Das politische Klima in Deutschland entwickelt sich zunehmend weg von der freiheitlichen Gesellschaft. Bezeichnend ist unter anderem die Wortwahl in Politik und Medien, aber auch seitens der Verfassungsschutzbehörden. So wirft man politisch missliebigen Personen und Vereinigungen häufig vor, „die Grenzen des Sagbaren“ verschieben zu wollen. Daran schließen sich dann konkrete Vorwürfe an, die eine verfassungsfeindliche Grundeinstellung der Betroffenen dokumentieren, oder zumindest einen entsprechenden Verdacht begründen sollen. Dieser Sprachgebrauch ist verräterisch. Denn wer so denkt, hält es für richtig und rechtens, daß man nicht alles sagen darf, sondern bestimmte Meinungen nicht nur politisch unerwünscht sind – was ja wohl immer nur einen Teil des politischen Spektrums betreffen kann, denn der jeweils andere Teil wird das genau umgekehrt sehen –, sondern auch von Rechts wegen nicht geäußert werden dürfen.
Die zentrale Bedeutung der Meinungsfreiheit für die Demokratie
Dazu muß man in aller Kürze darauf hinweisen, daß unsere Verfassung in Art. 5 GG die Meinungsfreiheit schützt. Es handelt sich dabei um das für den Bestand jeder Demokratie unverzichtbare Bürgerrecht. In seinem berühmten Lüth-Urteil vom 15.1.1958 hat das Bundesverfassungsgericht dazu ausgeführt: „Das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung ist als unmittelbarster Ausdruck der menschlichen Persönlichkeit in der Gesellschaft eines der vornehmsten Menschenrechte überhaupt (un des droits les plus précieux de l‘ homme nach Art. 11 der Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte von 1789). Für eine freiheitlich-demokratische Staatsordnung ist es schlechthin konstituierend, denn es ermöglicht erst die ständige geistige Auseinandersetzung, den Kampf der Meinungen, der ihr Lebenselement ist (BVerfGE 5, 85 [205]). Es ist in gewissem Sinn die Grundlage jeder Freiheit überhaupt, „the matrix, the indispensable condition of nearly every other form of freeedom“ (Cardozo).“ Damit formuliert das Bundesverfassungsgericht den überragenden Stellenwert dieses Grundrechts. Es benutzt in diesem Urteil übrigens zum ersten und einzigen Male das Stilmittel, tragende Gründe seiner Entscheidung auch in anderen Sprachen zu formulieren. Das muß natürlich bei der Auslegung der allgemeinen Gesetze stets so durchschlagen, daß im Zweifel der Freiheit der Vorrang vor allen anderen Belangen gebührt. Ihre Grenzen findet sie nur in den allgemeinen Gesetzen, also dem Strafgesetzbuch, aber auch an den Persönlichkeitsrechten anderer Menschen. Die Verleumdung mag eine Meinungsäußerung sein, sie ist aber gerade aus diesem Grunde nicht zulässig. Politische Meinungen indessen sind nach unserer Verfassung ebenso frei wie etwa Meinungen zu künstlerischen Darbietungen oder der Qualität von Wein. Innerhalb der so von der Verfassung definierten Meinungsfreiheit gibt es eben keine „Grenzen des Sagbaren“. So dient schon der Vorwurf, die Grenzen des Sagbaren verschieben zu wollen, genau genommen der Einschüchterung.
