Carl Schmitt hat übernommen

Diese Überschrift wird die meisten Leser zunächst einmal ratlos machen. Die einen, weil sie mit dem Namen Carl Schmitt nichts anfangen können, die anderen, weil sie ihn gut kennen. Also der Reihe nach.

Wer war oder ist dieser Carl Schmitt?

Carl Schmitt (1888-1985) war ein deutscher Jurist, Staatsrechtslehrer und Politikwissenschaftler, bevor es diese Disziplin an den deutschen Universitäten überhaupt gab. Er befasste sich eben nicht nur mit den rechtlichen Grundlagen des Staates, sondern auch mit seinem politischen Wesen. Berühmt geworden ist seine Schrift „Der Begriff des Politischen“, in 1. Aufl. 1927 erschienen. Sie gilt seither als eine der klassischen Schriften des staatsphilosophischen Denkens in der Tradition von Nicolo Macchiavelli und Thomas Hobbes, um nur zwei der berühmten Vorläufer Schmitts aus früheren Jahrhunderten zu nennen. Seine schonungslose Analyse der politischen Wirkungsmechanismen gipfelt in seiner Definition des Wesens der Politik. 

Die spezifisch politische Unterscheidung, auf welche sich die politischen Handlungen und Motive zurückführen lassen, ist die Unterscheidung von Freund und Feind…. Die Unterscheidung von Freund und Feind hat den Sinn,  den äußersten Intensitätsgrad einer Verbindung oder Trennung, einer Assoziation oder Dissoziation zu bezeichnen; sie kann theoretisch und praktisch bestehen, ohne daß gleichzeitig alle jene moralischen, ästhetischen, ökonomischen oder anderen Unterscheidungen zur Anwendung kommen müßten. Der politische Feind braucht nicht moralisch böse, er braucht nicht ästhetisch häßlich zu sein; er muß nicht als wirtschaftlicher Konkurrent auftreten, und es kann vielleicht sogar vorteilhaft scheinen, mit ihm Geschäfte zu machen. Er ist eben der andere, der Fremde, und es genügt zu seinem Wesen, daß er in einen besonders intensiven Sinne existenziell etwas anderes und Fremdes ist, so daß im extremen Fall Konflikte mit ihm möglich sind, die weder durch eine im Voraus getroffene generelle Normierung, noch durch den Spruch eines „unbeteiligten“ und daher „unparteiischen“ Dritten entschieden werden können…. Den extremen Konfliktsfall können nur die Beteiligten selbst unter sich ausmachen; namentlich kann jeder von ihnen nur selbst entscheiden, ob das Anderssein des Fremden im konkret vorliegenden Konfliktsfalle die Negation der eigenen Art Existenz bedeutet und deshalb abgewehrt oder bekämpft wird, um die eigene, seinsmäßige Art von Leben zu bewahren.“

Das ist weit entfernt von aller gefühligen „Friede, Freude, Eierkuchen-Mentalität“, aber auch in gewisser Weise ehrlich, vor allem nüchtern und kalt.

Wer war der Mann, der solche Sätze geschrieben hat?

Carl Schmitt schrieb seine bekannten Werke, darunter eben dieses, in der Zeit der Weimarer Republik. Deren politische Turbulenzen hatten sicherlich Einfluß auf sein Denken. Er vertrat eine konsequent auf Entscheidungen und weniger auf demokratischen Konsens zulaufende Staatstheorie (Dezisionismus). Insoweit arbeitete er auch daran mit, eine mögliche Machtergreifung der Nationalsozialisten durch eine weitere Stärkung der Rechte des Reichspräsidenten zu verhindern. Zu seinen Charakterzügen gehörte ein skrupelloser Opportunismus. War er noch bis zum 30. Januar 1933 ein entschiedener Gegner des Nationalsozialismus und verachtete Hitler, änderte sich dies dann sehr schnell. Nach der Machtergreifung Hitlers, vor allem als nach der sogenannten Verordnung zum Schutz von Volk und Reich vom 29. Februar 1933 und dem Ausgang der Reichstagswahl im März jedem klar sein mußte, wer in Zukunft das Sagen haben würde. Ab diesem Zeitpunkt wandelte er sich zum entschiedenen Parteigänger, trat sogar in die NSDAP ein und fiel durch einen radikalen Antisemitismus auf. Der Volksmund nannte solche Leute, die ab März 1933 massenhaft in die NSDAP eintraten, spöttisch die „Märzgefallenen“. Zu diesen gehörte also auch Carl Schmitt. Das war letztlich auch der Grund dafür, daß er Konkurrenten wie Erich Kaufmann oder Hans Kelsen wegen deren jüdischer Herkunft mobbte, allerdings auch mit dem Hintergedanken, lästige Konkurrenten loszuwerden. Berühmt geworden ist seine Verteidigung der politischen Morde Hitlers an der SA-Führung 1934 (Röhm-Putsch). Mit dem Satz: „Der Führer schützt das Recht“, leitete er seine Rechtfertigung des Mordes zum Machterhalt ein. Das brachte ihm zunächst einmal einen rasanten beruflichen Aufstieg ein. Die Vielzahl seiner Ämter rechtfertigt die Bezeichnung als „Kronjurist“ des Nationalsozialismus. Indessen war sein Opportunismus dann auch wieder sein Problem. Insbesondere aus den Kreisen der SS schlug ihm scharfe Ablehnung entgegen, was 1936 zu einem Verlust sämtlicher von Hitlers Gnaden erlangten Ämter bis auf den Lehrstuhl an der Berliner Universität führte. Aber nicht einmal nach dem Ende des Dritten Reiches wollte er sich eindeutig vom Nationalsozialismus distanzieren, insbesondere seinem Antisemitismus frönte er weiterhin.

So bleibt das Bild eines Mannes von ungewöhnlicher intellektueller Brillianz, aber auch von mindestens schwachem Charakter. „Von der Parteien Gunst und Hass verwirrt schwankt sein Bild in der Geschichte“ urteilt Schiller über Wallenstein. Auf Carl Schmitt trifft dies sicher ebenso zu.

Dennoch hatte er auch ohne Lehrstuhl oder sonstige Funktion im Wissenschaftsbetrieb der Bundesrepublik Deutschland weiterhin nicht geringen Einfluß auf das rechtswissenschaftliche und das staatsphilosophische Denken in Deutschland und Europa. Das beschränkte sich auch nicht auf das rechte politische Spektrum, sondern er fand seine Schüler durchaus auch bis weit in das linke Spektrum hinein. Denn seine staatstheoretischen Lehren, wie etwa das hier besprochene Freund/Feind-Denken in der Politik können ja sowohl von rechten wie von linken Politikern angewandt werden. Sie sind gewissermaßen Betriebsanleitungen für die Politik und staatliche Herrschaftssysteme. Zu seinen Schülern aus der Vor- und Nachkriegszeit gehören so bekannte Namen aus der Rechtswissenschaft wie Forsthoff, Friesenhahn, Böckenförde und Isensee, durchaus nicht alles Juristen mit gewissermaßen braunem Stallgeruch. Der spätere Verfassungsrichter Böckenförde gilt nun einmal als einer der Kronjuristen der bundesdeutschen Demokratie. Sein Satz: „Der demokratische Rechtsstaat lebt von Voraussetzungen, die er selbst nicht schaffen kann“, gehört nun einmal zu den gewissermaßen kanonischen Sätzen des Verfassungsrechts. Es dürfte auch letztlich auf den Einfluß von Carl Schmitt zurückgehen, daß das Grundgesetz anders als die Weimarer Verfassung das Element der wehrhaften Demokratie enthält, was in der Unmöglichkeit der Abwahl des Bundeskanzlers ohne gleichzeitige Wahl eines neuen Kanzlers (konstruktives Mißtrauenesvotum), und vor allem in der Möglichkeit des Parteienverbots gemäß Art. 21 GG deutlich sichtbar ist.

Hat Carl Schmitt recht?

Für die meisten dürfte es schlicht und einfach undenkbar sein, die Lehren eines Carl Schmitt überhaupt zur Kenntnis zu nehmen, geschweige denn ihnen einen aktuellen politischen Wert beizumessen, oder gar in ihnen Mechanismen demokratischer Staaten wie Deutschland zu erkennen. Doch scheint mir die zugegeben provokante Überschrift dieses Aufsatzes durchaus nicht abwegig zu sein. Generell ist der wissenschaftliche Wert eines Gedankens unabhängig von den charakterlichen Eigenschaften dessen, auf den er zurückgeht. Im Falle Carl Schmitt waren sowohl seine juristischen Lehren als auch seine staatsphilosophischen Gedanken von offensichtlicher Stringenz, die noch weit über seinen Tod hinaus viele Anhänger und Schüler fanden.

