Die jährliche jährliche zentrale Feier des Tages der deutschen Einheit sollte gewissermaßen das Hochfest der Deutschen sein. Die Freude über die wiedergewonnene Einheit von Volk und Staat, die Besinnung darauf, wie lang und schwer der Weg zur deutschen Einheit im 19. Jahrhundert war, und wie er untrennbar mit der Erringung von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit verbunden war, das sollte doch ganz natürlich den Inhalt der Festansprachen an diesem Tag ausmachen. Einen prominenten Platz darin sollten die Ereignisse im Herbst 1989 und der Mut der Protagonisten des Kampfes für die Freiheit der Bürger im Osten unseres Vaterlandes haben. Doch wer sich heute die Rede des Bundestagspräsidenten vor einem erlauchten, natürlich handverlesenen, Publikum aus Staat und Gesellschaft anhörte, sah sich über weite Strecken tatsächlich in den Wahlkampf versetzt. Ein Wahlkampf indessen, der dadurch gekennzeichnet ist, daß die vorgeblichen Hüter von Demokratie und Rechtsstaat ihren exklusiven Status gegen die vermeintlichen Wiedergänger der braunen Diktatur mit verbissener Wut verteidigen. Das ist einer nicht nur genuin politischen, sondern viel umfassenderen Entwicklung in Deutschland wie im übrigen Europa geschuldet, die dabei ist alte Gewissheiten über die Ablösung der europäischen Staatenwelt zugunsten eines zentralistischen europäischen Staates und die Auflösung der Nationen in einen multikulturellen Konsumentenverband auf dem Territorium der seinerzeitigen europäischen Staaten zu hinterfragen, aufzuhalten und in eine andere Richtung zu lenken. Eine Richtung, die von den neuen und fortschrittlichen Kräften als Weg in die Zukunft freier Völker, von den Verfechtern der jahrzehntelang geradezu als Heilslehre verkündeten „Verbrüsselung“ des europäischen Kontinents und der Verwandlung seiner Nationen in eine amorphe Masse mental gleichgeschalteter Konsumenten indessen als Rücksturz in die Finsternis des Weltkriegszeitalters diffamiert wird.
Nur vor diesem Hintergrund kann gedanklich nachvollzogen werden, daß nationalkonservative Positionen in Wissenschaft und Publizistik, von der Parteipolitik einmal ganz zu schweigen, mit einer Mischung aus blanker Wut und überheblichen Selbstgewissheit bekämpft werden, die historisch wohl nur in der Verfolgung von Hugenotten, Hussiten und anderen Ketzern Beispiele und Vorläufer findet. Da es nun nicht mehr möglich ist, die Ketzer wie auch ihre Werke öffentlich auf dem Scheiterhaufen zu verbrennen, muß man zu anscheinend subtileren, tatsächlich aber nur noch lächerlichen Methoden greifen, wie etwa die verzweifelten Versuche der Buchmessenveranstalter, „rechte“ Verlage auszugrenzen und tatsächlich auch optisch in das Abseits nur schwer auffindbarer Winkel in den Ausstellungshallen zu verbannen. Dabei wäre es, dürfte man Sprache noch so verstehen, wie sie im Duden steht, natürlich nichts anrüchiges, politisch rechts zu sein. Indessen ist „rechts“ für die politisch-mediale Meute die Wesensbeschreibung Beelzebubs.
Eine ausgewogene und wahrheitsgemäße Beschreibung politisch missliebiger Positionen darf daher auch nicht stattfinden. Betrachtet man etwa die Wikipedia-Einträge von sogenannten rechten Verlagen oder gar der AfD, so findet man stets Zuschreibungen wie fundamentalistisch christlich, homophob, islamophob, antifeministisch, völkisch-nationalistisch, antisemitisch und geschichtsrevisionistisch. Regelmäßig werden dann auch nur die Stimmen zitiert, die diesen Choral der political correctness singen. Wer sich wirklich informieren will, muß sich schon die Mühe machen, die Texte der Denunzierten und Diffamierten im Original zu lesen.
