ethnisch-kulturell verstandenen Volkes. So hat das Verwaltungsgericht Berlin bereits in der Republikaner-Entscheidung vom 31.01.1998, bestätigt vom OVG Berlin-Brandenburg mit Urteil vom 06.04.2006, Az. 3 B 3.99, festgestellt, daß eine verfassungsrechtliche Verpflichtung, Einwanderung zu erlauben bzw. hinzunehmen, die vielleicht dazu führt, daß die Deutschen im ethnisch-kulturellen Sinn in eine Minderheitsposition gedrängt werden, wie dies in Stadtteilen oder Schulen bereits vielerorts der Fall ist, nicht besteht. Murswiek weist zu Recht daraufhin, daß es ein legitimes Ziel der Politik ist, sich dafür einzusetzen, daß die Bevölkerungsstruktur des deutschen Staates im Wesentlichen erhalten bleibt und sich nicht durch Einwanderung grundlegend ändert. (Dietrich Murswiek, Verfassungsschutz und Demokratie, Duncker & Humblot 2020, S. 169). Demgemäß hat das Bundesverwaltungsgericht festgestellt, die Wahrung der geschichtlich gewachsenen nationalen Identität bzw. die Verhinderung von „Überfremdung“ seien Ziele, die als solche nicht gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung verstoßen. Eine verfassungsfeindliche Haltung wäre allerdings dann erkennbar, wenn Ausländern ihre Menschenrechte abgesprochen und ihre wohlerworbenen Rechte rechtsstaatswidrig aberkannt werden sollten oder wenn ihnen mit rechtsstaatswidrigen Mitteln begegnet werden sollte, wenn sie also ausgegrenzt oder gar vertrieben werden sollten. Das ist kein legitimes Ziel. Wohl aber ist es verfassungskonform, den Umfang der Zuwanderung zu begrenzen und sie auch inhaltlich zu steuern dahingehend, daß auf Kriterien wie Ausbildung und Bekenntnis zu den Grundwerten unserer Verfassung abgestellt wird.

Zum kollekivistischen Menschenbild und exkludierenden ethnischen Volksbegriff:

Die politische Linke in Deutschland wirft konservativen, patriotisch gesinnten Denkern vorr, ein kollektivistisches Menschenbild zu vertreten, in dem der einzelne Mensch in seiner personalen Würde nicht uneingeschränkt Träger der Grundrechte ist, sondern nur als Teil einer sogenannten deutschen Volksgemeinschaft. Dieser wiederum könne nur angehören, wer ethnisch Deutscher sei, die (bloße) Staatsangehörigkeit reiche nicht aus. Man bezieht sich dazu vor allem auf die eingangs zitierte NPD-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 17.01.2017. Die Belege für diesen Vorwurf sind konstruiert und finden sich jedenfalls in aussagekräftiger Formulierung nirgends in den Publikationen außerhalb des rechtsextremistischen Spektrums. Auch ist nicht etwa die Bezeichnung „Passdeutscher“ für eingebürgerte Deutsche aus fremden Herkunftsländern diskriminierend in diesem Sinne. Wie dargelegt, ist diese Formulierung ohne weiteres als Kritik am Verhalten gewisser Einwanderer zu verstehen, die sich über ihre formale Staatsbürgerstellung hinaus ganz offensichtlich nicht mit deutschen kulturellen Traditionen und den Lebensgewohnheiten der Aufnahmegesellschaft anfreunden wollen, und auch tragende Verfassungsgrundsätze, wie zum Beispiel die Gleichberechtigung von Mann und Frau, nicht anerkennen wollen. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist mehrdeutigen Begriffen im Zweifel zugunsten dessen, der sich so äußert, die Bedeutung zu unterlegen, die nicht rechtswidrig ist.

Im Hinblick auf die leider verbreitete, aber irrige Rechtsauffassung  Art. 116 Abs. 1 GG kenne nur einen einheitlichen Begriff des Staatsvolkes, denn das Staatsvolk der Bundesrepublik Deutschland sei identisch mit den deutschen Volk im Sinne von Art. 116 Abs. 1 GG, ist die nachfolgende Klarstellung geboten:

Deutscher im Sinne von Art 116 Abs. 1 GG:

Richtig wird zunächst argumentiert, die Forderung nach dem Erhalt der ethnokulturellen Identität einer Bevölkerungsgruppe bewege sich innerhalb des Rahmens der freiheitlichen demokratischen Grundordnung. Mindestens schief jedoch wird es wenn gesagt wird, extremistisch sei eine Bestrebung aber dann, wenn sie sich gegen die Norm richte, daß das Staatsvolk der Bundesrepublik Deutschland mit dem deutschen Volk im Sinne von Art. 116 Abs. 1 GG identisch sei – oder anders: wenn die Nichtzugehörigkeit von ethnisch Fremden zum deutschen Volk behauptet und somit für eine Identität von Ethnos und Demos plädiert werde. Das ist falsch. Es findet auch keine Entsprechung in Art. 116 Abs. 1 des Grundgesetzes. Das belegt eindrucksvoll die verfassungsrechtliche Literatur.

Ich zitiere aus der Kommentierung von Herdegen zur Präambel in Dürig/Herzog/Scholz, RNr. 51: Schon in der Präambel des Grundgesetzes findet sich der Begriff „deutsches Volk“. Er bezeichnet schlicht das Staatsvolk. Die Präambel verweist damit auf das Volk unter dem Dach einer bestehenden, und dem Grundgesetz vorausliegenden staatlichen Ordnung. Dieses Volk hat in Ausübung seiner verfassungsgebenden Gewalt der Bundesrepublik Deutschland (im übergreifenden Rahmen des Deutschen Reiches) eine neue Grundordnung verliehen. Das deutsche Staatsvolk umfasst die Gesamtheit derjenigen, die die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen oder nach Art. 116 Abs. 1 GG den Staatsangehörigen gleichgestellt sind (sog. Statusdeutsche). Entscheidendes Merkmal ist grundsätzlich die Staatsangehörigkeit. Zu ethnischen oder kulturellen Kriterien verhält sich der Begriff des „deutschen Volkes“ insoweit indifferent. Nur bei den „Statusdeutschen“ wird bei der Ermittlung „deutscher Volkszugehörigkeit“ nach Art. 116 Abs. 1 GG auf Merkmale einer gemeinsamen Ethnie wie Abstammung, Sprache, Erziehung oder Kultur abgestellt.

Statusdeutsche werden dort in der Kommentierung zu Art. 116 Abs. 1 (Bearbeiter Giegerich) unter Verwendung des Begriffs „Volksdeutsche“ anstelle der gesetzlichen Formulierung „deutscher Volkszugehörigkeit“ als Angehörige zwar der deutschen Kulturnation, aber nicht unbedingt der deutschen Staatsnation definiert. Im gleichen Sinne auch Masing in v. Mangoldt/Klein/Stark, 6. Aufl. zu Art. 116 RNr. 92. Wir verkennen nicht, daß diese Vorschrift ursprünglich nur eine Schutzfunktion für deutsche Minderheiten im Ausland hatte, oder um es mit dem Kommentator in RNr. 29 zu formulieren, die „offene Tür nach Deutschland“ für deutsche Minderheiten im Ostblock zu sein. Dies setzt aber nach der Kommentierung in RNr. 71 voraus, daß die Betreffenden das Bekenntnis zum deutschen Volkstum in der Heimat durch bestimmte Merkmale wie Abstammung, Sprache, Erziehung und Kultur bestätigen. Dies wiederum setzt begrifflich voraus, daß der Begriff des Deutschen im Sinne des Grundgesetzes unter Berücksichtigung ethnosoziologischer und ethnischer Gesichtspunkte bestimmt ist (vergl. Gnatzky in Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hennecke, Grundgesetz, 14. Aufl. 2018, RNr. 6 unter Bezugnahme auf die Urteile des Bundesverfassungsgerichts vom 31.10.1990, amtliche Sammlung BVerfGE 83, 37 ff., 60 ff.).

Der Vorwurf, eine Klassifizierung deutscher Staatsangehöriger in erster und zweiter Klasse vorzunehmen unterstellt, diese Klassifizierung erfolge auf der Grundlage ethnischer Unterscheidung. Das ist falsch, denn diese Klassifizierung macht sich am Verhalten der betreffenden Personen fest, gleichgültig, ob eingebürgerte oder einheimische Deutsche. Soweit ersichtlich, fordern Autoren aus dem konservativ-patriotischen Lager sowohl von den Abstammungsdeutschen wie von den Statusdeutschen das aktive Bekenntnis zu den deutschen Werten, wie sie vor allem im Grundgesetz manifestiert sind, und des Weiteren zu den kulturellen Traditionen des Landes. Und ebenso fordern sie dies von denjenigen ein, die deutsche Staatsbürger werden wollen.

Damit tun sie nichts anderes, als Frankreich von seinen Zuwanderern im Code Civil verlangt. Gemäß Art. 21-4 Code Civil kann die französische Regierung dem Erwerb der französischen Staatsangehörigkeit durch den ausländischen Ehegatten innerhalb einer Frist von zwei Jahren wegen Unwürdigkeit oder mangelnder Assimilation durch Dekret des Staatsrates widersprechen. So zum Beispiel im Falle der Polygamie oder bestimmter Straftaten. Wenn jedoch Frankreich, gewissermaßen das Mutterland der Menschenrechte, den Erwerb der Staatsbürgerschaft von hinreichender Assimilation abhängig macht, dann sollte klar sein, daß auch Deutschland an seine Einwanderer, die seine Staatsangehörigkeit erwerben wollen, derartige Verhaltensforderungen stellen kann.

Der Schutz der kulturellen Identität der Deutschen durch ihren Staat

Die ethnisch-kulturelle Identität gegen ihre Auflösung durch Einwanderung aus anderen Kulturen zu schützen, wird – wenn es um andere Völker geht – auch von Bundesregierung und Bundestag anerkannt. So hat der Bundestag die Massenansiedlung von Chinesen in Tibet als Zerstörung der tibetischen Identität und Kultur kritisiert (BT Drucks. 13/4445; BT-Prot. 13/10086, 10107). Die Verfassung des Landes Sachsen-Anhalt zum Beispiel schützt in ihrem Art. 37 die kulturelle Eigenständigkeit und politische Mitwirkung ethnischer Minderheiten. Also ein Beispiel dafür, daß ein ethnischer Volksbegriff Verfassungsrang hat, der Schutz ethnischer Minderheiten ebenso. Im logisch zwingenden Umkehrschluß gilt dies auch für die ethnische Mehrheit.

