Außenpolitik mit und ohne Hirn

Es ist schon merkwürdig. In Sachen Krieg und Frieden, Rüstung und Abrüstung sowie Freund und Feind hat sich in den letzten Jahren eine merkwürdige Verschiebung der politischen Einstellungen ergeben.

In den Zeiten des Kalten Krieges waren innenpolitisch bei uns die Fronten klar:

Die Linke aller Schattierungen stand für Pazifismus, zum großen Teil auch an der Seite der sozialistischen/kommunistischen Brüder und Schwestern im Osten. Die Rechte, von den Liberalen über die Bürgerlichen bis hin zu den Nationalen stand für Wehrhaftigkeit und bekannte sich zur NATO. Das ist heute offensichtlich in weiten Teilen genau umgekehrt, in geringeren Teilen mindestens unklar. Darüber sollte man schon ein paar Worte verlieren.

Die Bundeswehr war wenigstens halbwegs gut finanziert, mehr als 2 % des Bruttosozialprodukts standen zur Verfügung. Mit 595.000 präsenten Soldaten und zusätzlich rund 700.000 sofort verfügbaren Reservisten konnte sie auch einem überraschenden Angriff des Warschauer Pakts ca. 1,3 Millionen gut ausgebildete Soldaten entgegenstellen. Gut ausgebildet, denn auch die wehrpflichtigen Mannschaftsdienstgrade dienten 15 bzw. 18 Monate lang. Heute haben wir 180.000 präsente Soldaten zzgl. 34.000 Reservisten. Hatte die Bundeswehr 1985 noch ca. 4600 Kampfpanzer, so sind es heute nur noch bescheidene 295 Stück. Trotz der vom Bundeskanzler nach dem Einmarsch der russischen Streitkräfte in die Ukraine ausgerufenen Zeitenwende hat sich daran bis jetzt nichts geändert.

Nun ist der Kalte Krieg gottlob vorbei. Wir können mit Recht auch sagen, daß der politische und wirtschaftliche Zusammenbruch des Warschauer Paktes in erster Linie der glaubhaft gestalteten Verteidigung, zu einem nicht geringen Anteil der immer größer werdenden wirtschaftlichen Überlegenheit des Westens und auch dem glaubhaft dokumentierten Willen der Bürger unseres Landes und der verbündeten Staaten geschuldet war. Pazifismus war die Bewegung einer linken Minderheit, stärker im universitären Milieu und den Kirchen, schwach bis bedeutungslos in der Arbeiterschaft und dem Bürgertum.

Das hat sich fundamental geändert. Die Lage ist insoweit äußerst unübersichtlich. Auffallend ist jedoch, daß früher glühende Pazifisten wie die Grünen, die Linke und Teile der SPD nun einer weitgehenden militärischen Unterstützung der Ukraine in ihrem Abwehrkampf gegen Russland das Wort reden, teilweise über die bloße Lieferung von effizienten Waffen hinaus. Auffallend ist auch, daß nicht nur im BSW, seiner von jeher russlandfreundlichen Vorsitzenden Sahra Wagenknecht folgend, sondern auch in der AfD ein entschiedener Pazifismus herrscht, der vor allem einen Friedensschluss um jeden Preis fordert, und mit teils schrillen Tönen davor warnt, daß Deutschland in diesem Krieg hineingezogen werden könnte. Es ist ebenfalls auffallend, daß jedenfalls in Teilen der SPD, der Linken überhaupt, vom BSW ganz abgesehen, mit Blick auf den Konflikt zwischen Israel und den palästinensischen Terrororganisationen, eine dezidiert palästinenserfreundliche und gegenüber Israel mindestens kritische Haltung vorherrscht. Erstaunlich deswegen, weil jedenfalls seit 1949 über Jahrzehnte auch im linken Teil des deutschen politischen Spektrums die uneingeschränkte Unterstützung Israels gegenüber seinen Feinden gewissermaßen zum guten politischen Ton gehörte.

Sicherlich war die gewaltige Bedrohung durch den Warschauer Pakt während des Kalten Krieges die Garantie dafür, daß die politischen Verhältnisse außerordentlich stabil waren. Wer Freund und wer Feind war, daran konnte kein Zweifel bestehen. Heute ist nun die politische Lage volatil und wechselhaft, was natürlich allerorten, auch in Deutschland, zu unklaren Verhältnissen führt. Indessen mag das zwar der Demokratie wesenseigen sein, muss aber nicht in jedem Falle zu begrüßen sein.

Vor allem muss man hinterfragen, was diese gewandelten politischen Überzeugungen betreffend Sicherheit, Verteidigung und Bündnispolitik verursacht hat. Daß etwa das linke politische Spektrum jedenfalls hinsichtlich des Russland/Ukraine Krieges seinen Pazifismus über den Bord geworfen und durch einen entschiedenen Willen zur auch militärischen Unterstützung der Ukraine gesetzt hat, mag zwar zu begrüßen sein. Es ist aber unklar, wie lange das anhält, ob das wirklich letztendlich die Übernahme des Prinzips si vis pacem para bellum ist, oder ob das nicht viel mehr eine tagespolitische Eintagsfliege genannt werden muss, wird abzuwarten sein.

