Im allgegenwärtigen „Kampf gegen Rechts“ der politischen Mehrheit unseres Landes, im Verbund mit den vorwiegend linksgrün gesinnten Medien, wird gern und häufig der Vorwurf erhoben, eine gesellschaftspolitische Position, die kritisch zur Einwanderung allgemein und insbesondere ihren gesellschaftlichen und kulturellen Verwerfungen steht, sei „völkisch“, mithin letztendlich die Fortsetzung des Nationalsozialismus, auf jeden Fall aber mit der grundgesetzlichen Garantie der Menschenrechte nicht vereinbar. Wäre dem tatsächlich so, verstießen solche politischen Forderungen in der Tat gegen einen tragenden Grundsatz unserer Verfassung und riefen zu Recht den Verfassungsschutz auf den Plan. Im Falle einer politischen Partei müßte das auch zum Verbot gemäß Art. 21 GG führen.
Beispielhaft kann dies im Urteil des Verwaltungsgerichts Köln vom 08.03.2022 zur Beobachtung der AfD durch das Bundesamt für den Verfassungsschutz nachgelesen werden. Der Verfassungsschutz und ihm folgend das Verwaltungsgericht in seiner – nicht rechtskräftigen, beim Oberverwaltungsgericht angefochtenen – Entscheidung heben unter anderem darauf ab, daß die Jugendorganisation der AfD (Junge Alternative) ein Menschen- und Gesellschaftsbild habe, wonach eingewanderte oder einen Migrationshintergrund aufweisende deutsche Staatsangehörige keine adäquate Vergleichsgruppe zum autochthonen Deutschen seien. Es existierten nach der Vorstellung der JA demnach deutsche Staatsangehörige erster und zweiter Klasse. Idealbild sei dort der autochthone Deutsche. Mit dem genannten Maßstab würden jedoch alle Deutschen ausgegrenzt, die nicht zu den autochthonen Deutschen zählten, da sie eingewandert seien oder einen Migrationshintergrund aufwiesen. Diese Klassifizierung sei auch für den Einzelnen unveränderlich, da sie auf einem ethnischen – und nicht auf einem kulturellen – Kriterium beruhe (RNr. 240 des Urteils). Maßgeblich hebt das Gericht auch auf zitierte Äußerungen des seinerzeitigen Parteivorsitzenden Alexander Gauland ab, wonach Kultur angeboren (!) sei. Damit werde deutlich, daß auch das kulturelle Element des Volksverständnisses letztlich abstammungsmäßig begründet werde. Gauland bediene sich ja auch der Formel des „Austauschs“ und erhebe den „Umvolkungs“-Vorwurf (RNr. 867).
Wer ernsthaft an der politischen Diskussion in unserem Lande teilnehmen will, der muß sich innerhalb des Verfassungsbogens bewegen, wie die etwas blumige metaphorische Umschreibung dafür lautet, daß die Grenzen der Meinungsfreiheit und des politischen Gestaltungswillens eben von den Grundwerten der Verfassung gezogen werden. Die deutsche Verfassung, das Grundgesetz, unterstreicht dies durch die sogenannte Ewigkeitsklausel des Art. 79 Abs. 3, wonach die in den Artikeln 1 und 20 GG beschriebenen Prinzipien auch nicht vom verfassungsändernden Gesetzgeber wesentlich verändert oder gar völlig aufgegeben werden dürfen.
In diesem Beitrag ist also zu untersuchen, wo die Grenze zwischen gesundem und verfassungskonformen Patriotismus und völkischer, und damit verfassungsfeindlicher Ideologie zu ziehen ist.
Schutz der Menschenwürde vs. völkischer Begriff der Ethnie resp. des Staatsvolks:
Seit der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 17.01.2017 im zweiten NPD-Verbotsverfahren (BVerfG NJW 2017, 611 ff.) wird vielfach angenommen, das Bundesverfassungsgericht habe in dieser Entscheidung den herkömmlichen Begriff von der historisch-kulturell gewachsenen und auch auf gemeinsamer Abstammung beruhenden Nation aufgegeben. Die Folge sei, daß man sich eine verfassungsfeindliche Einstellung vorhalten lassen müsse, wenn man weiterhin einen solchen Begriff der Nation vertrete. Das findet in der genannten Entscheidung keine Grundlage.
Die wesentlichen Passagen der Entscheidung zu diesem Teil der Problematik– daneben ging es um den wesentlichen Kern des Demokratiebegriffs unserer Verfassung – sollen daher erst einmal zitiert werden:
RNr. 541:
Die Menschenwürde ist egalitär; sie gründet ausschließlich in der Zugehörigkeit zur menschlichen Gattung, unabhängig von Merkmalen wie Herkunft, Rasse, Lebensalter oder Geschlecht. Dem Achtungsanspruch des Einzelnen als Person ist die Anerkennung als gleichberechtigtes Mitglied in der rechtlich verfassten Gemeinschaft immanent. Mit der Menschenwürde sind daher ein rechtlich abgewerteter Status oder demütigende Ungleichbehandlungen nicht vereinbar. Dies gilt insbesondere, wenn derartige Ungleichbehandlungen gegen die Diskriminierungsverbote des Art. 3 Abs. 3 GG verstoßen, die sich –ungeachtet der grundsätzlichen Frage nach dem Menschenwürdegehalt der Grundrechte – jedenfalls als Konkretisierung der Menschenwürde darstellen. Antisemitische oder auf rassistische Diskriminierung zielende Konzepte sind damit nicht vereinbar und verstoßen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung.