Der Begriff des Volkes im Sinne von Ethnos und nicht im Sinne von Demos, also auch im Zusammenhang mit Abstammung und angestammtem Siedlungsgebiet findet sich jedoch auch durchgängig in Publikationen der Bundesregierung. Zu verweisen ist etwa auf die Broschüre des Bundesinnenministeriums: „Deutsche Minderheiten stellen sich vor“. Das Bundesinnenministerium legt in dieser Broschüre durchgängig einen ethnisch-kulturellen Begriff des Volkes, und gerade des deutschen Volkes zu Grunde. Sämtlichen dort vorgestellten deutschen Minderheiten in Staaten wie Belgien oder Usbekistan wird als Unterscheidungsmerkmal von der umgebenden Mehrheitsbevölkerung ihre Abstammung, ihre spezifisch deutsche kulturelle Prägung und ihr angestammtes Siedlungsgebiet zugeschrieben. Die Bundesregierung misst dem Schutz und der Förderung dieser deutschen Minderheiten auch einen entsprechenden Stellenwert bei. Das Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat (BMI) förderte Deutsche Minderheiten in Europa in den Jahren 2017-2020 mit 91,45 Millionen €; im Jahr 2021 war eine Förderung in Höhe von 25,21 Millionen € vorgesehen. Ziele der Förderung sind die Stärkung der deutschen Gemeinschaften, die Verbesserung der Lebensperspektiven sowie der Erhalt der ethnokulturellen Identität insbesondere durch Sprach- und Jugendförderung (Bundestagsdrucksache 19/32556, S. 22 Nr. 28). Damit kommt sie dem Auftrag nach, den die Vereinten Nationen in ihrer Entschließung vom 18.12.1992 formuliert haben.  Aus dem gleichen Grunde unterstützt sie indigene Völker auf der ganzen Welt beim Kampf um ihre Rechte.

Amtliche Definition des Indigenen

Zu verweisen ist in diesem Zusammenhang beispielhaft auf die vom Auswärtigen Amt herausgegebene Zeitschrift für die Vereinten Nationen und ihre Sonderorganisationen, Heft 4/2021. Dort findet sich die Definition indigener Völker im Beitrag von Theodor Rathgeber. Es lohnt sich daraus zu zitieren: „Der Begriffsteil >indigen< beansprucht erstens, daß Menschen und Gemeinschaften die aus ihrer Herkunft stammenden (Kultur-)güter nach eigenem Ermessen für ihre Lebensentwürfe verfügbar machen und selbstbestimmt weiterentwickeln wollen. Bei Sprache, Religion oder Musik gilt das für ethnische und religiöse Minderheiten auch…. Zum anderen drückt >indigen< den Anspruch aus, über ein historisch verbürgtes Siedlungsgebiet und dort befindliche Ressourcen ein Eigentumsrecht ausüben zu können… Der Begriff fußt zweitens außerdem, neben anthropologischen und historischen Kriterien, auf dem Merkmal der – plausiblen – Selbstidentifikation…. Das Element der Selbstidentifikation enthält ebenso den Aspekt der offenen Entwicklung. Angehörige indigener Völker reklamieren für sich keine museale, anthropologisch-historisch fixierte Existenz, sondern beanspruchen eine Weiterentwicklung nach eigenem Ermessen…. Drittens enthält der Begriff >indigene Völker< den Anspruch auf die Selbstbestimmung der Völker entsprechend dem Völkerrecht.“

Auf Art. 37 der Verfassung des Landes Sachsen-Anhalt („Die kulturelle Eigenständigkeit und die politische Mitwirkung ethnischer Minderheiten stehen unter dem Schutz des Landes und der Kommunen“) soll nochmals hingewiesen werden.

Ethnische Minderheiten und ethnische Mehrheiten haben eins gemeinsam: die ethnische Identität

Wenn indessen ethnische Minderheiten überhaupt als solche in dieser Weise definiert werden, und zwar gleichgültig, ob es sich um deutsche Minderheiten in anderen Ländern, ethnische Minderheiten wie etwa die Sorben oder die Friesen in der Bundesrepublik Deutschland, oder aber ethnische Minderheiten wie indigene Völker handelt, dann folgt daraus zwingend, daß es neben der staatsrechtlichen Kategorie des Staatsvolkes (Demos) eine andere Kategorie von Volk gibt, eben eine Großgruppe, die über Abstammung, Kultur und Siedlungsgebiet definiert wird (Ethnos). Spitz gefragt: vertreten die Vereinten Nationen und die Bundesrepublik Deutschland einen menschenwürdewidrigen ethnischen Volksbegriff?

Die Frage der nationalen Identität gewinnt insbesondere im Zusammenhang mit der Definition nationaler Interessen an Bedeutung.  Jüngst hat sich damit Klaus von Dohnanyi in seinem  Buch „Nationale Interessen – Orientierung für deutsche und europäische Politik in Zeiten globaler Umbrüche“ beschäftigt. So nimmt er zustimmend Bezug auf das Buch der Trägerin des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels 2018, Aleida Assmann „Die Wiedererfindung der Nation. Warum wir sie fürchten und warum wir sie brauchen“, indem er den Satz anfügt: „Ja, auch Deutschland braucht eine nationale Identität.“ (S. 22). Nationale Interessen in Europa sind für ihn auch kein Nationalismus. Vielmehr stellt er fest: „Nationale Interessen werden sich zwangsläufig der Internationalisierung und Europäisierung insbesondere dort entgegenstellen, wo der Nationalstaat nur selber die besonderen sozialen Antworten im Interesse der demokratischen Nation finden kann. Denn nur der einzelne Nationalstaat ist angesichts seiner gesellschaftlichen, demokratischen und immer auch besonderen kulturellen Strukturen in der Lage, die demokratische Feinsteuerung der oft schmerzhaften und unbeliebten sozialpolitischen Antworten auf die Folgen der Internationalisierung durchzusetzen. Nur der soziale Nationalstaat hat dafür die demokratische >Legitimation<“. Zum einen steht auch für Klaus von Dohnanyi außer Frage, daß der Nationalstaat, mit dessen legitimen Interessen er sich in diesem Buch beschäftigt, eine nationale Identität nicht nur hat, sondern auch braucht, und daß dies auch für Deutschland gilt. Und zum anderen hat er eben unter anderem besondere kulturelle Strukturen. All das ist jenseits der bloßen staatsrechtlichen Definition als Verband von Bürgern mit gleicher Staatsangehörigkeit.

Die Menschenrechte sind nicht nur Minderheitenrechte

Das ist auch internationales Recht. Art. 1 Abs. 1 der UN-Deklaration über Minderheitenrechte vom 18.12.1992, A/RES/47/135 legt fest: „Die Staaten schützen die Existenz und die nationale oder ethnische, kulturelle, religiöse und sprachliche Identität der Minderheiten in ihrem Hoheitsgebiet und begünstigen die Schaffung von Bedingungen für die Förderung dieser Identität.“

Wenn es aber sowohl völkerrechtlich als auch verfassungsrechtlich festgeschrieben ist, daß ethnische Minderheiten einen Anspruch auf Wahrung und Förderung ihrer Identität haben, und dies auch in Deutschland traditionelle staatliche Praxis ist, wie Schutz und Förderung der Rechte alteingesessener ethnischer Minderheiten wie der Dänen, Sorben, Friesen, Sinti und Roma zeigen,dann ist die Förderung von Kultur und Traditionen der ethnischen Mehrheit zweifellos ebenso legitim. Soweit also diese Förderung von Kultur und Traditionen der ethnisch Deutschen eingefordert wird, kann dies nicht als Propagierung eines „völkischen“ Verständnisses der Nation gewertet werden. 

Die relative Homogenität des Volkes hat Verfassungsrang

Das Bundesverfassungsgericht hat im Maastricht-Urteil die relative Homogenität eines Volkes jedenfalls in kultureller Hinsicht als Voraussetzung für demokratische Legitimation bezeichnet. Der ehemalige Richter des Bundesverfassungsgerichts Professor Ernst-Wolfgang Böckenförde hat das Thema so umschrieben:

„Der spezifische Charakter der demokratischen Gleichheit… zielt – über die formelle rechtliche Zugehörigkeit, die die Staatsangehörigkeit vermittelt, hinausweisend – auf ein bestimmtes inhaltliches Substrat, zuweilen substantielle Gleichheit genannt, auf dem die Staatsangehörigkeit aufruht. Hier meint Gleichheit eine vor-rechtliche Gemeinsamkeit. Diese begründet die relative Homogenität, auf deren Grundlage allererst eine auf der strikten Gleichheit der politischen Mitwirkungsrechte aufbauende demokratische Staatsorganisation möglich wird; die Bürger wissen sich in den Grundsatzfragen politischer Ordnung ,gleich‘ und einig, erfahren und erleben Mitbürger nicht als existenziell anders oder fremd und sind – auf dieser Grundlage – zu Kompromissen und loyaler Hinnahme der Mehrheitsentscheidungen bereit“. (Ernst-Wolfgang Böckenförde, Demokratie als Verfassungsprinzip, Handbuch des Staatsrechts II,3. Aufl. 2004, § 24 RNr. 47).

