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Die Dritte Gewalt gibt sich auf

Was zu entscheiden war

Am 23. April dieses Jahres trat § 28b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 des Infektionsschutzgesetzes in der Fassung des vierten Gesetzes zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite in Kraft. Ich zitiere an dieser Stelle den bürokratisch-verknöcherten Wortlaut der Gesetzesüberschrift, der schon atmosphärisch den Geist des Obrigkeitsstaates verbreitet, der sich offensichtlich in den Köpfen der führenden Politiker unseres Landes festgesetzt hat. Volkstümlich spricht man von der Bundesnotbremse, wobei auch dieser Begriff eine Gefahrenlage suggeriert, der nur mit außerordentlichen Maßnahmen zu begegnen ist, wie der beherzte Tritt auf die Bremse des Autos, wenn ein Unfall anders nicht mehr verhindert werden kann. Dieses Gesetz ordnet unmittelbar weitgehende Beschränkungen der Freiheit an, die im Übrigen auch nicht wie bisher auf den Prüfstand der Verwaltungsgerichte gestellt werden können, sondern nur noch mit der Verfassungsbeschwerde anzugreifen sind. Dies jedenfalls habe ich in einer Entscheidung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs lesen müssen. Es ist ja auch ein offenes Geheimnis, daß die Bundeskanzlerin mit diesem Gesetz auch verhindern wollte, daß künftig noch Verwaltungsgerichte einzelne Corona-Maßnahmen für ungültig erklären. Welche Erfolgsaussichten allerdings eine Verfassungsbeschwerde gegen ein solches Gesetz haben kann, zeigt der Beschluß des Bundesverfassungsgerichts vom 05.05.2021 in 5 von über 200 (!) Verfahren, die gegen dieses Gesetz anhängig gemacht worden sind.

Die Entscheidung

Das Gericht hat es in diesem Beschluß abgelehnt, eine einstweilige Anordnung zu treffen, mit der die im Gesetz verfügte Ausgangssperre zwischen 22:00 Uhr abends und 05:00 Uhr morgens bei Vorliegen einer 7-Tage-Inzidenz von über 100 einstweilen für unwirksam erklärt werden sollte. Mit anderen Worten: jedenfalls vorläufig ist dieses Gesetz gültig. Ob es in einer Entscheidung über die Hauptsache, wann auch immer diese getroffen werden wird, für verfassungswidrig erklärt werden wird, muß nach dem Inhalt der Entscheidung füglich bezweifelt werden.

Die Begründung

Das Bundesverfassungsgericht meint, diese Ausgangsbeschränkung sei nicht offensichtlich materiell verfassungswidrig. Es liege nicht eindeutig und unzweifelhaft auf der Hand, daß sie zur Bekämpfung der Pandemie unter Berücksichtigung des Einschätzungsspielraums des demokratischen Gesetzgebers offensichtlich nicht geeignet, nicht erforderlich oder unangemessen wäre. Dies gelte auch im Hinblick auf die Anknüpfung an den Inzidenzwert von 100. Nach dem Hinweis auf die verfassungsrechtliche Schutzpflicht, Leben und Gesundheit zu schützen sowie die Funktionsfähigkeit des Gesundheitssystems als überragend gewichtiges Gemeingut und damit zugleich die bestmögliche Krankheitsversorgung sicherzustellen, und die Motivation des Gesetzgebers, die hier angegriffene Ausgangsbeschränkung diene dabei nach seinen Vorstellungen insbesondere der Kontrolle und Beförderung der Einhaltung der allgemeinen Kontaktregelungen, macht das Gericht Ausführungen dazu, daß nach Auffassung des Gesetzgebers diese Maßnahme eben geeignet sei, das erstrebte Ziel zu erreichen, auch wenn dies fachwissenschaftlich umstritten sei. Denn der Gesetzgeber habe keine selbständige, von den Anforderungen an die materielle Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes unabhängige Sachaufklärungspflicht, vielmehr habe er eine Einschätzungsprärogative, mit anderen Worten, einen weiten Spielraum dahingehend, verbindlich festzulegen, was er sachlich für richtig hält. Hier habe der Gesetzgeber auch nicht ins Blaue hinein etwas geregelt, sondern sich auf wissenschaftliche Untersuchungen über die Wirkungen von nächtlichen Ausgangssperren in verschiedenen Staaten gestützt. Wie aussagekräftig diese im einzelnen seien, sei hier nicht zu beurteilen. Die Richter zitieren die Anhörung nur eines Sachverständigen im Gesundheitsausschuß des Bundestages. Andere Sachverständigenmeinungen, ob sie dort oder anderswo geäußert oder publiziert worden sind, spielen offenbar keine Rolle.

Eine offensichtliche Unangemessenheit solcher Ausgangsbeschränkungen könne ebenfalls nicht erkannt werden. Auch wenn verschiedene Oberverwaltungsgerichte das anders gesehen hätten, lägen hier eben andere Voraussetzungen vor. Welche das sind, wird nicht gesagt. Letztendlich greife zwar die nächtliche Ausgangsbeschränkung tief in die Lebensverhältnisse ein, das betreffe aber nur etwa 7 % der Tageszeit, die man außerhalb der Wohnung zu verbringen pflege und sei außerdem bis zum 30.06.2021 befristet. Na ja. Mit solchen Befristungen haben wir seit einem Jahr nun einmal ganz spezielle Erfahrungen.

