das ist und bleibt der Denunziant! Dieser Satz wird dem Dichter des Textes unserer Nationalhymne, Hoffmann von Fallersleben, zugeschrieben. Er stammt also aus einer Zeit, in der es um die Meinungsfreiheit alles andere als gut bestellt war. Wer damals für Freiheit und Einheit unseres Vaterlandes eintrat, mußte mit behördlicher Verfolgung rechnen. In solchen Zeiten stützt sich die Staatsmacht stets auch auf willfährige Informanten, besser gesagt Spitzel. Das war zu allen Zeiten so, und besonders ausgeprägt während der braunen und roten Diktaturen von 1933-1945 und von 1949-1989. Gestapo und Stasi wären weitgehend wirkungslos geblieben, hätten sie sich nicht auf eine große Schar von Menschen stützen können, die ihre Mitbürger selbst im privatesten Bereich bespitzelten. Diese Regime erwarteten allerdings nicht nur von den bezahlten Spitzeln, sondern von jedem Bürger, insoweit seine angebliche Pflicht zu tun. Doch gibt es kaum eine größere Niederträchtigkeit, als den Verrat. Familienmitglieder, Freunde, Nachbarn und Arbeitskollegen wegen Äußerungen anzuzeigen, die nun einmal den politisch Mächtigen nicht gefallen, galt immer als schäbig. Die Nutznießer des Verrats sahen das ungeachtet ihrer daraus resultierenden Vorteile nicht selten ebenso. Von Napoleon ist der Satz überliefert: „Ich brauche den Verräter, doch ich verachte ihn.“
Denunziation wird zur Bürgerpflicht
Der größte Lump im ganzen Land, das ist und bleibt der Denunziant. Dieser Satz gewinnt derzeit leider erneut an Aktualität. So manchem wird dieser Gedanke durch den Kopf schießen, wenn er unvermittelt Post vom Staatsanwalt oder Besuch vom Verfassungsschutz bekommt. Das Bundesamt für den Verfassungsschutz betreibt seit dem 28. Oktober 2019 das Kontakttelefon „RechtsEx“ für Hinweise zu Rechtsextremismus, Rechtsterrorismus, Reichsbürgern und Selbstverwaltern. Hinweise werden rund um die Uhr vertraulich aufgenommen. („LinksEx“ und „IslamistEx“ gibt es natürlich nicht). Die Bundesjustizministerin hat heute ihren Gesetzentwurf vorgestellt, der zum einen die Strafen für Beleidigungsdelikte verschärft, was für sich allein vielleicht sogar sinnvoll sein könnte, der aber vor allem die sozialen Netzwerke wie Facebook, Twitter und Co. verpflichtet, sogenannte „Hasskommentare“ den Staatsanwaltschaften zu melden. Das geht weit über das unsägliche Netzwerkdurchsetzungsgesetz des früheren Zensur- und heutigen Außenministerleins hinaus, wonach derartige Texte lediglich gelöscht und ihre Verfasser gesperrt werden sollten. Nun soll angezeigt werden, was das Zeug hält. Und das gilt nicht nur für die Kenntnis von geplanten Straftaten, die nach § 138 StGB ohnehin zur Strafanzeige verpflichtet. Nein, schon ungehörigere und unappetitliche Texte (neudeutsch: Posts) wie etwa: „Der gehört an die Wand gestellt!“ sind künftig den Staatsanwaltschaften zu melden und sollen wohl einen neuen Straftatbestand darstellen.
Der Amatuer-Schlapphut (m,w,d) geht ans Werk
Betrachten wir zunächst einmal die Meldepflicht bzw. die Aufforderung zur Meldung an den Verfassungsschutz. Die Deutschen sollen ein Volk von IM werden. Mit beträchtlichem personellem und materiellem Aufwand wird eben rund um die Uhr eine Meldestelle betrieben, der jedermann mitteilen soll, was er für verfassungsfeindliche Umtriebe hält. Nach Sachlage soll das, und so kommt es ja auch aus der Begründung dieser Maßnahme ans Licht, vor allem sogenannte rechtsextreme Kommentare oder sonstige Texte dieser Art betreffen. Der „Kampf gegen Rechts“ wird zur ersten Bürgerpflicht. Man kann sich vorstellen, daß mindestens 90 % der gemeldeten Vorfälle nach juristischer Prüfung durch den sprichwörtlichen Rost fallen werden. Wer mit dem Grundgesetz, insbesondere der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und der Fachgerichte zur Meinungsfreiheit und den einschlägigen Äußerungsdelikten im Strafgesetzbuch wie etwa § 130 StGB nicht vertraut ist, wird kaum einmal einen Text rechtlich zutreffend beurteilen können. Auf der anderen Seite besteht die manifeste Gefahr, daß die Masse derartiger Meldungen geeignet sein kann, die rechtliche Beurteilung unmerklich zu verschieben. Es wird angesichts der Fülle von Meldungen die Neigung bestehen, Dinge als verfassungsfeindlich zu bewerten, die man früher nicht so bewertet hätte. Wer glaubt, ein solcher Effekt sei nicht willkommen,ist einfach nur naiv.