Nicht wirklich nachvollziehbar ist jedenfalls tagesaktuelle Pazifismus in der AfD. Galt es doch früher als ausgemacht, daß nationale, rechte Parteien die Wehrhaftigkeit des Landes gewissermaßen auf ihr Panier geschrieben hatten, so nimmt man heute zur Kenntnis, daß auf dem kommenden Wahlparteitag der AfD höchstwahrscheinlich der Antrag, die 2011 ausgesetzte Wehrpflicht wieder einzuführen, erst gar nicht zur Abstimmung kommen wird. Angesichts etwa eines Anton Hofreiter von den Grünen, der offenbar alle Anstrengungen unternimmt, demnächst zum General h.c. zu avancieren, wirkt der Pazifismus eines Tino Chrupalla von der AfD wie absurdes Theater. Es mag zwar auch sein, daß diese Haltung derzeit in weiten Teilen der Bevölkerung populär ist. Sie sorgt aber erkennbar nicht für entsprechende Wahlchancen, die ja heute nicht größer sind, als sie in der Zeit vor dem Ukraine Krieg immer wieder in den Umfragen abzulesen waren. Viele der Mitglieder und Wähler dieser Partei kommen letztendlich aus den Unionsparteien. Es war aber seit Adenauer die Westbindung Deutschlands gewissermaßen DNA der Union. Die Stationierung von US-amerikanischen Streitkräften einschließlich atomar bestückter Raketen war nicht nur in der Union, sondern auch in weiten Kreisen der politisch weniger gebundenen Bevölkerung selbstverständlicher Bestandteil der bundesdeutschen Existenz. Diese ehemaligen Mitglieder der Unionsparteien und ehemaligen Wähler haben in diesem Punkt sicherlich ihre Auffassungen nicht geändert und sind etwa deswegen Wähler oder Anhänger der AfD geworden. Das waren bekanntlich ganz andere Punkte, zunächst die desaströse Wirtschaftspolitik (Griechenland-Rettung, wachsende Abhängigkeit von Brüssel) der Frau Merkel, dann der Atomausstieg, unter dem wir heute zu leiden haben und vor allem die Zulassung, ja sogar Förderung einer ungeregelten, unkontrollierten und finanziell für Deutschland ruinösen Einwanderung. Aus überzeugten Befürwortern der NATO und der Bundeswehr sind indessen mit Sicherheit keine Pazifisten geworden.

Unabhängig davon, daß der Pazifismus grundsätzlich ein Holzweg ist, ist diese Haltung in der aktuellen Situation noch unverständlicher. Man fasst sich an den Kopf. Russland unter der Führung eines nur schlecht getarnten Diktators greift ein Nachbarland an, um es sich einzuverleiben. Putin erklärt auch unumwunden, der Zusammenbruch der Sowjetunion sei die größte Katastrophe seines Landes gewesen, und er sehe sich nun in der Situation Peters des Großen, der bekanntlich seine Aufgabe darin gesehen hat, die russische Erde zu sammeln, egal, zu welchem Staat sie gerade gehörte. Vor allem aber hat Russland mit dem Angriff auf die Ukraine das völkerrechtlich verbindliche Verbot des Angriffskrieges missachtet. Das ist die sprichwörtliche rote Linie. Dabei ist völlig unerheblich, ob geopolitisch ein gewisses Verständnis für den Wunsch Russlands bestehen könnte, die Westbindung des Nachbarlandes Ukraine zu verhindern. Insoweit weint Herr Putin aber auch Krokodilstränen, denn er hat bis vor zehn Jahren sämtliche Verträge ehemaliger Warschauerpakt-Staaten mit der NATO unterschriftlich gebilligt. Näheres kann man in meinem Buch „Tatort Ukraine“ nachlesen. Die Vorstellung, an der Seite einer autoritär bis diktatorisch regierten Weltmacht namens Russland stehe Deutschland besser da, als an der Seite einer demokratischen und weitgehend rechtsstaatlichen Weltmacht namens USA, ist an Abwegigkeit kaum zu übertreffen. Auch wenn AfD in ihren übrigen Programmpunkten durchaus eine demokratische und seriöse Alternative zu den übrigen politischen Parteien unseres Landes ist, auch wenn diese und ihre medialen Steigbügelhalter uns anderes weismachen wollen, sie wird mit diesem seltsamen Pazifismus nicht wenige potentielle Wähler vergraulen. Man reißt also dort buchstäblich mit dem Gesäß ein, was man vorne mit seinen Händen aufgebaut hat. In diesem Zusammenhang muss über den linken Pazifismus natürlich kein Wort verloren werden. Trifft er auch noch noch mit einer traditionellen Russlandfreundlichkeit zusammen, wie in Teilen der SPD, der gesamten Linken und vor allem bei Sahra Wagenknecht, dann kann man seine Nichtwählbarkeit kaum besser beweisen.

Nebenbei bemerkt. Abgesehen davon, daß wir auf diesem Erdball überhaupt, und in der NATO speziell eine nur überschaubare Bedeutung haben, verspielen wir mit einer solchen Haltung, falls sie jemals die Politik unseres Landes einmal bestimmen sollte, jede Möglichkeit, politischen Einfluss auf unsere Verbündeten zu nehmen, wenn sie das dann überhaupt noch sind.

Intelligenz ist etwas anderes.

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