Frieden um jeden Preis?

Es ist an der Zeit, die Debatte um Krieg und Frieden, um Panzerlieferungen und Verhandlungsangebote, um Kriegstreiber und Friedenstauben zu beenden.

Die Lage

Es stehen sich unversöhnlich die Befürworter der Politik des Westens, der die Ukraine mit der Lieferung von Waffen und der Ausbildung ihrer Soldaten daran unterstützt einerseits, und die Befürworter einer Verhandlungslösung, die von den Regierungen der Ukraine und der NATO-Staaten jedoch nicht angestrebt werde, gegenüber. Dabei gewinnt diese Debatte an Schärfe dadurch, daß hier, wie in Deutschland leider inzwischen üblich, die Sachargumente moralisch vergiftet werden. Die jeweilige Gegenseite liegt halt nicht nur falsch, nein, sie steht im Solde der Mächte der Finsternis. Befürworter von Friedensverhandlungen betreiben die Propaganda Russlands, Befürworter von Rüstungslieferungen an die Ukraine betreiben das Geschäft der amerikanischen Wirtschaft, deren Vasallen die Regierungschefs von Washington bis Berlin sind.

Was ist zu tun?

So kommen wir nicht weiter. Wir müssen nüchtern die Fakten betrachten. Fangen wir meinetwegen mit der Rolle des Westens, angeführt von der amerikanischen Administration an. Die USA haben ein massives Interesse daran, die Ukraine und nicht nur sie in den westlichen Wirtschaftsraum und auch in die NATO aufzunehmen. Es ist das natürliche Bestreben jeder Großmacht schon immer gewesen, ihren Einflussbereich immer mehr auszuweiten. Dazu ist historisch wie auch gegenwärtig jedes Mittel recht. Im Falle der Ukraine ist es in der Tat so, daß die USA seit 2004 auch mit unlauteren Mitteln, Intrigen, Bestechungen und vielleicht sogar Manipulationen an der Herauslösung dieses Landes aus dem Einflussbereich Russlands gearbeitet haben. Was von den Kritikern der US-amerikanischen Kritik hierzu vorgetragen wird, ist in der Sache im allgemeinen auch zutreffend. Doch kann man dabei nicht stehen bleiben. Die rote Linie der Politik ist die Gewaltanwendung. Unterhalb dieser Schwelle ist eben alles erlaubt, und soweit hier juristische Grauzonen, auch Verbotszonen, betreten werden, kann dem nur mit juristischen Mitteln begegnet werden. Eine manipulierte Wahl kann eben auf dem dafür eingerichteten Rechtsweg angefochten werden, Bestechung wird von den zuständigen Gerichten abgeurteilt, wenn denn auch Anklage erhoben wird. Eine auf zweifelhaftem Wege zustande gekommene politische Entscheidung kann nur auf demokratischem Wege korrigiert werden, indem sie rückgängig gemacht wird bzw. eine andere Entscheidung an ihre Stelle gesetzt wird. So und nicht anders sind nun einmal die Spielregeln seit der Aufklärung. Das ist der parlamentarische Rechtsstaat. Er kann Gewalt nur zur Durchsetzung des Rechts im Inneren nach den dafür aufgestellten Regeln ausüben, und zur Verteidigung gegen den Angriff von außen, der ja immer Rechtsbruch ist.

Die Souveränität der Staaten

Es ist daher völlig gleichgültig, ob die Ukraine ausschließlich aus eigenem Antrieb ihrer Bevölkerung ohne Einflussnahme von außen, oder unter dem massiven Einfluss von außen sich dazu entschieden hat, sich politisch und wirtschaftlich ins westliche Lager zu begeben und die Mitgliedschaft in EU und NATO anzustreben. Es ist einfach das gute Recht eines jeden Volkes, über sein Schicksal, seine Gesellschaftsordnung, seine Bündnisse selbst zu bestimmen. Niemand, insbesondere nicht frühere Verbündete oder gar Kolonialherren, hat das Recht, eine solche Entscheidung mit Gewalt zu korrigieren und dieses Land dann militärisch zu unterwerfen.

Berechtigte und vorgeschobene Interessen

Es ist demnach auch völlig gleichgültig, ob diese Entwicklung die Sicherheitsinteressen Russlands, seien sie legitim oder übergriffig, beeinträchtigt. Es mag sein, daß diese Entwicklung in der Tat die Sicherheitsinteressen Russlands berührt. Indessen kann dies weder rechtlich noch politisch einen tragfähigen Grund dafür abgeben, in die Ukraine einzumarschieren und sie unterwerfen zu wollen. Daran ändern auch einschlägige Rechtsverstöße der USA in der Vergangenheit nichts. Wer Unrecht tut, kann sich zu seiner Verteidigung nicht darauf berufen, andere täten das ja auch. In rechtlicher Hinsicht genügt der Hinweis auf die UN-Charta und die Verträge zwischen beiden Staaten, die einen solchen Angriff schlicht verbieten. In politischer Hinsicht ist es nun einmal so, daß Russland die Osterweiterung der NATO nicht nur hingenommen, sondern sich sogar vertraglich insoweit gebunden hat, etwa in der NATO-Russland Grundakte, die es am 27.5.1997 unterzeichnet hat. Auf dieser Grundlage wurde am 28.5.2002 der NATO-Russland Rat ins Leben gerufen. Der russische Präsident hieß damals bereits Vladimir Putin. Polen, Ungarn und Tschechien waren bereits am 12.3.1999 der NATO beigetreten. Noch 2001 zeigte sich Putin indifferent gegenüber dem Beitritt der baltischen Staaten zur NATO. 2004 widersprach Russland dem Beitritt Bulgariens, Rumäniens, der Slowakei und Sloweniens sowie der baltischen Staaten zur NATO nicht. Wenn also heute der Angriff auf die Ukraine mit dem Argument gerechtfertigt wird, man könne der Ausweitung des westlichen Einflussgebiets auf dieses Land aus Sicherheitsgründen nicht mehr untätig zusehen, so ist das nicht glaubhaft. Tatsächlich hat Russland historisch schon immer ein erhebliches Interesse an der Ukraine gehabt. Schon nach dem Sieg Russlands in der Schlacht von Poltawa 1709 begann die nachhaltige Russifizierung des Landes. Sie setzte sich fort in den Zentralisierungsmaßnahmen Katharinas der Großen und der kulturellen Assimilierung der Ukraine an Russland unter Alexander II. Die mehrfachen Äußerungen Putins, die russische Erde wieder einsammeln zu wollen, sprechen eine deutliche Sprache. Nicht die zweifellos legitimen Sicherheitsinteressen, sondern die traditionell großrussische Politik bestimmten Putins Entschluss zum Angriff.

Verlängern wir nur den Krieg?

Auf den ersten Blick einleuchtend sein mag das Argument Sahra Wagenknechts, die Lieferung von Waffen an die Ukraine verlängere nur den Krieg. Besonders perfide sei es, der Ukraine jeweils nur so viel an Waffen und Munition zu liefern, daß sie sich der russischen Angriffe erwehren könne. Das verlängere den Krieg auf unabsehbare Zeit und koste täglich Hunderte von Menschen das Leben. Frau Wagenknecht und ihre Anhänger müssen sich indessen fragen lassen, was die Alternative wäre. Auch Frau Wagenknecht und ihre Anhänger bestreiten nicht, daß Russland völkerrechtswidrig diesen Krieg führt. Die Konsequenz muß ja sein, daß dem Opfer dieses völkerrechtswidrigen Angriffs Beistand geleistet werden darf, nach richtiger Ansicht sogar geleistet werden muß. Die Alternative wäre also, die Ukraine ihrem Schicksal zu überlassen und der Eroberung des Landes durch die russischen Streitkräfte tatenlos zuzusehen. Der Friede wäre dann da. Allerdings wohl auch der Friede des Friedhofs. Will man das?

Eher berechtigt scheint die Kritik zu sein, daß nur so viel Unterstützung geleistet wird, daß die Ukraine sich weiterer Angriffe erwehren kann, nicht jedoch so viel, daß sie den Angreifer aus dem Lande werfen und auf diese Weise einen gerechten Frieden erreichen kann. Indessen ist letzteres unrealistisch. Die personelle und materielle Überlegenheit Russlands gegenüber der Ukraine ist so groß, daß die Umkehr dieser Verhältnisse ausgeschlossen ist. Es ist leider in der Tat nur möglich, die Ukraine militärisch in einem Maße zu unterstützen, durch Lieferung von Waffen, Ausrüstung und Munition sowie Ausbildung ihrer Soldaten an westlichen Waffensystemen, daß sie in den Stand gesetzt wird, der russischen Übermacht standzuhalten. Das ist militärisch selbstverständlich auch aus der Unterzahl möglich, wie die Militärgeschichte immer wieder bewiesen hat. Ausgeschlossen indessen ist in aller Regel der militärische Sieg über den Gegner aus der Unterzahl. Allenfalls einzelne Schlachten können einmal mit viel Können und noch mehr Kriegsglück aus der Unterzahl gewonnen werden, niemals jedoch ein Krieg. Und somit bleibt die bittere Erkenntnis, daß dieser Krieg wohl noch geraume Zeit dauern wird, nämlich so lange, bis auch Russland trotz seiner gewaltigen personellen und materiellen Ressourcen nicht mehr weiterkämpfen kann, jedenfalls nicht mehr weiter mit dem Ziel, das Land zu erobern.

Wann kommt der Tag, an dem die Waffen schweigen?

Das wird dann die Stunde der Friedensverhandlungen sein. Denn zu Verhandlungen ist nur bereit, wer einsehen musste, daß er auf anderem Wege sein Ziel nicht mehr erreichen kann. Wer dann welche Kompromisse eingehen wird, können wir heute nicht wissen. Vor allem aber ist es nicht unsere Sache, in der Art eines Kindermädchens den Ukrainern erklären zu wollen, wann und mit welchem Ziel sie in Verhandlungen mit Russland eintreten sollen. Und es ist auch nicht unsere Sache, Russland etwa bedeuten zu wollen, welche Teile der Ukraine es behalten kann oder überhaupt unter welchen Bedingungen Russland Frieden schließen soll.

Was ist eigentlich unser Interesse?

Und schlussendlich sei an den klassischen Satz von Charles de Gaulle erinnert. Staaten haben keine Freunde, Staaten haben Interessen. Weder Russland noch die Ukraine noch die USA oder Frankreich sind Freunde Deutschlands wie das in zwischenmenschlichen Beziehungen erstrebenswert ist. Mit Staaten hat man gute oder schlechte Beziehungen, man verfolgt seine Interessen, jedenfalls wenn man seine Gedanken beisammen hat. Unser Interesse kann es nach Sachlage nur sein, gute politische und wirtschaftliche Beziehungen zu der Weltmacht zu haben, die unser Leben in Freiheit und Wohlstand wenn nicht garantiert, so doch am wenigsten gefährdet. Das ist in absehbarer Zukunft nur mit guten Beziehungen zu den USA und den übrigen westlichen Demokratien möglich. Selbstverständlich sind entsprechend gute Beziehungen auch zu anderen großen Spielern auf der politischen Bühne wie China, Indien, Brasilien etc. wünschenswert. Selbstverständlich sind auch Handel und Wandel mit Russland in Zukunft wieder aufzunehmen, wohlwissend, daß eine Anlehnung an ein autokratisches System weder im Falle Russlands noch im Falle Chinas erstrebenswert sein kann.

Vor allem aber ist es notwendig, die Debatte nüchtern, sachlich und ohne Schaum vor dem Mund zu führen.

Ein Gedanke zu „Frieden um jeden Preis?

  1. Wiegner

    zwei Aspekte hätten angesprochen werden müssen:
    1. Das Trauma der Ukrainer in Bezug auf die bewußt von Stalin ermordeten Kulaks und die von ihm bewußt herbeigeführte Hungersnot im Rahmen der Kolchosovierung 1932-34 mit über 3,7 Millionen Toten allein in der Ukraine. Die Ukrainer wollten raus aus der SU und selbständig sein, wie heute.
    2. Das Budapester Memorandum v. 5.12.1994 mit zig Garantien für Ukraine, auch Belarus und Kasachstan, für die Abgabe der auf diesen Territorien stationierten Nuklearwaffen an Rußland und den Beitritt dieser Länder zum Atomwaffensperrvertrag. USA und GB als Signatarmäche unternahmen nichts, um diese Garantien nach Wegnahme der Krim durch Rußland 2014 durchzusetzen.

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