Horch und Guck reloaded
Betrachten wir die Meldepflicht hinsichtlich so genannter Hasskommentare bei den Staatsanwaltschaften. In Verbindung mit den angekündigten Strafverschärfungen, die bisher straflose Ungehörigerigkeiten nunmehr als strafbare Handlungen qualifizieren werden, muß davon ausgegangen werden, daß die sozialen Netzwerke täglich zigtausendfach derartige Meldungen absetzen werden. Dies deswegen, weil sie mit Bußgeldern bis zu 50 Millionen € im Einzelfall rechnen müssen, wenn sie ihrer gesetzlichen Meldepflicht nicht nachkommen. Auch hier wird natürlich dann weit überwiegend erst einmal gemeldet werden, was schon bei kurzer juristischer Prüfung wieder ausgeschieden werden muß. Zum einen liegt das an der Strafdrohung, die es nun wirklich angeraten sein läßt, im Zweifel zu melden statt zu schweigen. Und zum anderen liegt das daran, daß die sozialen Netzwerke aus Kostengründen, aber auch angesichts des angespannten Marktes für Mitarbeiter mit der Qualifikation des Volljuristen, diese Aufgabe juristisch nicht qualifizierten 450 Euro-Kräften mit bestandener Gesinnungsprüfung übertragen werden. Solche Leute werden dann natürlich erst einmal geschult, d.h. werden in einem Schnellkurs durch das Grundgesetz und das Strafgesetzbuch getrieben wie ein Galopper über die Rennbahn. Und man wird Ihnen eintrichtern, im Zweifel alles als sogenannte rechte Hetze und damit strafbar zu bewerten, was auch nur entfernt politisch anrüchig erscheint. Auch hier wird der Effekt eintreten, daß die schiere Zahl der Meldungen dazu verleitet, massenhaft Strafbefehle zu beantragen bzw. dann auch zu erwirken. Denn Staatsanwälte und Richter können sich dann mit dem Gedanken daran beruhigen, daß gegen den Strafbefehl ja Einspruch einlegen kann, wer sich ungerecht behandelt fühlt. Und dann kann ja im ordentlichen Verfahren in Ruhe nachgeprüft werden, ob tatsächlich eine Straftat vorliegt. Nicht selten wird dann der Strafbefehl eben aufgehoben werden müssen.
Die Überlastung der Justiz und damit die Verschlechterung der Rechtspflege sind wohl egal.
Davon unberührt bleibt natürlich, daß auch jetzt schon Strafantrag stellen kann, wer sich durch irgendwelche Texte im Internet beleidigt fühlt. Die Staatsanwaltschaften gehen dem dann auch nach. Davon unberührt bleibt natürlich auch, daß Straftaten wie Volksverhetzung im Internet auch jetzt schon verfolgt werden. Dies unabhängig davon, ob die Polizei selbst auf einen solchen Text aufmerksam wird, oder in der Tat Dritte das melden. Wenn wirklich massive Straftaten begangen oder angedroht werden, dann reichen unsere Gesetze auch tatsächlich aus, diese Dinge rechtlich in den Griff zu bekommen. Was indessen lediglich ungehörig ist, hat in den Akten der Staatsanwaltschaft nichts zu suchen. Die Staatsanwaltschaften arbeiten ohnehin schon an den Grenzen ihrer personellen Kapazitäten. Wenn sie dann auch noch mit Zigtausenden von zusätzlichen Anzeigen monatlich überschwemmt werden, dann kann man sich ausrechnen, was passieren wird. Wichtige Dinge werden einfach liegen bleiben, denn es ist nicht denkbar, daß die Staatsanwaltschaften und auch die Gerichte in dem Maße personell aufgerüstet werden können, das eigentlich notwendig werden würde, wenn die Vorstellungen der Justizministerin umgesetzt werden würden.
