Man setzt sich als schon etwas gereifter Mensch leicht dem Vorwurf aus, die Jugend nicht zu verstehen, wenn man darauf hinweist, daß Gretas Jünger wohl kaum den großen Überblick haben können, weil sie halt jünger sind als diejenigen, denen nun einmal Staat und Wirtschaft anvertraut sind, aus ihrer Sicht möglicherweise nur beherrscht, gelenkt, mißbraucht oder was immer werden. Auch wenn wohl nur solche Leute daran glauben können, daß „Fridays for Future“ allein von Greta erfunden und allein von jugendlichen Eiferern von der 10. Klasse bis zum Erstsemester organisiert (und auch finanziert) wird, die auch daran glauben, daß Zitronenfalter Zitronen falten, so hat diese Bewegung doch eine Wirkmächtigkeit entwickelt, die einfach bei allen politischen Erwägungen in Rechnung gezogen werden muß. Aber genau deswegen muß man auch prüfen, welche Relevanz so etwas tatsächlich haben kann oder darf.
Man macht es sich sicher zu einfach, wenn man der Jugend schlicht ihre Ernsthaftigkeit abspricht und es ablehnt, mit den Grünschnäbeln zu sprechen. Das Unwohlsein, das uns Ältere überkommt, wenn wir sehen, daß die politischen Entscheidungsträger sich ganz offensichtlich von Schülerdemos beindrucken und beeinflussen lassen, bedarf zu seiner überzeugenden Artikulation einer überzeugenden Begründung.
Rat finde ich beim Philosophen Aristoteles. Er schreibt in seiner Nikomachischen Ethik, die uns den Weg zum ethischen Handeln aufzeigt, auch über die Zielgruppe seiner Handreichung Nachdenkenswertes:
„Jeder beurteilt das zutreffend, wovon er ein Wissen hat, und ist hierin ein guter Richter. Auf einem begrenzten Gebiet urteilt also der darin Geschulte richtig, umfassend aber der allseitig Ausgebildete. Für Vorträge über Staatswissenschaft ist daher als Hörer nicht geeignet der Jüngling. Er hat ja noch keine Erfahrung im wirklichen Leben. Gerade von diesem aber gehen die Vorträge aus und dieses haben sie zum Gegenstand. Da der junge Mann ferner noch ganz zu Gefühl und Leidenschaften neigt, kann er nur zweck- und nutzlos zuhören, denn das Ziel ist hier nicht Erkenntnis, sondern Handeln. Dabei ist es ganz gleichgültig, ob er an Jahren jung oder dem Charakter nach unfertig ist. Denn nicht an der Zahl der Jahre hängt das Ungenügen, sondern daran, daß die jungen Leute unter dem Einfluß der Leidenschaft leben und unter diesem Einfluß ihre jeweiligen Ziele verfolgen. Solchen bleibt, wie den haltlosen Menschen, die Erkenntnis ohne Frucht. Wer aber sein Streben und Handeln nach klarem Plan einrichtet, dem bringt das Wissen von diesen Gegenständen hohen Nutzen.“ (1095a 8)
Wer in diesem Text neben dem Jüngling das Mädchen vermißt und darauf den antiken Verfasser des Sexismus schelten will, halte kurz inne und denke daran, daß im vierten Jahrhundert vor Christus tatsächlich ausschließlich Männer den Philosophen zuhörten, Frauen indessen damals der Platz zu Hause zugewiesen war. Das hat natürlich Aristoteles nicht zu vertreten. Und somit sind für den heutigen Leser – natürlich auch die Leserin – in diesem Text nicht nur die jungen Männer, sondern auch die jungen Frauen angesprochen.
Man räsoniert also nicht einfach, wenn man den demonstrierenden Schülern vorhält, daß sie mit einem naturgemäß allzu geringen Wissen an die Sache herangehen. Denn was sie in der Schule zum Thema gelernt haben, man ihnen vielleicht auch nur eingetrichtert hat, können sie aufgrund ihrer Jugend noch nicht mit ihrer Lebenserfahrung abgleichen. Sie haben eben noch nicht erlebt, daß Vorhersagen über Weltuntergangszenarien sich nach dem Umgange einiger Jahre in Luft aufgelöst haben, mithin tatsächlich nichts anderes als heiße Luft gewesen sind. Sie können die wirtschaftlichen Zusammenhänge noch nicht so sicher beurteilen wie Menschen, die das Scheitern utopischer Theorien bereits erlebt haben. Und sie haben auch noch nicht die Zeit gehabt, ein so komplexes Thema wie den Klimawandel in dem Umfang zu untersuchen, der ihm angemessen ist. Doch sind sie naturgemäß gerade in ihrem jugendlichen Alter idealistisch gesinnt und leicht entflammbar. Daß die Erkenntnis des Philosophen Aristoteles nun schon rund 2500 Jahre alt ist, macht sie nicht etwa obsolet, sondern unterstreicht ihre zeitlose Gültigkeit. Wir können also mit guten Gründen auch unter Berufung auf Aristoteles sagen, daß man sein Handeln auf dem Gebiet der Staatskunst, wie sich Aristoteles ausdrückt, an Lebenserfahrung und Erkenntnis ausrichten muß. Nur das ist ethisch verantwortbar.