Ein Fall zum Fremdschämen

Legal Tribune Online (LTO) Ist ein journalistisch gestaltetes Onlinemagazin zu rechtlichen Themen, das der juristische Fachverlag Wolters-Kluwer Deutschland herausgibt. Es erscheint mehrmals wöchentlich. Für den praktisch tätigen Juristen finden sich darin viele aktuelle Gerichtsentscheidungen, die von der Redaktion fachkundig besprochen werden. Leider hat sich dieses Medium inzwischen auch der Modetorheit Gendersprache verschrieben. Man ist eben „woke“. (Erläuterung am Ende).

Der Skandal

In der heutigen Ausgabe berichtet das Magazin über einen veritablen Skandal. Der frühere Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Dr. Hans-Georg Maaßen ist einer der Kommentatoren des im größten deutschen juristischen Verlag C.H. Beck erscheinenden Kommentars zum Grundgesetz „Epping/Hillgruber“.Der Kommentar erscheint seit 2009. Für die Leser, die nicht aus der Juristerei kommen, muß natürlich kurz erklärt werden, was ein juristischer Kommentar eigentlich ist. Kurz gesagt ist es ja so, daß Gesetze von den Juristen ausgelegt werden. Die maßgebliche Auslegung erfolgt natürlich in den Entscheidungen der Gerichte, daneben ist die Rechtslehre von Bedeutung, also das was die Lehrstuhlinhaber der diversen juristischen Disziplinen schreiben und ihren Studenten vortragen. Auch der Nichtjurist ahnt schon an dieser Stelle, daß juristische Literatur in diesem Sinne uferlos sein muß. Das ist sie auch. In diesem Ozean an juristischer Literatur findet man sich am schnellsten zurecht, wenn man zu einem sogenannten Kommentar greift. Das ist ein Erläuterungswerk, in dem juristische Autoren in geraffter Form die Rechtsprechung und Lehre zu den einzelnen gesetzlichen Vorschriften, im Volksmund auch Paragrafen genannt, wiedergeben und natürlich die Fundstellen der gerichtlichen Entscheidungen und juristischen Aufsätze oder gar Lehrbücher nennen. Praktisch tätige Juristen arbeiten seit Alters her mit diesen Kommentaren, um sich auf diesem Wege rasch Klarheit darüber verschaffen zu können, was zur jeweiligen juristischen Streitfrage von den Gerichten entschieden wird, und somit als sogenannte herrschende Meinung gilt. Diese Kommentare können durchaus dickleibige Wälzer sein, manchmal sind es sogar mehrbändige Fortsetzungswerke. Indessen haben sie auch dann die beschriebene Funktion des Lotsen im Ozean der juristischen Literatur. Das gilt selbst heute im Zeitalter der internetgestützten juristischen Recherche.

Die Empörung der „Edlen“

Soweit diese Erläuterung. Nun zum Skandal. Der „Epping/Hillgruber“, wie die Juristen dieses Erläuterungswerk in lakonischer Kürze nennen, ist eines der angesehensten Erläuterungswerke dieser Art auf seinem Gebiet. Das wird daran deutlich, daß immerhin 39 Bearbeiter, vorwiegend Hochschullehrer, an diesem in der Tat gewichtigen (die 3. Aufl. bringt 1887 g auf die Waage) und umfangreichen (bei 2261 Textseiten und 16 Umschlagseiten) Kommentar mitarbeiten. Maaßen bearbeitet dort Art. 16 und 16a GG, also grob gesagt das Asyl- und Flüchtlingsrecht. Hintergrund ist, daß Herr Dr. Maaßen auf diesem Gebiet jahrzehntelang als Ministerialbeamter im Bundesinnenministerium tätig war. Überhaupt suchen die Verlage für die Tätigkeit des Kommentators regelmäßig die ausgewiesensten Fachleute auf dem jeweiligen Rechtsgebiet für die Bearbeitung der Thematik in ihren Erläuterungswerken aus.

Soweit, so gut, so normal. Herr Maaßen ist ja nun bekanntlich 2018 aus dem Amt des Präsidenten des Bundesverfassungsschutzes in den vorzeitigen Ruhestand versetzt worden. Hintergrund war, daß er als Chef des Verfassungsschutzes offensichtlich unwahre Äußerungen der Bundeskanzlerin über eine Auseinandersetzung zwischen Einheimischen und Migranten nicht mittragen wollte, sondern öffentlich darüber informiert hat, wie es wirklich gewesen ist. Damit ist er nicht nur bei Merkel und ihrer Entourage, sondern bei der kompletten politisch/medialen Kaste unseres Landes in Ungnade gefallen. Damit kann er jedoch offenbar gut leben. Er ist im Übrigen nach wie vor Mitglied der CDU. Von der Behörde, der er bis 2018 vorstand, wird er auch nicht beobachtet.