Demgemäß weist der Verfassungsrechtler Rupert Scholz auch auf die Notwendigkeit einer gewissen Identitätswahrung hin: „Sollte die Einwanderung solche Ausmaße annehmen, daß dessen (des Staatsvolkes) Identität sich verändert, dann ist das mit dem Grundgesetz wohl nicht mehr zu vereinbaren.“ (Rupert Scholz „Das schwächt die Verfassung“, Interview mit Moritz Schwarz in Junge Freiheit v. 21.06.2019 S. 3). Martin Wagener („Kulturkampf um das Volk“) zitiert Paul Kirchhof, der seines Erachtens klarstellt, daß es im Rahmen der freiheitlichen Ordnung des Grundgesetzes natürlich zur Entfaltung unterschiedlicher Kulturen kommen könne. Kirchhof sieht allerdings auch eine Grenze, die zu beachten die Aufgabe des Staates sei: „Würde das Stichwort der Multikulturalität hingegen als ein Wettbewerb gegenläufiger Kulturen gedeutet, dessen Ergebnis sich der nur beobachtende Staat zu eigen machte, so wäre die Freiheitlichkeit gelegen und missverstanden…. Zu der rechtlich vorgefundenen Wirklichkeit, die der Staat zu achten und auszugestalten hat, gehört das Staatsvolk, die Nation, die den konkreten Verfassungsstaat rechtfertigt, seine Aufgaben und Maßstäbe bestimmt.“ (Paul Kirchhof, Der Staat als Organisationsform politischer Herrschaft und rechtlicher Bindung, DVBl 99,642). Wagener leitet daraus ab, daß es im vorrechtlichen Raum nicht nur eine kulturelle Identität gibt, sondern auch einen Ursouverän, der diese kreiert hat. Das deutsche Volk hat sich somit als Kulturnation nach den Einigungskriegen einen eigenen Staat gegeben. (Martin Wagener, Kulturkampf um das Volk, Lau Verlag 2021, S. 114 ff.). Zu Recht zitiert er insoweit aus dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 31.07.1973 zum Grundlagenvertrag: „Mit der Errichtung der BRD wurde nicht ein neuer westdeutscher Staat gegründet,sondern ein Teil Deutschlands neu organisiert. Die BRD ist also nicht ,Rechtsnachfolger‘ des Deutschen Reiches, sondern als Staat identisch mit dem Staat ,Deutsches Reich‘, – in Bezug auf seine räumliche Ausdehnung allerdings ,teilidentisch‘. Das historische deutsche Volk – der Ursouverän – von 1871 ist folglich mit jenem von 1949 kulturell und damit identitär verbunden“ (BVerfGE 36, 1 ff.). Wagener weiter: „Zur Politik des Ursouveräns gehörte – abgesehen von den Jahren1933-1945 – nie die Absicht, das friedliche Zusammenleben mit Menschen anderer Kulturen auszuschließen; deutsche Staatsbürger konnten und können natürlich auch Menschen ohne deutsche Volkszugehörigkeit werden. Nicht vorgesehen waren dagegen eine sich ausbreitende Islamisierung in einem christlich-abendländisch geprägten Land und die Entstehung ganzer Parallelgesellschaften.“

Eine gültige Definition hat seinerzeit Richard von Weizsäcker in einer Rede vom 24. Februar 1972 im Deutschen Bundestag gegeben: „Ich meine, Nation ist ein Inbegriff von gemeinsamer Vergangenheit und Zukunft, von Sprache und Kultur, von Bewusstsein und Wille, von Staat und Gebiet. Mit allen Fehlern, mit allen Irrtümern des Zeitgeistes und doch mit dem gemeinsamen Willen und Bewusstsein hat diesen unseren Nationbegriff das Jahr 1871 geprägt. Von daher – und nur von daher – wissen wir, daß wir uns als Deutsche fühlen. Das ist bisher durch nichts anderes ersetzt.“ (Deutscher Bundestag, 6. Wahlperiode, 172. Sitzung, Bonn 24.02.1972, S. 9838). Auch in jüngerer Zeit haben führende Politiker unseres Landes auf die Problematik hingewiesen, die eine unkontrollierte und administrativ nicht mehr zu steuernde Zuwanderung aus fremden Kulturkreisen mit sich bringen kann. Helmut Schmidt, dem noch nie jemand auch nur eine Neigung zum Rechtsextremismus vorgeworfen hat, äußerte sich im „FOCUS“ am 01.03.2016 so: „Wir müssen eine weitere Zuwanderung aus fremden Kulturen unterbinden. Die Zuwanderung von Menschen aus dem Osten Anatoliens oder aus Schwarzafrika löst das Problem nicht, sondern schafft nur einzusätzliches dickes Problem.“ Deutschland habe sich in den vergangenen 15 Jahren übernommen, führt er weiter aus und erklärt: „Wir sind nicht in der Lage gewesen, diese Menschen wirklich zu integrieren.“  Auch der heutige bayerische Ministerpräsident Markus Söder äußerte sich am 10.10.2015 in einem Interview mit dieser Zeitschrift besorgt im Hinblick auf die Folgen der massenhaften unkontrollierten Zuwanderung. Auf die Frage: „Wieviele Flüchtlinge halten Sie für verkraftbar? 500.000 pro Jahr, wie Sigmar Gabriel meint?“ antwortete der damalige bayerische Finanzminister: „Im Grunde haben wir die Grenzen der Belastbarkeit schon jetzt überschritten. Wir werden in diesem Jahr 1 Million Flüchtlinge oder mehr aufnehmen müssen. Das bedeutet, daß wir weniger Geburten im Lande haben als Zuwanderung. Die Generation 2015 wird damit als Minderheit im eigenen Land geboren. Dies ist auf die Dauer nicht haltbar. Wenn es uns nicht gelingt, die jetzige Zuwanderung rasch und massiv zu begrenzen, sind wir bald nicht nur finanziell, sondern auch kulturell überfordert.“ Auf die weitere Frage: „Die meisten Zuwanderer derzeit sind Muslime. Was heißt das eigentlich für deren Integration?“ antwortete er: „Integration ist jetzt die größte Herausforderung für unser Land. Alles, was im Moment geschieht, wird sich noch 2020 und 2030 auswirken. Denn wir verändern derzeit die kulturelle Statik des Landes.“ Anders gewendet, die Auseinandersetzung mit Problemen der Zuwanderung nicht nur in wirtschaftlicher und finanzieller Hinsicht, sondern auch im Hinblick auf Kultur und Traditionen ist jedenfalls für sich genommen kein Beleg für eine„völkische“, die Menschenwürde missachtende Einstellung.

Die Verfassung erlaubt zweifelsfrei Auswahlkriterien bei der Zuwanderung  

Die Problematisierung der Zuwanderung schließt es ja nicht aus, daß ethnisch fremde Zuwanderer deutsche Staatsbürger werden, wie dies übrigens ja schon seit Jahrhunderten praktisch gehandhabt worden ist und weiter gehandhabt wird. Das Bundesverfassungsgericht hat der NPD lediglich bescheinigt, daß sie einen ausschließlich ethnischen Volksbegriff vertritt, der jegliche Aufnahme von ethnisch Fremden in das gewachsene Volk ausschließt. Es hat nicht entschieden, daß ethnisch fremde Zuwanderer grundsätzlich als Staatsbürger aufgenommen werden müssen. Es hat vielmehr festgehalten, daß ethnisch fremde Zuwanderer aufgenommen werden können. Noch viel weniger ist es der Politik verwehrt, die Zuwanderung, aber auch die Aufnahme in die Staatsbürgerschaft an anderen Kriterien als der ethnischen Zugehörigkeit festzumachen. Die Änderung des Staatsangehörigkeitsrechts im Jahr 2000 dahingehend, daß das ius sanguinis (die Abstammung vermittelt die Staatsbürgerschaft) durch ein (modifiziertes) ius soli (der Geburtsort vermittelt die Staatsbürgerschaftersetzt wurde, war ja nicht vom Bundesverfassungsgericht angeordnet worden, sondern beruhte auf einer politischen Entscheidung der Parlamentsmehrheit. Das Grundgesetz selbst ist in dieser Frage neutral. Also kann der Gesetzgeber das Einwanderungsrecht etwa an beruflichen Qualifikationen, der Fähigkeit sich selbst wirtschaftlich zu unterhalten und auch an der straffreien Lebensführung oder auch an den Kapazitäten des Schulwesens, dem vorhandenen und kurzfristig zu schaffenden Wohnraum und ähnlichem mehr ausrichten. Denn all diese Kriterien sind völlig unabhängig von der ethnischen Identität der betroffenen Person. Sie sind vielmehr von jedem Menschen bzw, Staat kraft seines Willens beeinflussbar. Genau diese Fähigkeit ist Bestandteil der Menschenwürde bzw. Daseinszweck des Staates. Zweifellos wäre der Gesetzgeber von Verfassungs wegen auch nicht gehindert, im Staatsangehörigkeitsrecht zum ius sanguinis zurückzukehren. Das Staatsangehörigkeitsrecht vor dem Jahr 2000 war ja unstreitig nicht verfassungswidrig. Politik und Recht sind nun einmal zwei unterschiedliche Lebenswirklichkeiten, die auch nur teilweise deckungsgleich sind.

Aus dem vorstehenden wird klar, wie die Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts in RNr. 690 seines Urteils vom 17.01.2017 zu verstehen sind. Das Grundgesetz kennt demgemäß keinen ausschließlich an ethnischen Kategorien gebildeten Begriff des Volkes. Für die Zugehörigkeit zum deutschen Volk im Rechtssinne und die sich daraus ergebenden staatsbürgerlichen Rechte gilt allein Art. 20 Abs. 2 Satz 1 in Verbindung mit Art. 116 GG. Die Verfassung kennt eben keinen exklusiven ethnischen Volksbegriff, der es eben von Verfassungs wegen unmöglich machen würde, ethnisch Fremden den Zugang zur deutschen Staatsangehörigkeit zu verschließen. Wenn der Gesetzgeber einfachgesetzlich über das Staatsangehörigkeitsrecht die Abstammung oder den Geburtsort maßgeblich sein lässt, dann ist von Verfassungs wegen beides möglich. Nicht möglich indessen ist es, ein Staatsangehörigkeitsrecht wie wir es derzeit haben dadurch gewissermaßen zu modifizieren, daß in rechtlicher Hinsicht zwischen ethnisch und rechtlich Deutschen unterschieden wird. Ebenso unvertretbar ist es, Deutschen mit Migrationshintergrund die Zugehörigkeit zur Nation, und zwar zur ethnischen Nation, allein wegen ihrer Geburt abzusprechen. Wohl aber ist es auch rechtlich zulässig, solche Menschen dann nicht als wirklich „zu uns“ gehörend zu bezeichnen, wenn ihr Verhalten erkennen lässt, daß sie sich selbst nicht unserer Kultur zugehörig fühlen, insbesondere die Grundwerte unserer Verfassung nicht anerkennen wollen, soweit diese mit ihrer eigenen Auffassung von Kultur und Religion nicht deckungsgleich sind. Denn, wie oben dargelegt, es ist legitim, die relative Homogenität des Staatsvolkes erhalten zu wollen (Wolfgang Böckenförde).