Das sind nun im wesentlichen die tragenden Gründe dieser Entscheidung.

Der Fehler resp. die fehlende Rechtsprüfung

Das Bundesverfassungsgericht geht hier mit einer unfassbaren Leichtigkeit und Oberflächlichkeit an seine Aufgabe heran, die Rechtmäßigkeit von Grundrechtsbeschränkungen auch im Eilverfahren zu prüfen. Die Formel, es sei „nicht unplausibel“, was der Gesetzgeber tue und womit er es begründet, ist praktisch überhaupt keine Hürde für Willkürmaßnahmen. Es erstaunt auch, daß das Bundesverfassungsgericht offenbar inzwischen den gesetzgeberischen Ordnungs- und Steuerungsvorstellungen einen höheren Stellenwert beimisst, als den Grundrechten der Bürger. Das ist meilenweit entfernt von dem, was das Bundesverfassungsgericht in früheren Jahren und Jahrzehnten etwa beim Datenschutz (Volkszählungsurteil!), bei den Regelungen für die Geheimdienste oder auf dem Gebiet des Polizeirechts judiziert hat. Auch die ganz wesentliche Frage, ob der Gesetzgeber Freiheitsbeschränkungen unmittelbar durch Gesetz anordnen darf, was er gemäß Art. 2 Abs. 2 Satz 3 GG eigentlich nicht darf, hat das Bundesverfassungsgericht in dieser Entscheidung nicht einmal angesprochen, obgleich die Beschwerdeführer darauf ausdrücklich hingewiesen haben. Einschränkungen der Grundrechte können eben nur aufgrund eines Gesetzes, aber nicht durch ein Gesetz angeordnet werden.

Keine tragfähige Begründung des Gesetztes – na und?

Bemerkenswert ist auch der Umgang des Bundesverfassungsgerichts mit den vom Gesetzgeber herangezogenen Grundlagen für die angegriffene Regelung. Obwohl bis heute eine wissenschaftliche Evaluierung der Wirksamkeit von Ausgangssperren fehlt, was andere Gerichte zwischenzeitlich schon moniert haben, begnügt sich das Gericht damit festzustellen, der Gesetzgeber wolle damit verhindern, daß private Kontakte in den Wohnungen überhandnehmen. Damit spielt der Gesetzgeber gewissermaßen über Bande. Nicht die Gefahr, sich nachts außerhalb der Wohnung zu infizieren, sondern die leichtere Überwachungsmöglichkeit privater Kontakte begründet die angebliche Notwendigkeit dieser Ausgangssperre. Wohlgemerkt eine Einschränkung der Grundrechte aus Art. 2 und 11 GG zur leichteren Aufdeckung von Ordnungswidrigkeiten! Soweit Sachverständigengutachten überhaupt eine Rolle spielen, genügt dem Gericht ein einziger Sachverständiger. Natürlich derjenige, auf dessen Meinung sich der Gesetzgeber gestützt hat, wird in der Entscheidung des Gerichts erwähnt. Daß es gerade zu den Pandemie-Bekämpfungsmaßnahmen eine Vielzahl unterschiedlicher wissenschaftlicher Meinungen gibt, wird jedenfalls in dieser Entscheidung nicht einmal angesprochen. An und für sich pflegen Gerichte bei der Sachverhaltsfeststellung, auch in Eilverfahren, ihnen bekannte wissenschaftliche Stellungnahmen und Gutachten zu prüfen, abzuwägen und dann der einen oder anderen Auffassung zu folgen. Das geschieht hier nicht.

Freie Fahrt für den Gesetzgeber, Feststellbremse für die Grundrechte

Letztendlich gibt das Bundesverfassungsgericht in dieser Entscheidung dem Gesetzgeber einen Handlungsspielraum bisher unbekannter Dimension. Damit nimmt es sich gleichzeitig selbst weit zurück. Wenn die sogenannte Einschätzungsprärogative des Gesetzgebers so zu verstehen ist, daß es dem Bundesverfassungsgericht verwehrt sein soll, diese wenigstens nachzuvollziehen und auf Einhaltung der Sorgfaltspflicht bei der Sachverhaltsermittlung und Verstöße gegen die Denkgesetze zu überprüfen, dann wird es jedenfalls auf dem Gebiete der Kontrolle des Gesetzgebers überflüssig. Die Feststellung, eine gesetzgeberische Begründung sei nicht unplausibel, ist ja eigentlich eine Leerformel. Damit wird alles, auch das schwächste Argument, abgesegnet und die Grenze dahin verschoben, wo überhaupt keine Abwägung mehr stattfindet.

Die neue Rolle des Bundesverfassungsgerichts

Zu befürchten ist, daß dies kein Ausreißer ist. Die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts zum Klimaschutz und zur europäischen Schuldenaufnahme mit deutscher Beteiligung lassen vielmehr die Erwartung zu, daß das Bundesverfassungsgericht sich allmählich aus seiner originären Aufgabe als dritte Gewalt auf staatsrechtlicher Ebene verabschiedet. Man wird in Zukunft wohl kaum noch sehen, daß das Bundesverfassungsgericht Gesetze für verfassungswidrig erklärt, oder aber dem Regierungshandeln verfassungsrechtliche Grenzen setzt. Nur noch Verfassungsbeschwerden gegen Entscheidungen der Fachgerichte werden wohl künftig noch Erfolg haben können, wenn diese Entscheidungen Grundrechte der Beschwerdeführer verletzen. Regierung und Parlament hingegen haben künftig wohl freie Hand.

Verfassungsrichter sind natürlich auch politische Wesen

Man fragt sich natürlich auch, warum das nun so ist. Im Falle der besprochenen Ausgangssperre-Entscheidung könnte man zu dem Ergebnis kommen, daß hier eine gemeinsame Grundbefindlichkeit gegeben ist. Die political correctness befällt nun einmal nicht selten auch ansonsten kluge und fachlich qualifizierte Leute. Jede Kritik an den Corona-Maßnahmen der Bundesregierung und der Parlamente steht ja für die politisch-mediale Klasse in dem Geruch, querdenkerisch, gar pegidaesk oder noch Schlimmeres zu sein. In die Nähe solcher Zeitgenossen will man nicht kommen, erst recht will man nicht dort verortet werden. Es gehört sich einfach nicht, Querdenkern und angeblichen Verfassungsfeinden Vorschub zu leisten. Man gehört doch zu den klugen und besonnenen, staatstragenden Bürgern. Allerdings zeigt sich die Gefahr dieses Gruppendenkens gerade auch an der Klimaschutzentscheidung wie auch an den Entscheidungen, mit denen der Weg in die Schuldenunion abgesegnet wird.

In diesem Zusammenhang muß natürlich auch gesehen werden, daß die Richter des Bundesverfassungsgerichts nach politischem Proporz bestimmt werden. Demokratisch gewählt werden sie nicht. Die Abhängigkeit von der Parteipolitik ist offensichtlich. Parteimitgliedschaft, zumindest das Nahestehen werden ganz offen gehandelt. Der Präsident des Bundesverfassungsgerichts, gleichzeitig Vorsitzender des Ersten Senats, der hier entschieden hat, war zuvor stellvertretender Vorsitzender der CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag und gilt als bekennender Merkelaner. Auch die übrigen Richter des Senats mit Ausnahme eines FDP-Mitglieds bzw. der FDP nahestehenden Richters gehören zu den Parteien, die bisher sämtliche Corona-Maßnahmen der Regierung getragen oder durchgewunken haben. Es fällt schwer zu glauben, daß dies keine Auswirkungen auf ihre Entscheidung in der Sache gehabt haben könnte.

Ein Weg aus dem Dilemma

Gäbe es eine Lösung des Problems? Die Besetzung der höchsten Gerichte eines Landes ist überall auf der Welt sehr politisch. Die einfache Lösung, daß das oberste Gericht seine Mitglieder kooptiert, und nicht von der Politik im weitesten Sinne beschickt wird, dürfte mit dem Demokratiegebot, wonach alle Staatsgewalt vom Volke ausgehen muß, kaum vereinbar sein. Eine Wahl der Richter des Bundesverfassungsgerichts ähnlich wie die Wahl zum Deutschen Bundestag würde jedoch zu einer noch stärkeren Politisierung führen, denn dann kämen mit Sicherheit nur noch handverlesene Parteipolitiker zum Zuge. Und das nach einem Wahlkampf, der ja nun einmal in aller Regel das Gegenteil von sachlicher Debatte ist. Vielleicht wäre es jedoch möglich, daß ein Mittelweg gegangen würde. Die 16 Richter des Bundesverfassungsgerichts könnten etwa drei Kandidaten für die Wahl durch Bundestag und Bundesrat vorschlagen, aus denen die beiden Kammern des Parlaments jeweils mit Zweidrittelmehrheit den neuen Richter bzw. die neue Richterin des Bundesverfassungsgerichts wählen. Dies hätte den Vorteil, daß wegen der Vorauswahl durch die Richter selbst eine gewisse fachliche Qualifikation sichergestellt wäre, wegen der Endentscheidung durch die Parlamentarier indessen dem Demokratiegebot noch Rechnung getragen wäre und wegen des Quorums wie bei verfassungsändernden Gesetzen eine allzu große Nähe der Kandidaten zu einer politischen Partei bei ihrer Wahl eher ausgeschlossen wäre. Politisch gemäßigte, fachlich qualifizierte Richter wären dann auch weniger anfällig für tagespolitisch oder gar ideologisch radikal motivierte Auslegungen der Verfassung. Das derzeitige System indessen begünstigt all das und schreibt auch fest, daß Verfassungsrichter nur aus dem Spektrum der langjährig führenden Parteien kommen. Derzeit stehen von den 16 Verfassungsrichtern 7 den Unionsparteien, 6 der SPD, 2 den Grünen und 1 der FDP nahe oder sind Mitglieder dieser Parteien. Andere, ebenfalls in Bundestag und Länderparlamenten vertretene Parteien, konkret Die Linke und die AfD, werden nach Sachlage jedenfalls in den nächsten Jahrzehnten keine Aussichten haben, mit einem ihnen nahestehenden Richter ihre politische Grundorientierung in die Entscheidungsfindung des höchsten deutschen Gerichts einzubringen. Das oben skizzierte Verfahren könnte auch hier möglicherweise dem strengen Odium der geschlossenen Gesellschaft eine mildere Note verleihen, anders gewendet: die Verfassung würde wirksam vor einem politisch abhängigen Verfassungsgericht geschützt.

Doch steht dem ein unüberwindliches Hindernis im Weg. Das ist nicht die Verfassung. Die kann man ändern. Das ist die politische Klasse, die sich in diesem System wohnlich eingerichtet hat. Wer sie aus dieser bequemen Behausung verteiben will, braucht große Mehrheiten. Die sind leider weit und breit nicht in Sicht.   

