Geistig verwirrt oder bösartig?

Der Mord – vorläufig muß wohl vom Vorliegen der Mordmerkmale „heimtückisch“ und „niedrige Beweggründe“ – beim gewaltsamen Tod des Kasseler Regierungspräsidenten Dr. Walter Lübcke ausgegangen werden, wird leider politisch instrumentalisiert und damit mißbraucht. Wie das mit Anstand und Pietät zu vereinbaren sein soll, müssen sich allerdings diejenigen fragen, die jetzt ihre irrwitzigen Schuldzuschreibungen in die Welt hinaus plärren. Vorläufig den Vogel abgeschossen hat Peter Tauber, weiland Generalsekretär der CDU, ein Amt, das er ausschließlich krankheitsbedingt aufgeben mußte. Nachdem seine Gesundheit einigermaßen wiederhergestellt war, aber nicht so weit, daß er dieses stressige Amt weiter ausüben konnte, bekam er in Anbetracht seiner Verdienste um die CDU den Posten eines Frühstücksdirektors (Parlamentarischer Staatssekretär) im Hause von der Leyen. Der Job scheint ihn aber nun doch nicht ganz auszufüllen, weswegen er sich nun wieder grundsätzlichen Dingen zuwendet. 

Mitschuldig am Tod Walter Lübckes seien „rechte“ Politiker, deren  Sprache enthemme und zur Gewalt führe . Genannt werden Erika Steinbach, Björn Höcke, Alice Weidel, Max Otte und überhaupt die AfD, aber auch die „namenlosen Wichtigtuer von der Werteunion“. Wer sich eben derart gegen die Flüchtlingspolitik der Kanzlerin stelle, der verwirke seine Grundrechte, und die müssten ihm dann eben aberkannt werden.

Tatsächlich gibt es im Grundgesetz einen Artikel, der genau das zum Gegenstand hat. Art. 18 GG erklärt, daß derjenige, welcher die Grundrechte der Freiheit der Meinungsäußerung, der Pressefreiheit, der Versammlungsfreiheit, der Vereinigungsfreiheit und einige mehr zum Kampfe gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung missbraucht, eben diese Grundrechte verwirkt. Das tun wohl die von diesem wackeren Verteidiger der Demokratie und des Rechtsstaats als Verfassungsfeinde ausgemachten Personen und Parteien. Diese Vorschrift, so meint er, sei ja bisher noch niemals angewandt worden. Nun aber sei es dafür höchste Zeit. So hat er sich tatsächlich in einem Interview mit der WELT geäußert.

Was hat der Mann nur geraucht oder getrunken, bevor er den Journalisten diesen unsäglichen Quatsch in die Notizblöcke bzw. Aufnahmegeräte diktiert hat? Woher nimmt der gelernte Historiker Tauber die Rechtskenntnisse, die zum Verständnis des Grundgesetzes erforderlich sind? Welche konkreten Äußerungen der inkriminierten Personen und Parteien sind denn seines Erachtens ein Missbrauch von Grundrechten zum Zwecke des Kampfes gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung? Weiß Tauber überhaupt, was das ist? Hätte er nicht lieber mal jemanden fragen sollen, der davon etwas versteht? Das Ministerium, in dem er seine Sinekure versieht, hat unter seinen tausenden von Beamten Volljuristen mindestens in Regimentsstärke. Wenigstens einen davon hätte er vorher fragen können. Doch das hat er wohl lieber nicht getan, wohl ahnend, daß er dann seine Phrasenschleuder nicht mit solchen stinkenden Pferdeäpfeln laden können würde.

Seine Beamten hätten ihm sicherlich erklärt, daß Art. 18 GG in der Vergangenheit durchaus bereits angewandt worden ist. Zum Beispiel vom Bundesverfassungsgericht in seinem Beschluß vom 15.01.1969, Az.: 1 BvR 438/65. Da ging es um einen der verbotenen KPD angehörenden Journalisten. Dem hatte ein Strafgericht unter anderem untersagt, den Beruf als Redakteur oder Verleger auf die Dauer von fünf Jahren auszuüben. Der Fall ging durch die Instanzen bis zum Bundesverfassungsgericht. Das bescheinigte ihm jedoch, daß ein Berufsverbot gerade mit Blick auf Art. 18 GG im vorliegenden Falle verhängt werden durfte. Der Mann hatte ja die grundgesetzlich garantierte Pressefreiheit dazu missbraucht, weiterhin Propaganda für die vom Bundesverfassungsgericht einige Jahre zuvor verbotene KPD zu machen.