Fazit

Der Streit um den „völkischen“ Begriff der Nation ist an und für sich überflüssig und mit Blick auf die Rechtslage auch unverständlich. Der AfD kann man nur empfehlen, aus den zitierten Gerichtsurteilen dahingehend zu lernen, daß man sich vom politischen Pöbel und dem intellektuellen Prekariat, wobei es hier große Schnittmengen gibt, trennen muß. Gerade die Entscheidung des Verwaltungsgerichts Köln, die mit einer Unmenge von Zitaten aus Reden und Posts in den sozialen Netzwerken aufwartet, zeigt deutlich, daß das Problem dieser Partei nicht ihr Programm, nicht die Stellungnahmen ihres Vorstandes zu diesem Thema, sondern eben der genannte Pöbel und unverbesserliche Nationalnostalgiker wie Höcke sind. Man muß sich eben der Realität stellen.


Die Deutschland GmbH

Es gibt in Deutschland Leute, die von den tragenden Rechtsgrundlagen unseres Landes merkwürdige Vorstellungen haben. Das reicht von der Vorstellung, die Bundesrepublik Deutschland existiere von Rechts wegen nicht, weil nun einmal das Deutsche Reich bestehe und/oder die Bundesrepublik Deutschland ja gar keine Verfassung, sondern nur ein Grundgesetz habe. Diese Organisation könne daher allenfalls als GmbH oder AG betrachtet werden. Nun finden sich derartige Rechtsauffassungen im juristischen Schrifttum nirgends. Allein das sollte neutralen und verständigen Betrachtern des Zeitgeschehens genügend Anlass geben, die Rechtsauffassung dieser Zeitgenossen mit größter Vorsicht zur Kenntnis zu nehmen. Etwa so, wie man die von der Schulmedizin weit abweichenden Vorstellungen von sogenannten „Heilern“ ohne irgendwelche medizinische Ausbildung, geschweige denn ein erfolgreich absolviertes Medizinstudium mit Approbation, als merkwürdige Vorstellungen von Außenseitern zur Kenntnis nimmt, denen man selbst wohl kaum zu folgen geneigt ist. Soweit ersichtlich, wird auch kaum jemand physikalische „Erkenntnisse“ von Menschen ohne abgeschlossenes Studium der Physik wirklich ernst nehmen. Indessen scheint generell die Bereitschaft mancher Menschen, auf dem Gebiet des Rechts eigenen Vorstellungen den Vorzug vor den Erkenntnissen der Rechtswissenschaft und den Urteilen der Gerichte zu geben, durchaus nicht ganz ungewöhnlich zu sein. Woran das liegt, ist mir schleierhaft. Vielleicht liegt es auch nur daran, daß Gesetze zwar jedermann lesen kann, was aber noch lange nicht heißt, daß er ihren Sinn auch verstehen kann. Deutsch zu können ist das eine, Jurist zu sein das andere. Im nachfolgenden wollen wir uns also mit einigen der populären Irrtümer auf diesem Gebiet befassen.

Grundgesetz versus Verfassung

Eine verbreitete Vorstellung geht dahin, daß die Bezeichnung unserer Verfassung als Grundgesetz klarstellen soll, daß es sich bei dem Grundgesetz eben nicht um eine Verfassung handele. Diese Leute argumentieren denn auch mit dem Text von Art. 146 des Grundgesetzes, der bis zur Wiedervereinigung lautete: „Dieses Grundgesetz verliert seine Gültigkeit an dem Tage, an dem eine Verfassung in Kraft tritt, die von dem deutschen Volke in freier Entscheidung beschlossen worden ist.“ Nach der Wiedervereinigung ist diesem Satz nach dem Wort „Grundgesetz“ der Halbsatz eingefügt worden „das nach der Einheit und Freiheit Deutschlands für das gesamte deutsche Volk gilt,“. In der Tat ergibt sich aus der Präambel des Grundgesetzes, die nach einhelliger Meinung aller Juristen wie die der anderen auch anderer Verfassungen der Staaten dieser Erde Teil des Verfassungstextes ist, daß dieses Grundgesetz (zunächst) für eine Übergangszeit gelten soll. Diese Übergangszeit sollte nach dem Verfassungsauftrag in Art. 23, 146 auch mit der Wiedervereinigung enden.

Ein weiterer Makel des Grundgesetzes, der die fehlende Verfassungsqualität begründen soll, soll dann der Umstand sein, daß es nicht vom deutschen Volk beschlossen worden ist, auch nicht nach der Wiedervereinigung. Nun heißt es ausdrücklich in der ursprünglichen Präambel bereits, daß sich das deutsche Volk in den dort aufgezählten (alten) Bundesländern kraft seiner verfassungsgebenden Gewalt dieses Grundgesetz gegeben hat. Ein rechtsvergleichender Blick in die Verfassungsgeschichte anderer Staaten zeigt, daß auch deren Verfassungen jeweils von verfassunggebenden Versammlungen beschlossen worden sind, die aus den Parlamenten von Gliedstaaten oder einer Parlamentskammer entstanden sind, bzw. von Parlamenten, die sich eben zur verfassungsgebenden Versammlung erklärt haben. Die Vorstellung, eine Verfassung könne nur zustande kommen, indem sie vom gesamten Volk etwa in einer Volksabstimmung angenommen würde, findet jedenfalls in der Verfassungsgeschichte nirgendwo eine Bestätigung

Ein weiteres Argument dafür, daß das Grundgesetz keine Verfassung im eigentliche Sinne sein könne, ist eben die Bezeichnung als Grundgesetz und nicht als Verfassung. Indessen ist die Bezeichnung zweitrangig, entscheidend ist, was dieser Gesetzestext denn nun bewirken soll. Wenn er die Grundlagen der staatlichen Ordnung beschreibt und festlegt, dann kann dieser Text übertitelt sein wie er will. Er ist eben, wie die Juristen sagen: materiellrechtlich, die Verfassung. Das zeigt auch ein Blick in die Verfassungen anderer Länder. Die Verfassung der Niederlande heißt Niederländisch eben „Grondwet“, was eben Grundgesetz bedeutet, ebenso wie die Verfassung Finnlands in der Landessprache „Perstuslaki“ heißt, was wörtlich übersetzt eben auch Grundgesetz heißt.

Deutsches Reich versus Bundesrepublik Deutschland

Wer die Legitimität der Bundesrepublik Deutschland als Staat der Deutschen in Abrede stellt, beruft sich regelmäßig auf das Argument, das Deutsche Reich sei doch nach dem Zweiten Weltkrieg nicht untergegangen, sondern existiere mangels Friedensvertrag weiter. Nur dieses deutsche Reich könne doch der legitime Staat der Deutschen sein. Die Bundesrepublik Deutschland hingegen sei ein fragwürdiges Rechtskonstrukt. Eigentlich nur eine GmbH oder eine Aktiengesellschaft. Um bei letzterem zu beginnen: Gesellschaften des Handelsrechts wie die Aktiengesellschaft und die Gesellschaft mit beschränkter Haftung entstehen durch Eintragung in das Handelsregister. Mir konnte bisher noch kein Vertreter dieser Rechtsauffassung sagen, in welchem Handelsregister nun die Bundesrepublik Deutschland GmbH bzw. AG eingetragen ist.

Aber nun ernsthaft zum Argument, das Fortbestehen des Deutschen Reiches stehe der Existenz einer Bundesrepublik Deutschland entgegen. Das deutsche Reich ist in der Tat 1945 nicht untergegangen, sondern existiert fort. Dies hat das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil vom 31.07.1973 zum Grundlagenvertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der DDR von 21.12.1972 ausdrücklich festgestellt. Die Bundesrepublik Deutschland ist demnach das Deutsche Reich, allerdings räumlich verkleinert auf ein Teilgebiet des ursprünglichen Staatsgebietes. Daraus folgt auch, daß der Beitritt der DDR im Jahr 1990 auf der Grundlage des damals geltenden Artikels 23 GG am Rechtsstatus Deutschlands nichts geändert hat. Lediglich das Staatsgebiet hat sich vergrößert, indem das Gebiet der DDR, über das die Bundesrepublik Deutschland bis dahin keine Souveränität besaß, dem allein existierenden deutschen Staat beigetreten ist, und auch auf diesem Gebiet das Grundgesetz in Kraft gesetzt worden ist. Damit ist im übrigen auch dieser Artikel des Grundgesetzes in seinem damaligen Wortlaut gegenstandslos geworden. Der Verfassungsesetzgeber – die beiden Kammern unseres Parlaments Bundestag und Bundesrat mit verfassungsändernder Mehrheit – hat den Text dieses Artikels dann ersetzt durch den Verfassungsauftrag, die europäische Einigung zu fördern.

Auch wenn das für Menschen ohne juristisches Studium schwer verständlich ist: Namen sind Schall und Rauch. Das Völkerrechtssubjekt, welches bis 1949 „Deutsches Reich“ geheißen hat und seit dem 23.05.1949 „Bundesrepublik Deutschland“ heißt, besteht eben unverändert fort, heißt eben anders. Das ist in der Rechtsordnung auch nichts ungewöhnliches. Wenn Maria Müller die Eheschließung mit Franz Meyer zum Anlass nimmt, ihren Geburtsnamen Müller abzulegen und künftig den Ehenamen Meyer zu führen, dann ist eben die frühere Maria Müller und heutige Maria Meyer ganz zweifellos dieselbe Person. Sie heißt nur anders. Warum das bei einem Rechtsakt, in welchem ein Staat seinen Namen geändert hat, anders sein soll, erschließt sich nicht. Das ist auch nichts ungewöhnliches. Bisweilen ändern Staaten sogar ihren Namen nicht nur hinsichtlich der Beschreibung „Reich“ oder „Republik“, sondern überhaupt. So wurde bekanntlich aus „Ceylon“ „Sri Lanka“ und aus „Burma“ „Myanmar“, ohne daß irgendjemand anzweifeln würde, daß es sich dabei jeweils um das selbe Völkerrechtssubjekt wie zuvor handelt.