Der wahre Sinn der Sache
Auswirkungen wird das allerdings auf die Statistik haben. Die Zahl der Straftaten mit rechtsextremem Hintergrund wird explosionsartig ansteigen. Das wird zu einer beträchtlichen Schieflage in der Statistik führen. Schon jetzt gibt es eine Reihe von Delikten, etwa § 130 StGB in seinen unterschiedlichen Tatbeständen, oder §§ 86 StGB ( verfassungsfeindliche Propaganda und Verwendung verfassungsfeindlicher Kennzeichen) die ausschließlich von Rechtsextremisten begangen werden können, nicht aber von Linksextremisten oder Islamisten. Schon jetzt ist deswegen bei Betrachtung der Kriminalstatistik in diesem Bereich größte Sorgfalt geboten. Rechnet man nämlich jeweils die sogenannten Äußerungs- und Propagandadelikte heraus, dann ergibt sich ein anderes Bild, als es in den Medien allgemein transportiert wird. Dann stellt man nämlich fest, daß bei den politisch motivierten Straftaten die rechts motivierten Straftaten keineswegs bei weitem überwiegen, eher im Gegenteil. Das wird natürlich auch künftig nicht anders sein. Aber wer schaut schon so genau hin? Wenn dann aufgrund der neuen Rechtslage die Zahl der rechtsextremistisch motivierten Straftaten im ganzen um ein Vielfaches höher liegen wird, als zum Beispiel der linksextremistischen motivierten Straftaten, dann hat das natürlich erhebliche Auswirkungen auf die Berichterstattung in den Medien und damit auf das Bewusstsein der Bevölkerung. Und letzteres ist doch erwünscht. Man will die Leute glauben machen, daß die große Gefahr von rechts kommt. Selbstverständlich fällt unter rechts in diesem Sinne alles rechts von Merkel. Die Grenzen des Sagbaren sollen verschoben werden, und zwar weit nach links. Die unsäglichen Studien über angeblichen Rechtsextremismus aus der Mitte der Gesellschaft belegen das überdeutlich. Es soll eben ein Klima geschaffen werden,in dem noch weniger als bisher die freie Rede stattfindet. Das Ergebnis der Allensbach-Studie aus dem Mai dieses Jahres, wonach 78 % der Befragten die Meinung äußerten, man könne in Deutschland nicht ohne weiteres sagen, was man denkt, wird dann noch übertroffen werden. Der vorsichtige Rundumblick bevor man jemanden etwas sagt – außer der Uhrzeit – wie er in Diktaturen üblich ist, er wird zum Verhaltensmuster unserer Gesellschaft in diesem Jahrhundert werden.
Und nicht zuletzt wird sich in der politischen Meinungsbildung etwas verändern. Wenn die rechtliche Beurteilung von Meinungsäußerungen sich zunächst unmerklich, aber nachhaltig in die politisch gewünschte Richtung verschiebt, dann hat das natürlich Auswirkungen auf das Denken der Bürger. Wenn kriminalisiert wird, was heute noch straflos gesagt werden darf, dann wird nicht nur der Bereich des Sagbaren, sondern auch der Bereich des Denkbaren begrenzt und damit ausgegrenzt, was heute noch zum Beispiel als national-konservativ gilt, und in den Bereich der verfassungsfeindlichen Bestrebungen verschoben. Wer glaubt, derartiges werde nicht angestrebt, der ist naiv.
Die Hoffnung stirbt zuletzt. Auf das Bundesverfassungsgericht kommt eine Menge Arbeit zu. Und hoffentlich bleibt es standhaft. Denn jedenfalls bis jetzt gelten seine Sätze aus dem berühmten Lüth-Urteil vom 15. 01. 1958: „Das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung ist als unmittelbarster Ausdruck der menschlichen Persönlichkeit in der Gesellschaft eines der vornehmsten Menschenrechte überhaupt (un des droits plus precieux de l’homme nac Art. 11 der Erklärung der Menschen-und Bürgerrechte von 1789). Für eine freiheitlich-demokratische Staatsordnung ist es schlechthin konstituierend, denn es ermöglicht erst die ständige geistige Auseinandersetzung, den Kampf der Meinungen, der ihr Lebenselement ist (hier folgt die Bezugnahme auf das KPD-Verbotsurteil von 1952). Es ist in gewissem Sinn die Grundlage jeder Freiheit überhaupt „the matrix, the indispensible condition of nearly every other form of freedom (Cardozo).“ Den Politikern dieser Tage, und leider auch ihren journalistischen Schleppenträgern, muß man das wohl in Erinnerung rufen.
Lieber Herr Thesen,
wie ich sehe, beschäftigen Sie sich auch mit dem Unterschied von Ungehörigem einerseits und rechtlich Strafwürdigem anderseits.
Dazu eine kurze geistesgeschichtliche Bemerkung:
Das Spätmittelalter kannte durchaus eine Unterscheidung zwischen den Gegenständen der staatlichen Strafgerichtsbarkeit und den Gegenständen der (sehr viel milderen) kirchlichen Sendgerichtsbarkeit. Dagegen brachte die Hussitenbewegung zuerst die Forderung auf, dass „alle Sünden (vom Staat) bestraft werden“ müssen. Diese Forderung wurde dann von den Reformierten aufgegriffen und im Puritanismus umgesetzt.
