Archiv für den Monat: August 2020

Volk, Nation, Staatsvolk, Bevölkerung

Eine notwendige Klärung

Die Diskussionen um den Begriff des Volkes oder auch der Nation begleiten die Politik in Deutschland seit Gründung der Bundesrepublik. Insbesondere im Zusammenhang mit richtungsweisenden Entscheidungen, etwa im Rahmen der Bündnisse NATO und EU, in jüngster Zeit aber auch im Zusammenhang mit den internen Richtungskämpfen der AfD. Auf der einen Seite die Vertreter einer mal völkisch, mal patriotisch-sozial genannten Politik, auf der anderen Seite die Verächter alles Nationalen, die lieber heute als morgen die Auflösung der Nationalstaaten, insbesondere des deutschen, sehen würden. An Schärfe gewinnt diese Debatte dadurch, daß seit dem sog. zweiten NPD-Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 17. Januar 2017 immer wieder behauptet wird, das Bundesverfassungsgericht habe mit diesem Urteil praktisch das deutsche Volk als politische Größe abgeschafft. Nicht mehr das deutsche Volk, sondern eine amorphe, disparate Masse von Inhabern deutscher Personalausweise sei das neue Staatsvolk. Grund genug, eine Begriffsklärung zu versuchen und den rechtlichen Gehalt dieser Vorwürfe zu untersuchen.

Eine juristische Untersuchung oder: was steht denn drin?

Zunächst einmal ist also das erwähnte Urteil des Bundesverfassungsgerichts daraufhin zu untersuchen, ob und mit welchem Inhalt das Gericht den Volksbegriff festlegt. Es tut dies auf Seite 185 des 263 Seiten umfassenden amtlichen Textes in RNrn. 690, 691. Schon der schiere Umfang der Entscheidungsgründe zeigt, daß dieses Thema nicht so einfach ist. Man muß sich wenigstens die Mühe machen, den Urteilstext ganz zu lesen. Besser ist es noch, ein Studium der Rechtswissenschaften zu absolvieren und dabei die Vorlesungen und sonstigen Lehrveranstaltungen im Verfassungsrecht mit besonderer Aufmerksamkeit zu verfolgen. Natürlich ist es auch hilfreich, den vorliegenden Text sorgfältig zu lesen, und sich dabei darauf einzulassen, einem erfahrenen Juristen auch zuzutrauen, daß er das Thema sachkundig darstellt. Wir wollen daher diesen Teil der Urteilsbegründung wörtlich zitieren:

Der von der Antragsgegnerin (NPD, d.Verf.) vertretene Volksbegriff ist verfassungsrechtlich unhaltbar. Das Grundgesetz kennt einen ausschließlich an ethnischen Kategorien orientierten Begriff des Volkes nicht. Insoweit hat das Bundesverfassungsgericht festgestellt, daß gemäß Art. 20 Abs. 2 Satz 1 GG das Volk, von dem die Staatsgewalt in der Bundesrepublik Deutschland ausgeht, „von den deutschen Staatsangehörigen und den ihnen nach Art. 116 Abs. 1 gleichgestellten Personen“ (BVerfGE 83, 37 <51>) gebildet wird. Für die Zugehörigkeit zum deutschen Volk und den daraus sich ergebenden staatsbürgerlichen Status ist demgemäß die Staatsangehörigkeit von entscheidender Bedeutung. Dabei überlässt das Grundgesetz dem Gesetzgeber, wie sich aus Art. 73 Abs. 1 Nr. 2 und Art. 116 Abs. 1 GG ergibt, die Regelungen der Voraussetzungen für den Erwerb und den Verlust der Staatsangehörigkeit. Er kann insbesondere bei einer erheblichen Zunahme des Anteils der Ausländer an der Gesamtbevölkerung des Bundesgebietes dem Ziel einer Kongruenz zwischen den Inhabern demokratischer politischer Rechte und den dauerhaft staatlicher Herrschaft unterworfenen durch eine Erleichterung des Erwerbs der deutschen Staatsangehörigkeit für Ausländer, die sich rechtmäßig in der Bundesrepublik Deutschland aufhalten, Rechnung tragen (vgl. BVerfGE 83, 37 <51 f.>). Die Auffassung der Antragsgegnerin, der Gesetzgeber sei bei der Konzeption des Staatsangehörigkeitsrechts streng an den Abstammungsgrundsatz gebunden, findet demgegenüber im Grundgesetz keine Stütze. Demgemäß kommt bei der Bestimmung des „Volkes“ im Sinne des Grundgesetzes ethnischen Zuordnungen keine exkludierende Bedeutung zu. Wer die deutsche Staatsangehörigkeit erwirbt, ist aus Sicht der Verfassung unabhängig von seiner ethnischen Herkunft Teil des Volkes. Diese verfassungsrechtliche Vorgabe steht in deutlichem Gegensatz zur Auffassung der Antragsgegnerin, nach deren Überzeugung der Erwerb der Staatsangehörigkeit nicht dazu führt, daß der Eingebürgerte Teil des deutschen Volkes wird.

Das Gericht definiert ex negativo

Wir sehen also, daß das Gericht in diesem Urteil lediglich definiert, was der Begriff des Volkes im Grundgesetz nicht bedeutet. Er bedeutet eben nicht, daß Deutscher im Sinne des Grundgesetzes nur sein kann, wer ethnisch Deutscher ist. Letzteres ist im übrigen auch kein einfacher Begriff. Klar ist dabei doch nur, daß ethnisch Deutscher ist, wer seinerseits von Eltern abstammt, die schon als Deutsche in diesem Sinne geboren sind. Doch wie weit muß diese „reine“ Abstammungslinie zurückreichen? Eine Generation, zwei Generationen, drei Generationen oder wie viele mehr? Und ab wann, zurückgerechnet, dürfen dann ethnisch Nichtdeutsche dabei sein, und wenn ja, mit welchem Prozentsatz? Die Fragestellung zeigt die ganze Absurdität des ethnischen Volksgedankens, wie er ja im Antisemitismus der Nationalsozialisten bis zur lächerlichen Karikatur seiner selbst, wenn man das Thema angesichts seiner grauenhaften Konsequenzen überhaupt ins Lächerliche ziehen kann, durchdekliniert worden ist. War man als „Vierteljude“, oder erst als „AchteljJude“, vielleicht erst ab „Sechzehnteljude“ wehrwürdig?

Was steht im Grundgesetz? Und was nicht?

Diese Negativdefinition des Volksbegriffs findet sich im Grundgesetz wörtlich nicht. Das Grundgesetz verwendet lediglich den Begriff des deutschen Volkes, ohne ihn inhaltlich näher zu umschreiben. Wie bei so vielen anderen Begriffen, wie etwa Ehe und Familie, setzt der Verfassungsgeber einfach voraus, daß diese Begriffe eine allgemein bekannte und akzeptierte Bedeutung haben. Darüber hinaus entnimmt das Bundesverfassungsgericht den tragenden Bestimmungen der Verfassung, welchen Inhalt der Begriff des Volkes nicht haben kann, weil er sonst mit eben diesen tragenden Bestimmungen in einem unauflöslichen Widerspruch stünde. Eine exkludierende Bedeutung des Volksbegriffs wäre mit der Verpflichtung des Staates, die unantastbare Würde des Menschen zu achten und zu schützen, nicht vereinbar. Denn wenn ein Mensch alleine wegen seiner ethnischen Herkunft unter keinen Umständen Teil des deutschen Volkes werden könnte, selbst wenn er kulturell ethnisch deutschen Vertretern der geistigen Elite gleich stünde, ja sie insoweit sogar übertreffen würde. („Ein Jude kann nicht Reichsbürger sein“, § 4 Abs. 1 Satz 1 der 1.Verordnung zum Reichsbürgersetz vom 14.11.1935) verstieße das gegen die Menschenwürde. Zu ihr gehört es eben unabdingbar, daß der Mensch eben sein Schicksal in der Hand hat. Das muß er willentlich gestalten können, und nicht etwa von Geburt an nicht dürfen. Danach konnte also selbst Albert Einstein nicht Reichsbürger und damit Deutscher sein. Es sollte also klar sein, daß ein ethnischer Volksbegriff nicht nur verfassungswidrig, sondern auch absurd wäre.

Wer ist von Verfassungs wegen Deutscher?

Nachdem feststeht, wie das deutsche Volk juristisch nicht zu definieren ist, muß natürlich geprüft werden, wie es im Sinne unserer Verfassung zu verstehen ist. Das Bundesverfassungsgericht weist ja in dem zitierten Abschnitt seines Urteils unter anderem auf Art. 116 Abs. 1 GG hin. Dieser Artikel im Abschnitt über die Übergangs-und Schlussvorschriften der Verfassung legt fest:

Deutscher im Sinne dieses Grundgesetzes ist vorbehaltlich anderweitiger gesetzlicher Regelung, wer die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt oder als Flüchtling oder Vertriebener deutscher Volkszugehörigkeit oder als dessen Ehegatte oder Abkömmling in dem Gebiete des Deutschen Reiches nach dem Stande vom 31. Dezember 1937 Aufnahme gefunden hat. 

Neben dieser selbsterklärenden Definition enthält diese Vorschrift eine Öffnungsklausel dahingehend, daß das Staatsangehörigkeitsrecht zur Disposition des Gesetzgebers steht. Zum einen steht damit fest, daß das Grundgesetz nur die deutsche Staatsangehörigkeit regelt, nicht aber weitergehend etwa die Volkszugehörigkeit. Zum anderen wird statuiert, daß es letztendlich im Belieben des Gesetzgebers, und damit der politischen Mehrheit steht, die Voraussetzungen für den Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit zu regeln. Davon hat der Gesetzgeber auch schon vor Inkrafttreten des Grundgesetzes Gebrauch gemacht, und zwar im Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetz. Dieses Gesetz vom 22.07.1913, also noch im deutschen Kaiserreich entstanden, ist in den folgenden Jahrzehnten mehrfach geändert worden, zuletzt auch in seinem Namen, denn seit dem 1. August 1999 heißt es nur noch Staatsangehörigkeitsgesetz, was ja zu diesem Zeitpunkt wohl eine überfällige redaktionelle Änderung war, nachdem es ja seit dem 08.05.1945 das Deutsche Reich staats- und völkerrechtlich nicht mehr gab. Aber auch inhaltlich hat sich das Staatsangehörigkeitsrecht seit 1913 erheblich geändert. Die gravierendste Änderung war der Übergang vom Abstammungsprinzip (ius sanguinis) zum Geburtsortprinzip (ius soli). Über die mitunter außerordentlich komplizierten Einzelheiten dieser auch weiterhin dynamischen Gesetzgebung soll hier nicht referiert werden. Maßgeblich für unser Thema ist nur, daß die Staatsangehörigkeit im Sinne des Grundgesetzes eben keinen vorgegebenen, insbesondere nicht biologisch definierten Inhalt hat.

Ein Blick in die Verfassungsgeschichte

Das war auch früher nicht wesentlich anders. Die Verfassung des Deutschen Reiches vom 11. August 1919, auch Weimarer Reichsverfassung genannt, enthält in ihren Artikeln 109 ff. Regelungen zur Staatsangehörigkeit, deren Einzelheiten festzulegen ebenso wie im Grundgesetz dem einfachen Gesetzgeber überlassen ist. Ansonsten ist der Begriff des Deutschen nicht definiert, sondern offenbar vorausgesetzt. Die Verfassung des Deutschen Reiches von 1871 ist in dieser Beziehung völlig anders aufgebaut. Sie beschränkt sich darauf, in Art. 3 ein sogenanntes gemeinsames Indeginat zu konstituieren. Das bedeutet, daß die Staatsangehörigen der Bundesstaaten (Preußen, Bayern, Sachsen, Württemberg etc.) auch in den jeweils anderen Bundesstaaten als Inländer gelten. Ebenso zurückhaltend ist in diesem Punkt die Paulskirchenverfassung von 1848, die ja bekanntlich letztendlich nicht zum Tragen kam, jedoch als demokratischer Vorläufer der Weimarer Reichsverfassung und des Bonner Grundgesetzes gilt. In ihrem § 57 heißt es: „Der Reichsgewalt liegt es ob, die gesetzlichen Normen über den Erwerb des Reichs- und Staatsbürgerrechts festzusetzen.“

Was aber ist denn das Deutsche Volk?

Auch wenn, wie wir gesehen haben, sowohl unsere aktuelle Verfassung als auch ihre Vorläuferinnen lediglich festlegen, wer zum deutschen Staatsvolk gehört, die inhaltliche Ausgestaltung dieser Regelungen jedoch dem einfachen Gesetzgeber überlässt, so ist es doch wesentlich zu wissen, wie das Deutsche Volk zu definieren ist. Denn in der Präambel des Grundgesetzes ist ausdrücklich davon die Rede, daß das deutsche Volk sich kraft seiner verfassungsgebenden Gewalt dieses Grundgesetz gegeben hat. Und es ist eben nicht zu übersehen, daß die Inschrift im Tympanon des Reichstages weithin sichtbar lautet: „DEM DEUTSCHEN VOLKE“.

Die populäre Definition, wie sie zum Beispiel der Duden wiedergibt, lautet: „große, meist geschlossen siedelnde Gemeinschaft von Menschen mit gleicher Abstammung, Geschichte, Sprache und Kultur, die ein politisches Staatswesen bilden“. Diese Definition gibt kurz und prägnant das Wesentliche wieder. Eine ausführliche und präzise Definition gibt der seinerzeit sehr angesehene Verfassungsrechtler Gerhard Leibholz. In seinem Aufsatz „Volk, Nation und Staat im 20. Jahrhundert“, erschienen in dem Sammelband „Schicksalsfragen der Gegenwart, Handbuch politisch-historischer Bildung“ von 1957 führt er unter anderem aus:

Neben der gemeinsamen Abstammung und dem gemeinsamen Raum sind es die gemeinsamen kulturellen Güter, wie die gemeinsame Sprache, das gemeinsame kulturelle Leben, die gemeinsame Literatur, die gemeinsame Kirche, die das natürliche Volk aus seiner naturhaften elementaren Sphäre herausführen, es zu einer individuellen Wertegemeinschaft zusammenschließen und eine konkret-individuelle geschichtliche Gestalt annehmen lassen. Schließlich sind es aber auch noch die gemeinsamen geschichtlichen Erfahrungen, die ihrerseits integrieren und wieder auf die Völker zurückwirken und diese von sich aus zu einer Einheit zusammenschließen. Dabei mag es sein, ist aber nicht notwendig, daß diese gemeinsamen geschichtlichen Erfahrungen in einem staatlichen Verband gesammelt werden. In der Regel sprechen wir von einem Volk und einer Volksgemeinschaft und verwenden wir Begriffe wie zum Beispiel Volksbewußtsein, Volksgeist, Volkstum, Volksgefühl nur, wenn die eben erwähnten objektiven Konstitutionselemente eines Volkes, nämlich gemeinsame Abstammung, gemeinsame territoriale Basis, gemeinsame Sprache und Kultur und gemeinsame Geschichte, sich in einer menschlichen Gruppe wechselseitig miteinander verbunden haben.

Volk, Nation, Staat – von der Entität zum Völkerrechtssubjekt

Um jedoch als Gemeinschaft überleben zu können, ist es unabdingbar, sich politisch als Staat zu organisieren, was allerdings über die Eigenschaft als Volk hinaus ein gemeinsames Bewusstsein erfordert. Das erst macht ein Volk zu einer Nation, die den Nationalstaat bildet. Auch hier ist die von Leibholz in diesem Aufsatz gegebene Definition hilfreich:

Wodurch wird nun ein Volk zur Nation? Die lateinischen Worte „nasci“ (geboren werden) und „natus“ (geboren), von denen sich im philologischen Sinne die Nation herleitet, darf uns nicht darüber täuschen, daß das Zusammengeboren- und Zusammengewachsensein ein Volk noch nicht zu einer Nation macht. Auch die gemeinsame Sprache, obwohl sie als nationsbildender Faktor in ihrem Gewicht – wie der große Einfluß Herders insbesondere auf die slawischen Völker gezeigt hat – nicht unterschätzt werden soll, vermag die Nationwerdung der Völker nicht zu erklären. In Wirklichkeit wird vielmehr ein Volk erst dadurch zur Nation, daß es sich seines politisch-kulturellen Eigenwertes bewußt wird und gefühlsmäßig seine Existenz als selbständige konkrete Ganzheit bejaht. Ein Volk erweitert sich somit zur Nation durch einen Akt des Selbstbewußtseins und des Willens und nicht, wie man gelegentlich behauptet hat, durch Mystifikation einer angeblich irrationalen Substanz.

Wie wird man also Deutscher?

Auch diese Definitionen des angesehenen Verfassungsjuristen Gerhard Leibholz beschreiben die Eigenschaften von Volk und Nation, lassen jedoch offen, wie der Einzelne Teil dieser Gemeinschaft werden kann. Sowohl die bloße Abstammung als auch die Aufnahme in die Gemeinschaft des Volkes bzw. der Nation begründen die Eigenschaft als Deutscher im Sinne der Soziologie. Die Staatsbürgerschaft, welche die Eigenschaft als Angehöriger des Staatsvolkes im Sinne der Verfassung begründet, wird durch einen Rechtsakt begründet, nämlich entweder die Anerkennung des Neugeborenen als deutscher Staatsbürger bei Eintragung in das Personenstandsregister oder aber durch förmliche Einbürgerung des bis dahin Angehörigen eines fremden Staates. Daß dies bei Angehörigen des deutschen Volkes respektive der deutschen Nation im Sinne der vorstehenden Definition von Leibholz gewissermaßen automatisch geschieht, ist eine Rechtstatsache und den natürlichen Gegebenheiten geschuldet. Daß dies im Wege der Einbürgerung geschehen kann, ist der zivilisatorischen Errungenschaft geschuldet, die in der Anerkennung der unveräußerlichen Menschenwürde durch die Verfassung zu sehen ist.

Wer war Gerhard Leibholz?

In diesem Zusammenhang sei ein Wort zur Person des Verfassungsjuristen Gerhard Leibholz gesagt. Er ist nämlich ein sehr gutes Beispiel dafür, daß ein ethnisch eingeengter Volksbegriff, wie ihn die Antragstellerin des hier besprochenen Verfahrens vor dem Bundesverfassungsgericht, die NPD, vertritt, in die Irre führt und nicht haltbar ist. Gerhard Leibholz stammte aus einer ursprünglich jüdischen, später jedoch zum Christentum konvertierten Familie. Schon im Alter von 28 Jahren wurde er ordentlicher Professor für Staats- und Verfassungsrecht. Familiär war er mit den später im Widerstand gegen das NS-Regime stehenden Hans von Dohnanyi und Dietrich Bonhoeffer verbunden. Seine Ehefrau war eine Zwillingsschwester Dietrich Bonhoeffers. Hans von Dohnanyi war ebenfalls mit einer Schwester Dietrich Bonhoeffers verheiratet. Leibholz und von Dohnanyi waren überdies Studienfreunde. Wegen seiner jüdischen Wurzeln wurde Leibholz 1935 sein Lehrstuhl genommen. Er konnte 1938 noch rechtzeitig emigrieren. Seine Freunde Dietrich Bonhoeffer und Hans von Dohnanyi bezahlten bekanntlich den Widerstand gegen das Hitler-Regime mit ihrem Leben. Gerhard Leibholz war nach dem Kriege von 1951-1971 Richter am Bundesverfassungsgericht. Er trat ferner mit vielen beachtlichen Veröffentlichungen auf dem Gebiete des Verfassungsrechts hervor. Unter anderen war er einer der Verfasser des Standardkommentars zum Bundesverfassungsgerichtsgesetz. Wer einem solchen Manne, gerade auch angesichts der oben zitierten Äußerungen die Eigenschaft des Deutschen abspricht, sollte eigentlich schamrot anlaufen. Die Menschen in seinem Umfeld müssen sich wohl Gedanken über seine intellektuelle Ausstattung machen.

Von der Freiheit des Gesetzgebers, die Staatsangehörigkeit im wohlverstandenen Interesse des Staatsvolkes zu regeln

Gerade weil die Verfassung es dem einfachen Gesetzgeber überläßt, die Voraussetzungen für den Erwerb der deutschen Staatsbürgerschaft und damit gewissermaßen den Eintritt in die Gemeinschaft des Staatsvolkes zu regeln, ist auch klar, daß dies nach Gesichtspunkten erfolgen kann, die aus der Sicht der politischen Mehrheit zweckmäßig sind. So ist es ganz sicher legitim und verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, den Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit einerseits an die Geburt von deutschen Eltern oder andererseits von ausländischen Eltern auf deutschem Boden, die sich seit mehr als acht Jahren legal hier aufhalten, zu knüpfen. Ebenso legitim und verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden ist es, wenn man bei der Einbürgerung von Ausländern strenge Kriterien dahingehend aufstellt, daß sie sich kulturell in die deutsche Nation einfügen, und sowohl willens als auch in der Lage sind, dauerhaft für den eigenen Lebensunterhalt zu sorgen und ihren Beitrag zum Bruttosozialprodukt zu leisten. Denn dies sind Forderungen, die jeder Mensch grundsätzlich erfüllen kann. Und damit ist man eben nicht von Geburt an gehindert, Teil des Volkes zu werden, dem man angehören will. Nicht mehr und nicht weniger verlangt der Schutz der unveräußerlichen Menschenwürde durch den Staat. Man kann einer Nation in dem Sinne, wie sie Leibholz definiert, schlicht und einfach nicht ansinnen, auch solche Menschen rechtlich in sie aufzunehmen, die ihre Kultur und Werte ablehnen und am liebsten durch die mitgebrachte, völlig andere Kultur und Werteordnung ersetzen möchten. Keine Nation kann zum kulturellen Selbstmord verpflichtet sein. Unbeschadet dessen hat es jede Nation natürlich in der Hand, sich im Laufe der Zeit auch kulturell zu verändern. Historisch war das bislang immer eine Bewegung nach oben, wie der Aufstieg des römischen Bauernvolks zur Hochkultur zeigt. Auch wir Deutschen haben eine solche Entwicklung aufzuweisen. Diese Entwicklung nun umzukehren, ist jedenfalls von Verfassungs wegen nicht geboten, auch wenn gewisse Wirrköpfe in unserem Lande solche Hirngespinste pflegen.

Und was ist dann die Bevölkerung?

Unabhängig hiervon ist der Begriff der Bevölkerung. Er ist natürlich nicht, wie dies zum Beispiel Horst Seehofer gerne tut, synonym mit Volk oder Nation zu verwenden. Er bezeichnet vielmehr die Gesamtheit der auf dem Staatsgebiet dauerhaft lebenden Menschen. Unsere Verfassung begründet auch für die nicht dem Staatsvolk angehörende Bevölkerung Grundrechte, wie zum Beispiel das der Gleichheit vor dem Gesetz (Art. 3 GG) oder das Recht, im Rahmen der allgemeinen Gesetze seine Meinung frei und unzensiert äußern zu können (Art. 5 Abs. 1 GG).

Auch wenn es linksgrüne Intellektuelle schmerzen mag: Bayerisch ausgedrückt: Mia san mia!

Ein populärer Verfasser philosophischer Alltagsliteratur hat eines seiner Bücher mit dem sprachlich paradoxen, aber einprägsamen Titel versehen „Wer bin ich, – und wenn ja wie viele?“ Für unser Thema wäre das als die Frage zu formulieren: „Wer sind wir, und wie viele sind wir?“ Den ersten Teil der Frage haben wir beantwortet. Der zweite Teil der Frage ergibt sich aus der fortlaufenden amtlichen Bevölkerungsstatistik.


Die Wahrheit ist ein kleinliches bürgerliches Vorurteil

sagte einst Lenin, der wohl erfolgreichste politische Agitator in der Geschichte der Menschheit, und fuhr fort: „Recht ist, was der politischen Klasse nützt. In der Politik gibt es keine Moral, nur Zweckmäßigkeit.“ In einer Zeit, in der sich die Medien der Aufgabe verschrieben haben, das Volk, pardon, die Bevölkerung, zu moralisch hochwertigem Verhalten zu erziehen, statt einfach zu berichten, was so alles auf dieser Welt passiert, in dieser Zeit müssen Recht und Wahrheit natürlich so geformt werden, daß sie dem hehren Ziel dienlich sein können. Weil aber alles unabhängige, zumal bürgerlich-konservative Denken dem im Wege steht, ist es mit allen Mitteln zu bekämpfen, selbstverständlich auch mit den Instrumenten der Manipulation, der Wahrheitsunterdrückung, der gezielt verbreiteten Unwahrheit und der Diskreditierung als rechtsextrem, was ja nichts anderes als eine Spielart der Verfassungsfeindlichkeit ist. Das geschieht unter dem Motto „Kampf gegen Rechts“, wobei in diesem Satz bereits der semantische Betrug enthalten ist, der darin besteht, daß zweifelsfrei demokratisches Gedankengut politisch rechts von linksgrüner Denkungsart als rechtsextrem diffamiert wird. Ein rhetorisches Stilmittel dazu ist der Sprachgebrauch in den Medien, der mit dem Begriff „rechts“ stets auch „rechtsradikal“ und „rechtsextrem“ meint. Allerdings wird in geeignet erscheinenden Fällen auch schon einmal zum Rechtsextremisten ernannt, wer es gar nicht ist, und einer Nähe zum Rechtsextremismus beschuldigt, wer sich dazu nicht einmal inhaltlich geäußert hat. Ob es dann am Ende stimmt, ist egal, denn insoweit gilt die alte lateinische Regel: audacter calumniare, semper aliquid haeret (nur wacker verleumden, es bleibt immer etwas hängen).

Qualitätsmedien als unheilige Inquisition

Ein Beispiel aus jüngster Zeit. Panorama, das ARD-Magazin, dem man schon in den siebziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts spöttisch die Zuständigkeit für die Rotlicht-Bestrahlung der Bevölkerung zugesprochen hat, berichtete am 23. Juli dieses Jahres über den Oberstleutnant iG Marcel Bohnert. Man hielt ihm vor, in den sozialen Medien Beiträge rechtsextremer Autoren mit einem „gefällt mir“ Symbol versehen zu haben. Es wurde der Eindruck erweckt, bei dem Offizier handele es sich um einen Soldaten von rechtsextremer Gesinnung, mindestens aber mangelnder Distanz zu dieser Ideologie. Obgleich der Offizier dies weit von sich wies, legte Panorama am nächsten Tag noch nach und präsentierte dem Fernsehpublikum seine Erkenntnisse darüber, wo der Offizier in der Vergangenheit schon Vorträge gehalten hat. Das sicherlich sehr konservative Studienzentrum Weikersheim ebenso wie eine Münchener Burschenschaft wurden genannt, allerdings im Zusammenhang des Rechtsextremismus. Nun liegt in keinem der beiden Fälle auch nur eine Beobachtung durch den Verfassungsschutz vor. Und die bloße Tatsache, daß man einen Meinungsbeitrag in den sozialen Medien mit einem „gefällt mir“ Symbol – bei Facebook „liken“ – versieht, ist jedenfalls von Rechts wegen nicht zu beanstanden. So hat erst jüngst der bayerische Verwaltungsgerichtshof mit Beschluß vom 28.02.2020 erklärt: „Likes“ für Facebook-Seiten sind bloße Sympathiekundgebungen für die Inhalte dieser Seiten. Dadurch wird nicht in irgendeiner Weise dazu aufgefordert, sich den Urhebern dieser Seiten anzuschließen oder für deren Ziele oder Meinungen einzutreten.“ Solche rechtlichen Betrachtungen sind indessen für Haltungsjournalisten irrelevant. Sie halten sich lieber an die Empfehlung des Altmeisters der Manipulation, wie eingangs zitiert.