Daraus folgt im übrigen auch, daß alle völkerrechtlichen Verträge, welche die Bundesrepublik Deutschland abgeschlossen hat, in der rechtlichen Kontinuität sämtlicher seit 1871 vom deutschen Staat geschlossenen Verträge stehen. Somit sind zum Beispiel die Regelungen im sogenannten 2 + 4 Vertrag völkerrechtlich bindend, auch was zum Beispiel die endgültige Anerkennung der Staatsgrenze zwischen Deutschland und Polen angeht. Zwar ist Polen nicht Vertragspartner, doch gilt insoweit der allgemeine Rechtsgrundsatz des Vertrages zugunsten eines Dritten. Die Bundesrepublik Deutschland und die ehemaligen Siegermächte USA, Russland, Großbritannien und Frankreich haben die in diesem Vertrag enthaltenen Grenzregelungen auch mit Wirkung zugunsten dritter Staaten, in Sonderheit Polens, geschlossen. Das Rechtsinstitut des Vertrages zugunsten Dritter ist auch sonst in der Rechtsordnung zu finden. So wird niemand bezweifeln, daß der Vertrag zwischen meiner Bank und mir, in welchem ich zugunsten meines Enkelkindes ein Sparkonto eröffne, meinem Enkelkind Rechte gegen diese Bank einräumt. Zur Klarstellung muß weiter angefügt werden, daß die Bezeichnung dieses Vertrages nichts daran ändert, daß er materiell-rechtlich die Folgen des Zweiten Weltkrieges endgültig festgelegt. Ob ein solches Vertragswerk nun mit dem Terminus „Friedensvertrag“ übertitelt ist oder nicht, spielt für seine Rechtswirksamkeit keine Rolle. Entscheidend ist bei Verträgen wie auch Gesetzen stets der Regelungsgehalt, nicht die Überschrift. Auch das ist für Juristen eine Binsenweisheit, für juristische Laien indessen wohl Arkanwissen der Juristen und damit so eine Art Hexenwerk.

Staatsgebiet, Staatsvolk, Staatsverfassung

Ein besonders apartes Argument gegen die Geltung des Grundgesetzes für das gesamte Staatsgebiet des ehemals „Deutsches Reich“ genannten Deutschland ist auch der Hinweis darauf, die nunmehr zu Polen bzw. Russland gehörenden Gebiete seien in dem Grundgesetz ja gar nicht namentlich genannt. Eine richtige Verfassung indessen beschreibe doch das Staatsgebiet, in welchem sie Geltung hat. Auch das ist falsch. Es ist keineswegs Vorbedingung einer gültigen Verfassung, daß das jeweilige Staatsgebiet in ihr exakt beschrieben wird. Unser Grundgesetz spricht vom deutschen Volk als dem Verfassungsgeber, in seiner Präambel werden sowohl in seiner Urfassung als auch heute die Bundesländer genannt, in denen dieses deutsche Volk lebt, das sich diese Verfassung gegeben hat. Das ist international nicht zwingend so. In der spanischen Verfassung heißt es eingangs: „Das spanische Volk, von dem alle Staatsgewalt ausgeht, ist Träger der nationalen Souveränität.“ Die Verfassung der französischen Republik spricht in ihrer Präambel vom französischen Volk und in Art. 1 legt sie fest, daß die Republik und die Völker der überseeischen Gebiete, die in freier Entscheidung diese Verfassung annehmen, sich diese Verfassung geben. Maßgeblich ist das jeweilige Volk als Souverän, der sich seine Verfassung als Rechtsgrundlage des Zusammenlebens gibt. Die Staatsgrenzen können variieren. Das Volk ist auch grundsätzlich vor der Verfassung da. Ein Volk gibt sich eben beizeiten einen Rechtsrahmen, auf welchem Wege auch immer, letztendlich aber die Rechtsgrundlage des geordneten Zusammenlebens. Das gilt auch für solche Völker und Staaten, die keine geschriebene Verfassung haben. Daß auch diese Staaten über eine „Verfasstheit“ verfügen, also eine grundlegende Rechtsordnung, steht außer Zweifel. Das beste Beispiel dafür ist England, dessen Verfassung niemals kodifiziert wurde, sondern ausschließlich in geschriebenen und ungeschriebenen Rechtstraditionen besteht.

Fazit

Deutschland existiert. Es hat sogar eine Verfassung. Im Handelsregister steht es nicht. Da gehört es auch nicht hin.

Ein Wort noch zum Verfassungsschutz:

Deutschland leistet sich, wie im übrigen wohl nur Österreich – beide Länder aus dem gleichen Grund, nämlich dem tiefgehenden Mißtrauen der Amerikaner bezüglich der demokratischen Gesinnung der Deutschen und Österreicher – einen Inlandsgeheimdienst namens Verfassungsschutz. Er soll darüber wachen, daß die verfassungsmäßige Ordnung nicht von innen unterminiert und zum Einsturz gebracht wird. Andere gefestigte Demokratien weltweit benötigen derartiges nicht. Zu der Ressourcenverschwendung, welche aus der Vorhaltung eines solchen gewaltigen Beamtenapparates mit Parallelstrukturen im Bund und 16 Bundesländern gehören, zählen auch die Abteilungen, welche sich mit den sogenannten Reichsbürgern befassen, also den Leuten, die solch krude Theorien vertreten, wie oben dargelegt. Das seien ja nun Bestrebungen zur Beseitigung unserer Verfassung, und die müsse man nun pflichtgemäß beobachten und dies in den jeweiligen viele 100 Seiten starken Verfassungsschutzberichten ausführlich beschreiben, damit die Bevölkerung ausreichend gewarnt werde. Abgesehen davon, daß die Zahl der Leser dieser amtlichen Werke außerhalb der professionellen Kreise in Politik, Verwaltung und Medien sehr überschaubar sein dürfte: der Nutzen dieses Tuns scheint mir ebenfalls sehr überschaubar zu sein. Der Aufwand indessen für den Steuerzahler leider nicht. Da sollte man doch mit der gleichen Gelassenheit an diese Dinge herangehen, mit der das Bundesverfassungsgericht in seiner berühmten NPD II Entscheidung vom 17.01.2017 zwar zutreffend festgestellt hat, daß diese Partei verfassungsfeindliche Bestrebungen verfolgt, indessen von einem Verbot abgesehen hat, weil die politische Bedeutung dieser Partei allenfalls als marginal bezeichnet werden könne, mit anderen Worten, von diesem Häuflein Verirrter keine Gefahr für den Bestand der freiheitlich-demokratischen Grundordnung unseres Landes ausgehen könne. Gleiches gilt wohl vermehrt für die sogenannte Reichsbürger-Szene, die ja nicht einmal organisiert ist, und deren Anhängerschaft sich in der Größenordnung der homöopathischen Dosis bewegt.



Fakten und Masken

Corona und kein Ende

Den nachfolgenden Leserbrief habe ich heute an die Nürnberger Tageszeitung NZ geschickt. Ich gehe davon aus, daß er nicht abgedruckt werden wird. Denn die Verbreitung der darin genannten Fakten läuft der amtlichen Panikmache zuwider. Mainstream-Medien sehen sich ja bekanntlich als Hilfsorgane der Politik. Sie spielen deswegen auch unisono im Panikorchester des Herrn Lauterbach mit.  

Sehr geehrte Damen und Herren,

der Deutsche Bundestag hat nun beschlossen, ab dem 01.10.2022 die Freiheiten der Bürger weiterhin einzuschränken, weil die Bekämpfung der Pandemie dies erfordere. Insbesondere die Maskenpflicht in Bussen und Bahnen soll bestehen bleiben. Zweifellos handelt es sich auch dabei um eine Grundrechtseinschränkung. Sie ist also nur rechtens, wenn die Maßnahme zur Gefahrenabwehr geeignet, erforderlich und auch verhältnismäßig ist. Hilfreich ist dazu die Kenntnis der Zahlen. In der NZ wird ja nun regelmäßig die Entwicklung der Inzidenzen sowie der hospitalisierten Fälle und der Corona-Patienten auf den Intensivstationen angegeben. Allerdings kann man damit nicht sehr viel anfangen, denn es fehlt die notwendige Bezugszahl, nämlich die Zahl der Einwohner der aufgeführten Landkreise und kreisfreien Städte. Das sind nach der amtlichen bayerischen Statistik am 31.12.2021 insgesamt 2.895.974 Menschen. Hospitalisierte Fälle in den letzten sieben Tagen werden in der NZ vom 10.09.2022 mit 597 Patienten angegeben, das sind 0,0206 %, Corona-Patienten auf Intensivstationen werden mit 115 angegeben,das sind 0,0039 % der Einwohner. Diese Zahlen müssten genau genommen halbiert werden, denn sie unterscheiden nicht nach Patienten, die wegen Corona in klinischer Behandlung sind und solchen, die wegen anderer Krankheiten, aber mit Corona-Infektion in Behandlung sind. Das sind nach der Mitteilung des baden-württembergischen Gesundheitsministers zum Stichtag 06.07.2022 jeweils etwa die Hälfte, wegen Corona in Behandlung genau 47,5 % in diesem Bundesland. Das RKI erhebt diese Zahlen nicht. Demnach sind im Verbreitungsgebiet der NZ also wohl nur 0,0019% der Einwohner wegen Corona in intensivmedizinischer Behandlung. Im Übrigen stirbt seit Wochen im Verbreitungsgebiet der NZ niemand mehr an Corona. Die Wirksamkeit etwa der Maskenpflicht lässt sich auch daran ablesen, wie die Inzidenzzahlen am Stichtag 07.09.2022 in Deutschland einerseits (217), und in den europäischen Nachbarländern andererseits waren. In Kürze: Schweiz 177, Frankreich 174, Tschechien 103, Belgien 91, Dänemark 86, Polen 55, Schweden 46,8, Niederlande 45 und Großbritannien 43,5. Alles Länder,in denen es seit langem eine Maskenpflicht nicht mehr gibt. Hört man dann selbst von Herrn Lauterbach, daß der Sinn der Maskenpflicht unter anderem darin liegt, allgemein zu signalisieren, man müsse vorsichtig sein, dann beantwortet sich die Rechtsfrage nach Geeignetheit, Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit des Grundrechtseingriffs von selbst. Gut, daß man sein Auto hat!

