Archiv für den Monat: April 2017

Vorsichtig formuliert

Er hat es getan. Nicht selbstbewußt-selbstverständlich wie einst Friedrich Merz, nicht bayerisch kraftvoll wie Markus Söder. Nein, vorsichtig-zurückhaltend und die zu erwartenden böswilligen bis dämlichen Reaktionen aus dem linksgrünen Milieu bereits berücksichtigend. Thomas de Maizière hat zehn Thesen zur deutschen Leitkultur aufgestellt. Bemerkenswert daran ist weniger, was er unter deutscher Leitkultur versteht. Bemerkenswert ist vor allem, daß es in Deutschland eine derartig verdruckste und verschwiemelte Diskussion zu diesem Thema überhaupt gibt. Franzosen, Spanier oder Chinesen sollte man erst gar nicht fragen, was sie unter Leitkultur verstehen. Denn einen so akademisch analytischen Begriff für alles das, was sie selbstverständlich und unhinterfragt leben, kennen sie nicht. Ein solcher Begriff konnte sich nur in jenem Deutschland entwickeln, das sich seiner selbst nicht mehr sicher ist, und dessen Volk sich nach Auffassung nicht weniger Politiker und Meinungsführer besser als Bevölkerung begreifen sollte.

Natürlich sind de Maizières Thesen allesamt nicht falsch. Es handelt sich aber nahezu ausschließlich um platte Selbstverständlichkeiten, wie etwa die Beschreibung unserer Umgangsformen und die Ablehnung religiös begründeter Kleidungsvorschriften ( „wir sind nicht Burka“). Auch dürfte es selbst grünen und linksradikalen Deutschlandhassern schwer fallen, den Aufruf zu Respekt und Toleranz oder die Verortung Deutschlands als kulturell, geistig und politisch dem Westen zugehörig, als Deutschtümelei zu diffamieren. Prügel wird er aber natürlich dafür bekommen, daß er Deutschland als einen christlich geprägten, anderen Religionen freundlich zugewandten, aber weltanschaulich neutralen Staat bezeichnet hat. Auch seinen aufgeklärten Patriotismus werden die Habermas-Adepten mindestens belächeln und die „one world“ Propagandisten als Rückfall in nationalstaatliches Denken verdammen. Daran wird auch sein Hinweis auf die Westbindung Deutschlands, sein Bekenntnis zu Europa sowie ein gemeinsames kollektives Gedächtnis für Orte, Ereignisse und Traditionen als Teil der Leitkultur nichts ändern. Seine Wahrnehmung Deutschlands als Kulturnation, geprägt von Kultur und Philosophie, wird so mancher Propagandist des Grenzenlosen als überheblichen Nationalismus diffamieren, auch wenn völlig klar ist, daß es außer Deutschland natürlich andere von Kultur und Philosophie geprägte Kulturnationen gibt. Vor allem aber sein Ruf nach Integration dergestalt, daß Zuwanderer Kenntnis und Achtung vor der deutschen Leitkultur haben sollen, wird ihm von den Anhängern der „Bunten Republik Deutschland“ übel vermerkt werden. Wenn er den Leistungsgedanken hervorhebt, aber auch ein Bekenntnis zum Erbe der deutschen Geschichte mit allen ihren Höhen und Tiefen ablegt, dann darf dies getrost schon als mutige Aussage in unseren Tagen gewertet werden.

Bemerkenswert ist auch, was der Politiker nicht schreibt. Zum Beispiel, daß die deutsche Geschichte weitaus mehr Höhen als Tiefen aufweist. Oder daß Deutschland in seiner Geschichte Höhepunkte in Kultur und Wissenschaft aufzuweisen hat, die im Weltmaßstab selten erreicht worden sind, denken wir etwa an die Häufung von erstaunlichen wissenschaftlichen Leistungen zu Beginn des 20. Jahrhunderts, die sich in der Zahl der Nobelpreise für deutsche Naturwissenschaftler widerspiegelt. Denken wir auch an die erfolgreiche Verteidigung der abendländischen Kultur gegen den anstürmenden Islam im 18. Jahrhundert. Daß Europa heute nicht aus sog. Gottesstaaten mit vormittelalterlicher Gesellschaftsstruktur besteht, wie sie im vorderen Orient mit expansionistischer Tendenz existieren, ist ja nun einmal vorwiegend deutschen Heeren zu verdanken.

