Der Ausgangspunkt meiner Überlegungen ist das in unserer Verfassung garantierte Recht der Meinungsfreiheit, so wie es vom Bundesverfassungsgericht in seiner Rechtsprechung seit 1958 immer wieder definiert wird.
Das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung ist als unmittelbarster Ausdruck der menschlichen Persönlichkeit in der Gesellschaft eines der vornehmsten Menschenrechte überhaupt (un des droits les plus précieux de l“homme nach Artikel 11 der Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte von 1789). Für eine freiheitlich-demokratische Staatsordnung ist es schlechthin konstituierend, denn es ermöglicht erst die ständige geistige Auseinandersetzung, den Kampf der Meinungen, der ihr Lebenselement ist (BVerfGE 5, 85 [205]). Es ist in gewissem Sinn die Grundlage jeder Freiheit überhaupt, „the matrix, the indispensable condition of nearly every other form of freedom“ (Cardozo). [Cardozo war ein seinerzeit berühmter Richter des US Supreme Courts]
Zitat aus dem sog. Lüth-Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 15.Januar 1958, Az.: 1 BvR 400/51.
Der Maßstab
Ich habe dieses Zitat aus dem grundlegenden Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Bedeutung der Meinungsfreiheit meinen Ausführungen vorangestellt. Denn es gibt den Maßstab vor, der alle staatliche Gewalt im Umgang mit den Freiheitsrechten der Bürger beschränkt. Hervorzuheben sind dabei vor allem zwei Gesichtspunkte: Zum einen handelt es sich hier um das meines Wissens erste und einzige Mal, wo das Bundesverfassungsgericht zur Begründung seiner Rechtsauffassung Zitate in der Originalsprache neben der deutschen Übersetzung benutzt. Gerade der Rückgriff auf die allgemeine Erklärung der Menschenrechte aus der französischen Revolution belegt, welch grundsätzliche Bedeutung das Gericht dem Grundrecht auf Meinungsfreiheit einräumt. Zum anderen ist auch der Ausgangspunkt dieser Entscheidung für ihre Einordnung in unser Rechtssystem erhellend. Ein hoher Beamter des Hamburger Senats hatte privat, nicht amtlich, zum Boykott eines Spielfilms des Regisseurs Veit Harlan aufgerufen. Nun verstoßen Boykottaufrufe, jedenfalls dann, wenn sie nachteilige wirtschaftliche Folgen für Dritte nach sich ziehen können, klar gegen § 826 BGB, der die vorsätzliche sittenwidrige Schädigung Dritter verbietet. Deswegen verurteilte das Landgericht Hamburg jenen Herrn Lüth, der dem zitierten Urteil des Bundesverfassungsgerichts unfreiwillig seinen Namen gegeben hat, mit Urteil vom 22.11.1951 zur Unterlassung eines solchen Boykottaufrufs. Doch nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts hatte das Landgericht zu Unrecht angenommen, Herr Lüth habe damit gegen ein allgemeines Gesetz im Sinne von Art. 5 GG verstoßen, nämlich die zitierte Vorschrift des BGB. Denn bei der Auslegung auch von Normen unterhalb des Grundgesetzes müßten die Grundrechte beachtet werden. Wörtlich: „Eine Meinungsäußerung, die eine Aufforderung zum Boykott enthält, verstößt nicht notwendig gegen die guten Sitten im Sinne des § 826 BGB; sie kann bei Abwägung aller Umstände des Falles durch die Freiheit der Meinungsäußerung verfassungsrechtlich gerechtfertigt sein“. Das war nach Auffassung des Gerichts hier der Fall, denn die inkriminierte Meinungsäußerung des Herrn Lüth, wenige Jahre nach Beendigung der nationalsozialistischen Diktatur, der sich eben dieser Regisseur Veit Harlan in nachgerade peinlicher Weise angedient hatte, und unter anderem den berüchtigten antisemitischen Hetzfilm „Jud Süß“ in die Kinos gebracht hatte, könne man nicht ausgerechnet in Deutschland einen Film dieses Regisseurs in die Kinos bringen, war eben nicht von niedrigen Beweggründen getragen, wie dies bei Boykottaufrufen in der Regel der Fall ist, sondern von einem beachtenswerten Motiv.
Unberührt davon bleiben natürlich Äußerungen, die eindeutig gegen die Strafgesetze verstoßen.
Eine Zeitenwende ganz eigener Natur
Diese Rechtsprechung hat das Bundesverfassungsgericht über Jahrzehnte durchgehalten, bis heute. Das war aber auch ersichtlich Konsens in Politik und Medien. Doch die Zeiten haben sich wohl geändert. Man beginnt, Meinungsäußerungen, die eindeutig nicht gegen Strafgesetze verstoßen, sondern einfach nur nicht genehm sind, zu unterbinden. Es geht offensichtlich darum, die Meinungshoheit der, man muß es wohl so sagen, herrschenden politisch-medialen Kaste jeder öffentlichen Kritik zu entziehen.