Meinungsfreiheit, Menschenwürde, Verfassungsschutz

Die öffentliche Erklärung des Bundesamtes für den Verfassungsschutz, die AfD zum Prüffall zu erklären und einzelne ihrer Politiker zu beobachten, wirft natürlich Fragen danach auf, was Politiker öffentlich sagen dürfen oder nicht, wenn sie nicht in das Visier des Verfassungsschutzes geraten wollen. Mit anderen Worten: wie weit reicht die Meinungsfreiheit nach Art. 5 Abs. 1 des Grundgesetzes? Kollidiert etwa dieses Grundrecht mit den Grundrechten Dritter, insbesondere mit der Pflicht des Staates, die Menschenwürde umfassend zu schützen?

Nun ist es unumstritten, daß auch die Meinungsfreiheit ihre Grenzen hat, und so steht es ja auch in Art. 5 Abs. 2 des Grundgesetzes. Die Rechte Dritter, insbesondere ihre Menschenwürde, dürfen durch Meinungsäußerungen nicht verletzt werden. Ob das immer so durchgehalten wird, kann man angesichts der Rechtsprechung zur Kunstfreiheit, insbesondere zur Satire, allerdings füglich bezweifeln. Zu erinnern ist hier aktuell an die unsäglichen und nicht nur geschmacklosen Auslassungen des Herrn Böhmermann über den türkischen Staatspräsidenten. Weil das so ist, muß natürlich auch untersucht werden, was der Begriff der Menschenwürde im Grundgesetz eigentlich bedeutet. Denn nur dann kann man einigermaßen sicher bestimmen, wann im Einzelfall sie durch Meinungsäußerungen berührt oder gar verletzt werden kann.

Die Würde des Menschen ist unantastbar. Dieser Satz steht an der Spitze des Grundrechtskatalogs unserer Verfassung, der wiederum selbst in ihren ersten 19 Artikeln niedergelegt ist. Danach erst folgt der staatsorganisatorische Teil mit zur Zeit 175 Artikeln, wobei Art. 103 – das Recht, vor Gericht angehört zu werden – auch ein Grundrecht ist. Allein schon diese Reihenfolge macht deutlich, wie sehr es den Müttern und Vätern unserer Verfassung, wie die Mitglieder des Verfassungskonvents von Herrenchiemsee in schon fast sakraler Verklärung nicht zu Unrecht bezeichnet werden, darauf ankam, den Menschen und nicht den Staat zum Maßstab der neuen Ordnung nach dem mörderischen Irrweg des Nationalsozialismus und im Angesicht der fortbestehenden kommunistischen Unrechtsregime in Osteuropa zu machen. Das muß man sich stets vor Augen halten, wenn man sich mit der freiheitlich demokratischen Grundordnung unseres Landes befaßt, die nun einmal Maßstab und Richtschnur allen staatlichen Handelns ist.  Aber auch die Ausübung der übrigen Grundrechte muß sich an diesem Maßstab orientieren. So finden auch Freiheitsrechte der Bürger wie die Meinungs- und Versammlungsfreiheit ihre Grenzen da, wo die Menschenwürde Dritter verletzt wird.        

Das leuchtet auch wohl jedem ein. Doch was ist denn die Menschenwürde, was sind ihre Merkmale, und wann wird sie verletzt? Bei diesem Begriff handelt es sich also um den klassischen Fall eines unbestimmten Rechtsbegriffs, wie die Juristen sagen.  Unbestimmte Rechtsbegriffe finden sich vielfach in Gesetzen und bedürfen daher für ihre konkrete Anwendung der Auslegung durch die Gerichte. Einige Beispiele: Eignung (§ 8 des Bundesbeamtengesetzes), Zuverlässigkeit (§ 4 Nr. 1 des Gaststättengesetzes), erhebliche Belange der Bundesrepublik (§ 7 Nr. 1 des Paßgesetzes), Treu und Glauben (§ 242 BGB), gute Sitten (§ 138 BGB), wichtiger Grund (§§ 543, 626, 649 BGB). Lediglich im Strafrecht soll es unbestimmte Rechtsbegriffe nicht geben, denn hier gilt der Grundsatz, daß strafwürdiges Verhalten gesetzlich präzise normiert werden muß, um bei einem Verstoß dagegen strafrechtliche Sanktionen auszulösen (nulla poena sine lege scripta et stricta).

Dies vorausgeschickt, wollen wir uns einmal näher ansehen, was es mit der Menschenwürde im Grundgesetz auf sich hat. Das erscheint auch notwendig, denn die aktuelle Diskussion um die Beobachtung der AfD und einzelner ihrer Politiker durch den Verfassungsschutz entzündet sich ja gerade an der Frage, ob diese Partei und einzelne ihrer Politiker verfassungsfeindliche Bestrebungen verfolgen, insoweit als ihre politischen Forderungen mit dem absoluten Schutz der Menschenwürde nach dem Grundgesetz nicht vereinbar seien. Genau das wird ihnen  ja  mehr oder weniger unverblümt vorgeworfen, auch wenn erklärt wird, man prüfe erst einmal, ob die Beobachtung veranlaßt ist, bzw. man beobachte um festzustellen, ob verfassungsfeindliche Bestrebungen erkennbar sind.

Dabei ist zunächst einmal zu prüfen, was denn überhaupt die Aufgabe der Verfassungsschutzämter ist. Das ist  der Schutz der Bundesrepublik Deutschland vor verfassungsfeindlichen Aktivitäten und Bestrebungen.  Also ist der Maßstab die Verfassung, genauer gesagt,  die freiheitlich-demokratische Grundordnung. Denn nicht jede Bestimmung der Verfassung hat die Qualität einer tragenden Säule, um einmal eine  solche Metapher zu wählen. Viele Bestimmungen gehören in diesem Bild eher zu den Zwischenwänden, Fensterbänken oder Stuckdecken, deren Einbau oder auch Entfernung  für den Bestand des Gebäudes unerheblich sind. Der Begriff der freiheitlichen demokratischen Grundordnung ist durch die verfassungsgerichtliche Rechtsprechung konkretisiert worden. Zuletzt und grundlegend hat das Bundesverfassungsgericht dies in seiner NPD-Entscheidung vom 17.01.2017 getan. Der Begriff beschränkt sich auf die für den freiheitlichen demokratischen Verfassungsstaat schlechthin unverzichtbaren Grundsätze, wobei das Prinzip der Menschenwürde nach Art. 1 Abs. 1 GG im Vordergrund steht. Nicht von ungefähr betont das Gericht auch in dieser Entscheidung wie in allen anderen voraufgegangenen Entscheidungen, die dieses Thema behandeln, daß die freiheitliche demokratische Grundordnung eine wertgebundene Ordnung ist. Sie ist das Gegenteil des totalen Staates, der als ausschließliche Herrschaftsmacht Menschenwürde, Freiheit und Gleichheit ablehnt. Damit  hat man den Begriff aber noch nicht mit Leben erfüllt. Deswegen hat das Gericht in dieser Entscheidung versucht, einen Katalog von Elementen zu formulieren, die jeweils tragende Säulen der freiheitlich-demokratischen Grundordnung sind. 

Das sind die Achtung vor den im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechten, vor allem vor dem Recht der Persönlichkeit auf Leben und freie Entfaltung, die Volkssouveränität, die Gewaltenteilung, die Verantwortlichkeit der Regierung, die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, die Unabhängigkeit der Gerichte, das Mehrparteienprinzip und die Chancengleichheit für alle politischen Parteien mit dem Recht auf verfassungsmäßige Bildung und Ausübung einer Opposition. Ferner die Vereinigungsfreiheit, der aus dem Mehrparteienprinzip fließende Parlamentarismus, das Erfordernis freier Wahlen mit regelmäßiger Wiederholung in relativ kurzen Zeitabständen und die Anerkennung von Grundrechten, wobei das Gericht die Menschenwürde als obersten und unantastbaren Wert in der freiheitlichen Demokratie besonders herausgestellt hat. Im Verlauf seiner Rechtsprechung hat das Bundesverfassungsgericht dann auch  als Elemente der freiheitlich-demokratischen Grundordnung das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung, den freien und offenen Prozeß der Meinungs-und Willensbildung des Volkes, die Rundfunk-, Presse- und Informationsfreiheit, das Bekenntnis zu religiöser und weltanschaulicher Neutralität, und die Religionsfreiheit benannt.

Ihren Ausgangspunkt findet die freiheitliche demokratische Grundordnung in der Würde des Menschen (Art. 1 Abs. 1 GG). Damit wird nach Auffassung des Gerichts dem Staat und seiner Rechtsordnung jede Absolutheit und jeder „natürliche“ Vorrang genommen. Die Garantie der Menschenwürde umfaßt insbesondere die Wahrung personaler Individualität, Identität und Integrität sowie die elementare Rechtsgleichheit. Dem liegt eine Vorstellung vom Menschen zugrunde, die diesen als Person begreift, die in Freiheit über sich selbst bestimmen und ihr Schicksal eigenverantwortlich gestalten kann. Mit der Subjektqualität des Menschen ist ein sozialer Wert-und Achtungsanspruch verbunden, der es verbietet, den Menschen zum „bloßen Objekt“ staatlichen Handelns zu degradieren. Insbesondere stellt die unbedingte Unterordnung einer Person unter ein Kollektiv, eine Ideologie oder eine Religion eine Mißachtung des Wertes dar, der jedem Menschen um seiner selbst willen, kraft seines Personseins zukommt. Sie verletzt seine Subjektqualität und stellt einen Eingriff in die Garantie der Menschenwürde dar, der fundamental gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung verstößt. Dem stehen beispielsweise Rechtsordnungen wie Diktaturen, seien sie ideologisch oder religiös begründet, diametral entgegen. Die Menschenwürde ist egalitär, sie gründet ausschließlich in der Zugehörigkeit zur menschlichen Gattung, unabhängig von Merkmalen wie Herkunft, Rasse, Lebensalter oder Geschlecht. Mit der Menschenwürde sind daher ein rechtlich abgewerteter Status oder demütigende Ungleichbehandlungen nicht vereinbar. Antisemitische oder auf rassistische Diskriminierung zielende Konzepte sind damit nicht vereinbar und verstoßen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung.

Das NPD-Urteil  zeigt denn auch an  Beispielen sehr deutlich und geradezu schulmäßig auf, was alles diesem Begriff der Menschenwürde in unserer Verfassung entgegensteht. Der von der NPD propagierte Begriff der „Volksgemeinschaft“ als Staatsorganisation  ist  mit der Garantie der Menschenwürde, wie sie oben definiert ist, nicht vereinbar. Denn dieser Begriff ist ethnisch definiert und schließt damit alle Personen aus, die  nach der Definition der Volksgemeinschaft nicht dazu gehören. Das zeigt sich nach Auffassung des Gerichts zum Beispiel an dem eingeschränkten Bekenntnis zur Menschenwürde im Parteiprogramm, wenn es heißt:  „Die Würde des Menschen als soziales Wesen verwirklicht sich vor allem in der Volksgemeinschaft.. Oberstes Ziel deutscher Politik muß daher die Erhaltung des durch Abstammung, Sprache, geschichtliche Erfahrungen und Wertvorstellungen geprägten deutschen Volkes sein.“ Anzustreben sei die Einheit von Volk und Staat und die Verhinderung einer Überfremdung Deutschlands, ob mit oder ohne Einbürgerung. Das politische Konzept der NPD, so die Feststellung des Gerichts, sei vor allem auf die strikte Exklusion und weitgehende Rechtlosstellung aller ethnisch Nichtdeutschen gerichtet. Die Geltung der Grundrechte wird generell und nicht nur im Einzelfall auf alle Deutschen bezogen und auch auf sie beschränkt. So hätten familienunterstützende Maßnahmen des Staates ausschließlich deutsche Familien zu fördern. Eigentum an deutschem Grund und Boden könne nur von Deutschen erworben werden. Ausländer seien aus dem deutschen Sozialversicherungswesen auszugliedern. Auch an der zu schaffenden einheitlichen Rentenkasse („Volksrente“) sollten Ausländer nicht teilhaben. Integration sei Völkermord. Das Grundrecht auf Asyl aus Art. 16a GG sei ersatzlos zu streichen. Die gemeinsame Unterrichtung deutscher und ausländischer Schüler sei abzulehnen. Die Abgrenzung der Schüler verlaufe dabei nicht entlang der Sprachkompetenz, sondern entlang der Volkszugehörigkeit. Ein Volksentscheid über die Wiedereinführung der Todesstrafe und den vollständigen Vollzug lebenslanger Freiheitsstrafen sei herbeizuführen. Die polizeiliche Kriminalstatistik sei um eine weitere Rubrik für eingebürgerte Ausländer neben der bisherigen Ausländerkriminalstatistik zu ergänzen. Auch müsse eine deutschlandweite, öffentlich einsehbare Sexualstraftäter-Datei so wie die gesetzliche Möglichkeit der Kastration von Pädophilen geschaffen werden.

Alle diese Forderungen seien mit der Garantie der Menschenwürde nicht vereinbar. Vor allem aber ziele das Parteiprogramm auf einen rechtlich abgewerteten, nahezu rechtlosen Status aller, die der ethnisch definierten Volksgemeinschaft im Sinne der NPD nicht angehören. Grundlage ist der Ausschluß der Nichtdeutschen aus dem Geltungsbereich der Grundrechte. Dies bekräftigten  führende Mitglieder  dieser Partei mit öffentlichen Äußerungen wie: „Deutscher ist, wer deutscher Herkunft ist und damit in die ethnisch-kulturelle Gemeinschaft des deutschen Volkes hineingeboren wurde. Ein Afrikaner, Asiate oder Orientale wird nie Deutscher werden können, weil die Verleihung bedruckten Papiers (des BRD-Passes) ja nicht die biologischen Erbanlagen verändert, die für die Ausprägung körperlicher, geistiger und seelischer Merkmale von einzelnen Menschen und Völkern verantwortlich sind. Angehörige anderer Rassen bleiben deshalb körperlich, geistig und seelisch immer Fremdkörper, egal, wie lange sie in Deutschland leben. Sie mutieren durch die Verleihung eines Passes ja nicht zu Deutschen… Deutscher ist, wer deutsche Eltern hat, also wer deutscher Abstammung ist. Deutsch ist eine ethnische Herkunftsbezeichnung und keine Bezeichnung des zufälligen Geburtsorts, momentanen Wohnorts oder des Passes…. Deutscher ist man von Geburt – oder eben nicht; aber man wird es nicht durch Annahme der Staatsbürgerschaft.… Die Staatsbürgerschaft muß an die Volkszugehörigkeit gebunden sein… Wie sagt auch der Volksmund: Blut ist dicker als Tinte.… Heute haben fast 9 Millionen Nichtdeutsche die deutsche Staatsbürgerschaft und können so wirkungsvoll ihre Interessen gegen die Deutschen durchsetzen… „Deutsche afrikanischer Herkunft“ oder „Afro-Ddeutsche“ kann es ebenso wenig geben wie schwangere Jungfrauen… Staatsangehörigkeit muß an Volkszugehörigkeit gebunden sein – für Europäer kann es Ausnahmen geben.… Deutscher ist man durch sein Blut und durch nichts anderes!“

Die Reihe ähnlicher Äußerungen im Urteil ist lang, zur Veranschaulichung der Grundbefindlichkeit ihrer Funktionäre sollen noch zwei weitere Zitate gebracht werden. „Gerade auch der Blick auf den selbst öffentlich nicht länger wegzuleugnenden, sich stärker und schneller vollziehenden Austauschs unseres angestammten Volkes gegen Angehörige fremder Kulturen und Religionen auf deutschem Territorium beweist, wie sehr die Souveränität eines Reichskörpers als Bollwerk und Schild vonnöten wäre… Es blieb dem 20. Jahrhundert und der Volksgemeinschaft der dreißiger und vierziger Jahre vorbehalten, sozialpolitisch zu vollenden, wofür Bismarck den Weg gebahnt hatte.“ Oder auch: „Es gibt kein Land oder keine Stadt auf der Welt, wo Multi-Kulti und Rassenmischung irgendwie gutgegangen wäre. Im Gegenteil ist Südafrika zielsicher auf dem Weg ins Chaos seit Aufhebung der Rassentrennung. Und es wird weitergehen bis zur Vernichtung Europas!“