Das Parteiprogramm der NPD vom 4./5.6.2010 indessen missachtet die durch die Garantie der Menschenwürde geschützte Subjektqualität des Einzelnen und verletzt den Anspruch auf elementare Rechtsgleichheit.
Denn
RNr. 639:
Die dem Programm vorangestellten „Grundgedanken“ lauten zwar: „Gleich sind die Menschen dagegen vor dem Gesetz und in der Unantastbarkeit ihrer Würde“. Zugleich wird dieses Bekenntnis zur Menschenwürde aber eingeschränkt, wenn es heißt: „Die Würde des Menschen als soziales Wesen verwirklicht sich vor allem in der Volksgemeinschaft“. Ihrem Verständnis des Vorrangs der „Volksgemeinschaft“ entsprechend fordert die Antragsgegnerin (die NPD) als oberstes Ziel deutscher Politik die Erhaltung des durch Abstammung, Sprache, geschichtliche Erfahrungen und Wertvorstellungen geprägten deutschen Volkes. Anzustreben sei die „Einheit von Volk und Staat“ und die Verhinderung einer „Überfremdung Deutschlands, ob mit oder ohne Einbürgerung“. Deutschland müsse das Land der Deutschen bleiben und dort, wo dies nicht mehr der Fall sei, wieder werden. Grundsätzlich dürfe es für Fremde in Deutschland kein Bleiberecht, sondern nur eine Rückkehrpflicht in ihre Heimat geben.
RNr. 640:
Auf dieser Grundlage wird von der Antragsgegnerin (der NPD) ein politisches Konzept entwickelt, das vor allem auf die strikte Exklusion und weitgehende Rechtlosstellung aller ethnisch Nichtdeutschen gerichtet ist.
RNr. 641:
Die Geltung der Grundrechte wird ausdrücklich auf alle Deutschen bezogen und die Anwendung des Solidaritätsprinzips auf die Gemeinschaft aller Deutschen beschränkt.
RNr. 642:
Die Antragsgegnerin (die NPD) fordert daher eine gesetzliche Regelung zur Rückführung der hier lebenden Ausländer („Rückkehrpflicht statt Bleiberecht“). Integration sei Völkermord.
Daraus folgert das Bundesverfassungsgericht:
RNr. 646:
„Vor allem aber zielt das Parteiprogramm auf einen rechtlich abgewerteten, nahezu rechtlosen Status aller, die der ethnisch definierten „Volksgemeinschaft“ im Sinne der Antragsgegnerin nicht angehören. Grundlage ist der Ausschluss der Nichtdeutschen aus dem Geltungsbereich der Grundrechte. Soweit die Antragsgegnerin dies mit dem Hinweis bestreitet, die fragliche Textstelle des Programms setzte sich lediglich kritisch mit der Unterdrückung der Meinungsfreiheit in Deutschland auseinander, steht dem bereits entgegen, daß, obwohl es sich nicht um ein Deutschengrundrecht handelt, die Meinungsfreiheit dennoch auf Deutsche begrenzt wird und für eine abweichende Behandlung anderer Grundrechte nichts ersichtlich ist.
RNr. 690:
Der von der Antragsgegnerin vertretene Volksbegriff ist verfassungsrechtlich unhaltbar. Das Grundgesetz kennt einen ausschließlich an ethnischen Kategorien orientierten Begriff des Volkes nicht. Insoweit hat das Bundesverfassungsgericht festgestellt, daß gemäß Art. 20 Abs. 2 Satz 1 GG das Volk, von dem die Staatsgewalt in der Bundesrepublik Deutschland ausgeht, „von den deutschen Staatsangehörigen und denen ihnen nach Art. 116 Abs. 1 gleichgestellten Personen“ gebildet wird. Für die Zugehörigkeit zum deutschen Volk und den daraus sich ergebenden staatsbürgerlichen Status ist demgemäß die Staatsangehörigkeit von entscheidender Bedeutung. Dabei überlässt das Grundgesetz dem Gesetzgeber, wie sich aus Art. 73 Abs. 1 Nr.2 und Art. 116 Abs.1 GG ergibt, die Regelung der Voraussetzungen für den Erwerb und den Verlust der Staatsangehörigkeit…. Die Auffassung der Antragsgegnerin, der Gesetzgeber sei bei der Konzeption des Staatsangehörigkeitsrechts streng an den Abstammungsgrundsatz gebunden, findet demgegenüber im Grundgesetz keine Stütze.
Demgemäß kommt bei der Bestimmung des „Volkes“ im Sinne des Grundgesetzes ethnischen Zuordnungen keine exkludierende Bedeutung zu. Wer die deutsche Staatsangehörigkeit erwirbt, ist aus der Sicht der Verfassung unabhängig von seiner ethnischen Herkunft Teil des Volkes. Diese verfassungsrechtliche Vorgabe steht in deutlichem Gegensatz zur Auffassung der Antragsgegnerin, nach deren Überzeugung der Erwerb der Staatsangehörigkeit nicht dazu führt, daß der Eingebürgerte Teil des deutschen Volkes wird.