Die Spaltung der Gesellschaft in Freund und Feind

In diesen Tagen liest man immer wieder davon, daß wir in den westlichen Demokratien – wozu selbstverständlich auch die osteuropäischen Länder gehören – eine Spaltung der Gesellschaft feststellen müssen. Die Gesellschaft sei tief gespalten in zwei Lager. Das eine zeichne sich durch Liberalität, Toleranz, Weltoffenheit und wissenschaftliche Durchdringung aktueller Problemstellungen wie Klimawandel und Zuwanderung aus. Hier finden sich im wesentlichen die sogenannten Eliten aus Wissenschaft, Politik, Wirtschaft und Publizistik, jedenfalls was die formalen Qualifikationen und die eigene Selbsteinschätzung angeht. Das andere Lager bilden die aus der Sicht jener politisch Korrekten zurückgebliebenen, unterkomplex denkenden und grobschlächtigen Populisten, regelmäßig ohne akademische Qualifikationen. Berühmt geworden ist die Bezeichnung der unterlegenen Präsidentschaftskandidatin Hillary Clinton aus dem Jahr 2016 für die Anhänger ihres Kontrahenten Donald Trump als „deplorables“, Erbärmliche also.

Ein Begriff, der all die Überheblichkeit und Verachtung der abgehobenen politischen Klasse für die sogenannten einfachen Leute zum Ausdruck bringt, die zum Beispiel im Schweiße ihres Angesichts die verstopfte Toilette in der Luxuswohnung der Literaturwissenschaftlerin in Ordnung bringen, aber weder mit ihrer beruflichen Tätigkeit, noch ihren linksgrünen politischen Überzeugungen etwas anfangen können, ja nicht einmal Begrifflichkeiten wie „Heteronormativität“, „gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit“ oder „gender-pay-gap“ kennen geschweige denn verstehen. In der Tat hat sich im Laufe der letzten zwei bis drei Jahrzehnte eine tiefe Kluft zwischen diesen gesellschaftlichen Gruppen aufgetan. Das ist auch die Ursache dafür, daß in den USA ein ausgesprochener Antipolitiker und Antiintellektueller wie Donald Trump gewählt werden konnte. Und das ist auch letztendlich die Ursache für den Erfolg von politischen Parteien, die eben diese abgehobene Politikerkaste kritisieren, wobei hier nicht selten auch Strömungen mitfließen, die von einer simplifizierenden Radikalität sind. Indessen ist nicht alles, was man als populistisch abqualifiziert, tatsächlich politisch unseriös. Häufig ist es eben nur das Gegenteil von dem, was jene politische Klasse erstrebt. Die politische Diskussion in der Sache wird dann durch die Bekämpfung des politischen Gegners mittels solcher Totschlagargumente wie Populismus oder gar Rechtsextremismus ersetzt.

Aus dem politischen Konkurrenzverhältnis wird das Freund/Feind-Verhältnis

Das Überlegenheitsgefühl der politisch medialen Klasse, ihre tiefe Überzeugung, die wahre Humanität, den wissenschaftlichen Fortschritt und die Grundwerte der Demokratie exklusiv zu besitzen und zu vertreten, ist von einer religiösen Qualität. Religiös deswegen, weil hier ein geschlossenes Weltbild verinnerlicht wird, von dem abzuweichen nur unmoralisch und inhuman sein kann. So, wie das eben bei Religionen insbesondere in ihrer Frühphase ist. Der Glaube ist von der Qualität des Wissens, jedenfalls subjektiv. Man muß unbedingt dafür eintreten. Es fehlt lediglich der transzendentale Bezug, alles andere findet seine Parallele in tiefer Religiosität. Das bedingt selbstverständlich eine geradezu physische Abscheu vor Überzeugungen und Weltbildern, die dieser Zivilreligion entgegenstehen. Dies wiederum führt unweigerlich zur Wahrnehmung des anderen als Feind im Sinne der Definition von Carl Schmitt. Religionsgeschichtlich gesprochen zur Wahrnehmung als Ketzer. Mit Ketzern spricht man nicht von gleich zu gleich. Solch ein Natterngezücht ist schlicht und einfach auszumerzen.

Der geistige Bürgerkrieg

Carl Schmitt sieht in der Konsequenz des Freund/Feind-Verhältnisses letztendlich die Möglichkeit des Krieges, auch des Bürgerkrieges. Nichts anderes findet statt, wenn es nicht darum geht, Abweichler, politische Gegner, schlicht „die Anderen“, zu überzeugen, sondern aus der Gesellschaft auszuschließen, wobei es schon genügt, einen solchen Ketzer zu kennen („Kontaktschuld“).

Nicht anders zu erklären sind Erscheinungsformen des politischen Lebens wie etwa die Verhinderung des normalen parlamentarischen Betriebes mittels scheinjuristischer Methoden, vor allem im Wege des Missbrauchs von Verfahrensregeln. Wir erinnern uns an das unwürdige Schauspiel im Deutschen Bundestag, dessen Mehrheit entgegen parlamentarischem Brauch der Oppositionspartei AfD den ihr zustehenden Posten eines Vizepräsidenten mehrfach verweigerte. Aktuell konnten wir erleben, daß der Stadtrat von Nürnberg den Abgeordneten der AfD den Einzug in die Ausschüsse und damit den Fraktionsstatus mit juristischen Taschenspielertricks versagen wollte. Nun ist Deutschland immer noch ein Rechtsstaat, und die wackeren Spezialdemokraten des Nürnberger Stadtrates scheiterten mit ihrem Ansinnen vor den Verwaltungsgerichten.

In dieses Schema gehört auch die Umfunktionierung der populären Fernseh-Talkshows in Tribunale. Wenn schon ein Vertreter des „Rechtspopulismus“ eingeladen wird, dann steht der Satansjünger einer geschlossenen Phalanx von Vertretern des  Wahren, Guten und Schönen gegenüber, und die Moderation weckt ungute Erinnerungen an die (Un-)heilige Inquisition. Bemerkenswert ist der Umgang, den diverse Innenminister und Polizeipräsidenten mit den sogenannten Querdenker-Demonstrationen pflegen. Nicht nur, daß auch hier die Verwaltungsgerichte regelmäßig das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit und freie Meinungsäußerung durchsetzen müssen, nein, die Polizei wird vielfach angewiesen, bei Bagatellverstößen von Demonstranten rigide zu ahnden, was sie selbstverständlich bei massiven Straftaten von Linksextremisten nicht so ohne weiteres tut.

Als gelehriger Schüler von Carl Schmitt zeigt sich derzeit der bayerische Ministerpräsident Markus Söder, der die sogenannten Querdenkerdemos nun von den Verfassungsschutzbehörden beobachten lassen will. Zwar gibt es am Rande dieser Demonstrationen auch extremistische Mitläufer, vielleicht auch den ein oder anderen sogenannten Reichsbürger. Die große Masse aber sind, was sich jeder auf den Videos dieser Demonstrationen anschauen kann, offensichtlich harmlose Bürger, die nun einmal von ihrem Grundrecht Gebrauch machen, Kritik an den Maßnahmen ihrer Regierung zu üben. In das Schema von Freund und Feind gehörte das bisher nur in autoritären Staaten. Nicht von ungefähr gehören die Werke von Carl Schmitt zur bevorzugten Lektüre chinesischer Politiker.

Der geistige Bürgerkrieg hat begonnen

Wirklich grotesk ist der Vorwurf an die sogenannten Rechtspopulisten, die Gesellschaft zu spalten. Wenn jemand die Gesellschaft spaltet, dann derjenige, der den demokratischen Diskurs unterbindet, weil er den politischen Mitbewerber zum Feind erklärt und mit allen Mitteln auszugrenzen sucht. Wenn dann, wie das bei uns nun leider der Fall ist, die Medien und die Vertreter der Geisteswissenschaften nahezu einhellig hinter den politisch Herrschenden stehen, dann wird dieser geistige Bürgerkrieg auch mit ungleichen Mitteln jenseits jeglicher Fairness geführt. Was daraus letztendlich entstehen kann, werden diejenigen verantworten müssen, die auf dem hohen Ross der politischen Moral auf das Schlachtfeld des Bürgerkrieges reiten.

 




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