Wir brauchen Eier!

Oliver Kahns berühmte Forderung an seine Mannschaftskameraden ist längst zum geflügelten Wort geworden. Jeder weiß, was damit gemeint ist: Man braucht eben Schneid, wenn’s  brenzlig wird, Mut, Kraft, und den unbedingten Willen, sich durchzusetzen. Die Begriiflichkeit ist offensichtlich aus dem als negativ empfundenen Gegenbeispiel abgeleitet, des unmännlichen Mannes, des „Schlappschwanzes“ ohne Testikel, wie die für die Sexualfunktion unverzichtbare Ausstattung des männlichen Körpers medizinisch heißt, und die im machohaft ordinären Sprachgebrauch nun einmal Eier heißen.    

Diese Forderung des Titanen kommt mir unwillkürlich in den Sinn, wenn ich lese, daß das Oberverwaltungsgericht Koblenz das Verbot der Stadt Koblenz, in ihren öffentlichen Bädern im sogenannten Burkini zu schwimmen, aufgehoben hat. Denn diese Entscheidung hat natürlich ihre Vorgeschichte. Und sie zeigt, wo bei uns in Deutschland der Schuh wirklich drückt. Zum Sachverhalt, wie der Jurist sagt: 

Wie auch in manch anderer deutschen Stadt wurden auch die Koblenzer Bürger in ihrern Schwimmbädern mit dem Anblick weiblicher Badegäste konfrontiert, die statt der üblichen Badekleidung eine nur Gesicht, Hände und Füße unbedeckt lassende textile Verhüllung („Burkini“) trugen und so ins Schwimmbecken stiegen. Offenbar gab es dann Unmutsäußerungen der indigenen Bevölkerung, der „Biodeutschen“ also, und zwar in einem solchen Ausmaß, daß der Stadtrat Handlungsbedarf sah. Man ergänzte die einschlägige Badeordnung um einen Passus, der es den Badegästen, im Ergebnis natürlich nur den weiblichen, untersagte, in einem solchen Kleidungsstück das Schwimmbecken zu benutzen. In Kenntnis der juristischen Probleme, die ein solches Verbot wegen der religiösen Begründung für die Benutzung des inkriminierten Textils mit sich bringt, verfiel man auf die vermeintlich besonders schlaue Idee, diese Problematik dadurch zu umgehen, daß man hygienische Gründe vorschob. Und dabei haben sich die Schlaumeier vom Koblenzer Stadtrat in einem Maße blamiert, das zum Fremdschämen ist. Weil, so die oberschlaue Begründung des Verbots, die Kontrolle, ob die Badegäste unter anstoßerregenden oder meldepflichtigen Krankheiten im Sinne des Bundesseuchengesetzes, offenen Wunden oder Hautausschlägen litten, bei Burkini-Trägerinnen nicht möglich sei, müsse man eben (leider?) verbieten, diese Badekleidung in den öffentlichen Bädern der Stadt zu tragen.

Das wäre wohl noch rechtlich zulässig gewesen, wenn diese Bestimmung so gewissermaßen in Reinform in die Badeordnung geschrieben worden wäre. Indessen galt sie ausdrücklich nicht für den Schwimmunterricht von Schulklassen. Die den strengen Regeln des Koran unterworfenen Schulmädchen durften sich weiterhin im ebenso hässlichen wie korankonformen Burkini in das Wasser der städtischen Badeanstalten begeben. Den Leistungssportlern der örtlichen Schwimmvereine war es auch weiterhin gestattet, die ebenfalls den ganzen Körper bedeckenden Neoprenanzüge als Kälteschutz zu benutzen. Diese Begründung war aber nicht wasserdicht, um ein dem Gegenstand angemessenes Bild zu benutzen. Vielamehr lag die Verfassungswidrigkeit dieser Bestimmung auf der Hand, denn hier wurde ja gleiches ungleich behandelt. Sowohl der Neoprenanzug als auch der Burkini machen es dem Bademeister unmöglich, zu überprüfen, ob die Haut des Menschen darunter etwa von Ausschlag befallen oder gar der betreffende Mensch unter meldepflichtigen Hautkrankheiten im Sinne des Bundesseuchengesetzes leidet. Und warum die den Gesetzen Allahs unterworfenen Mädchen im Schwimmunterricht korankonform ins Wasser gehen durften, nach der Schule aber nicht, konnte man ganz offensichtlich überhaupt nicht begründen.

Es dauerte natürlich nicht lange, bis die Islamverbände reagierten und eine aus Syrien stammende Frau gegen das Burkiniverbot in der Badesatzung klagte. Naturgemäß drang sie damit auch durch. Die Richter des Oberverwaltungsgerichts Koblenz kippten das Burkiniverbot mit der nach Sachlage zwingenden Begründung, es verstoße gegen den Gleichheitssatz, Art. 3 Abs. 1, des Grundgesetzes. Denn es sei nicht einzusehen, warum im einen Falle (Burkini) hygienische Gründe entgegenstünden, im anderen Falle (Neoprenanzug) eben nicht. Noch weniger sei einsichtig, wenn danach unterschieden werde, ob das betreffende Mädchen während des Schulunterrichts im Burkini schwimmt, oder nach dem Unterricht in seiner Freizeit.

Dieses Ergebnis war vorhersehbar, sicherlich auch den juristischen Beamten der Stadtverwaltung, denen ich unterstelle, daß sie schlicht und einfach trotz geäußerter Bedenken die Vorgaben des Stadtparlaments umgesetzt haben. Schelte verdienen jedoch die Koblenzer Kommunalpolitiker. Man war offensichtlich zu feige, die wahre Begründung für das Burkiniverbot auch zu nennen und offensiv zu vertreten. Nur dann hätten die Richter sich damit befassen müssen. Stattdessen zu einer Schlaumeierrei zu greifen, die an Peinlichkeit wie Dümmlichkeit kaum zu übertreffen ist, zeigt jedoch das ganze Dilemma, das die Diskussion um religiöse Bräuche, insbesondere des unserer hergebrachten Kultur völlig fremden Islam, kennzeichnet.   

Natürlich steht Art. 4 Abs. 2 des Grundgesetzes, der nun einmal die freie Religionsausübung garantiert, massiv und unübersehbar wie ein altägyptischer Obelisk in der juristischen Landschaft. Doch ist genau hier anzusetzen. Jede Bestimmung des Gesetzes, auch der Verfassung, ist vor ihrer Anwendungnicht nur zu prüfen, also zu untersuchen, ob ihr Regelungsgehalt den zu entscheidenden Sachverhalt trifft, sondern sie ist auch zu hinterfragen. Zu hinterfragen insoweit, als man gerade im Hinblick auf die sich ständig ändernden Zeitläufte, die Juristen sprechen auch von Verfassungswirklichkeit, immer fragen muß, ob die Regelung, vielleicht auch nur ihre überkommene Auslegung, noch richtig ist. Richtig in dem Sinne, als Rechtsregeln kein Selbstzweck sind, sondern das Zusammenleben der Menschen in deren Interesse in geordneten Bahnen ermöglichen sollen. Mit anderen Worten: was will und was soll eine Verfassungsbestimmung, die es den Angehörigen von Religionsgemeinschaften ermöglicht, ihre Religion nicht nur zu haben, sondern auch öffentlich auszuüben?

Natürlich gehört es zu den Merkmalen eines demokratischen Staatswesens, daß seine Bürger entsprechend ihren religiösen  Überzeugungen leben und dies auch nach außen kund tun können. Indessen kann dies nicht unbeschränkt und unbegrenzt gelten. Die Geschichte der Menschheit kennt Religionen und religiöse Bräuche, die mit unseren heutigen Vorstellungen, insbesondere von der Menschenwürde, schlechthin unvereinbar sind. Dabei muß man nicht unbedingt auf die in früheren Zeiten und in glücklicherweise  untergegangenen Religionen weit verbreiteten Menschenopfer zurückgreifen. Aber gerade an diesem in der Tat krassen Beispiel wird deutlich, daß nicht alles, was Religionen vorschreiben, auch vom Staat toleriert, oder sogar geschützt werden muß.

Zu untersuchen ist meines Erachtens stets, inwieweit religiöse Vorstellungen von Minderheiten mit den Lebensgewohnheiten und Anschauungen der Mehrheit kompatibel sind. Das Dilemma zeigt sich ja unter anderem an dem religiös begründeten Schächtungsgebot, das dem von der übergroßen Mehrheit der Deutschen befürworteten Tierschutzgedanken zuwiderläuft. Gesetzgebung und Rechtsprechung dazu sind jedoch in sich widersprüchlich. Die Regelungen dazu sind der gewissermaßen in Gesetzesform erstarrte Eiertanz der Politiker, die weder den engagierten Tierfreunden noch den streng religiösen Muslimen und Juden auf die Füße treten wollen. Das gleiche gilt für die juristischen Verrenkungen mit denen das Verbot sogenannter muslimischer Bekleidung wie Kopftuch, Burka oder Niquab wenigstens partiell durchgesetzt werden soll. Warum etwa eine Lehrerin ein Kopftuch nicht tragen dürfen soll, wenn die Schülerinnen ihrer Klasse es tragen dürfen, ist juristisch nur schwer zu begründen. Es hilft wohl nur der Hinweis auf das Neutralitätsgebot für Amtsträger.

Somit gelangt man zwangsläufig zur Frage, ob auch der Religionsausübung Schranken gesetzt werden können, und zwar von Verfassungs wegen. Dafür gibt es durchaus juristische Argumente. Wenn auch derzeit noch, hoffe ich doch sagen zu können, das Bundesverfassungsgericht die Freiheit der Religionsausübung schrankenlos gewährleistet, so gibt es doch beachtliche Mindermeinungen in der Rechtswissenschaft, wonach das durchaus auch anders gesehen werden kann. Denn unser Grundgesetz übernimmt in seinem Art. 140 die Bestimmungen seiner Vorgängerin, der Weimarer Reichsverfassung vom 11. August 1919. Deren Art. 136,137,138,139 und 141 sind danach Bestandteil dieses Grundgesetzes. Die hier interessierenden Artikel der Weimarer Reichsverfassung lauten: Art. 136 Abs. 1 „Die bürgerlichen und staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten werden durch die Ausübung der Religionsfreiheit weder bedingt noch beschränkt.“ Art. 137 Abs. 3 „Jede Religionsgesellschaft ordnet und verwaltet ihre Angelegenheiten selbständig innerhalb der Schranken des für alle geltenden Gesetzes.“ Also kann die Ausübung einer Religion, insbesondere die Darstellung ihrer äußeren Formen, in der Öffentlichkeit eingeschränkt werden, soweit sonstiges Recht entgegensteht. Davon unberührt bleibt natürlich die Glaubensfreiheit an sich. Denn was Menschen glauben, das ist ein innerer Vorgang. Erst die äußerlich erkennbare Befolgung religiöser Vorschriften berührt das öffentliche Leben. Nur insoweit stellt sich überhaupt die Frage nach der Duldung seitens der anderen Bürger oder gar des staatlichen Schutzes religiösen Lebens. 

Wenn jedoch die Freiheit der Religionsausübung nach Art. 4 Abs. 2 des Grundgesetzes keinerlei Beschränkung unterliegt, dann läuft Art. 136 Abs. 1 WRV völlig leer. Es kann jedoch nicht sein, daß ein Verfassungsartikel den anderen praktisch gegenstandslos macht. Man kann dem Verfassungsgesetzgeber nicht unterstellen, bewußt eine derart in sich widersprüchliche Regelung getroffen zu haben. Denn hätte der Verfassungsgestzgeber tatsächlich die Freiheit der Religionsausübung schrankenlos gewährleisten wollen, dann hätte er in Art. 4 Abs. 2 GG eine ausdrückliche Änderung des Art. 136 Abs. 1 WRV statuiert oder diese Vorschrift in Art. 140 GG gar nicht erst aufgenommen. Darüber hinaus läßt sich gut damit argumentieren, daß der Gesetzesvorbehalt als Gegengewicht zum weiten Schutzbereichsverständnis des Art. 4 Abs. 2 GG notwendig ist. Doch auch dann, wenn man ihn als vorbehaltlos gewährtes Grundrecht auffaßt, so muß man dann doch auf die verfassungsimmanenten Schranken verweisen, die jeglicher Grundrechtsausübung entgegenstehen.