RNr. 693:
Die Antragsgegnerin kann sich zur Begründung der Behauptung, einen verfassungsgemäßen Volksbegriff zu vertreten, auch nicht auf Art. 116 GG und den dazu ergangenen „Teso“-Beschluss des Zweiten Senats berufen. Zwar erweitert Art. 116 GG als Ausdruck der Pflicht, die Einheit des deutschen Volkes als Träger des Selbstbestimmungsrechts nach Möglichkeit zu bewahren, die Eigenschaft als Deutscher auf die sogenannten „Statusdeutschen“. Dies führt aber nicht dazu, daß der Volksbegriff des Grundgesetzes sich vor allem oder auch nur überwiegend nach ethnischen Zuordnungen bestimmt. Vielmehr erhält Art.116 GG als Kriegsfolgenrecht erst dadurch Sinn, daß der Träger der deutschen Staatsgewalt im Ausgangspunkt durch die Gesamtheit der deutschen Staatsangehörigen zu definieren ist. Im „Teso“-Beschluss hatte das Bundesverfassungsgericht darüber zu befinden, ob der Erwerb der Staatsbürgerschaft der Deutschen Demokratischen Republik durch eine Person, die von einem italienischen Vater abstammte, zugleich den Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit im Sinne des Grundgesetzes zur Folge hatte. Daß das Bundesverfassungsgericht dies – unabhängig von der ethnischen Zuordnung –bejahte, dokumentiert die fehlende Ausschließlichkeit der ethnischen Herkunftfür die Bestimmung der Zugehörigkeit zum deutschen Volk.
Soweit das Bundesverfassungsgericht in dieser Entscheidung.
Politisches Ziel einerseits und Rechtsstatus andererseits
Davon zu unterscheiden ist das politische Ziel der Wahrung der Identität der Nation bzw. des ethnisch-kulturell verstandenen Volkes. So hat das Verwaltungsgericht Berlin bereits in der Republikaner-Entscheidung vom 31.01.1998, bestätigt vom OVG Berlin-Brandenburg mit Urteil vom 06.04.2006, Az. 3 B 3.99, festgestellt, daß eine verfassungsrechtliche Verpflichtung, Einwanderung zu erlauben bzw. hinzunehmen, die vielleicht dazu führt, daß die Deutschen im ethnisch-kulturellen Sinn in eine Minderheitsposition gedrängt werden, wie dies in Stadtteilen oder Schulen bereits vielerorts der Fall ist, nicht besteht. Murswiek weist zu Recht daraufhin, daß es ein legitimes Ziel der Politik ist, sich dafür einzusetzen, daß die Bevölkerungsstruktur des deutschen Staates im Wesentlichen erhalten bleibt und sich nicht durch Einwanderung grundlegend ändert. (Dietrich Murswiek, Verfassungsschutz und Demokratie, Duncker & Humblot 2020, S. 169). Demgemäß hat das Bundesverwaltungsgericht festgestellt, die Wahrung der geschichtlich gewachsenen nationalen Identität bzw. die Verhinderung von „Überfremdung“ seien Ziele, die als solche nicht gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung verstoßen. Eine verfassungsfeindliche Haltung wäre allerdings dann erkennbar, wenn Ausländern ihre Menschenrechte abgesprochen und ihre wohlerworbenen Rechte rechtsstaatswidrig aberkannt werden sollten oder wenn ihnen mit rechtsstaatswidrigen Mitteln begegnet werden sollte, wenn sie also ausgegrenzt oder gar vertrieben werden sollten. Das ist kein legitimes Ziel. Wohl aber ist es verfassungskonform, den Umfang der Zuwanderung zu begrenzen und sie auch inhaltlich zu steuern dahingehend, daß auf Kriterien wie Ausbildung und Bekenntnis zu den Grundwerten unserer Verfassung abgestellt wird.
Zum kollekivistischen Menschenbild und exkludierenden ethnischen Volksbegriff:
Die politische Linke in Deutschland wirft konservativen, patriotisch gesinnten Denkern vorr, ein kollektivistisches Menschenbild zu vertreten, in dem der einzelne Mensch in seiner personalen Würde nicht uneingeschränkt Träger der Grundrechte ist, sondern nur als Teil einer sogenannten deutschen Volksgemeinschaft. Dieser wiederum könne nur angehören, wer ethnisch Deutscher sei, die (bloße) Staatsangehörigkeit reiche nicht aus. Man bezieht sich dazu vor allem auf die eingangs zitierte NPD-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 17.01.2017. Die Belege für diesen Vorwurf sind konstruiert und finden sich jedenfalls in aussagekräftiger Formulierung nirgends in den Publikationen außerhalb des rechtsextremistischen Spektrums. Auch ist nicht etwa die Bezeichnung „Passdeutscher“ für eingebürgerte Deutsche aus fremden Herkunftsländern diskriminierend in diesem Sinne. Wie dargelegt, ist diese Formulierung ohne weiteres als Kritik am Verhalten gewisser Einwanderer zu verstehen, die sich über ihre formale Staatsbürgerstellung hinaus ganz offensichtlich nicht mit deutschen kulturellen Traditionen und den Lebensgewohnheiten der Aufnahmegesellschaft anfreunden wollen, und auch tragende Verfassungsgrundsätze, wie zum Beispiel die Gleichberechtigung von Mann und Frau, nicht anerkennen wollen. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist mehrdeutigen Begriffen im Zweifel zugunsten dessen, der sich so äußert, die Bedeutung zu unterlegen, die nicht rechtswidrig ist.