Mit freundlichen Grüßen

Schaun‘ mer mal, sprach seinerzeit Franz Beckenbauer. Meine Leser jedenfalls wissen Bescheid.

Staatsvolk und Nation – eine Klarstellung

Die Entscheidungen der Verwaltungsgerichte Köln und Magdeburg in Sachen AfD haben erneut die Debatte angeheizt, ob rechte Parteien und deren Umfeld einen sogenannten völkischen Begriff der Staatsbürgerschaft vertreten, der die Menschenwürde von Migranten missachtet. Dabei werden die Begriffe Staatsvolk und Volk nahezu beliebig durcheinandergewürfelt. Es ist daher erforderlich, die Begriffe klar zu definieren, damit man auch zu einer klaren rechtlichen Einordnung kommt.

Das Staatsvolk im Sinne von Art. 116 Abs. 1 GG

Für juristisch verfehlt halte ich die Behauptung, wonach die kategorische Differenzierung zwischen einem (ethnisch-kulturell zu definierenden) „deutschen Volk“ und dem Staatsvolk, dem eine Person qua Staatsangehörigkeit zugehörig ist, auch deshalb nicht verfassungskonform sei, weil das Staatsvolk der Bundesrepublik Deutschland identisch mit dem deutschen Volk im Sinne von Art. 116 Abs. 1 GG sei. Dem steht der Wortlaut des zitierten Verfassungsartikels entgegen, denn Staatsvolk im Sinne von Art. 116 Abs. 1 GG sind nicht nur die deutschen Staatsbürger, sondern ausdrücklich auch andere Menschen deutscher Volkszugehörigkeit. Schon zu Zeiten der frühen Bundesrepublik war das offenbar Konsens im Verfassungsrecht. So heißt es in einem Standardkommentar zum Grundgesetz aus den sechziger/siebziger Jahren, den ich mir aus meiner Referendarzeit aufbewahrt habe: „Art. 116 Abs. 1 GG bestimmt den Begriff >Deutscher< im Sinne des Grundgesetzes unter Berücksichtigung ethnosoziologischer und ethnischer Gesichtspunkte …Dabei wird neben die Gruppe der deutschen Staatsangehörigen eine weitere Gruppe von Personen deutscher Volkszugehörigkeit gestellt.“ Daraus folgt denknotwendig, daß es einen rechtlichen, ja verfassungsrechtlichen Unterschied zwischen der Staatsangehörigkeit und der Volkszugehörigkeit geben muß.

Die deutsche Minderheitenpolitik

Anders wäre ja auch die offizielle Politik in Bezug auf deutsche und andere ethnische Minderheiten nicht möglich. Die deutsche Staatsangehörigkeit wurde bis zum Jahre 2000 allein durch Abkunft von Eltern mit deutscher Staatsangehörigkeit oder durch Einbürgerung erworben. Seit dem 01.01.2000 gilt das auch für Kinder von Eltern ausländischer Staatsangehörigkeit, wenn wenigstens ein Elternteil seit mindestens 8 Jahren rechtmäßig seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hat. Mit anderen Worten: das bis dahin allein geltende ius sanguinis wird durch ein eingeschränktes ius soli ergänzt. Die Definition des Staatsvolkes als – im wesentlichen – Abstammungsgemeinschaft bis zum Jahre 2000 kann natürlich nicht gegen die Menschenwürde des Teils der Bevölkerung verstoßen haben, der eben nicht deutscher Abstammung war, gleichwohl aber eingebürgert wurde. Die seinerzeitige Rechtslage war also verfassungskonform, und das gut 50 Jahre lang. Es liegt außerhalb meines Vorstellungsvermögens, daß etwa eine Rückkehr zu dem vor dem 01.01.2000 geltenden Staatsangehörigkeitsrecht gegen die Verfassung verstoßen könnte. Denn auch dieses Staatsangehörigkeitsrecht schloß Bewerber anderer Volkszugehörigkeit nicht aus, sondern ermöglichte ausdrücklich auch deren Einbürgerung. Die weit verbreitete Auffassung, von Verfassungs wegen werde das deutsche Volk ausschließlich über die deutsche Staatsangehörigkeit definiert, was insbesondere von den Verfassungsschutzbehörden zum Dogma erhoben wird, ist also evident falsch, ungeachtet dessen, daß Artikel Abs. 1 Abs. 1 GG die prinzipielle Gleichheit aller Menschen postuliert, ohne Rücksicht auf alle tatsächlich bestehenden Unterschiede. Denn damit ist über das Thema Staatsangehörigkeit/Volkszugehörigkeit nichts gesagt.

Die Kategorien Recht und Gesellschaft

Die Diskussion um die Begriffe Staatsvolk (Demos) und Volk (Ethnos) ist an und für sich überflüssig. Staatsvolk ist ein allein verfassungs- und einfachgesetzlicher Begriff. Das Bundesverfassungsgericht befasst sich in der NPD-Entscheidung von 2017 deswegen auch ausschließlich mit dem Begriff des Staatsvolkes. Das Grundgesetz regelt als Gesetz im materiellen Sinn auch nur rechtliche Sachverhalte. Der Begriff des Volkes indessen ist ein rein soziologischer Begriff und entzieht sich daher der rechtlichen Beurteilung. Es ist daher ein Kategoriefehler, bei der Prüfung, ob jemand verfassungsfeindlich agiert oder nicht, über den Begriff des Volkes losgelöst vom rechtlichen Begriff des Staatsvolkes überhaupt zu sprechen.

Die Bundesregierung kennt den ethnischen Volksbegriff durchaus

Der Begriff des Volkes im Sinne von Ethnos und nicht im Sinne von Demos, also auch im Zusammenhang mit Abstammung und angestammten Siedlungsgebiet findet sich jedoch auch durchgängig in Publikationen der Bundesregierung. So zum Beispiel in der Broschüre des Bundesinnenministeriums: „Deutsche Minderheiten stellen sich vor“. Das Bundesinnenministerium legt in dieser Broschüre durchgängig einen ethnisch-kulturellen Begriff des Volkes, und gerade des deutschen Volkes zu Grunde. Sämtlichen dort vorgestellten deutschen Minderheiten in Staaten wie Belgien oder Usbekistan und vielen anderen wird als Unterscheidungsmerkmal von der umgebenden Mehrheitsbevölkerung ihre Abstammung, ihre spezifisch deutsche kulturelle Prägung und ihr angestammtes Siedlungsgebiet zugeschrieben. Die Bundesregierung misst dem Schutz und der Förderung dieser deutschen Minderheiten auch einen entsprechenden Stellenwert bei. Das Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat (BMI) förderte Deutsche Minderheiten in Europa in den Jahren 2017-2020 mit 91,45 Millionen €; im Jahr 2021 war eine Förderung in Höhe von 25,21 Millionen € vorgesehen. Ziele der Förderung sind die Stärkung der deutschen Gemeinschaften, die Verbesserung der Lebensperspektiven sowie der Erhalt der ethnokulturellen Identität durch insbesondere Sprach- und Jugendförderung (Bundestagsdrucksache 19/32556, S. 22 Nr. 28). Damit kommt sie dem Auftrag nach, den die Vereinten Nationen in ihrer Entschließung vom 18.12.1992 formuliert haben. Art. 1 Abs. 1 der UN-Deklaration über Minderheitenrechte vom 18.12.1992, A/RES/47/135 legt fest: „Die Staaten schützen die Existenz und die nationale oder ethnische, kulturelle, religiöse und sprachliche Identität der Minderheiten in ihrem Hoheitsgebiet und begünstigen die Schaffung von Bedingungen für die Förderung dieser Identität.“

Indigene Völker

Aus dem gleichen Grunde unterstützt sie indigene Völker auf der ganzen Welt beim Kampf um ihre Rechte. Ich verweise in diesem Zusammenhang beispielhaft auf die vom Auswärtigen Amt herausgegebene Zeitschrift für die Vereinten Nationen und ihre Sonderorganisationen, Heft 4/2021. Dort findet sich die Definition indigener Völker in einem Beitrag von Theodor Rathgeber. Es lohnt sich daraus zu zitieren: „Der Begriffsteil >indigen< beansprucht erstens, daß Menschen und Gemeinschaften die aus ihrer Herkunft stammenden (Kultur-)güter nach eigenem Ermessen für ihre Lebensentwürfe verfügbar machen und selbstbestimmt weiterentwickeln wollen. Bei Sprache, Religion oder Musik gilt das für ethnische und religiöse Minderheiten auch…. Zum anderen drückt >indigen< den Anspruch aus, über ein historisch verbürgtes Siedlungsgebiet und dort befindliche Ressourcen ein Eigentumsrecht ausüben zu können… Der Begriff fußt zweitens außerdem, neben anthropologischen und historischen Kriterien, auf dem Merkmal der – plausiblen – Selbstidentifikation…. Das Element der Selbstidentifikation enthält ebenso den Aspekt der offenen Entwicklung. Angehörige indigener Völker reklamieren für sich keine museale, anthropologisch-historisch fixierte Existenz, sondern beanspruchen eine Weiterentwicklung nach eigenem Ermessen…. Drittens enthält der Begriff >indigene Völker< den Anspruch auf die Selbstbestimmung der Völker entsprechend dem Völkerrecht.“

Der Schutz ethnischer Minderheiten in den Verfassungen der Bundesländer

Die Verfassungen der Bundesländer enthalten auch zum Teil Regelungen zum Schutze ethnischer Minderheiten. So lautet Art. 5 der Verfassung des Freistaates Sachsen: „Das Land erkennt das Recht auf Heimat an. Das Land gewährleistet und schützt das Recht nationaler und ethnischer Minderheiten deutscher Staatsangehörigkeit auf Bewahrung ihrer Identität sowie auf Pflege ihrer Sprache, Religion, Kultur und Überlieferung.“  Damit wird das Volk der Sorben davor geschützt, von der übergroßen Mehrheit der indigenen Deutschen zwangsassimiliert zu werden und so seine nationale Identität zu verlieren. Vor allem aber wird klar gesagt, daß es neben der deutschen Staatsbürgerschaft eine ethnische Identität gibt, in diesem Falle die sorbische. Staatsbürgerschaft und Volkszugehörigkeit fallen auseinander. Denknotwendig ist das also auch bei deutscher Volkszugehörigkeit so. Etwas polemisch formuliert: Ein deutscher Sorbe hat neben der deutschen Staatsbürgerschaft eine sorbische Identität, ein deutscher Deutscher hat neben der deutschen Staatsbürgerschaft jedoch keine deutsche Identität? Der klassische Fall des argumentum ad absurdum.