Seine Beamten hätten ihm dann bei dieser Gelegenheit auch gleich erläutert, daß nach Art. 18 Satz 2 des Grundgesetzes die Verwirkung der Grundrechte und das Ausmaß der Verwirkung durch das Bundesverfassungsgericht ausgesprochen werden. Ob und gegebenenfalls in welchem Ausmaß etwa das Grundrecht der Meinungsfreiheit oder der Versammlungsfreiheit bzw. das grundsätzliche Recht aller Bürger, sich in politischen Parteien zusammenzuschließen, im Einzelfalle verwirkt worden ist, und vor allem warum das der Fall ist, und welche Folgen daran zu knüpfen sind, das alles ist eben  allein vom Bundesverfassungsgericht festzustellen, nicht aber von Herrn Tauber. Wie im übrigen gerade der Fall des KPD-Journalisten zeigt, hängen die Trauben hier außerordentlich hoch. Denn gerade weil es sich hier um die Verwirkung von Grundrechten handelt, wie dem der Meinungsfreiheit, das nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts von Anbeginn an als tragende Säule der Demokratie angesehen wird, gerade deswegen macht das Bundesverfassungsgericht von der Möglichkeit des Art. 18 GG nur sehr selten und nur sehr zurückhaltend Gebrauch.

So hat es am 08.12.2010 (Az.: 1 BvR 1106/08) entschieden, daß es nicht rechtens sei, einem zwar rechtskräftig wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung und ähnlich unappetitlichen Delikten verurteilten Neonazi auf die Dauer von fünf Jahren ein Publikationsverbot für die Verbreitung rechtsextremistischen oder nationalsozialistischen Gedankenguts aufzuerlegen. Denn die Begriffe des rechtsextremen bzw. nationalsozialistischen Gedankenguts seien zu schwammig und unbestimmt, als daß man darauf eine so einschneidende Beschränkung der Meinungsfreiheit des Beschwerdeführers stützen könne. Ob die Beamten aus dem Hause von der Leyen Herrn Tauber das aber so deutlich gesagt hätten, muß bezweifelt werden. Denn Rechtsfragen mit politischem Hintergrund oder gar mit politischer Bedeutung werden von den Beamten gegenüber ihren vorgesetzten Politikern natürlich eher in deren Sinne, notfalls gar nicht beantwortet, als nach Gesetz und Recht, wenn die Antwort der Frau Ministerin oder dem Herrn Staatssekretär vielleicht nicht gefallen könnte. Wer setzt denn schon gerne seine Karriere aufs Spiel, nur weil er seinem fachlichen Gewissen folgt? Gerade die Vorstellungen der Inhaberin der Befehls- und Kommandogewalt von Recht und Gesetz sind ja, zurückhaltend ausgedrückt, abenteuerlich, soweit es um angeblich „rechte“ Umtriebe in der Truppe geht, der sie insoweit ja schon einmal ein Haltungsproblem attestiert hat.

Die Frage in der Überschrift harrt einer Antwort. Auch wenn das Gerede Taubers inhaltlich die Diagnose der geistigen Verwirrtheit zu stützen scheint, so dürften die Dinge doch anders liegen. Dem CDU-Politiker Tauber brennen beim Blick auf die Wahlergebnisse  und Umfragewerte seiner Partei alle Sicherungen durch. Nachdem hier auch im wesentlichen eine Wählerwanderung von der Union zur AfD zu erkennen ist, meint nicht nur Tauber, hier die größten Geschütze auffahren zu müssen. Die sachliche Auseinandersetzung und die Diskussion politischer Themen im herkömmlichen Rahmen genügen in dieser Existenzkrise offenbar nicht mehr. Der als ungemein gefährlich erkannte Gegner, was sage ich, Feind, muß vernichtet werden, koste es was es wolle, und sei es die eigene Glaubwürdigkeit als Demokrat. Genau deswegen verkünden Politiker der Union – von linksgrün ganz zu schweigen – landauf landab beispielsweise, die AfD leugne den Klimawandel, obgleich diese Partei in allen ihren Verlautbarungen zu diesem Thema wie die übrigen Parteien von der Tatsache des Klimawandels ausgeht, lediglichdaran Zweifel äußert, daß dieser Klimawandel vom Menschen verursacht wird, vor allem durch CO2-ausstoßende industrielle Tätigkeiten. Aus dem gleichen Grunde diffamiert man die Kritik der AfD an der Flüchtlingspolitik Merkels als völkisch motiviert, obgleich dafür weder in den Programmen noch in den Verlautbarungen ihrer Spitzenpolitiker Belege gefunden werden können, selbst wenn man Herrn Höcke insoweit unklares Geschwurbel attestieren muß.

Die Verzweiflung muß gewaltig sein, wenn man sich nicht mehr anders zu helfen weiß, als durch Diffamierung und Beleidigung des politischen Gegners. Die Verzweiflung ist natürlich ein schlechter Ratgeber, denn sie hindert am klaren Denken. Nur wessen Denken schon so vergiftet ist, daß die Unterschiede zwischen dumm und klug, anständig und unanständig, glaubwürdig und verlogen verloren gegangen sind, nur der greift zu solchen Argumenten und erhebt derart abstruse Forderungen. Das ist eben bösartig. Allerdings werden Herr Tauber und seine übrigen Mitstreiter auf verlorenem Posten über kurz oder lang erkennen müssen, daß ihnen kaum jemand noch solchen Unsinn abnimmt. Die Folge wird ein weiterer Abstieg der Union sein. Herr Tauber hat daran dann kräftig mitgearbeitet.


   

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