Im Hinblick auf die leider verbreitete, aber irrige Rechtsauffassung Art. 116 Abs. 1 GG kenne nur einen einheitlichen Begriff des Staatsvolkes, denn das Staatsvolk der Bundesrepublik Deutschland sei identisch mit den deutschen Volk im Sinne von Art. 116 Abs. 1 GG, ist die nachfolgende Klarstellung geboten:
Deutscher im Sinne von Art 116 Abs. 1 GG:
Richtig wird zunächst argumentiert, die Forderung nach dem Erhalt der ethnokulturellen Identität einer Bevölkerungsgruppe bewege sich innerhalb des Rahmens der freiheitlichen demokratischen Grundordnung. Mindestens schief jedoch wird es wenn gesagt wird, extremistisch sei eine Bestrebung aber dann, wenn sie sich gegen die Norm richte, daß das Staatsvolk der Bundesrepublik Deutschland mit dem deutschen Volk im Sinne von Art. 116 Abs. 1 GG identisch sei – oder anders: wenn die Nichtzugehörigkeit von ethnisch Fremden zum deutschen Volk behauptet und somit für eine Identität von Ethnos und Demos plädiert werde. Das ist falsch. Es findet auch keine Entsprechung in Art. 116 Abs. 1 des Grundgesetzes. Das belegt eindrucksvoll die verfassungsrechtliche Literatur.
Ich zitiere aus der Kommentierung von Herdegen zur Präambel in Dürig/Herzog/Scholz, RNr. 51: Schon in der Präambel des Grundgesetzes findet sich der Begriff „deutsches Volk“. Er bezeichnet schlicht das Staatsvolk. Die Präambel verweist damit auf das Volk unter dem Dach einer bestehenden, und dem Grundgesetz vorausliegenden staatlichen Ordnung. Dieses Volk hat in Ausübung seiner verfassungsgebenden Gewalt der Bundesrepublik Deutschland (im übergreifenden Rahmen des Deutschen Reiches) eine neue Grundordnung verliehen. Das deutsche Staatsvolk umfasst die Gesamtheit derjenigen, die die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen oder nach Art. 116 Abs. 1 GG den Staatsangehörigen gleichgestellt sind (sog. Statusdeutsche). Entscheidendes Merkmal ist grundsätzlich die Staatsangehörigkeit. Zu ethnischen oder kulturellen Kriterien verhält sich der Begriff des „deutschen Volkes“ insoweit indifferent. Nur bei den „Statusdeutschen“ wird bei der Ermittlung „deutscher Volkszugehörigkeit“ nach Art. 116 Abs. 1 GG auf Merkmale einer gemeinsamen Ethnie wie Abstammung, Sprache, Erziehung oder Kultur abgestellt.
Statusdeutsche werden dort in der Kommentierung zu Art. 116 Abs. 1 (Bearbeiter Giegerich) unter Verwendung des Begriffs „Volksdeutsche“ anstelle der gesetzlichen Formulierung „deutscher Volkszugehörigkeit“ als Angehörige zwar der deutschen Kulturnation, aber nicht unbedingt der deutschen Staatsnation definiert. Im gleichen Sinne auch Masing in v. Mangoldt/Klein/Stark, 6. Aufl. zu Art. 116 RNr. 92. Wir verkennen nicht, daß diese Vorschrift ursprünglich nur eine Schutzfunktion für deutsche Minderheiten im Ausland hatte, oder um es mit dem Kommentator in RNr. 29 zu formulieren, die „offene Tür nach Deutschland“ für deutsche Minderheiten im Ostblock zu sein. Dies setzt aber nach der Kommentierung in RNr. 71 voraus, daß die Betreffenden das Bekenntnis zum deutschen Volkstum in der Heimat durch bestimmte Merkmale wie Abstammung, Sprache, Erziehung und Kultur bestätigen. Dies wiederum setzt begrifflich voraus, daß der Begriff des Deutschen im Sinne des Grundgesetzes unter Berücksichtigung ethnosoziologischer und ethnischer Gesichtspunkte bestimmt ist (vergl. Gnatzky in Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hennecke, Grundgesetz, 14. Aufl. 2018, RNr. 6 unter Bezugnahme auf die Urteile des Bundesverfassungsgerichts vom 31.10.1990, amtliche Sammlung BVerfGE 83, 37 ff., 60 ff.).
Der Vorwurf, eine Klassifizierung deutscher Staatsangehöriger in erster und zweiter Klasse vorzunehmen unterstellt, diese Klassifizierung erfolge auf der Grundlage ethnischer Unterscheidung. Das ist falsch, denn diese Klassifizierung macht sich am Verhalten der betreffenden Personen fest, gleichgültig, ob eingebürgerte oder einheimische Deutsche. Soweit ersichtlich, fordern Autoren aus dem konservativ-patriotischen Lager sowohl von den Abstammungsdeutschen wie von den Statusdeutschen das aktive Bekenntnis zu den deutschen Werten, wie sie vor allem im Grundgesetz manifestiert sind, und des Weiteren zu den kulturellen Traditionen des Landes. Und ebenso fordern sie dies von denjenigen ein, die deutsche Staatsbürger werden wollen.
Damit tun sie nichts anderes, als Frankreich von seinen Zuwanderern im Code Civil verlangt. Gemäß Art. 21-4 Code Civil kann die französische Regierung dem Erwerb der französischen Staatsangehörigkeit durch den ausländischen Ehegatten innerhalb einer Frist von zwei Jahren wegen Unwürdigkeit oder mangelnder Assimilation durch Dekret des Staatsrates widersprechen. So zum Beispiel im Falle der Polygamie oder bestimmter Straftaten. Wenn jedoch Frankreich, gewissermaßen das Mutterland der Menschenrechte, den Erwerb der Staatsbürgerschaft von hinreichender Assimilation abhängig macht, dann sollte klar sein, daß auch Deutschland an seine Einwanderer, die seine Staatsangehörigkeit erwerben wollen, derartige Verhaltensforderungen stellen kann.