Auf Art. 37 der Verfassung des Landes Sachsen-Anhalt („Die kulturelle Eigenständigkeit und die politische Mitwirkung ethnischer Minderheiten stehen unter dem Schutz des Landes und der Kommunen“) ist ebenso hinzuweisen.

Es liegt nahe, daß die Verfassung des Landes Schleswig-Holstein einschlägige Bestimmungen enthält. Denn in diesem Bundesland  leben gleich drei nationale Minderheiten, nämlich die Dänen, die Nordfriesen sowie die Sinti und Roma. Somit bestimmt die Landesverfassung:

 Art. 6  Nationale Minderheiten und Volksgruppen

(1)  Das Bekenntnis zu einer nationalen Minderheit ist frei; es entbindet nicht von den allgemeinen staatsbürgerlichen Pflichten

(2)  Die kulturelle Eigenständigkeit und die politische Mitwirkung nationaler Minderheiten und Volksgruppen stehen unter dem Schutz des Landes, der  Gemeinden und Gemeindeverbände. Die nationale dänische Minderheit, die Minderheit der deutschen Sinti und Roma und die friesische Volksgruppe haben Anspruch auf Schutz und Förderung.  

Bekanntlich zeichnet sich gerade die dänische Minderheit in Schleswig-Holstein durch eine intensive Pflege ihres Nationalcharakters aus. Sie hat sogar das Privileg, daß die politische Partei, die ihre Interessen vertritt, der Südschleswigsche Wählerverband (SSW), bei Wahlen nicht an der Fünf-Prozent-Hürde scheitern kann, weil sie für diese Partei nicht gilt.

 Art. 2 Abs. 3 der Verfassung des Freistaates Thüringen enthält ebenfalls eine solche Schutzklausel, die allerdings neben ethnischen Minderheiten auch alle denkbaren anderen Aspekte berücksichtigt: „Niemand darf wegen seiner Herkunft, seiner Abstammung, seiner ethnischen Zugehörigkeit, seiner sozialen Stellung, seiner Sprache, seiner politischen, weltanschaulichen oder religiösen Überzeugung, seines Geschlechts oder seiner sexuellen Orientierung bevorzugt oder benachteiligt werden.“ Also eben auch ausdrücklich die ethnische Zugehörigkeit als kollektives Identitätsmerkmal jenseits der Staatsangehörigkeit.  

Wenn indessen ethnische Minderheiten überhaupt als solche in dieser Weise definiert werden, und zwar gleichgültig, ob es sich um deutsche Minderheiten in anderen Ländern, ethnische Minderheiten wie etwa die Sorben oder die Friesen in der Bundesrepublik Deutschland, oder aber ethnische Minderheiten wie indigene Völker handelt, dann folgt daraus zwingend, daß es neben der staatsrechtlichen Kategorie des Staatsvolkes eine andere Kategorie von Volk gibt, eben eine Großgruppe, die über Abstammung, Kultur und Siedlungsgebiet definiert wird. Spitz gefragt: vertreten die Vereinten Nationen und die Bundesrepublik Deutschland einen menschenwürdewidrigen ethnischen Volksbegriff?

Nationale Interessen

Die Frage der nationalen Identität gewinnt insbesondere im Zusammenhang mit der Definition nationaler Interessen an Bedeutung. Jüngst hat sich damit Klaus von Dohnanyi in seinem Buch „Nationale Interessen – Orientierung für deutsche und europäische Politik in Zeiten globaler Umbrüche“ beschäftigt. So nimmt er zustimmend Bezug auf das Buch der Trägerin des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels 2018, Aleida Assmann „Die Wiedererfindung der Nation. Warum wir sie fürchten und warum wir sie brauchen“, indem er den Satz anfügt: „Ja, auch Deutschland braucht eine nationale Identität.“ (S. 22). Nationale Interessen in Europa sind für ihn auch kein Nationalismus. Vielmehr stellt er fest: „Nationale Interessen werden sich zwangsläufig der Internationalisierung und Europäisierung insbesondere dort entgegenstellen, wo der Nationalstaat nur selber die besonderen sozialen Antworten im Interesse der demokratischen Nation finden kann. Denn nur der einzelne Nationalstaat ist angesichts seiner gesellschaftlichen, demokratischen und immer auch besonderen kulturellen Strukturen in der Lage, die demokratische Feinsteuerung der oft schmerzhaften und unbeliebten sozialpolitischen Antworten auf die Folgen der Internationalisierung durchzusetzen. Nur der soziale Nationalstaat hat dafür die demokratische >Legitimation<“. Zum einen steht auch für Klaus von Dohnanyi außer Frage, daß der Nationalstaat, mit dessen legitimen Interessen er sich in diesem Buch beschäftigt, eine nationale Identität nicht nur hat, sondern auch braucht, und daß dies auch für Deutschland gilt. Und zum anderen hat dieser Nationalstaat eben auch besondere kulturelle Strukturen. All das ist jenseits der bloßen staatsrechtlichen Definition als Verband von Bürgern mit gleicher Staatsangehörigkeit.

Die Nation existiert unabhängig von der Staatlichkeit

Es ist eine Binsenweisheit, daß man durch Abstammung eben in ein Volk hineingeboren wird, und damit, ohne dies kraft eigenen Willens beeinflussen zu können, auch seine Geschichte gewissermaßen erbt, ihre Folgen, wie etwa die Vertreibung der Eltern aus ihrer Heimat, verbunden mit dem Verlust der wirtschaftlichen Existenz, auch ganz konkret erlebt. Die Definition der Nation als Schicksalsgemeinschaft ist daher althergebracht. Das war jedenfalls für deutsche Politiker früherer Jahre nicht zweifelhaft. So erklärte Willy Brandt im Juni 1966: „Kein Volk kann auf die Dauer leben, ohne sein inneres Gleichgewicht zu verlieren, ohne in Stunden der inneren und äußeren Anfechtung zu stolpern, wenn es nicht ja sagen kann zum Vaterland. Wir Deutschen dürfen nicht die Geschichte vergessen. Aber wir können auch nicht ständig mit Schuldbekenntnissen herumlaufen, die junge Generation noch viel weniger als die ältere. Auch wenn der Nationalstaat als Organisationsform gewiss nicht das letzte Ziel politischer Ordnung bleibt, die Nation bleibt eine primäre Schicksalsgemeinschaft.“ In einer Rede vom 24.02.1972 wies Richard von Weizsäcker darauf hin, daß es einen spezifischen Nationalcharakter gebe, der das Deutschtum ausmache: „Ich meine, Nation ist ein Inbegriff von gemeinsamer Vergangenheit und Zukunft, von Sprache und Kultur, von Bewusstsein und Wille, von Staat und Gebiet. Mit allen Fehlern, mit allen Irrtümern des Zeitgeistes und doch mit dem gemeinsamen Willen und Bewusstsein hat diesen unseren Nationbegriff das Jahr 1871 geprägt. Von daher – und nur von daher – wissen wir, daß wir uns als Deutsche fühlen. Das ist bisher durch nichts anderes ersetzt.“ Noch am 23.06.1983 konnte Helmut Kohl im Bericht zur Lage der Nation vor dem Deutschen Bundestag erklären: „Es gibt zwei Staaten in Deutschland, aber es gibt nur eine deutsche Nation. Ihre Existenz steht nicht in der Verfügung von Regierungen und Mehrheitsentscheidungen. Sie ist geschichtlich gewachsen, ein Teil der christlichen, der europäischen Kultur, geprägt durch ihre Lage in der Mitte des Kontinents. Die deutsche Nation war vor dem Nationalstaat da, und sie hat ihn auch überdauert; das ist für unsere Zukunft wichtig.“ Die Diffamierung dieses Volksbegriffs als menschenwürdewidrig denunziert gleichzeitig Willy Brandt, Richard von Weizsäcker und Helmut Kohl als rechtsextreme Verfassungsfeinde. Die Unhaltbarkeit eines allein an der Staatsbürgerschaft festgemachten Volksbegriffs sollte damit offensichtlich sein.

Schicksalsgemeinschaft bedeutet eben nicht völkischer Kollektivismus

Die Betonung der Gemeinschaftsbelange im Gegensatz nicht zu den Rechten des Individuums, sondern zu individualistischen Ideologien ist Grundlage aller sozialstaatlichen Politik. In-dividualistische Ideologien indessen pervertieren die Freiheitsrechte des Individuums ebenso wie nationalistische Ideologien das Existenzrecht der Nationen. Wenn man jedoch  dem Begriff von der Nation als Schicksalsgemeinschaft eine Vorstellung unterschiebt, wonach die Interessen des Einzelnen nachrangig seien und diese pauschale Überbewertung der Interessen des Volkes zu einer Aushöhlung der Grundrechte führe, dann steht der so erkannte völkische Kollektivismus im Widerspruch zu dem im Grundgesetz formulierten Menschenbild, das die freie Entfaltung der Persönlichkeit sowie die Würde des Menschen ins Zentrum rückt. Die aus der seit Jahrzehnten gebräuchlichen Formulierung von der Nation als Schicksalsgemeinschaft abgeleitete angebliche kollektivistische Weltanschauung im Zusammenhang mit Staat und Nation wird dann sprachlich in die lingua tertii imperii, wie das Victor Klemperer so schön formuliert hat, überführt. 