Das Gericht stellt dazu fest: „Die Antragsgegnerin vertritt also das Konzept einer ethnisch definierten Volksgemeinschaft und eines rechtlich abgewerteten und mit der Menschenwürdegarantie unvereinbaren Status aller, die dieser Gemeinschaft abstammungsmäßig nicht angehören.… Der von der Antragsgegnerin vertretene Volksbegriff ist verfassungsrechtlich unhaltbar. Das Grundgesetz kennt einen ausschließlich an ethnischen Kategorien orientierten Begriff des Volkes nicht. Für die Zugehörigkeit zum deutschen Volk und den sich daraus ergebenden staatsbürgerlichen Status ist demgemäß die Staatsangehörigkeit von entscheidender Bedeutung.“ Das Bundesverfassungsgericht erläutert in diesem Zusammenhang auch, was der Begriff des Volkes in der Verfassung bedeutet. Er bestimmt sich danach eben nicht vor allem oder auch nur überwiegend aus der ethnischen Zuordnung. Dem stehe auch der bekannte „Teso-Beschluß“ des Gerichts aus dem Jahr 1988 nicht entgegen. In diesem Beschluß hatte das Gericht lediglich darüber zu befinden, ob der Erwerb der Staatsbürgerschaft der DDR durch eine Person, die von einem italienischen Vater abstammte, zugleich den Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit im Sinne des Grundgesetzes zur Folge hatte. Daß das Gericht dies – unabhängig von der ethnischen Zuordnung – bejahte, dokumentiert die fehlende Ausschließlichkeit der ethnischen Herkunft für die Bestimmung der Zugehörigkeit zum deutschen Volk. Denn wir waren und sind tatsächlich schon immer eine Abstammungs- Erlebnis- und Kulturgemeinschaft, jedoch offen für Menschen die dazukamen und dazugehören wollten.

Auch soweit grundsätzlich legitim auf Mißstände hingewiesen werde, etwa im Bereich des Mißbrauchs des Asylrechts, der Umtriebe von muslimischen Extremisten und dergleichen, sei eben die Pauschalität der Äußerungen, die sich gegen Asylbewerber und Migranten in ihrer Gesamtheit ohne Ausnahme richteten, mit der Menschenwürde  der Betroffenen nicht vereinbar. Ebenso stellt das Gericht  eine antisemitische Grundhaltung der Antragsgegnerin fest, die in sich auch aus Äußerungen führender Politiker ergebe. So wird beispielsweise der Historiker Michael Wolffsohn als „jüdischer Politoffizier der MüKoProf/Bundeswehrhochschule“ bezeichnet, der Vorsitzende des Zentralrats der Juden in Deutschland als „frecher Chefhebräer“ beschimpft und die sicherlich berechtigte Kritik an der sogenannten Frankfurter Schule ausschließlich an der jüdischen Herkunft ihrer Protagonisten wie Adorno und Horkheimer festgemacht.

Schlussendlich stellt das Gericht auch fest, daß sich aus dem Programm der NPD ein Bekenntnis zur parlamentarischen Demokratie, zum Grundsatz der Opposition oder zum Mehrparteiensystem nicht entnehmen läßt.  An alledem wird deutlich, wie das Bundesverfassungsgericht die Menschenwürde im Hinblick auf die Zugehörigkeit zum deutschen Volk definiert.  Der streng völkische Ansatz der NPD, wonach ausschließlich  die Abstammung von deutschen Eltern, die ihrerseits bereits Deutsche in diesem Sinne waren, die Zugehörigkeit zum deutschen Volk vermittelt, und Angehörige fremder Völker und Rassen niemals Deutsche werden können, steht in einem unüberbrückbaren Gegensatz zur Feststellung des Gerichts, daß unsere Verfassung einen solchen Volksbegriff nicht kennt und deswegen der Volksbegriff der NPD mit der Menschenwürde derjenigen Deutschen, die nicht als solche geboren sind, nicht vereinbar ist. Somit verfolgt diese Partei jedenfalls in diesem Punkt Ziele, die mit dem wichtigsten Grundrecht unserer Verfassung unvereinbar sind. Daß sie darüber hinaus auchmit dem Demokratieprinzip und der Gewaltenteilung auf Kriegsfuß steht, was unter anderem durch zustimmende Äußerungen führender Vertreter dieser Partei zum Herrschaftssystem des Nationalsozialismus zum Ausdruck gekommen sei, begründet insgesamt das Verdikt der Verfassungsfeindlichkeit dieser Partei.