Das alles muß man wissen, um den Vorgang richtig einordnen zu können, über den das eingangs genannte juristische Online-Magazin heute berichtet. In der vergangenen Woche haben sich danach sowohl Hochschullehrer als auch Anwälte empört darüber gezeigt, daß Herr Maaßen an der 4. Aufl. des Kommentars erneut mitarbeitet und dort Art. 16 und 16a GG kommentiert. Wie gesagt, hat er das in den Vorauflagen auch getan. Indessen wirft ihm einer seiner Mitkommentatoren und Inhaber eines Lehrstuhls für Öffentliches Recht, Sozial- und Gesundheitsrecht sowie Rechtsphilosophie vor, mit juristisch unhaltbaren Auffassungen „die Axt an die Wurzeln von Demokratie und Rechtsstaat“ zu legen. Der Herr Professor meint weiter, derartige Positionen künftig nicht hoffähig machen zu wollen, indem er gemeinsam mit ihren Vertretern unsere Verfassung kommentiert. Gemeint sind natürlich die nicht nur aus meiner Sicht völlig gerechtfertigten kritischen Äußerungen Maaßens zur Migrationsproblematik, und zwar vor allem in tatsächlicher Hinsicht. Wie im übrigen so mancher hochrangiger Verfassungsrechtler, etwa der frühere Präsident des Bundesverfassungsgerichts, weist er darauf hin, daß hier im Zusammenhang mit der Migration vielfach das Recht gebrochen wird, auch und vor allem von der früheren Bundeskanzlerin. Dies leistet, worauf er mit Recht hinweist, der illegalen Migration Vorschub.

Natürlich weiß jeder Jurist, daß es bei der Mitarbeit an juristischen Kommentaren gar nicht möglich ist, etwa seine politischen Überzeugungen dort auszubreiten. Es liegt in der Natur der Sache, daß man dort eng am Gesetz und vor allem an der jeweils besprochenen Gerichtsentscheidung arbeitet, und die Problematik auf diese Weise darstellt. In sehr engen Grenzen kann dann auch eine fachliche Auffassung geäußert werden, etwa dahingehend, ob man der besprochenen Entscheidung zustimmt oder etwa eine andere Gerichtsentscheidung, vielleicht auch eine anderslautende wissenschaftliche Meinung für überzeugender hält. Jeder Jurist, der einen Kommentar in die Hand nimmt, weiß das. Ich habe selbst vor vielen Jahren an einem juristischen Kommentar mitgearbeitet. Es war natürlich völlig ausgeschlossen, dies in anderer Weise zu tun, als hier dargestellt.

Wer tritt hier eigentlich die Verfassung mit Füßen?

Abgesehen davon, daß nicht derjenige die Axt an die Wurzel von Demokratie und Rechtsstaat legt, der illegale Verhaltensweisen kritisiert, und die zuständigen Politiker dazu aufruft, dem Einhalt zu gebieten, sondern derjenige die Axt an die Wurzel von Demokratie und Rechtsstaat legt, der Herrn Maaßen gerade wegen dieser Position wie einen Aussätzigen behandelt, muß sich auch ein Professor für öffentliches Recht in diesem Fall darüber belehren lassen, daß Art. 5 Abs. 3 des Grundgesetzes nun die Wissenschaftsfreiheit absolut schützt. Soweit Herr Maaßen nicht wissenschaftlich arbeitet, sondern sich allgemeinpolitisch äußert, sei der Herr Professor darauf hingewiesen, daß Art. 5 Abs. 1 GG eben auch die Meinungsfreiheit schützt, und zwar in den Grenzen, die von den Gesetzen, insbesondere dem Strafrecht gezogen werden. Bisher hat allerdings niemand behauptet, daß Herr Maaßen insoweit die Grenzen dieser Gesetze überschritten hätte.