Spiegeleien

Da durfte dann auch der Spiegel nicht fehlen. Flugs veröffentlichte er am 25. Juli ein Interview mit dem Offizier, das nicht nur der Zweitverwertung der vorgeblichen Sensation eines rechtsextremen Stabsoffiziers dienen, sondern das investigative Leistungsvermögen des von seinem Gründer Rudolf Augstein mit dem Prädikat „Sturmgeschütz der Demokratie“ selbst geadelten Blattes wieder einmal demonstrieren sollte. Inwieweit das mit Demokratie zu tun hat, wollen wir hier einmal dahinstehen lassen. Was die Demokratie wirklich ist, dürfte heute cum grano salis ebenso unbekannt sein wie der Begriff des Sturmgeschützes. Letzteres stand in der Nachkriegszeit nahezu ikonographisch für die Effizienz der Wehrmacht, in der Augstein noch als Offiziersanwärter gedient hatte. In die Redaktion des Spiegel zog es damals ehemalige Offiziere wie Conrad Ahlers, aber auch ehemalige Angehörige von Himmlers SD wie die seinerzeitigen SS-Hauptsturmführer Horst Mahnke und Georg Wolff, wie man liest. Das generierte dann wohl auch eine intensive Hassliebe zur Bundeswehr, die sich in einer seltsamen Melange von Besserwisserei und negativer Berichterstattung niederschlug. Somit paßt die Story von rechtsextremen Tendenzen in der Bundeswehr, festgemacht an jenem Stabsoffizier, in die traditionelle Linie „dieses Blattes“, um einen Ausdruck Herbert Wehners zu zitieren.

Kontaktschuld und „falsche“ Autoren

Zu den angeblichen rechtsextremen Aktivitäten des durch die Mangel gedrehten Stabsoffiziers gehörte dann nach Meinung seiner Inquisitoren auch, daß er als Mitautor eines Sammelwerks mit dem Titel „Soldatentum“ fungiert hat, das 2013 erschienen ist. Vorgehalten wurde ihm, diesen Sammelband habe ein bekennendes Mitglied der „Identitären“ herausgegeben. Und weil man so schön in der Spur war, nannte man auch gleich den Namen dieses Herausgebers, zwar mit abgekürztem Nachnamen, doch leicht identifizierbar, wenn man den Titel des Buches googelt. Nun ist jener Felix Springer keineswegs Mitglied der Identitären. Die Identitäre Bewegung, die in der Tat Beobachtungsobjekt des Bundesverfassungsschutzes ist, ist ein eingetragener Verein. Mitglied eines eingetragenen Vereins ist bekanntlich nur, wer dort förmlich aufgenommen worden ist. Der genannte Felix Springer ist diesem Verein nicht beigetreten. Das interessiert Spiegel-Investigationskriminalisten indessen nicht, auch nicht, daß das Jahr der Erscheinung dieses Buches (2013) zeitlich vor dem Auftreten der Identitären Bewegung in Deutschland liegt. Die Bezeichnung von Herrn Springer als rechtsextremistisch ist auch aus der Luft gegriffen, sachlich falsch und diffamierend. Jedenfalls hat bisher kein Gericht eine solche Feststellung getroffen. Noch sind in Deutschland zu einer solchen Feststellung nur die Gerichte befugt.

Der Spiegel und die Justiz

Der Spiegel müßte also seine Behauptungen auch beweisen, was ihn aber nicht interessieren dürfte, denn man vertraut an der Hamburger Relotiusspitze auf die jahrzehntelange Gerichtserfahrung in Unterlassungsprozessen. Für jeden, der sich zu Unrecht durch einen Spiegel-Bericht diffamiert fühlt, ist der Blick auf die Wirklichkeit des gerichtlichen Verfahrens ernüchternd. Ein Beispiel: Rudolf Augstein schrieb im Spiegel vom 1.4.1964 unter dem Pseudonym Moritz Pfeil über Franz Josef Strauß einen diffamierenden Artikel, in welchem er ihn der Korruption bezichtigte. Dagegen klagte Strauß und bekam beim Landgericht München I am 15.7.1965 recht. Dagegen legte der Spiegel Berufung ein, über die das Oberlandesgericht München mit Urteil vom 28.7.1966 wiederum zugunsten von Strauß entschied. Unverdrossen legte der Spiegel dagegen Revision ein, die der Bundesgerichtshof mit Urteil vom 29.10.1968 zurückwies. Damit nicht genug, erhob der Spiegel dagegen Verfassungsbeschwerde, die das Bundesverfassungsgericht mit Beschluß vom 28.1.1970 verwarf. Das heißt, die Auseinandersetzung über diese von den Gerichten als Diffamierung bewertete Berichterstattung dauerte fünfeinhalb Jahre. Das Kostenrisiko eines solchen juristischen Marathons liegt im hoch fünfstelligen Eurobereich. Kann man unter diesen Umständen Herrn Bohnert oder Herrn Springer empfehlen, sein gutes Recht bei den Gerichten zu suchen und voraussichtlich auch zu finden?