Der neurotische „Kampf gegen Rechts“
Das politische Meinungsklima in Deutschland indessen treibt in die entgegengesetzte Richtung. Die Mehrheitsmeinung erhebt nicht nur den Anspruch, jeweils sachlich zutreffend zu sein, sie maßt sich auch an, abweichende Meinungen als nicht nur sachlich unzutreffend, sondern moralisch verwerflich und staatsgefährdend zu bewerten. Dabei schreckt man auch vor offensichtlichen Verleumdungen nicht zurück, wenn sie nur geeignet erscheinen, die Furcht der Bevölkerung vor Krieg und Tod, Bürgerkrieg und Diktatur und was der diffusen Ängste noch mehr sein mögen, zu fördern. Wir erleben dies gerade im Zusammenhang mit den angeblichen Enthüllungen über eine sogenannte Geheimkonferenz finsterer rechtsextremer Figuren, auf deren Tagesordnung nicht weniger als die millionenfache Deportation von Menschen mit der angeblich falschen Hautfarbe oder Abstammung, und zwar auch mit deutscher Staatsbürgerschaft, gestanden haben soll. Nichts von dem allen ist wahr, wie das auch schon in der Vergangenheit mehrfach der Fall gewesen ist. Erinnert sei an die Fälle der komplett erlogenen Ertränkung eines sechsjährigen Kindes mit Migrationshintergrund durch Neonazis im Freibad von Sebnitz im Sommer 2000, des angeblich rassistischen Mordanschlages auf Ermyas Mulugeta im April 2006, die angebliche Hetzjagd von Mügeln im August 2007, die verleumderische Verfälschung des Textes der Ansprache des Politikers Martin Hohmann vom 3. Oktober 2003, die angebliche Hetzjagd von Chemnitz vom August 2018, den nicht stattgefundenen, jedoch journalistisch gehypten Sturm auf den Reichstag am 29.8.2020 und die Falschmeldung über angebliche Bedrohungen von Angestellten anderer Fraktionen durch Mitarbeiter der AfD-Bundestagsfraktion 2019. Sie alle hatten eins gemeinsam: Sie waren komplett erfunden, erschienen jedoch nützlich im sogenannten Kampf gegen Rechts zu sein, ebenso wie der maßlos aufgebauschte angebliche Reichsbürgerputsch um die verwirrten Zeitgenossen um den merkwürdigen Heinrich XIII. Prinz Reuß. Gleichwohl schaffen es Politiker und Journalisten, nahezu täglich zig-tausende von Bürgern auf die Straße zu treiben, um dort gegen die Wiederkehr Hitlers und seiner Spießgesellen, selbstverständlich in Gestalt der verhassten AfD und anderer angeblicher Umstürzler zu demonstrieren. Die apokalyptischen Reiter der Verleumdung – Furcht, Unwissenheit, Fanatismus und Verunglimpfung, treiben die Massen vor sich her.
Der Verfassungsschutz als Gedankenpolizei
Eine tragende Rolle in diesem bösen Spiel hat das Bundesamt für Verfassungsschutz übernommen, das man seit geraumer Zeit besser Bundesamt für Verdachtschöpfung nennen sollte. Es hat sich ganz offen als Instrument der Politik gezeigt, als sein Präsident unverblümt erklärte, seine Behörde könne es nicht alleine leisten, die Umfragewerte der AfD zu reduzieren. Es hat auch seine gesetzlichen Aufgaben eigenmächtig erweitert, indem es die sogenannte „Delegitimierung des Staates“ seiner Aufgabenbeschreibung in § 3 des Bundesverfassungsschutzgesetzes hinzugefügt hat. Das Gesetz selbst weist ihm jedoch nur die Sammlung und Auswertung von Informationen über Bestrebungen zu, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gerichtet sind, oder eine ungesetzliche Beeinträchtigung der Amtsführung der Verfassungsorgane des Bundes oder eines Landes oder ihrer Mitglieder zum Ziele haben, sowie weiter sicherheitsgefährdende, geheimdienstliche und sonstige Bestrebungen, vor allem durch Anwendung von Gewalt, und auch Bestrebungen die gegen den Gedanken der Völkerverständigung und das friedliche Zusammenleben der Völker gerichtet sind. Von einer „Delegitimierung des Staates“ kann keine Rede sein, auch die ungesetzliche Beeinträchtigung der Amtsführung der Verfassungsorgane ist etwas völlig anderes als die angebliche Delegitimierung. Nachdem die ungesetzliche Beeinträchtigung der Amtsführung von Verfassungsorganen bereits im Gesetz steht, und der Angriff gegen die Verfassungsordnung überhaupt ebenso wie gegen die Sicherheit des Staates, kann der neue Begriff nur Aktivitäten und Meinungsäußerungen unterhalb dieser Schwelle betreffen. Sie sind jedoch von dem tragenden Freiheitsrecht des Art. 5 GG geschützt.