Diese Tendenz zeigt sich in den nachstehend aufgeführten Äußerungen:
In einer Runde des Spartensenders Phoenix erklärte vor kurzem ein Maik Fielitz, Leiter der Abteilung Rechtsextremismus- und Demokratieforschung am „Institut für Demokratieforschung und Zivilgesellschaft“ (IDZ), worin er die größte Gefahr für die Demokratie sieht und deutete auch an, wie er sich die Abwehr dieser Bedrohung vorstellt. Bevor es um seine Institution, ihre Struktur und ihren Zweck geht, soll Fielitz selbst zu Wort kommen. Denn er spricht aus, was nicht nur ein paar subalterne Personen im IDZ denken. In der Sendung beklagte er, daß auf X „bestimmte Menschen halt über Formate einfach auch größere Reichweiten als Qualitätsmedien erreichen und somit auch jenseits von editorischen Standards da kommunizieren können. Ich glaube, das ist halt auch alles, was eben Regulation angeht, da kann es einfach nicht auf Strafen und so weiter stehenbleiben, sondern da muss sich eigentlich eine EU überlegen, okay, wie wird einfach das digitale Mediensystem gestaltet? Kann jeder einfach mit einem Massenpublikum halt kommunizieren? Ist wirklich jeder sich der Verantwortung bewusst, und ist es einer Demokratie zuträglich?“
Dieses Institut wird, wenig überraschend, von der berüchtigten Amadeu-Antonio-Stiftung getragen. Deren linksradikale politische Ausrichtung setze ich als allgemein bekannt voraus. Gewissermaßen in ihren Genen steckt die Mentalität der Stasi unseligen Angedenkens, denn ihre Gründerin war jahrelang sogenannte IM des berüchtigten Inlandsgeheimdienstes der untergegangenen DDR, dessen Aufgabe es war, die Bürger zu bespitzeln, um sogenannte Klassenfeinde auszumachen.
Das zweifelhafte Grundrechtsverständnis (auch) der CDU
Aber auch führende Politiker unseres Landes arbeiten an der Einschränkung des Grundrechts der Meinungsfreiheit. Zitieren wir den wohl künftigen Bundeskanzler Friedrich Merz aus seiner aktuellen „MerzMail“:
„Die Aufregung schon über die Diskussion darüber, ob und gegebenenfalls wie die sozialen Medien von heute im digitalen Zeitalter denn kontrolliert werden sollen, ist dagegen groß. Bis in deutsche Tageszeitungen hinein wird allein der Versuch, einen Rechtsrahmen für die Plattformen zu schaffen, die strafbare Handlungen in der Lage wären zu unterbinden, schon als Anschlag auf die Meinungsfreiheit gesehen. Und es wird die Entscheidung von Mark Zuckerberg geradezu bejubelt, nach dem Vorbild von X nun auch auf Facebook und Instagram auf die Zusammenarbeit mit externen Faktencheck-Redaktionen zu verzichten.
Zugegeben, es ist eine Gratwanderung. Aber ist es wirklich so, dass die Meinungsfreiheit nur dann gewährleistet ist, wenn jeder alles schreiben und senden darf, was er will, egal ob richtig oder falsch? Ja, „richtig“ und „falsch“ mögen die falschen Kategorien sein, anhand derer Inhalte geprüft werden. Aber soll deshalb alles erlaubt sein? Grobe Falschmeldungen, KI-generierte, täuschend echt aussehende, aber grob gefälschte Memes mit Aussagen, die der vermeintliche Verfasser nie gemacht hat? Einflussversuche ausländischer Regierungen und ganzer Trollarmeen, die beständig die Plattformen fluten mit Propaganda und Fake News? Sollen wir resignieren und uns allenfalls selbst auf das Niveau von Propaganda und Fake News begeben, um dem Meinungskrieg auf den Plattformen wenigstens etwas entgegenzusetzen?“
Gerade der Volljurist und ehemalige Richter Friedrich Merz sollte doch wissen, daß nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesgerichtshofs auch falsche, unsinnige und sogar unvertretbare Meinungen unter dem Schutz des Grundgesetzes stehen. Der Staat hat auch kritische und polemische Meinungsäußerungen auszuhalten, was das Bundesverfassungsgericht erst im vergangenen Jahr entschieden hat. Das gilt natürlich generell für die Politiker, denen wir derartige Gesetze wie das Gesetz über digitale Dienste verdanken. Sie bieten die Instrumente dafür, das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung schleichend auszuhöhlen und letztendlich zu einem rechtlich bedeutungslosen Programmsatz herabzustufen. Man könnte hier über den Tatbestand der verfassungsfeindlichen Bestrebungen nach dem Gesetz über den Bundesverfassungsschutz nachdenken.