Daß wir allen, die ins Land kommen und bleiben dürfen, unsere ausgestreckte Hand reichen, ist ja schön. Was aber heißt das eigentlich? Müßte man nicht erst einmal sagen, wer bleiben darf? Hier traut er sich nicht recht. Wenn er nämlich nicht bei dem törichten Satz seiner Kanzlerin stehen bleiben will, die von denen schwätzt, die schon länger hier leben, und denen, die noch nicht so lange hier sind, dann muß er doch sagen, wen wir aus welchen Gründen hier haben wollen. Und dann muß gesagt werden, wie man zu dem wird, der alles das verinnerlicht, was deutsche Leitkultur genannt werden kann. Dann darf man sich nicht um die Definition des Volkes, des deutschen zumal, drücken. Es ist doch selbstverständlich, daß ein Volk eben auch eine Abstammungsgemeinschaft ist. Denn die Geschichte erstreckt sich eben über viele Generationen, die Kultur entwickelt sich über viele Generationen und auch die wissenschaftlichen Leistungen entstehen nicht an einem Tage. Umgekehrt wird alles das nicht der verinnerlichen, der von alledem weder etwas weiß, noch dafür irgendein Interesse aufbringt. Er mag einen deutschen Paß haben. Er mag Generationen von Vorfahren haben, die eben auch einen solchen ihr eigen nannten, oder aber Generationen von Vorfahren, die ganz woanders gelebt haben. Der Minister selbst ist ja gewissermaßen das Schulbeispiel dafür, daß es nicht auf die Zahl der Generationen ankommt, die in Deutschland geboren, aufgewachsen und kulturell geprägt worden sind. Auch seine Vorfahren lebten nicht schon im Mittelalter oder zur Zeit Luthers in Deutschland. Doch sie wandelten sich von Franzosen rasch zu Deutschen, denn das wollten sie werden, weil sie hier in Freiheit leben konnten. Jede neue Generation dieser Zuwanderer wuchs so selbstverständlich in der deutschen Kultur auf, daß sie darüber schon gar nicht mehr nachdachte. Zum Beispiel auch nicht darüber, ob man überhaupt seinen Ehepartner unter „denen, die schon länger dort lebten“ finden durfte, oder doch nur unter denen, die mit den Eltern oder Großeltern ins Land gekommen waren. Nationale Identität wächst eben in Generationen. Sie kann aber nur wachsen, wenn sie eingepflanzt wird. Die Nation wächst natürlich durch Reproduktion, ungeachtet dessen, daß sie sich auch durch Zuzug ergänzt. Würde allerdings das Wachstum nicht mehr in erster Linie organisch erfolgen, sondern vorwiegend durch Zuwanderung, so würde sich eben die Nation auflösen und etwas anderes entstehen. Es ist undenkbar, daß in einem solchen Falle Kultur, Lebensgewohnheiten und Traditionen unverändert fortbestünden.

Fragen dieser Art stellen sich andere Völker nicht. Sie bleiben uns Deutschen vorbehalten, was unsere Dichter schon erkannten, als es ein nationalstaatlich verfaßtes deutsches Volk noch gar nicht gab. Aus unterschiedlichen Motiven fragten oder forderten sie, wie etwa Ernst Moritz Arndt angesichts des unter Napoleons Knute stöhnenden Volkes. Sein Gedicht „Was ist des Deutschen Vaterland?“ mag für die Menschen unserer Zeit nationalistisch klingen, weil sie gar nicht mehr wissen, daß 1813 die Menschen in Deutschland der Wunsch beseelte, endlich doch frei in einem eigenen Staat leben zu können. Nach den Befreiungskriegen konnte dann soweit auch Optimismus entstehen, wie etwa in Heinrich Heines Nachtgedanken aus dem Jahre 1844. „Deutschland hat ewigen Bestand. Es ist ein kerngesundes Land. Mit seinen Eichen, seinen Linden, werde ich es immer wieder finden.“ Doch wir Deutschen haben uns auch in der Phase der nationalen Einigung Mitte des 19. Jahrhunderts mit uns selbst schwerer getan, als die Italiener oder Polen. Warum das so war und weiterhin auch sein wird, beantwortet uns wie viele andere Fragen auch Johann Wolfgang von Goethe. „Es ist der Charakter der Deutschen, daß sie über allem schwer werden, daß alles über ihnen schwer wird.“ (Wilhelm Meisters Lehrjahre, viertes Buch, 20. Kapitel). Was Goethe, im übrigen lange vor der leider nur kleindeutsch gebliebenen Einigung 1871 bereits um 1780 geschrieben hat, scheint heute noch Gültigkeit zu haben. Wenn wir die Herausforderungen unserer Zeit bestehen wollen, die nicht zuletzt aus dem Zusammenprall der Kulturen (Samuel Huntington) herrühren, dann müssen wir diesen Schwermut durch frischen Mut ersetzen.

 

 

 

Der Lackmustest

Man kann es mit Fug und Recht als merkwürdig bezeichnen, daß Deutschland den hier lebenden Türken mit und ohne zusätzlichen deutschen Paß 14 Tage lang Wahllokale zur Verfügung stellt, damit sie dort an einem Referendum teilnehmen können, das in ihrem Heimatland abgehalten wird. Merkwürdig deswegen, weil es ansonsten auf dieser Erde zwar möglich ist, im Ausland an den heimatlichen Wahlen teilzunehmen. Dazu muß man sich allerdings am Wahltag in die Botschaft oder ein Generalkonsulat begeben. Oder man macht von der Möglichkeit der Briefwahl Gebrauch. Daß Deutschland seinen Türken eine so überaus großzügige Regelung angeboten hat, kann wohl nur mit der spezifischen Befindlichkeit der politisch-medialen Klasse dieses Landes erklärt werden. Die Xenophilie treibt nun einmal in unserem Lande die buntesten Blüten. Allerdings habe ich noch nicht feststellen können, daß derartige Möglichkeiten etwa Italienern oder Spaniern geboten worden wären, oder wir Deutsche sie in anderen Staaten vorfänden.

Doch man soll nicht beckmessern. denn das Ergebnis dieses Referendums in Deutschland hat doch Klarheit gebracht. Nicht nur der Sultan in Ankara hat allen Grund, das Wahlverhalten seiner sogenannten Deutschtürken, in Wirklichkeit Türken, die in Deutschland leben, zu begrüßen. Vielmehr haben auch wir allen Grund, dieses Ergebnis wegen seiner Klarheit zu begrüßen. Mehr als 60 % der Türken in Deutschland haben sich für die Einrichtung eines autoritären Präsidialsystems in ihrem Heimatland entschieden. Eines Systems, das näher an einer Diktatur als selbst an einer gelenkten Demokratie liegt. Dies wohlgemerkt als Bewohner – Bürger kann man schlechterdings nicht sagen – eines Landes, das hinsichtlich der Kriterien eines demokratischen Rechtsstaates weltweit einen der führenden Plätze einnimmt. Gerade weil hier die Systemfrage in aller Schärfe gestellt war, nämlich die Wahl zwischen demokratischem Rechtsstaat, der die Türkei jedenfalls nach ihrer bisherigen Verfassung noch war, und der kaum noch verhüllten Diktatur, konnten die Türken in unserem Lande endlich klar und eindeutig erklären, wo sie stehen und wie sie denken. Der Lackmustest aus dem Chemieunterricht kommt mir dabei wieder in den Sinn. Taucht man den präparierten Karton in eine klare Flüssigkeit, so zeigt dessen Verfärbung zweifelsfrei, ob es sich dabei um Säure oder Lauge handelt. Dieses Referendum war der Lackmustest nicht nur für die Haltung zu Demokratie und Diktatur. Es war vielmehr auch der Lackmustest für die Integration der Türken in die europäisch-abendländische Welt mit ihrer demokratischen Kultur. Wer jahrzehntelang in diesem Umfeld lebt, sogar in zweiter oder dritter Generation, der kennt nicht nur diese Kultur sehr genau, er hat sich auch eine Meinung dazu gebildet, ob er sie schätzt oder ablehnt. Und diese Meinung verbindlich zu äußern bestand nun die Gelegenheit. Die große Mehrheit der Türken in Deutschland hat sie dazu genutzt, ihre Ablehnung und Mißachtung der europäisch-abendländischen Kultur von Demokratie und Rechtsstaat verbindlich kund zu tun.

Wir sollten nun endlich wissen, woran wir sind. Die aus meiner Sicht schon immer naive Vorstellung, Einwanderer aus dem islamisch geprägten Orient könnten sich in ihrer großen Mehrheit dazu entschließen, diese Kultur und Tradition hinter sich zu lassen und sich in unsere Kultur und Gesellschaft zu integrieren, d.h. ganz bewußt Kultur, Lebensart und Rechtsvorstellungen, ja die nationale Tradition dieses Landes zu übernehmen, diese Vorstellung hat sich vorhersehbar als Illusion erwiesen. Gar nicht erst reden will ich von denen in unserem Lande, die alles begrüßen, was eben diese unsere Kultur, Lebensart und Rechtsvorstellungen verändert. Wer etwa wie die grüne Spitzenkandidatin Katrin Göring-Eckardt angesichts der massenhaften unkontrollierten Zuwanderung aus dem Orient und Nordafrika begeistert ausruft: „Ich freu mich drauf!“ sollte dafür an der Wahlurne die Quittung erhalten, und zwar in Gestalt eines desaströsen Wahlergebnisses. Aber auch die Traumtänzer, die bisher immer etwas von Toleranz, Integration und Willkommenskultur gefaselt haben, sollten endlich aus ihren Kleinmädchenträumen von der schönen bunten Welt erwachen. Wenn Deutschland überhaupt noch ernst genommen werden will, woran angesichts des aktuellen Gestammels der Kanzlerin und ihrer Paladine massive Zweifel angebracht sind, dann müßte umgehend der Türkei gesagt werden, daß ihre Mitgliedschaft in der EU undenkbar ist. Dann müßte den hier lebenden Türken mit und ohne deutschen Pass unmißverständlich klar  gemacht werden, daß wir solche Nachbarn nicht schätzen, die unsere Kultur und Lebensart verachten. Daß wir es durchaus begrüßen würden, wenn sie sich aufmachen würden in das Land, das die Staats- und Gesellschaftsordnung hat, die sie sich gewünscht haben.