Der Schutz der kulturellen Identität der Deutschen durch ihren Staat
Die ethnisch-kulturelle Identität gegen ihre Auflösung durch Einwanderung aus anderen Kulturen zu schützen, wird – wenn es um andere Völker geht – auch von Bundesregierung und Bundestag anerkannt. So hat der Bundestag die Massenansiedlung von Chinesen in Tibet als Zerstörung der tibetischen Identität und Kultur kritisiert (BT Drucks. 13/4445; BT-Prot. 13/10086, 10107). Die Verfassung des Landes Sachsen-Anhalt zum Beispiel schützt in ihrem Art. 37 die kulturelle Eigenständigkeit und politische Mitwirkung ethnischer Minderheiten. Also ein Beispiel dafür, daß ein ethnischer Volksbegriff Verfassungsrang hat, der Schutz ethnischer Minderheiten ebenso. Im logisch zwingenden Umkehrschluß gilt dies auch für die ethnische Mehrheit.
Der Begriff des Volkes im Sinne von Ethnos und nicht im Sinne von Demos, also auch im Zusammenhang mit Abstammung und angestammtem Siedlungsgebiet findet sich jedoch auch durchgängig in Publikationen der Bundesregierung. Zu verweisen ist etwa auf die Broschüre des Bundesinnenministeriums: „Deutsche Minderheiten stellen sich vor“. Das Bundesinnenministerium legt in dieser Broschüre durchgängig einen ethnisch-kulturellen Begriff des Volkes, und gerade des deutschen Volkes zu Grunde. Sämtlichen dort vorgestellten deutschen Minderheiten in Staaten wie Belgien oder Usbekistan wird als Unterscheidungsmerkmal von der umgebenden Mehrheitsbevölkerung ihre Abstammung, ihre spezifisch deutsche kulturelle Prägung und ihr angestammtes Siedlungsgebiet zugeschrieben. Die Bundesregierung misst dem Schutz und der Förderung dieser deutschen Minderheiten auch einen entsprechenden Stellenwert bei. Das Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat (BMI) förderte Deutsche Minderheiten in Europa in den Jahren 2017-2020 mit 91,45 Millionen €; im Jahr 2021 war eine Förderung in Höhe von 25,21 Millionen € vorgesehen. Ziele der Förderung sind die Stärkung der deutschen Gemeinschaften, die Verbesserung der Lebensperspektiven sowie der Erhalt der ethnokulturellen Identität insbesondere durch Sprach- und Jugendförderung (Bundestagsdrucksache 19/32556, S. 22 Nr. 28). Damit kommt sie dem Auftrag nach, den die Vereinten Nationen in ihrer Entschließung vom 18.12.1992 formuliert haben. Aus dem gleichen Grunde unterstützt sie indigene Völker auf der ganzen Welt beim Kampf um ihre Rechte.
Amtliche Definition des Indigenen
Zu verweisen ist in diesem Zusammenhang beispielhaft auf die vom Auswärtigen Amt herausgegebene Zeitschrift für die Vereinten Nationen und ihre Sonderorganisationen, Heft 4/2021. Dort findet sich die Definition indigener Völker im Beitrag von Theodor Rathgeber. Es lohnt sich daraus zu zitieren: „Der Begriffsteil >indigen< beansprucht erstens, daß Menschen und Gemeinschaften die aus ihrer Herkunft stammenden (Kultur-)güter nach eigenem Ermessen für ihre Lebensentwürfe verfügbar machen und selbstbestimmt weiterentwickeln wollen. Bei Sprache, Religion oder Musik gilt das für ethnische und religiöse Minderheiten auch…. Zum anderen drückt >indigen< den Anspruch aus, über ein historisch verbürgtes Siedlungsgebiet und dort befindliche Ressourcen ein Eigentumsrecht ausüben zu können… Der Begriff fußt zweitens außerdem, neben anthropologischen und historischen Kriterien, auf dem Merkmal der – plausiblen – Selbstidentifikation…. Das Element der Selbstidentifikation enthält ebenso den Aspekt der offenen Entwicklung. Angehörige indigener Völker reklamieren für sich keine museale, anthropologisch-historisch fixierte Existenz, sondern beanspruchen eine Weiterentwicklung nach eigenem Ermessen…. Drittens enthält der Begriff >indigene Völker< den Anspruch auf die Selbstbestimmung der Völker entsprechend dem Völkerrecht.“
Auf Art. 37 der Verfassung des Landes Sachsen-Anhalt („Die kulturelle Eigenständigkeit und die politische Mitwirkung ethnischer Minderheiten stehen unter dem Schutz des Landes und der Kommunen“) soll nochmals hingewiesen werden.
Ethnische Minderheiten und ethnische Mehrheiten haben eins gemeinsam: die ethnische Identität
Wenn indessen ethnische Minderheiten überhaupt als solche in dieser Weise definiert werden, und zwar gleichgültig, ob es sich um deutsche Minderheiten in anderen Ländern, ethnische Minderheiten wie etwa die Sorben oder die Friesen in der Bundesrepublik Deutschland, oder aber ethnische Minderheiten wie indigene Völker handelt, dann folgt daraus zwingend, daß es neben der staatsrechtlichen Kategorie des Staatsvolkes (Demos) eine andere Kategorie von Volk gibt, eben eine Großgruppe, die über Abstammung, Kultur und Siedlungsgebiet definiert wird (Ethnos). Spitz gefragt: vertreten die Vereinten Nationen und die Bundesrepublik Deutschland einen menschenwürdewidrigen ethnischen Volksbegriff?
Die Frage der nationalen Identität gewinnt insbesondere im Zusammenhang mit der Definition nationaler Interessen an Bedeutung. Jüngst hat sich damit Klaus von Dohnanyi in seinem Buch „Nationale Interessen – Orientierung für deutsche und europäische Politik in Zeiten globaler Umbrüche“ beschäftigt. So nimmt er zustimmend Bezug auf das Buch der Trägerin des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels 2018, Aleida Assmann „Die Wiedererfindung der Nation. Warum wir sie fürchten und warum wir sie brauchen“, indem er den Satz anfügt: „Ja, auch Deutschland braucht eine nationale Identität.“ (S. 22). Nationale Interessen in Europa sind für ihn auch kein Nationalismus. Vielmehr stellt er fest: „Nationale Interessen werden sich zwangsläufig der Internationalisierung und Europäisierung insbesondere dort entgegenstellen, wo der Nationalstaat nur selber die besonderen sozialen Antworten im Interesse der demokratischen Nation finden kann. Denn nur der einzelne Nationalstaat ist angesichts seiner gesellschaftlichen, demokratischen und immer auch besonderen kulturellen Strukturen in der Lage, die demokratische Feinsteuerung der oft schmerzhaften und unbeliebten sozialpolitischen Antworten auf die Folgen der Internationalisierung durchzusetzen. Nur der soziale Nationalstaat hat dafür die demokratische >Legitimation<“. Zum einen steht auch für Klaus von Dohnanyi außer Frage, daß der Nationalstaat, mit dessen legitimen Interessen er sich in diesem Buch beschäftigt, eine nationale Identität nicht nur hat, sondern auch braucht, und daß dies auch für Deutschland gilt. Und zum anderen hat er eben unter anderem besondere kulturelle Strukturen. All das ist jenseits der bloßen staatsrechtlichen Definition als Verband von Bürgern mit gleicher Staatsangehörigkeit.
Die Menschenrechte sind nicht nur Minderheitenrechte
Das ist auch internationales Recht. Art. 1 Abs. 1 der UN-Deklaration über Minderheitenrechte vom 18.12.1992, A/RES/47/135 legt fest: „Die Staaten schützen die Existenz und die nationale oder ethnische, kulturelle, religiöse und sprachliche Identität der Minderheiten in ihrem Hoheitsgebiet und begünstigen die Schaffung von Bedingungen für die Förderung dieser Identität.“
Wenn es aber sowohl völkerrechtlich als auch verfassungsrechtlich festgeschrieben ist, daß ethnische Minderheiten einen Anspruch auf Wahrung und Förderung ihrer Identität haben, und dies auch in Deutschland traditionelle staatliche Praxis ist, wie Schutz und Förderung der Rechte alteingesessener ethnischer Minderheiten wie der Dänen, Sorben, Friesen, Sinti und Roma zeigen,dann ist die Förderung von Kultur und Traditionen der ethnischen Mehrheit zweifellos ebenso legitim. Soweit also diese Förderung von Kultur und Traditionen der ethnisch Deutschen eingefordert wird, kann dies nicht als Propagierung eines „völkischen“ Verständnisses der Nation gewertet werden.
Die relative Homogenität des Volkes hat Verfassungsrang
Das Bundesverfassungsgericht hat im Maastricht-Urteil die relative Homogenität eines Volkes jedenfalls in kultureller Hinsicht als Voraussetzung für demokratische Legitimation bezeichnet. Der ehemalige Richter des Bundesverfassungsgerichts Professor Ernst-Wolfgang Böckenförde hat das Thema so umschrieben:
„Der spezifische Charakter der demokratischen Gleichheit… zielt – über die formelle rechtliche Zugehörigkeit, die die Staatsangehörigkeit vermittelt, hinausweisend – auf ein bestimmtes inhaltliches Substrat, zuweilen substantielle Gleichheit genannt, auf dem die Staatsangehörigkeit aufruht. Hier meint Gleichheit eine vor-rechtliche Gemeinsamkeit. Diese begründet die relative Homogenität, auf deren Grundlage allererst eine auf der strikten Gleichheit der politischen Mitwirkungsrechte aufbauende demokratische Staatsorganisation möglich wird; die Bürger wissen sich in den Grundsatzfragen politischer Ordnung ,gleich‘ und einig, erfahren und erleben Mitbürger nicht als existenziell anders oder fremd und sind – auf dieser Grundlage – zu Kompromissen und loyaler Hinnahme der Mehrheitsentscheidungen bereit“. (Ernst-Wolfgang Böckenförde, Demokratie als Verfassungsprinzip, Handbuch des Staatsrechts II,3. Aufl. 2004, § 24 RNr. 47).
Demgemäß weist der Verfassungsrechtler Rupert Scholz auch auf die Notwendigkeit einer gewissen Identitätswahrung hin: „Sollte die Einwanderung solche Ausmaße annehmen, daß dessen (des Staatsvolkes) Identität sich verändert, dann ist das mit dem Grundgesetz wohl nicht mehr zu vereinbaren.“ (Rupert Scholz „Das schwächt die Verfassung“, Interview mit Moritz Schwarz in Junge Freiheit v. 21.06.2019 S. 3). Martin Wagener („Kulturkampf um das Volk“) zitiert Paul Kirchhof, der seines Erachtens klarstellt, daß es im Rahmen der freiheitlichen Ordnung des Grundgesetzes natürlich zur Entfaltung unterschiedlicher Kulturen kommen könne. Kirchhof sieht allerdings auch eine Grenze, die zu beachten die Aufgabe des Staates sei: „Würde das Stichwort der Multikulturalität hingegen als ein Wettbewerb gegenläufiger Kulturen gedeutet, dessen Ergebnis sich der nur beobachtende Staat zu eigen machte, so wäre die Freiheitlichkeit gelegen und missverstanden…. Zu der rechtlich vorgefundenen Wirklichkeit, die der Staat zu achten und auszugestalten hat, gehört das Staatsvolk, die Nation, die den konkreten Verfassungsstaat rechtfertigt, seine Aufgaben und Maßstäbe bestimmt.“ (Paul Kirchhof, Der Staat als Organisationsform politischer Herrschaft und rechtlicher Bindung, DVBl 99,642). Wagener leitet daraus ab, daß es im vorrechtlichen Raum nicht nur eine kulturelle Identität gibt, sondern auch einen Ursouverän, der diese kreiert hat. Das deutsche Volk hat sich somit als Kulturnation nach den Einigungskriegen einen eigenen Staat gegeben. (Martin Wagener, Kulturkampf um das Volk, Lau Verlag 2021, S. 114 ff.). Zu Recht zitiert er insoweit aus dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 31.07.1973 zum Grundlagenvertrag: „Mit der Errichtung der BRD wurde nicht ein neuer westdeutscher Staat gegründet,sondern ein Teil Deutschlands neu organisiert. Die BRD ist also nicht ,Rechtsnachfolger‘ des Deutschen Reiches, sondern als Staat identisch mit dem Staat ,Deutsches Reich‘, – in Bezug auf seine räumliche Ausdehnung allerdings ,teilidentisch‘. Das historische deutsche Volk – der Ursouverän – von 1871 ist folglich mit jenem von 1949 kulturell und damit identitär verbunden“ (BVerfGE 36, 1 ff.). Wagener weiter: „Zur Politik des Ursouveräns gehörte – abgesehen von den Jahren1933-1945 – nie die Absicht, das friedliche Zusammenleben mit Menschen anderer Kulturen auszuschließen; deutsche Staatsbürger konnten und können natürlich auch Menschen ohne deutsche Volkszugehörigkeit werden. Nicht vorgesehen waren dagegen eine sich ausbreitende Islamisierung in einem christlich-abendländisch geprägten Land und die Entstehung ganzer Parallelgesellschaften.“
Eine gültige Definition hat seinerzeit Richard von Weizsäcker in einer Rede vom 24. Februar 1972 im Deutschen Bundestag gegeben: „Ich meine, Nation ist ein Inbegriff von gemeinsamer Vergangenheit und Zukunft, von Sprache und Kultur, von Bewusstsein und Wille, von Staat und Gebiet. Mit allen Fehlern, mit allen Irrtümern des Zeitgeistes und doch mit dem gemeinsamen Willen und Bewusstsein hat diesen unseren Nationbegriff das Jahr 1871 geprägt. Von daher – und nur von daher – wissen wir, daß wir uns als Deutsche fühlen. Das ist bisher durch nichts anderes ersetzt.“ (Deutscher Bundestag, 6. Wahlperiode, 172. Sitzung, Bonn 24.02.1972, S. 9838). Auch in jüngerer Zeit haben führende Politiker unseres Landes auf die Problematik hingewiesen, die eine unkontrollierte und administrativ nicht mehr zu steuernde Zuwanderung aus fremden Kulturkreisen mit sich bringen kann. Helmut Schmidt, dem noch nie jemand auch nur eine Neigung zum Rechtsextremismus vorgeworfen hat, äußerte sich im „FOCUS“ am 01.03.2016 so: „Wir müssen eine weitere Zuwanderung aus fremden Kulturen unterbinden. Die Zuwanderung von Menschen aus dem Osten Anatoliens oder aus Schwarzafrika löst das Problem nicht, sondern schafft nur einzusätzliches dickes Problem.“ Deutschland habe sich in den vergangenen 15 Jahren übernommen, führt er weiter aus und erklärt: „Wir sind nicht in der Lage gewesen, diese Menschen wirklich zu integrieren.“ Auch der heutige bayerische Ministerpräsident Markus Söder äußerte sich am 10.10.2015 in einem Interview mit dieser Zeitschrift besorgt im Hinblick auf die Folgen der massenhaften unkontrollierten Zuwanderung. Auf die Frage: „Wieviele Flüchtlinge halten Sie für verkraftbar? 500.000 pro Jahr, wie Sigmar Gabriel meint?“ antwortete der damalige bayerische Finanzminister: „Im Grunde haben wir die Grenzen der Belastbarkeit schon jetzt überschritten. Wir werden in diesem Jahr 1 Million Flüchtlinge oder mehr aufnehmen müssen. Das bedeutet, daß wir weniger Geburten im Lande haben als Zuwanderung. Die Generation 2015 wird damit als Minderheit im eigenen Land geboren. Dies ist auf die Dauer nicht haltbar. Wenn es uns nicht gelingt, die jetzige Zuwanderung rasch und massiv zu begrenzen, sind wir bald nicht nur finanziell, sondern auch kulturell überfordert.“ Auf die weitere Frage: „Die meisten Zuwanderer derzeit sind Muslime. Was heißt das eigentlich für deren Integration?“ antwortete er: „Integration ist jetzt die größte Herausforderung für unser Land. Alles, was im Moment geschieht, wird sich noch 2020 und 2030 auswirken. Denn wir verändern derzeit die kulturelle Statik des Landes.“ Anders gewendet, die Auseinandersetzung mit Problemen der Zuwanderung nicht nur in wirtschaftlicher und finanzieller Hinsicht, sondern auch im Hinblick auf Kultur und Traditionen ist jedenfalls für sich genommen kein Beleg für eine„völkische“, die Menschenwürde missachtende Einstellung.
Die Verfassung erlaubt zweifelsfrei Auswahlkriterien bei der Zuwanderung
Die Problematisierung der Zuwanderung schließt es ja nicht aus, daß ethnisch fremde Zuwanderer deutsche Staatsbürger werden, wie dies übrigens ja schon seit Jahrhunderten praktisch gehandhabt worden ist und weiter gehandhabt wird. Das Bundesverfassungsgericht hat der NPD lediglich bescheinigt, daß sie einen ausschließlich ethnischen Volksbegriff vertritt, der jegliche Aufnahme von ethnisch Fremden in das gewachsene Volk ausschließt. Es hat nicht entschieden, daß ethnisch fremde Zuwanderer grundsätzlich als Staatsbürger aufgenommen werden müssen. Es hat vielmehr festgehalten, daß ethnisch fremde Zuwanderer aufgenommen werden können. Noch viel weniger ist es der Politik verwehrt, die Zuwanderung, aber auch die Aufnahme in die Staatsbürgerschaft an anderen Kriterien als der ethnischen Zugehörigkeit festzumachen. Die Änderung des Staatsangehörigkeitsrechts im Jahr 2000 dahingehend, daß das ius sanguinis (die Abstammung vermittelt die Staatsbürgerschaft) durch ein (modifiziertes) ius soli (der Geburtsort vermittelt die Staatsbürgerschaft) ersetzt wurde, war ja nicht vom Bundesverfassungsgericht angeordnet worden, sondern beruhte auf einer politischen Entscheidung der Parlamentsmehrheit. Das Grundgesetz selbst ist in dieser Frage neutral. Also kann der Gesetzgeber das Einwanderungsrecht etwa an beruflichen Qualifikationen, der Fähigkeit sich selbst wirtschaftlich zu unterhalten und auch an der straffreien Lebensführung oder auch an den Kapazitäten des Schulwesens, dem vorhandenen und kurzfristig zu schaffenden Wohnraum und ähnlichem mehr ausrichten. Denn all diese Kriterien sind völlig unabhängig von der ethnischen Identität der betroffenen Person. Sie sind vielmehr von jedem Menschen bzw, Staat kraft seines Willens beeinflussbar. Genau diese Fähigkeit ist Bestandteil der Menschenwürde bzw. Daseinszweck des Staates. Zweifellos wäre der Gesetzgeber von Verfassungs wegen auch nicht gehindert, im Staatsangehörigkeitsrecht zum ius sanguinis zurückzukehren. Das Staatsangehörigkeitsrecht vor dem Jahr 2000 war ja unstreitig nicht verfassungswidrig. Politik und Recht sind nun einmal zwei unterschiedliche Lebenswirklichkeiten, die auch nur teilweise deckungsgleich sind.
Aus dem vorstehenden wird klar, wie die Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts in RNr. 690 seines Urteils vom 17.01.2017 zu verstehen sind. Das Grundgesetz kennt demgemäß keinen ausschließlich an ethnischen Kategorien gebildeten Begriff des Volkes. Für die Zugehörigkeit zum deutschen Volk im Rechtssinne und die sich daraus ergebenden staatsbürgerlichen Rechte gilt allein Art. 20 Abs. 2 Satz 1 in Verbindung mit Art. 116 GG. Die Verfassung kennt eben keinen exklusiven ethnischen Volksbegriff, der es eben von Verfassungs wegen unmöglich machen würde, ethnisch Fremden den Zugang zur deutschen Staatsangehörigkeit zu verschließen. Wenn der Gesetzgeber einfachgesetzlich über das Staatsangehörigkeitsrecht die Abstammung oder den Geburtsort maßgeblich sein lässt, dann ist von Verfassungs wegen beides möglich. Nicht möglich indessen ist es, ein Staatsangehörigkeitsrecht wie wir es derzeit haben dadurch gewissermaßen zu modifizieren, daß in rechtlicher Hinsicht zwischen ethnisch und rechtlich Deutschen unterschieden wird. Ebenso unvertretbar ist es, Deutschen mit Migrationshintergrund die Zugehörigkeit zur Nation, und zwar zur ethnischen Nation, allein wegen ihrer Geburt abzusprechen. Wohl aber ist es auch rechtlich zulässig, solche Menschen dann nicht als wirklich „zu uns“ gehörend zu bezeichnen, wenn ihr Verhalten erkennen lässt, daß sie sich selbst nicht unserer Kultur zugehörig fühlen, insbesondere die Grundwerte unserer Verfassung nicht anerkennen wollen, soweit diese mit ihrer eigenen Auffassung von Kultur und Religion nicht deckungsgleich sind. Denn, wie oben dargelegt, es ist legitim, die relative Homogenität des Staatsvolkes erhalten zu wollen (Wolfgang Böckenförde).
Fazit
Der Streit um den „völkischen“ Begriff der Nation ist an und für sich überflüssig und mit Blick auf die Rechtslage auch unverständlich. Der AfD kann man nur empfehlen, aus den zitierten Gerichtsurteilen dahingehend zu lernen, daß man sich vom politischen Pöbel und dem intellektuellen Prekariat, wobei es hier große Schnittmengen gibt, trennen muß. Gerade die Entscheidung des Verwaltungsgerichts Köln, die mit einer Unmenge von Zitaten aus Reden und Posts in den sozialen Netzwerken aufwartet, zeigt deutlich, daß das Problem dieser Partei nicht ihr Programm, nicht die Stellungnahmen ihres Vorstandes zu diesem Thema, sondern eben der genannte Pöbel und unverbesserliche Nationalnostalgiker wie Höcke sind. Man muß sich eben der Realität stellen.