Auf der Schleimspur der political correctness

In diese Kakophonie stimmen natürlich auch einschlägig aktive Anwälte ein, die wie etwa eine auf Asyl- und Ausländerrecht spezialisierte Dresdner Rechtsanwältin und Mitherausgeberin eines sogenannten „Reports gegen Rechts“ ebenso politisch korrekt wie hochnäsig sich ein Angebot des Beck-Verlages zur Mitarbeit an an einer Formularsammlung zum Migrationsrecht mitzuarbeiten mit der Bemerkung ausschlägt, jemand, der unter anderem die Unabhängigkeit der Presse bezweifle und „rassistische“ Argumentationsmuster nutze, neben dem wolle sie nicht veröffentlichen. Da darf dann auch, und hier setzt spätestens bei mir das Fremdschämen ein, der Deutsche Anwaltverein (DAV) nicht fehlen. Daß linkslastige sonstige Juristen-Organisationen wie die sogenannte Neue Richtervereinigung und der Republikanische Anwaltverein sich entsprechend positionieren, ist nicht überraschend, nein, geschenkt. Ohne daß es die Aufgaben des Deutschen Anwaltvereins als Lobby des Berufsstandes auch nur berühren würde, meint man dort in Richtung des Beck-Verlages äußern zu müssen: „Autoren eines GG-Kommentars sollten ohne jeden Zweifel sämtliche Werte der Verfassung teilen. Bei Herrn Maaßen gibt es berechtigte Zweifel, ob dies der Fall ist.“ Den Damen und Herren meiner berufsständischen Vertretung kommt es wohl nicht in den Sinn, daß möglicherweise auch nicht wenige Rechtsanwälte den Positionen von Herrn Maaßen beipflichten, sie zumindest für erwägenswert halten. Ich halte das auch für eine Überschreitung des Mandats, das ein Berufsverband wie der DAV von seinen Mitgliedern hat. Er hat sich um die Verbesserung der Arbeitsbedingungen der Anwaltschaft zu kümmern, selbstverständlich auch stets an der Anpassung der Gebührenordnung zu arbeiten und für Fortbildungsangebote zu sorgen. Dafür, und für nichts anderes ist man als Anwalt Mitglied dieser Berufsorganisation.

Der Charaktertest

Bisher scheint der Beck-Verlag standhaft zu bleiben. Dem Ansinnen, Herrn Dr. Maaßen von seinen vertraglichen Pflichten als Autor zu entbinden, will er erklärtermaßen nicht entsprechen. Allerdings ist die Frage, wie lange auch ein marktbeherrschender Verlag wie C.H. Beck diesem Shitstorm standhalten kann. Der Begriff Shitstorm ist hier wörtlich zu verstehen, denn was die genannten Kollegen (m/w/d – so viel political correctness muß sein -) hier absondern, ist mit der englischen Vokabel shit zutreffend gekennzeichnet. Leider ist es ja in den letzten Jahren häufig so, daß Unternehmen etwa dem Drängen von Universitätsabsolventen mit einer ausgeprägten Verbildung, vorzugsweise in den sogenannten Kulturwissenschaften, nachgeben und beispielsweise die unsägliche Gendersprache einführen, oder, wie kürzlich erst geschehen, Kinderbücher und deren Verfilmung (Winnetou) wegen angeblicher „kultureller Aneignung“, wie dieser Blödsinn heißt, vom Markt nehmen. Möglicherweise ist es auch nur die Angst vor Umsatzverlusten. Spätestens dann, wenn die 4. Aufl. des „Epping/Hillgruber“ sich schlechter verkauft, als die Vorauflagen, dann muß wohl damit gerechnet werden, daß der Verlag die Reißleine zieht.

Worum es wirklich geht

Der Fall ist eben nur das jüngste Beispiel für das Umsichgreifen der sogenannten Cancel Culture, auch Wokismus genannt, denn deren Vordenker und Propagandisten halten sich ja für die einzigen, die aus dem Dämmerschlaf der tumben Masse erwacht sind und die Zukunft erkennen. Wir haben es derzeit mit einem veritablen Kulturkampf zu tun. Linksradikale Akteure in den Geisteswissenschaften versuchen ja nun alles infrage zu stellen, was unsere Kultur überhaupt ausmacht. Natürlich ist alles, was wir und unsere Vorfahren für richtig gehalten haben, nun falsch und es gilt, nach der Zerschlagung dieser Kultur den neuen Menschen zu schaffen, der frohen Sinnes in das Reich des Sozialismus schreitet. Josef Joffe hat dazu im Juni des vergangenen Jahres einen wirklich ausgezeichneten Kommentar in der Neuen Zürcher Zeitung geschrieben. Der Link dazu: https://www.nzz.ch/feuilleton/woke-einst-verfuegte-der-staat-das-denken-nun-laeuft-es-umgekehrt-ld.1629917

Schlussendlich bleibt zu sagen: Leute wie die erwähnten Anwälte und Hochschullehrer, die einen exzellenten Juristen, verdienten Beamten und untadeligen Demokraten wie Hans-Georg Maaßen in dieser widerlichen Art und Weise zum Aussätzigen erklären, dürfen sich meiner abgrundtiefen Verachtung sicher sein.


Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert