Der Spezialdemokrat

Es ist Freitag der 8. Juli 2022. Der Stadtrat von Erlangen begeht sein jährliches Sommerfest. Dr. Florian Janik, seit 2014 Oberbürgermeister, hat zu diesem geselligen Abend geladen, in dessen Rahmen auch die langjährige Bürgermeisterin der Stadt verabschiedet und gewürdigt wird. Im Schmuck der Amtskette tritt der OB ans Rednerpult und hebt zur Laudatio an, die zunächst ganz im Rahmen des erwarteten bleibt und die Leistungen der ausscheidenden Kommunalpoltikerin aufzählt, verbunden mit großem Lob und persönlichen Worten. Doch dann verknüpft der OB dieses Lob mit der Parteipolitik und preist den Einsatz der Geehrten für Demokratie, für Menschenwürde, und ihren Einsatz dafür. Wörtlich: „Daß man die Feinde der Demokratie nicht ignorieren darf, sondern, daß wenn die Feinde der Demokratie und ob sie NPD heißen ob sie Dritter Weg heißen ob sie als die AfD heißen, wie auch immer sie heißen mögen, daß man diesen Feinden der Demokratie niemals das Feld überlassen darf, daß man den Mut haben muß, sich gegen sie zu stellen, daß man den Mut haben muß ihnen immer wieder deutlich zu machen, daß das wofür sie eintreten nicht nur irgendeine politische Meinung ist, daß ihre politische Meinung darauf abzielt alle anderen politischen Meinungen und alle die andere politische Meinung am Ende mundtot zu machen.“ (Original aus Redemitschrift)

Die Sache geht zu Gericht

Abgesehen davon, daß derartige Beschimpfungen des politischen Gegners in einer offiziellen Laudatio nichts zu suchen haben, und daß die gelöste Stimmung eines Sommerfestes ohnehin derart scharfe Rhetorik nicht verträgt, ist die Rechtslage in Deutschland glasklar. Es gilt das Gebot der strikten Trennung von Staatsamt und Parteifunktion. Mag der Politiker als Repräsentant seiner Partei noch so rüde über den politischen Gegner herziehen dürfen, in seiner Funktion als Amtsträger darf er das nicht. Das ist auch allgemein bekannt, insbesondere hat das Bundesverfassungsgericht in drei (!) bekannten Urteilen vor diesem Auftritt des Erlanger OB klipp und klar diese Rechtslage bestätigt und die Bundesminister Wanka mit Urteil vom 27.2.2018 und Seehofer mit Urteil vom 9.6.2020 dazu verurteilt, es künftig zu unterlassen, in amtlicher Eigenschaft den politischen Gegner schlecht zu machen. Es handelte sich, angesichts der derzeitigen politischen Großwetterlage wenig überraschend, jeweils um den politischen Gegner AfD. Der Erlanger OB hält es offenbar auch für den Ausdruck seiner besonders demokratischen Haltung, die Stadträte der AfD während der Sitzungen grundsätzlich nur mit bürgerlichem Namen anzusprechen, die übrigen Stadträte jedoch mit „Frau Kollegin“ bzw. „Herr Kollege“. Das ist nicht demokratisch, das ist schlicht flegelhaft. Auch hatten in den Jahren zuvor eine Reihe von Verwaltungsgerichten jeweils Kommunalpolitikern untersagt, in amtlicher Eigenschaft über ihren politischen Gegner AfD herzuziehen. Und mit Aufsehen erregendem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 15.6.2022, also gerade einmal rund drei Wochen vor dieser Veranstaltung der Stadt Erlangen, wurde der seinerzeitigen Bundeskanzlerin Angela Merkel gleiches ins Stammbuch geschrieben, nachdem sie anlässlich einer Auslandsreise als Bundeskanzlerin den Landtag von Thüringen dazu aufgefordert hatte, die soeben erfolgte Wahl eines FDP-Politikers zum Ministerpräsidenten mit den Stimmen der AfD rückgängig zu machen.

Rechtsblind und stur

Mit anderen Worten, Janik wusste was er tat, und er tat es trotzdem. Der Vorgang ist schon für sich genommen skandalös genug. Doch dabei ließ dieser hoffnungsvolle Nachwuchspolitiker (Jahrgang 1980) der SPD es nicht bewenden. Die örtliche AfD forderte ihn im Anschluss an die Veranstaltung auf, derartiges künftig zu unterlassen, und insoweit auch eine Unterlassungserklärung abzugeben. Dazu konnte sich der Herr Oberbürgermeister nicht verstehen, sodaß der örtliche Kreisverband die Stadt Erlangen vor dem zuständigen Bayerischen Verwaltungsgericht Ansbach verklagte. Das Gericht solle der Stadt per Urteil untersagen, durch ihren Oberbürgermeister im Rahmen offizieller Veranstaltungen bezüglich des Klägers (AfD-Kreisverband) im Rahmen offizieller Veranstaltungen zu erklären: „Die Feinde der Demokratie, ob sie NPD heißen, ob sie Dritter Weg heißen oder ob sie AfD heißen“. Obwohl die Rechtslage keinen Zweifel daran zuließ, daß die Klage Erfolg haben würde, ließ der OB seine Stadtverwaltung gegen den Unterlassungsanspruch argumentieren und Klageabweisung beantragen. Naturgemäß erging dann am 23.3.2023 ein Urteil entsprechend dem Klageantrag. Offenbar waren die städtischen Juristen nach Lektüre des Urteils der Auffassung, ein Rechtsmittel werde kaum erfolgreich sein können, weswegen dann auch das Urteil rechtskräftig wurde.

Soweit, so gut, mag man denken. Weit gefehlt.

Wem das Recht gleichgültig ist…

Am 10.1.2024 berichtete die Tagesschau in sensationeller Aufmachung über ein sogenanntes Geheimtreffen „rechter“ Kreise, das am 23. November des Vorjahres in Potsdam stattgefunden habe. Es seien dabei Pläne zur millionenfachen Vertreibung von Migranten mit und ohne deutschen Pass geschmiedet worden, um einmal diese Räuberpistole in wenige Worte zu fassen. Bekanntlich führte das in den Wochen danach zu massenhaften Demonstrationen auf den Straßen und Plätzen der Republik, die sich ganz eindeutig vor allem gegen die AfD richteten. Dies unbeschadet dessen, daß sehr bald schon die Urheber dieser Sensationsgeschichte zurückruderten und erklärten, von massenhaften Vertreibungen sei eigentlich nicht die Rede gewesen. Doch da lief die absichtsvoll in Gang gesetzte Empörungsmaschinerie schon auf vollen Touren. Der Erlanger OB musste sich da natürlich in seiner Stadt an die Spitze der Proteste setzen. Auf seiner amtlichen Homepage rief er zu einer für Freitag, den 19.1.2024 geplanten Kundgebung auf und „motivierte“ die Bürger seiner Stadt dazu mit den Worten: „Die Enthüllungen des Rechercheteams von Correctiv sind erschreckend, aber nicht überraschend. Schon lange ist klar, daß die AfD eine rechtsextreme Partei ist. Nun liegt es schwarz auf weiß vor: Die Alternative für Deutschland plant gemeinsam mit Neonazis, Rechtsextremen, Funktionären der CDU-nahen Werteunion und einer Gruppe von Unternehmern die massenhafte Deportation von Menschen mit Migrationshintergrund – ob mit oder ohne deutschen Pass. Mut macht in diesen Zeiten, daß Tausende Menschen in Deutschland aufstehen und auf großen Kundgebungen für Rechtsstaat, Demokratie und Freiheit eintreten. Auch in Erlangen ist eine solche Kundgebung geplant. Sie findet am Freitag, dem 19. Januar ab 16:00 Uhr auf dem Hugenottenplatz statt. Erlangen ist offen aus Tradition und wir erleben die Vielfalt unserer Stadtgesellschaft jeden Tag als Bereicherung. Zeigen wir das auch!“

Erregte Politiker treffen auf kühle Juristen

Nun ist abgesehen von dem erschreckend niedrigen politischen Niveau dieser Aussage vor allem bemerkenswert, daß hier jemand vorgibt, für den Rechtsstaat einzutreten, der auf denselben offensichtlich pfeift. Nicht nur, daß dem Oberbürgermeister einer deutschen Großstadt von Amts wegen klar sein muß, daß er Amt und Parteipolitik streng voneinander zu trennen hat, sondern auch der Umstand, daß gerade ihm als Oberbürgermeister von Erlangen mit Urteil des Verwaltungsgerichts Ansbach vom 23.3.2023 weniger als ein Jahr zuvor persönlich klargemacht worden war, daß er so etwas nicht darf, macht an sich sprachlos. Es bleibt nur die Feststellung, daß dieser Spezialdemokrat für sich in Anspruch nimmt, an Recht und Gesetz nicht gebunden zu sein.