Damit ist der Maßstab beschrieben, der für die Prüfung der Verfassungsfeindlichkeit von programmatischen oder sonst gewichtigen Äußerungen einer Partei oder deren führenden Politikern gilt. Es ist die Eindeutigkeit, mit der die freiheitlich-demokratische Grundordnung von der NPD abgelehnt wird, was nicht zuletzt im in der Tat menschenverachtenden Sprachgebrauch deutlich wird, der für die zitierten Äußerungen führender Funktionäre dieser Partei typisch ist. Selbstverständlich sind Programme der AfD und Äußerungen ihrer führenden Politiker an diesem Maßstab zu messen. Nur wenn dabei festzustellen wäre, daß in mindestens ähnlicher, auf jeden Fall aber gleichgewichtiger Weise die freiheitlich-demokratische Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland abgelehnt und stattdessen ein autoritäres bis diktatorisches Herrschaftssystem, dazu noch auf ethnisch reinrassiger Grundlage angestrebt wird, dann, aber auch nur dann wäre die Beobachtung durch den Verfassungsschutz veranlaßt, die dann auch konsequenterweise in einem Verbotsverfahren nach Art. 21 des Grundgesetzes münden müßte. Alles, was unter dieser Schwelle liegt, rechtfertigt nicht einmal die Beobachtung. Betrachtet man sich Grundsatz- und Wahlprogramme der AfD, findet sich dort nichts, was mit dem Parteiprogramm oder den erwähnten sonstigen Verlautbarungen der NPD auch nur ernsthaft vergleichbar wäre. Vielmehr findet sich dort stets das eindeutige Bekenntnis zum Grundgesetz. Ebenso wenig sind Äußerungen von führenden Politiker dieser Partei bekannt geworden, die auch nur in die Nähe der vom Bundesverfassungsgericht referierten Verlautbarungen führender NPD Politiker kämen. Soweit hin und wieder von Parteimitgliedern oder Sympathisanten Vokabular wie „Umvolkung“ benutzt wird, ist das offensichtlich die Sprache von Leuten, auf die der Begriff Dummvolk paßt. Die AfD ist gut beraten, wenn sie Leute aus ihren Reihen hinauskomplimentiert, die meinen, sich eines solchen Sprachgebrauchs befleißigen zu müssen.

Was indessen auf gar keinen Fall verfassungsrechtlich zu beanstanden ist, sind sachlich zutreffende Hinweise etwa auf Auffälligkeiten in der polizeilichen Kriminalstatistik, was die Relation von Deliktshäufigkeit und Zuwandererstatus angeht, etwa auf die inzwischen in den Fokus der Polizeibehörden geratene Clan-Kriminalität arabischstämmiger Großfamilien, etwa auf den im Vergleich zu der einheimischen Bevölkerung durchweg sehr niedrigen Bildungs- und Ausbildungsstand von Migranten, etwa auf die immensen Kosten, die zur Bewältigung der Zuwanderung anfallen und dergleichen mehr. Denn das ist alles sachliche Kritik, wenn sie nicht ausschließlich an der Abstammung der betreffenden Bevölkerungsgruppen festgemacht wird. Gerade das geschieht seitens der AfD und ihrer Funktionäre eben nicht. Auch kann es nicht beanstandet werden, wenn gefordert wird, daß sich Zuwanderer, wenn sie auf Dauer bei uns leben oder sogar eingebürgert werden wollen, sich die Werteordnung unserer Verfassung zu eigen machen und sich kulturell anpassen, zum Beispiel unsere gesellschaftlichen Gepflogenheiten übernehmen müssen. Denn damit wird ihnen ihre Menschenwürde gerade nicht abgesprochen, sondern ihnen im Gegenteil bescheinigt, daß ihre ethnische Herkunft für uns keine Rolle spielt, wenn sie diesen Erwartungen entsprechen. Ebensowenig kann eine sachliche Kritik am Islam, insbesondere seinen Erscheinungsformen in Deutschland als verfassungsfeindlich, weil mit der Menschenwürde der Muslime nicht vereinbare Haltung beanstandet werden. Denn dann kollidierten die Schriften seriöser Wissenschaftler und Kritiker wie etwa Bassam Tibi, Hamed Abdel Samad, Seyran Ates, Necla Kelek und Laila Mirzo mit unserer Verfassung und müßten die Einleitung staatsanwaltschaftlicher Ermittlungsverfahren wegen Volksverhetzung nach sich ziehen. Auf diesen abwegigen Gedanken ist noch kein Staatsanwalt in unserem Lande gekommen.

Es wird also mehr als deutlich, daß die an prominenter Stelle in den Hauptnachrichten wie in den gedruckten Medien angekündigten Aktivitäten des Bundesamtes für den Verfassungsschutz gegen die AfD und führende Politiker dieser Partei der verfassungsrechtlichen Begründbarkeit vollständig entbehren. Sie dienen ausschließlich, und dafür ist ihre im Übrigen rechtswidrige öffentliche Verkündung auch ein deutliches Indiz, der Bekämpfung einer verhassten Partei mit juristisch nicht zulässigen Mitteln, weil man auf verfassungsmäßigem Wege, nämlich im Rahmen der demokratischen politischen Auseinandersetzung, nicht weiter kommt. Der Demokratie wird damit ein Bärendienst erwiesen, denn der augenscheinliche Mißbrauch der Verfassungsschutzbehörden zu parteipolitischen Zwecken ist geeignet, die Institutionen unserer Demokratie in den Augen der Bevölkerung zu diskreditieren. Der Fall zeigt aber auch, wie gut es ist, daß die Mütter und Väter des Grundgesetzes den Grundrechten der Bürger den Vorrang vor dem Staat gegeben haben. Denn an den Grundrechten derjenigen, die der Verfassungsschutz beobachtet, ist eben dies zu messen.