Das sind zum einen die Grundrechte Dritter, und zum anderen sonstige Rechtsgüter mit Verfassungsrang. Letzteres kann zum Beispiel der öffentliche Friede sein. Wenn die Ausübung einer Minderheitenreligion für die große Mehrheit der Bevölkerung anstößig erscheint, dann ist meines Erachtens der Staat verpflichtet, den Stein des Anstoßes wegzuräumen und der Religionsausübung insoweit Schranken zu setzen. Doch auch die Grundrechte Dritter können dem Grundrecht religiöser Minderheiten auf schrankenlose Ausübung ihrer Religion entgegenstehen. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht findet seinen Ausdruck zum Beispiel auch in der negativen Religionsfreiheit, die Art. 4 GG ausdrücklich garantiert. Niemand darf gezwungen werden, sich religiös zu betätigen. Doch darf aus meiner Sicht auch niemand gezwungen werden, die Ausübung ihm lästiger oder gar bedrohlich erscheinender religiöser Bräuche wahrnehmen zu müssen.

Mich persönlich zum Beispiel stört es, den sichtbaren Ausdruck der Minderwertigkeit der Frau gegenüber dem Mann, wie sie im Koran an vielen Stellen festgeschrieben ist, auf Schritt und Tritt wahrnehmen zu müssen. Diese Minderwertigkeit der Frau gegenüber dem Mann ist mit den tragenden Grundsätzen unserer Verfassung wie dem Schutz der Menschenwürde und dem Gleichheitsgrundsatz nicht vereinbar. Wer als Angehöriger einer anderen Religion, etwa einer christlichen Religionsgemeinschaft, oder gar als religionsloser Mensch damit konfrontiert wird, verspürt ein gewisses Unbehagen. Diese plakativ zur Schau getragene Unterwerfung der Frau unter den Mann signalisiert den Geltungs- und Herrschaftsanspruch einer Religion, die unserer hergebrachten und im übrigen gerade gegen die alle Lebensbereiche durchdringende Dominanz des Christentums mittelalterlicher Stringenz erkämpften freiheitlichen Ordnung diametral entgegensteht.

Die Einschränkung der Religionsausübung ist auch grundsätzlich unserer Rechtsordnung nicht fremd. Das Geläut der Kirchenglocken zum Beispiel muß nur innerhalb der Grenzen des Bundesimmissionsschutzgesetzes und seiner Lärmschutzregelungen geduldet werden, Brauchtum und Tradition hin oder her. Wenn man jedoch schon das seit vielen Jahrhunderten zu unserer Kultur gehörende Läuten der Kirchenglocken von Verfassungs wegen reglementieren kann, um wie viel mehr muß es dann möglich sein, die Erscheinungsformen einer Religion zu reglementieren, die erst seit wenigen Jahrzehnten, und dazu noch von gerade mal rund 5 % der Bevölkerung bei uns ausgeübt wird. Von überkommenem Brauchtum und ehrwürdigen Traditionen kann man da ganz sicher nicht sprechen. Ich halte es daher für zulässig, aber auch geboten, das öffentliche Zelebrieren muslimischer Glaubensvorschriften einschließlich Bekleidungsvorschriften zu reglementieren bis hin zur Untersagung im Einzelfalle. Warum etwa das Tragen religiöser Bekleidung nicht auf den Gottesdienst in Sakralgebäuden beschränkt werden kann, erschließt sich bei näherem Hinsehen nicht. Insbesondere dann nicht, wenn diese Regelung dem öffentlichen Frieden dient.

Wie gesagt, die Auslegung von Gesetzen, auch unserer Verfassung, ist dem steten Wandel unterworfen. Allerdings braucht man dazu, was Oliver Kahn gefordert hat: Eier. Unsere politische Klasse indessen besteht leider vorwiegend aus Eunuchen, um im Bilde zu bleiben. Vielleicht müssen erst einmal erhebliche Verwerfungen des gesellschaftlichen Friedens auftreten, bevor dann auch Politiker beiderlei Geschlechts gewählt werden, die  den Anforderungen Oliver Kahns entsprechen, die ja nicht biologisch, sondern psychologisch gemeint waren.




   

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert