Weihnachten

Die abendländisch geprägte Welt – das schreibe ich ganz bewusst – begeht das Weihnachtsfest. Zumindest fühlt man in diesen Tagen anders, lebt bewußt im Kreis der Familie und denkt über den Tag hinaus. Man kommt ja aus seiner Haut nicht heraus, ist man doch von Jugend auf christlich erzogen oder nicht, sowohl mit den Äußerlichkeiten der Vorweihnachtszeit und des Weihnachtsfestes selbst als auch mit einer auch für säkular eingestellte Menschen spürbaren besonderen Stimmung aufgewachsen.

Weihnachten ist der Inbegriff des Optimismus. Denn die Vorstellung, daß mit der Geburt eines Kindes die Menschheit erlöst wird, erlöst von der Vorstellung, mit dem Tod werde das Ende kommen, schließlich sei die Menschheit mit der Erbsünde behaftet und müsse daher alle Hoffnung fahren lassen. Allerlei Variationen dieser Jenseitserwartung prägten die Vorstellungswelt der Menschheit vor Christus. Letztendlich war das ja auch und ist es auch heute noch vielfach in der allfälligen Furcht vor ewiger Strafe, mindestens aber völligen Ungewissheit über das, was nach dem Leben kommt, begründet. Die Furcht vor ewiger Verdammnis, mindestens aber einem freudlosen Dasein im Schattenreich des Todes bestimmte das Denken der Menschen. Selbst antike Vorstellungen, etwa der alten Griechen, vom Leben nach dem Tode im trostlosen Hades jenseits des Flusses Styx, über den der Fährmann Charon die Verstorbenen bringt, waren ja nun nicht wirklich dazu angetan, optimistisch in die Zukunft zu schauen.

Und nun eben dies. Nicht mehr ein strafender Gott, den man mit allerlei Anstrengungen zu besänftigen sucht, sondern ein über den Niederungen von Schuld und Sühne schwebender Gott, der die Menschen um ihrer selbst willen liebt und nicht etwa auf der Grundlage eines profanen Deals – du befolgst meine Gebote, so unsinnig sie auch sein mögen, dafür hebe ich den Bann der Verfluchung über dir auf – die Menschheit aus der Knechtschaft der Sündenfurcht befreit. Das hat die abendländische Welt seither geprägt, unabhängig von der Intensität des christlichen Glaubens in der Gesellschaft oder bei dem einzelnen Menschen. Daraus konnte sich erst der freie Geist der Aufklärung entwickeln, der uns ja nicht nur frei gemacht hat von der Gefangenheit in archaischen und atavistischen Vorstellungen, sondern unseren Geist auch entfesselt hat, so daß er unbefangen allein mit den Instrumenten der Logik die Gesetze der Natur zu entschlüsseln vermag. So konnte der Mensch mit den Mitteln der Wissenschaft zwar nicht Tod und Krankheit endgültig besiegen, aber weitgehend in die Schranken weisen. Naturwissenschaften und Technik, freie Gesellschaften mit freiem Handel stellen die Ernährung und ein weitgehend vom Elend befreites Leben von gut 8 Milliarden Menschen sicher. Den Idealen der Aufklärung, und wenn man so will, auch den christlichen Grundlagen verpflichtete Rechtsordnungen ermöglichen ein Leben frei von der Willkür des Alleinherrschers oder einer despotischen Priesterkaste.

Diese Wahrnehmung des Lebens unabhängig davon, ob man einer christlichen Kirche angehört, ob man das gläubig lebt oder eher lax, ob man bewußter Atheist ist oder einfach insoweit relativ gedankenlos in den Tag hinein lebt, sie prägt uns eben. Blickt man auf andere Welten, insbesondere die Theokratien des Orients oder das Gedankengefängnis des Marxismus, dann springt doch ins Auge, was den Unterschied zwischen einer wirklich dem Menschen angemessenen Gedanken- und Lebenswelt und der Unmündigkeit des der Willkür von Göttern und Despoten unterworfenen Sklaven ausmacht.

Nichts unterstreicht auch den fröhlichen Optimismus dieser Zeit so sehr, wie die Inkarnation all dessen, was unsere abendländisch geprägte Welt ausmacht, in der Gestalt des neugeborenen Kindes. Und als wäre es ein Teil des Plans, schließt sich das Weihnachtsfest, dieses Fest, welches das Licht der Hoffnung in die Welt bringt, auch an die dunkle Jahreszeit an, mit den Gedenktagen des November, die uns das Leid des Krieges und des Todes nahebringen. Das Kind indessen schaut hinaus in die Zukunft, die freilich das Leben bringen wird, denn die Tage werden wieder länger, die Natur wird bald erwachen und die ersten Frühlingsboten bringen.

In diesem Sinne wünsche ich allen meinen Freunden und Lesern ein fröhliches Weihnachtsfest und den zuversichtlichen Blick in das Neue Jahr, das sicher viel Neues bringen wird. Zum Optimismus des Weihnachtsfestes gehört auch, daß unter all dem Neuen auch viel Gutes sein wird.