Der Erlanger Kreisverband der AfD mahnte also die Stadt Erlangen dieserhalb ab und forderte sie mit Anwaltsschreiben vom 26.1.2024 zur Abgabe einer sogenannten strafbewehrten Unterlassungserklärung auf, also der Erklärung, künftiges nicht wiederholen zu wollen, bei Meidung einer Vertragsstrafe für den Fall der Zuwiderhandlung. Dem kam die Stadt Erlangen, man muß schon sagen, erwartungsgemäß nicht nach. Deswegen beantragte der Anwalt des Kreisverbandes am 1.2.2024 beim Verwaltungsgericht in Ansbach, der Stadt Erlangen bei Meidung eines auf Antrag des Antragstellers vom Gericht festzusetzenden Ordnungsgeldes zu untersagen, durch ihren Oberbürgermeister öffentlich erklären zu lassen: „Die Enthüllungen des Rechercheteams von Correctiv sind erschreckend, aber nicht überraschend. Schon lange ist klar, daß die AfD eine rechtsextreme Partei ist. Nun liegt es schwarz auf weiß vor: die Alternative für Deutschland plant gemeinsam mit Neonazis, Rechtsextremen, Funktionären der CDU-nahen Werteunion und einer Gruppe von Unternehmern die massenhafte Deportation von Menschen mit Migrationshintergrund – ob mit oder ohne deutschen Pass.“ Der Oberbürgermeister wies seine Verwaltung erwartungsgemäß an, dem entgegenzutreten, was mit Schriftsatz vom 5.2.2023 auch geschah. Indessen konnte sie damit das Gericht nicht überzeugen. Mit Beschluss vom 6.2.2024 verurteilte es die Stadt Erlangen antragsgemäß.

Als „wahrer“ Demokrat pfeift man auf die Gerichte – Haltung ist Alles!

Indessen war die inkriminierte Äußerung des OB auch nach Zustellung dieser Entscheidung noch wochenlang auf seiner offiziellen Homepage unverändert für jedermann lesbar. Der Kreisverband der AfD ließ deswegen mit Schriftsatz seines Anwalts vom 16. Februar 2024 beim Verwaltungsgericht beantragen, wegen dieses Verstoßes gegen den Beschluss des Gerichts vom 6.2.2024 ein Ordnungsgeld festzusetzen. Dem trat die Stadt Erlangen mit dem merkwürdigen Argument entgegen, man sei ja nicht zur Löschung, sondern nur zur Unterlassung dieser Aussage verurteilt worden. Erstaunlicherweise fand sie mit diesem Argument beim Verwaltungsgericht Gehör, das den Antrag auf Festsetzung eines Ordnungsgeldes zurückwies. Dagegen war natürlich Beschwerde zum Bayerischen Verwaltungsgerichtshof einzulegen, was der Anwalt des Kreisverbandes mit Schriftsatz vom 22.2.2024 unter Hinweis auf die ständige Rechtsprechung der obersten Gerichte in Deutschland auch tat. Mit Beschluss vom 18.3.2024 setzte der Bayerische Verwaltungsgerichtshof unter Abänderung des angefochtenen Beschlusses des Verwaltungsgerichts Ansbach gegen die Stadt Erlangen ein Ordnungsgeld in Höhe von 1.000 € fest. Denn im vorliegenden Falle handele es sich ja bei dem streitgegenständlichen Post auf der Homepage des OB der Stadt Erlangen um eine Dauerhandlung. Wer zur Unterlassung einer Dauerhandlung verpflichtet ist, kann diese Verpflichtung natürlich nur dadurch erfüllen, daß er dafür sorgt, daß sie niemanden mehr zur Kenntnis gelangt. Eine zu unterlassende Äußerungen im Internet kann also nur durch löschen eines solchen Posts ungeschehen gemacht werden.

Für die Erlanger Steuerzahler sind die beschriebenen Eskapaden ihres Oberbürgermeisters nicht ganz billig. Nicht nur das Ordnungsgeld in Höhe von immerhin 1.000 €, sondern auch die Verfahrenskosten schlagen zu Buche. Auch wenn es sich dabei nicht um gewaltige Beträge handelt, so wäre das Geld doch etwa in der Möbilierung von städtischen Spielplätzen oder in der Beschaffung von Schulbüchern weitaus besser angelegt. Vor allem aber muß man konstatieren, daß sich jener famose Kommunalpolitiker offenbar herausnimmt, mit Recht und Gesetz „nach Gutsherrenart“ umzugehen. Ein Spezialdemokrat eben. Wer in Deutschland gefährdet eigentlich den demokratischen Rechtsstaat?

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