Die Universität der Bundeswehr im „Kampf gegen Rechts“

Interessant in diesem Zusammenhang ist, daß jenes Buch, dessen Herausgeber ein angeblicher Rechtsextremist ist, tatsächlich von drei jungen Offizieren der Universität der Bundeswehr herausgegeben worden ist. In diesem Sammelband haben angesehene Wissenschaftler wie die Professoren Michael Wolffsohn und Carlo Masala Beiträge veröffentlicht, worauf Herr Bohnert seine Inquisitoren auch hingewiesen hat. Doch wenn es um sogenannte rechte Zusammenhänge geht, dann gilt der Satz des Patriarchen aus Lessings Nathan der Weise: „Tut nichts, der Jude wird verbrannt!“ Denn die Herausgeber des Sammelbandes hatten sich schon zuvor mit ihren Artikeln in der Studentenzeitschrift der Uni BW München das Missfallen der Präsidentin Prof. Dr. Merith Niehuss zugezogen. Ihr war das alles zu rechts. Als politisch korrekte Aufseherin der Soldaten- Universität, als die sie nun einmal von dem damaligen Minister Struck installiert worden war, erfüllte sie damit vorbildlich ihre Aufgabe. Denn das effiziente Management einer Universität sollte es wohl weniger sein. Die Dame war bis dahin noch nicht als Managerin oder gar Wissenschaftsmanagerin in Erscheinung getreten. Daß sie wegen ihrer fachlichen Qualifikation als Historikerin berufen worden wäre, muß eher bezweifelt werden. Ihr wissenschaftliches Oeuvre ist außerordentlich schmal und umfaßt außer ihrer Dissertation und ihrer Habilitation nur sehr wenige Herausgeberschaften und ein zusammen mit ihrem Doktorvater Gerhard A. Ritter verfasstes Werk über die Wahlen in Deutschland, sowie ausweislich der Veröffentlichungsliste im Internet noch ein Buch mit dem Titel „Zwischen Seifenkiste und Playmobil – Illustrierte Kindheitsgeschichte des 20. Jahrhunderts.“

Falsch oder nicht – es funktioniert allemal

Der Erfolg von Panorama und Spiegel indessen wird nicht ausbleiben. Der sicherlich hervorragend qualifizierte Generalstabsoffizier Marcel Bohnert wird wohl keine große Karriere mehr vor sich haben. Das Eichenlaub und die Sterne auf seinen Schulterstücken dürften silbern bleiben. Die Vergangenheit lehrt, daß politisches Engagement außerhalb des Mainstreams regelmäßig das Karriereende für Offiziere bedeutet hat, sei es für die Republikaner oder den Bund freier Bürger oder wie die konservativen Parteigründungen rechts von der Union auch alle hießen. Verschärft hat sich dies seit der Amtszeit der Großinquisitorin Ursula von der Leyen. Ihre Nachfolgerin verfolgt diese Linie unbeirrt weiter, wie ihr skandalöser Umgang mit dem KSK zeigt. Der Kampf gegen Rechts kennt keine Gnade. Er wird so unnachsichtig geführt wie ein Flächenbombardement. Kollateralschäden werden nicht nur toleriert, sondern sind Teil der Strategie. Und diese Strategie heißt Abschreckung. In der Tat führt die Bundeswehr Krieg, allerdings einen Krieg gegen sich selbst. Ihre Hilfstruppen findet sie in Medien wie Panorama und Spiegel, aber auch alle anderen, die sich dem Haltungsjournalismus verpflichtet fühlen, stehen hier in Reserve. Ach ja, beinahe hätte ich es vergessen: „Die Würde des Menschen ist unantastbar (Art. 1 Abs. 1 Satz 1 GG). Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat (Art. 20 Abs. 1 GG)“. Doch die Schöpfer dieser wunderbaren Sätze sind schon lange tot.