Es ist verfassungskonform, den Erhalt der ethnokulturellen Identität anzustreben

Die Bewahrung des Eigenen, wie man die Bemühungen um den Erhalt der ethnokulturellen Identität auch nennt, kann nicht gegen die Menschenwürde der Angehörigen anderer Völker verstoßen. Denn diese Bestrebungen schließen eben nicht kategorisch aus, daß solchen Menschen die Zugehörigkeit zur eigenen Ethnie zugesprochen wird. Soweit dafür vorausgesetzt wird, daß diese Menschen sich der kulturellen Identität des aufnehmenden Volkes anschließen, kann auch dies nicht gegen die Menschenwürde verstoßen. Das Land, dem wir die Erklärung der Menschenrechte von 1789 verdanken, verlangt eben dies. Art. 21 – 24 des Code Civil qualifiziert die Assimilation des Einzelnen an die französische Gesellschaft als Voraussetzung für die Einbürgerung. Wann genau jedoch ein Mangel an Assimilation in diesem Sinne vorliegt bzw. was Assimilation voraussetzt, stellt das Gesetz nicht in jedem Falle klar. Nicht gemeint ist eine kulturelle Assimilation im Sinne einer erzwungenen „Französierung“ von Ausländern. Zwar verlangt das Gesetz eindeutig die Beherrschung der französischen Sprache in hinreichendem Maße. Ferner die Akzeptanz der französischen Sitten und Gebräuche. So stellt etwa die Polygamie des Ausländers einen Assimilationsmangel dar. Insbesondere die Befolgung der grundlegenden Werte und Prinzipien der französischen Gesellschaft wird verlangt. Das wird dann jeweils im Einzelfall geprüft. So hat in einem Falle die französische Regierung der Ehefrau eines französischen Staatsbürgers die französische Staatsangehörigkeit nicht verliehen, weil sie eine Burka trug. Dabei handelt es sich nach Auffassung der französischen Regierung um eine radikale Form der Ausübung ihrer Religion, die nicht mit den französischen Grundprinzipien, insbesondere der Gleichberechtigung von Mann und Frau, zu vereinbaren ist. Der französische Staatsgerichtshof hat das bestätigt.

Was Minderheiten recht ist, muß der Mehrheit billig sein

Es wäre auch mit den Gesetzen der Logik nicht zu vereinbaren, wenn Deutschland ganz hochoffiziell deutschen Minderheiten in anderen Ländern mit teilweise beträchtlichen Finanzmitteln dabei hilft, ihre ethnokulturelle Identität zu bewahren, indigene Völker rund um den Erdball bei diesen Bemühungen unterstützt, und auch den nationalen Minderheiten im eigenen Lande weitgehende Rechte gewährt, auf der anderen Seite der Mehrheitsethnie der Deutschen von der Abstammung her indessen genau dies verwehrte, ja  sie deswegen geradezu als Verletzer der Menschenwürde schelten wollte. Denn gemäß Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes sind ja nun einmal alle Menschen gleich zu behandeln, was selbstverständlich auch für alle Gruppen von Menschen gilt. Es kann der Mehrheit deswegen nicht verwehrt werden, was der Minderheit gewährt wird.

Der deutsche Mainstream entfernt sich von Volk und Verfassung

Es ist nicht zu übersehen, daß die Grundströmung in Deutschland, jedenfalls innerhalb der politischen Klasse, zu der die Medien als deren Propagandaabteilung gehören, dies völlig anders sieht und die Nation schon als Entität verneinen möchte. Neben dem von Rechts wegen existierenden Staatsvolk darf es nach Auffassung dieser Leute nicht noch ein ethnokulturell definiertes Volk geben. Das stünde der One-World-Ideologie entgegen, der sich die meisten dieser Leute als Jünger von Propagandisten wie Klaus Schwab und George Soros verschrieben haben. Nicht anders kann erklärt werden, daß die Verfassungsschutzbehörden, die ja schließlich den Willen der regierenden Politiker auszuführen haben, Parteien und Vereinigungen als verfassungsfeindlich oder zumindest im Verdacht der Verfassungsfeindlichkeit stehend registrieren, die diesen Volksbegriff neben dem des Staatsvolkes propagieren und sich für die Erhaltung der ethnokulturellen Grundlagen des deutschen Volkes einsetzen. Indessen sind diese administrativen Bestrebungen bei Lichte besehen mit dem Grundgesetz nicht vereinbar. Bei genauerem Hinsehen findet man auch, daß etwa im Urteil des Verwaltungsgerichts Köln zur Beobachtung der AfD als Verdachtsfall vom Gericht Sachverhalte herangezogen werden, die kaum anders interpretiert werden können, als daß jedenfalls maßgebliche Funktionäre dieser Partei eingebürgerte Zuwanderer nicht als Teil des deutschen Volkes ansehen. Dabei vermengt das Gericht zwar die Begriffe Volk und Staatsvolk, stellt aber mindestens überzogene Vorstellungen von einer Gleichsetzung von Volkszugehörigkeit und Staatsangehörigkeit fest. Etwa in programmatischen Äußerungen der Jugendorganisation JA. Dort heißt es unter anderem: „Die Migrationspolitik, die wir fordern, setzt an die erste Stelle den kulturellen und ethnischen Erhalt des deutschen Volkes.“ Das riecht dann schon etwas nach Staatsbürgern zweiter Klasse. Hinzu kommen natürlich Äußerungen von Parteifunktionären, die nur als ungehörig und pöbelhaft beschrieben werden können. Indessen leidet diese Entscheidung meines Erachtens vor allem daran, daß das Gericht nicht scharf genug zwischen Staatsangehörigkeit und Volkszugehörigkeit trennt, insbesondere übersieht, daß es durchaus eine Volkszugehörigkeit gibt, die auch von der Bundesrepublik Deutschland und den Bundesländern beachtet wird, ja sogar die Verteidigung der ethnokulturellen Identität nationaler Minderheiten und Volksgruppen gefördert wird. Ähnlich ist das Urteil des Verwaltungsgerichts Magdeburg zur Einstufung der AfD Sachsen-Anhalt als Verdachtsfall zu bewerten. Auch hier stößt sich das Verwaltungsgericht offenbar vor allem am Sprachgebrauch von Funktionären, der in der Tat eine generelle Geringschätzung des politischen Personals unseres Landes in einem Ausmaß zeigt, daß man es dem Gericht nicht verübeln kann, wenn das aus seiner Sicht gesehen in eine Verachtung der Demokratie überhaupt umschlägt. Was die hier behandelte Problematik des Volksbegriffs angeht, so bescheinigt das Gericht der Partei eine Überbetonung des Abstammungsprinzips. Auch der Vorrang einer ethnisch definierten Volksgemeinschaft ist seines Erachtens als Ablehnung des sich aus der Menschenwürde ergebenden Achtungsanspruchs jeder Person zu sehen und führt zur Verweigerung elementarer Rechtsgleichheit für alle, die nicht der ethnischen Volksgemeinschaft angehören. Dies folgt zum Beispiel daraus, daß Eingebürgerten mit Migrationshintergrund kein dauerhaftes Bleiberecht zugestanden wird. Das alles geht natürlich weit über die Verteidigung der gewachsenen nationalen Kultur hinaus.

Was ist zu tun?

Der AfD ist anzuraten, ihrerseits die klare Trennung zu formulieren zwischen Staatsangehörigkeit und ethnokultureller Volkszugehörigkeit, die man in ihren Grundlagen durchaus stärken darf und soll, aber nicht an die Stelle der rechtlichen Staatsangehörigkeit setzen darf. Es erscheint auch angebracht klar zu kommunizieren, daß eingebürgerte Ausländer keine Deutschen zweiter Klasse sind, unbeschadet dessen, daß man von ihnen verlangt, vor allem die Werte der Verfassung nicht  nur zu respektieren, sondern auch zu bejahen, unbeschadet dessen daß man bei der Einbürgerung natürlich auch die Interessen des Landes etwa an gut ausgebildeten Fachkräften an die erste Stelle setzt. Das tun zweifellos demokratische und den Menschenrechten verpflichtete Staaten wie die USA, Kanada und Australien auch, ohne daß irgendjemand das als menschenrechtswidrige „völkische“ Politik anprangern würde. Denn das sind keine Ausschlusskriterien, die allein an der Abstammung festgemacht werden.

Schlußbemerkung:

An und für sich sollte es das Merkmal juristischer Argumentation sein, auf der Basis präziser, trennscharfer Definitionen Sachverhalte aufzubereiten und an Rechtsvorschriften zu messen. Den Verfassungsschutzbehörden wie auch den Verwaltungsgerichten muß man leider attestieren, daß sie diesen Anforderungen derzeit nicht genügen. Vielleicht stört hier der politische Lärm bei der ruhigen Entscheidungsfindung. Nun ist ja nicht damit zu rechnen, daß die juristische Debatte und die gerichtlichen Verfahren sich innerhalb weniger Monate erledigen werden. Gerade wenn man an die juristischen Auseinandersetzungen um die wirkliche oder vermeintliche Verfassungsfeindlichkeit der Republikaner oder den geschlagene zehn Jahre dauernden juristischen Kampf der Wochenzeitung Junge Freiheit gegen die Verfassungsschutzbehörden betrachtet, der erst beim Bundesverfassungsgericht gewonnen werden konnte, dann wird man feststellen, daß zum einen viele Jahre ins Land gehen, bevor die Sache endgültig entschieden wird, und zum anderen dann, wenn sich der Pulverdampf der politischen Feuergefechte verzogen hat, endlich Recht gesprochen wird. Der merkwürdige Umgang der deutschen Eliten (Eliten?) mit ihrer eigenen Identität wird dann wohl eine Fußnote der deutschen Geschichte bleiben.