Dem folgen dann auch Taten. Der hessische Innenminister Roman Posek (CDU) hat mit Blick auf die Bundestagswahl am 23. Februar 2025 eine „Offensive gegen Desinformation“ angekündigt. In seinen Ausführungen fällt ein Begriff besonders auf: „ungefilterte Meinungen“. Dieser Politiker befürchtet, daß sich falsche Nachrichten ungehindert ausbreiten könnten. Besonders soziale Medien seien eine Brutstätte dieser ungefilterten Meinungen. Deswegen habe man in Hessen nun eine Sonderauswertungseinheit beim Landesamt für Verfassungsschutz eingerichtet, die Informationen bündeln und Informationskampagnen schneller erkennen soll. Wohlgemerkt geht es nicht um strafbare Inhalte und Meinungen. Es geht offensichtlich um solche Meinungsäußerungen, die dem politischen Mainstream zuwiderlaufen. Die Bürger sollen sie am besten erst gar nicht zur Kenntnis nehmen können, denn damit wird zuverlässig die Gefahr ausgeschaltet, daß die Bürger anders denken, als sie nach Meinung der politisch-medialen Kaste unseres Landes denken sollen. Das erfordert dann eben die erwünschten „gefilterten“ Meinungen im Netz. Diese Geisteshaltung ist mit dem Menschenbild unseres Grundgesetzes nicht vereinbar. Wie gerade die Art. 2 (Recht zur freien Entfaltung der Persönlichkeit) und Art. 5 (Meinungsfreiheit) zeigen, sieht unsere Verfassung die Bürger des Landes als mündige Bürger an, die insbesondere keiner Bevormundung dürfen, gerade auch was ihre Meinungsbildung angeht. In der Demokratie geht ja nun nach der unabänderlichen Vorschrift des Art. 20 GG alle Staatsgewalt vom Volke aus. Das bedingt, daß die Bürger selbst sich ihre Meinung bilden, auf deren Grundlage sie Politiker mit Macht auf Zeit ausstatten und nicht etwa, daß die Regierung den Bürgern bei der Meinungsbildung auch nur behilflich ist, geschweige denn sie steuert. Die Meinungsbildung in der Demokratie vollzieht sich von unten nach oben und nicht umgekehrt. Genau deswegen will die politisch-mediale Kaste diese Meinungsbildung steuern.
Das Zensurgesetz des Internetzeitalters
Zur Umsetzung der staatlich gesteuerten Meinungsbildung dient dann natürlich auch die Umsetzung des Gesetzes über digitale Dienste, welches auf der Grundlage der einschlägigen EU-Richtlinie aus dem Jahr 2022 bereits zwei Jahre später Anfang 2024 vom Deutschen Bundestag mit überwältigender Mehrheit beschlossen worden ist. Aus der Sicht der Politik soll dieses Gesetz natürlich die Nutzer der digitalen Medien schützen, nämlich vor „irreführenden Nachrichten“. Das Gesetz über digitale Dienste erleichtert nach Auffassung der Europäischen Union und der Bundesregierung die Entfernung illegaler Inhalte und schützt die Grundrechte der „Nutzerinnen und Nutzer“. Es verpflichtet im Ergebnis die Plattformbetreiber dazu, Meinungsäußerungen ausdrücklich unterhalb der Strafbarkeitsschwelle zu blockieren, wenn sie eben kritisch etwa gegenüber der Einwanderungspolitik oder dem sogenannten Klimaschutz argumentieren. Letztendlich wird es dann derartigen Institutionen ermöglicht, auf der Basis von Meldungen sogenannter Faktenchecker oder „Trusted Flagger“ wie der unsäglichen Desinformationsagentur correctiv oder der fragwürdigen NGO REspect derartige Beiträge zu löschen. Nicht die Gerichte, sondern weder gesetzlich noch demokratisch legitimierte Personen entscheiden dann darüber, was veröffentlicht werden darf, und was nicht. Dabei ist nach Sachlage garantiert, daß an diesen Stellen nur handverlesene, „vertrauenswürdige“ Personen mit der „richtigen“ Gesinnung sitzen. Das Grundrecht der Meinungsfreiheit wird hier eindeutig ausgehebelt. Das ist nicht nur ein glasklarer Verstoß gegen unsere Verfassung. Dazu der renommierte Verfassungsrechtler Professor Dr. Josef Franz Lindner:
„Wenn man später einmal den Niedergang der Meinungsfreiheit in Deutschland und den Einstieg in den Zensurstaat rekonstruieren will, wird dem Leitfaden der Bundesnetzagentur für die zertifizierten Meldestellen (den sogenannten Trusted Flaggern, welche etwaige Verstöße prüfen und diese Plattformbetreibern melden), die Rolle eines Schlüsseldokuments zukommen.“
Principiis obsta!
Wir sind nicht nur technisch weiter, als es zu Zeiten des Fürsten Metternich überhaupt denkbar war. Seine Mentalität indessen feiert fröhliche Urständ. Die Installierung derartiger privater Zensurbehörden ist geeignet, langfristig eine Mentalität in der Bevölkerung zu generieren, in der die Freiheitsrechte des Grundgesetzes keine Rolle mehr spielen, sondern die Bürger sich in scheinbarer Freiwilligkeit dem autoritären bis diktatorischen Staat unterwerfen. Dieser Weg kann ohne weiteres in ein System münden, das etwa, wie vor kurzem in Russland geschehen, unbotmäßige Rechtsanwälte in Straflager schickt. Wehret den Anfängen, sagten schon die Römer. Am 23. Februar 2025 haben die Deutschen Gelegenheit, den Anfängen zu wehren.