Diese Selbstermächtigung des Bundesamtes für Verfassungsschutz ist als Bestrebung gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung unseres Landes zu werten. Die Verfassung muß vor diesem Verfassungsschutz geschützt werden. Nicht mehr der Schutz der bürgerlichen Freiheiten vor einem autoritären oder gar diktatorischen System, das sie abschaffen will, steht auf der Agenda des Amtes, sondern man arbeitet daran, den Geist der Freiheit einzusperren.
Nur hilflos oder schon erbärmlich?
Exemplarisch zeigt sich dies nun daran, daß man nun den Vorgänger des heutigen Präsidenten, Herrn Dr. Hans-Georg Maaßen, als Beobachtungsobjekt führt. Nicht nur die Absurdität dieses Sachverhalts als solche, vielmehr die nun öffentlich gemachten Gründe hierfür verdienen eine nähere Betrachtung. Nachdem dies bekannt geworden war, ließ Herr Dr. Maaßen mit Schreiben vom 18.8.2023 über seine Anwälte das Amt auffordern, Auskunft über die zu seiner Person gespeicherten Daten zu erteilen. Dem hat das Amt nun mit Bescheid vom 16.1.2024 entsprochen und auf 20 Seiten dargelegt, welche Daten es aus welchem Grunde über die Person Dr. Hans-Georg Maaßen gespeichert hat. Dieses Dokument ist so bemerkenswert, daß Herr Dr. Maaßen seiner Veröffentlichung zugestimmt hat. Die Lektüre dieses Schreibens gestattet tatsächlich einen Blick in die Gedankenwelt dieser Behörde, die wiederum maßgeblich von der Regierungspolitik bestimmt wird.
Hier werden Denkweisen und Methoden sichtbar, die an die geistigen Grundlagen und Arbeitsmethoden von diktatorischen Systemen erinnern, wie wir sie in unserem Lande leider schon hatten, und wie wir sie heute in Ländern wie Russland und China sehen. Doch auch demokratische Gesellschaften sind vor solchen Entwicklungen nicht sicher. Ein Beispiel aus der neueren Geschichte ist die McCarthy-Ära in den USA. Den meisten Menschen in Deutschland wird der Begriff nichts mehr sagen. Es handelte sich kurz gesagt um eine Kampagne in den USA der frühen fünfziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts, wohl eingebettet in eine hysterische Furcht vor dem Kommunismus. Dem politischen Schwindler Joseph McCarthy war es gelungen, bis zum Senator aufzusteigen und sich die Furcht seiner Landsleute vor dem Erstarken des Kommunismus im gerade begonnenen Kalten Krieg zu Nutze zu machen. Ein Klima, in dem die absurdesten Verdächtigungen gegen Künstler, Intellektuelle, Politiker, aber auch Neid und Missgunst fröhliche Urständ feierten. Abweichende Meinungen konnten sehr schnell als Beleg für kommunistische Verschwörungen angesehen und bewertet werden. Natürlich musste diese kollektive Psychose scheitern, und brach dann auch nach wenigen Jahren zusammen.