Das ist also der Hintergrund, vor dem es möglich und aus der Sicht des politisch-medialen Establishments unseres Landes auch notwendig war, daß der Präsident des Deutschen Bundestages die Feier zum Tag der Deutschen Einheit dazu mißbrauchte, alle diejenigen als Feinde von Demokratie und Rechtsstaat zu diffamieren, die schlicht und einfach in zentralen politischen Fragen der Gegenwart wie auch hinsichtlich der Grundlagen unserer Gesellschaft abweichende Auffassungen vertreten. Abweichende Auffassungen wohlgemerkt, in keinem einzigen Punkt indessen verfassungsfeindliche Positionen, wie etwa die Abschaffung des Demokratieprinzips oder die Aufgabe der Menschenwürde als zentrales Individualgrundrecht unserer Verfassung. Dazu mußten zunächst im Brustton des Selbstgerechten demokratische Gemeinplätze abgefeiert werden: „Freiheitliche Demokratie gründet auf Meinungsvielfalt, Toleranz, gegenseitigem Respekt…. Ohne den Willen, einander zuzuhören, ohne den Versuch, den anderen und seine Argumente zu verstehen, geht es nicht…. Streit ist notwendig. Der demokratische Zusammenhalt beweist sich gerade im Konflikt. Gefahr entsteht da, wo wir uns nichts mehr zu sagen haben.“ Hätte er es bei diesen Sätzen, auch mit dem Anlaß angemessenen Variationen belassen, wäre es die Rede eines Demokraten, seinem hohen Amt auch angemessen und dem Anlaß geschuldet gewesen. Doch dann hob er all das, was er zuvor über das Wesen der Demokratie gesagt hatte, mit unmissverständlichen Wahlkampfparolen wieder auf. Ohne daß er einen Namen oder eine Partei nannte, grenzte er die Teufelsanbeter aus dem Kreis der Rechtschaffenen aus: „Auch in Deutschland begegnet uns die populistische Anmaßung „das“ Volk in Stellung zu bringen: gegen politische Gegner, gegen vermeintliche und tatsächliche Minderheiten, gegen die vom Volk Gewählten. aber: Niemand hat das Recht zu behaupten, er allein vertrete das Volk.“
Das ist geradezu ein Musterbeispiel dafür, wie man Andersdenkende diffamiert. Man stellt zunächst eine Verhaltensweise dar und erklärt dann, niemand habe das Recht, sich so zu verhalten oder zu argumentieren. Nur daß dies eben ein bloßer rhetorischer Trick ist. Denn tatsächlich behauptet jedenfalls in Deutschland niemand, er alleine vertrete das Volk. Aber weil das, wäre es denn so, in der Tat eine Anmaßung ohnegleichen wäre, erhält man auch prompt den Beifall der Zuhörer. Billiger kann man den Beifall nicht einkaufen. Und damit auch der letzte Träumer weiß, von wem die Rede ist, darf die Chiffre populistisch nicht fehlen. Dieses zweifelhafte Prädikat erhalten ja alle die Parteien in Europa, welche der eurozentrischen und multikulturellen Politik insbesondere der deutschen politischen Klasse ablehnend gegenüberstehen. Umgekehrt wird eher ein Schuh daraus. Nicht einmal die Parlamentsmehrheit, die ich keineswegs mit der Regierungskoalition verwechseln möchte, vertritt mit rund 87 % der Abgeordneten das Volk, sondern nur diejenigen, die sie gewählt haben. Zieht man die 23 % Nichtwähler und die knapp 13 % AfD- Wähler ab, dann vertreten sie bei weitem nicht das ganze Volk. Das ganze Volk wird in einer Demokratie niemals von einem politischen Lager vertreten. In der Unterstellung, die Populisten aus dem Reiche Satans wollten genau das, liegt natürlich eine besonders infame Diffamierungstechnik. Denn damit wird gewissermaßen subkutan transportiert, diese Diener Luzifers strebten eine Diktatur, selbstverständlich völkischen Charakters wie ihre angeblichen Vorgänger aus der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts an. Von gegenseitigen Respekt, von Meinungsvielfalt, vom Willen, einander zuzuhören, war da plötzlich keine Rede mehr. Der vorgebliche Bewahrer der Demokratie entlarvte sich selbst als Heuchler.
Wer zu derartig plumpen Argumenten greift, muß schon sehr verzweifelt sein. Das ist die einzig tröstliche Erkenntnis dieses Tages.