Vom Puritanismus führt via Genf und Calvin eine Entwicklungslinie zum Jakobinertum (und von dort zum Bolschewismus) – das hat vor allem Jacob Talmon nachgezeichnet („totalitäre Demokratie“).
Mit dem Liberalismus kommt dann zuerst wieder eine Gegenbewegung, die das Strafwürdige beschränkt (auf das, was einem anderen schädlich bzw. „übergriffig“ ist), der Liberalismus ist aber bis heute periodischen neopuritanischen Gegenbewegungen ausgesetzt (etwa die Prohibitionsbewegung oder jetzt die Political Correctness).
Wenn das für Sie interessant ist, kann ich gerne erwas Ausführlicheres dazu schreiben.
Viele Grüße, R. Möller
Lieber Herr Möller,
Sie weisen auf eine Entwicklungslinie hin, die weitgehend unerörtert geblieben ist, obgleich sie gut zu erkennen ist.Gerne würde ich etwas Ausführlicheres dazu lesen!
Mit freundlichen Grüßen
Rainer Thesen
Ach, lieber Herr Thesen, ich bewundere ja Ihren Sinn für den Glauben an den rechtschaffenen Bürger, man könnte auch sagen, den Preußen in jedermann. Aber der alltägliche Irrsinn hierzulande sollte doch genug Anschauung dafür sein, dass der Mensch, bis hin zum heutigen Beamten niederen oder höheren Ranges, eben nicht so ist. Sicher haben Sie mit Ihren Befürchtungen den Nagel auf den Kopf getroffen, auch wenn ich eher glaube, dass eine lineare Fortschreibung menschlichen Verhaltens nicht eintreten wird. Um jedoch zu verhindern, dass sehr viele Unschuldige in die Fänge einer feigen Strafjustiz geraten, hilft meiner Ansicht nach nur, dieses Vorhaben ins Absurde zu treiben: Frei nach den Parolen der Diktatoren – jeder jeden Tag mit drei „strafwürdigen Hasspostings“! Selbstverständlich werden sich die Betreiber sozialer Netzwerke der Herausforderung durch Meldung entziehen, gut so! Wollen doch mal sehen, wann die ersten Staatsanwälte die Nase voll haben und in der Mittagspause vor die Justizministerien spazieren. Das ganze begleitet durch regelmäßige parlamentarische Anfragen in den Ländern und im Bund wird dann zeigen, dass höchst unterschiedlich vorgegangen und bestraft wird und damit das Rechtsstaatsgebot verletzt sein dürfte. Spätestens wenn die ersten Sachen vor den Obergerichten landen und die Herren und Damen auf den stillen Fluren mit realitätsausblendenden dicken Teppichen mit der miefigen Realität konfrontiert werden, wird es „Gespräche“ geben.
Ihre Hoffnung auf Karlsruhe vermag ich überhaupt bicht zu teilen – Voßkuhle hat sich ja bereits eindeutig als politischer Richter desavouiert, Harbarth wird ihm nicht nachstehen. Und was Lüth betrifft, ist das längst tot, wie Sie wissen. Masing hat es im Wunsiedel-Beschluss erstklassig und dreist beerdigt. Ich sage es ungerne, aber das politische Desinteresse der Deutschen, solange Aldi offen hat, die Bundesliga läuft und zweimal im Jahr Pauschalurlaub drin ist, wird jede Regung auf vernünftigem Weg verhindern. Nur die Überzeichnung ins Groteske scheint mir eine Änderung zu ermöglichen.
Sehr geehrter Herr Meyer,
erst mal ein gutes Neues Jahr! Ihre Skepsis gegenüber der Justiz, insbesonder gegenüber dem Bundesverfassungsgericht, teile ich so nicht. Denn trotz des Richterwahlverfahrens, das dafür sorgt, daß nur politisch einigermaßen genehme Richter gewählt werden, bewahren diese sich anschließend ein erstaunliches Maß an Unabhängigkeit. Gerade die von Ihnen angesprochene Wunsiedel-Entscheidung bestätigt das mehr, als es auf den ersten Blick scheint. Denn Herr Masing formuliert darin glasklar, daß es sich hier um eine Ausnahmeentscheidung handelt, die nur mit Rücksicht auf das in Deutschland singuläre Ereignis der NS-Gewaltherrschat den Grundsazu zu durchbrechen vermag, daß die Meinungsfreiheit nur durch ein allgemeines Gesetz beschränkt werden darf, was § 130 Abs. 4 StGB gerade nicvht ist. Schon in der nachfolgenden Entscheidung Löw ./. Bundeszentrale für die politische Bildung kehrt das Gericht zur traditionellen Auslegung des Art. 5 Abs. 2 GG zurück.
Mit freundlichen Grüßen
Rainer Thesen