Aufschlussreich ist also, was der Verfassungsschutz so alles über seinen früheren Präsidenten gespeichert hat. Verdachtbegründend sind demnach schon Veröffentlichungen Dritter über Maaßen. Besonders verdächtig ist es, wenn Leute etwas über ihn schreiben, die ihrerseits vom Verfassungsschutz der Reichsbürgerbewegung zugerechnet werden, verdächtig ist es aber auch, wenn der Jurist Dr. Maaßen sich über Verhältnismäßigkeit oder Unverhältnismäßigkeit von polizeilichen Maßnahmen äußert. Natürlich darf auch die Verschwörungstheorie unserer Verfassungsschützer nicht fehlen, wonach schon die Wortwahl einer verdächtigen Person den Verdacht des Antisemitismus begründen kann oder gar muß. Dabei greift man zu dem semantischen Taschenspielertrick, dem betreffenden Verfasser zu unterstellen, er meine gar nicht, was die von ihm benutzte Vokabel bedeutet, sondern benutze sie gewissermaßen als Geheimzeichen, wie das in der Ganovensprache, auch Rotwelsch genannt, der Fall ist. Dort gibt es ja nicht nur Vokabeln, die man sonst weder in der Umgangs- noch der Hochsprache findet, sondern auch Vokabeln, die nur für Eingeweihte vertändlich sind, zum Beispiel „Kachny“ (Huhn) oder „schinageln“ (arbeiten). Oder solche, die für Eingeweihte eine andere Bedeutung haben, als für uns. So meinen sie betteln, wenn sie fechten sagen, und Hunger, wenn sie Bock sagen. Die Verschwörungstheoretiker vom Bundesamt für Verdachtschöpfung sprechen dann von „Codes“ und „Chiffren“. Der Begriff des Globalismus, der nun einmal ganz wertneutral für die Bedeutung der weltweiten Wirtschaftsbeziehungen und die Macht der weltumspannenden Konzerne steht, soll dann belegen, daß der Verfasser in Wirklichkeit damit ein antisemitisches Stereotyp bedient, und in der Nachfolge Hitlers von einer jüdischen Weltherrschaft fabuliert. Die Heimtücke dieser Methode besteht natürlich darin, daß bereits die Unterstellung, sich einer Geheimsprache zu bedienen, denknotwendig voraussetzt, daß der Betreffende zu eben den Kreisen gehört, die man als verfassungsfeindlich und/oder kriminell einstuft. Das ist so grotesk und absurd, daß man darüber nachzudenken beginnt, ob die Urheber solcher Verschwörungstheorien nicht doch einer intensiven psychotherapeutischen Behandlung bedürfen.
Aber auch die übliche parteipolitische Kritik, auch Polemik, ist für den Verfassungsschutz offenbar Anlass genug, derartiges zu speichern. Offenbar sieht man sich aufgerufen, insbesondere die Partei Bündnis 90/die Grünen zu schützen, weswegen man Aussagen des Delinquenten dazu speichert. Verdächtig sind dann Äußerungen in Interviews mit Publikationen wie der Züricher Weltwoche, der Neuen Zürcher Zeitung, der Welt, Cato oder auch im Spiegel. Für eine seriöse Informationsquelle hält man aber offenbar die Publikation der linksradikalen Amadeu Antonio Stiftung namens Belltower. Nun gut, diese sogenannte Nichtregierungsorganisation ist ja inzwischen faktisch eine zivilrechtlich verfasste Verfassungsschutzbehörde. Dem Fass schlägt den Boden aus der Hinweis auf das Schreiben eines unbekannten Verfassers von 23.5.2017 an Maaßen als seinerzeitigen Präsidenten des Bundesamtes für Verfassungsschutz, das nach Meinung der Verfasser dieser Recherche in einem für „Reichsbürger“ und „Selbstverwalter“ typischen Sprachgebrauch abgefasst sein soll, dicht gefolgt von dem Hinweis auf eine Zusammenstellung von Presseartikeln vom 12.3.2018, zu denen auch ein Bericht des Spiegel vom 10.3.2018 gehören soll. Gewissermaßen zur Entschuldigung beruft sich dann das Autorenkollektiv auf die automatisierte Suche nach Belegen für verfassungsschutzrelevante Nennungen des Namens Maaßen. Die Krone des Ganzen ist allerdings die Erwähnung der E-Mail einer Person an die Bundesministerin des Innern und für Heimat vom 9. Dezember 2022, in welcher der Versender im Zusammenhang mit der „Razzia in der Reichsbürgerszene“ Funktionsträger im öffentlichen Dienst verdächtigt, rechtsextremistische, cyberfaschistische und scientologische Ideologien auszuleben. Wohlgemerkt, es handelt sich bei all diesen „Fundstücken“ nicht etwa um Äußerungen des Beobachtungsobjekts Dr. Maaßen. Es genügt offenbar, wenn eine Suchmaschine Verknüpfungen zwischen Texten dieser Art und dem verfassungsfeindlicher Umtriebe verdächtigten Dr. Hans-Georg Maaßen herstellt. Willkommen in Absurdistan!