J.D.Vance über die Demokratie in Deutschland

US Vizepräsident J.D. Vance hat gestern auf der Münchner Sicherheitskonferenz eine bemerkenswerte Ansprache an die dort versammelten Spitzenpolitiker, Diplomaten, Militärs und Journalisten gerichtet. Entgegen allen Erwartungen hat er nicht zum eigentlichen Thema der Konferenz gesprochen, sondern den Deutschen und mittelbar den übrigen Europäern buchstäblich die Leviten gelesen. Er brachte seine Sorge über den Zustand der Demokratie in unserem Lande, insbesondere was die Meinungsfreiheit angeht, deutlich zum Ausdruck. Sehr zum Missvergnügen der deutschen politischen Klasse forderte er auch ausdrücklich dazu auf, die sogenannte Brandmauer zur AfD niederzueißen.

Die Empörung der „Anständigen

Das Echo in Politik und Medien war dann genau so, wie es zu erwarten war. Wütende Angriffe in den Medien mit dem einhelligen Tenor, was sich Herr Vance da eigentlich erlaube! Es gehe gar nicht an, sich in innere Angelegenheiten anderer Länder einzumischen. Gleichlautend die Politik. Friedrich Merz erklärte scheinheilig, Deutschland akzeptiere doch auch die Wahlergebnisse in den USA, folglich sollten die USA dies auch bezüglich Deutschland tun. Der selbe Tenor bestimmt die Berichterstattung in den Medien seit gestern Abend. Unmittelbar im Anschluss an die Rede des US Vizepräsidenten meldete sich dann auch gleich der deutsche Verteidigungsminister, dessen Arbeit ich im Übrigen sehr schätze, zu Wort und erklärte die Ausführungen seines Vorredners für nicht akzeptabel. Wir wollen also nüchtern betrachten, ob Herr Vance in der Sache selbst richtig oder falsch liegt, und weiter prüfen, ob er von den internationalen Gepflogenheiten im Hinblick auf Kritik an innenpolitischen Entwicklungen in anderen Ländern abgewichen ist.

Wie steht es denn um die Meinungsfreiheit in Deutschland?

Die ehrliche Antwort auf diese Frage kann nur lauten: schlecht. Wie könnte es sonst sein, daß das Bundesverfassungsgericht in den letzten Jahren immer häufiger Veranlassung sieht, dem Grundrecht der Meinungsfreiheit zum Durchbruch zu verhelfen? Dies vor allem in sogenannten politischen Verfahren. Aus der Fülle von Entscheidungen will ich nur beispielhaft die Entscheidung vom 4.2.2020 anführen, wonach die sogenannte „Aktion Ausländerrückführung“ in Augsburg und ihre Bewerbung nicht wegen Volksverhetzung strafbar waren, und die Entscheidung vom 11.4.2024, wonach der Journalist Julian Reichelt durchaus polemisch schreiben durfte: „Deutschland zahlt Millionen an die Taliban“, auch wenn das in Ansehung des Sachverhalts eine überspitzte Formulierung war. Die Reihe ließe sich ad nauseam fortsetzen. Doch das betrifft nicht nur die Versuche von Behörden und ihnen im Ergebnis zu Unrecht folgender Instanzgerichte, unliebsame Meinungen als Straftaten zu behandeln, sondern noch mehr das Gehabe der nur in ihrer Eigenwahrnehmung anständigen in diesem Lande, abweichende Meinungen als nicht nur falsch, sondern demokratiegefährdend, menschenverachtend und was der Diffamierungen mehr sind, zu brandmarken. Schon Begrifflichkeiten wie „Aufstand der Anständigen“, den ein früherer Bundeskanzler ausgerufen hatte, um die Menschen massenhaft auf die Straße zu bringen, weil er meinte die imaginierte Wiedergeburt des Nationalsozialismus verhindern zu müssen, haben letztendlich das Ziel, die Reichweite der Meinungsfreiheit erheblich einzuschränken.

Die undiplomatische Wirklichkeit

Tatsächlich ist es geradezu gang und gäbe, daß sich Politiker, Journalisten sowieso, in die Innenpolitik anderer Länder einmischen. Deswegen ist der oben zitierte Satz von Friedrich Merz auch so scheinheilig. Deutsche Politiker haben sich in den letzten US-amerikanischen Wahlkampf intensiv eingemischt. Und das auch nicht zum ersten Mal. Der Kandidat Trump wurde nicht nur in den Medien regelrecht niedergeschrieben, sondern auch von deutschen Politikern vielfach als Gefahr für die Demokratie in seinem Lande und für die internationalen Beziehungen geschmäht, seine Konkurrentin Kamala Harris indessen als Wunschkandidatin behandelt. Auch die deutsche Politik und ihre journalistischen Fußtruppen verhalten sich nicht nur hinsichtlich der US-amerikanischen Innenpolitik in dieser Weise. Vielmehr gilt das auch für andere Länder, etwa Frankreich. Es gehört doch in Deutschland gewissermaßen zum guten Ton, die rechte französische Politikerin Marine Le Pen zu verteufeln, und den ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán als Antidemokraten zu diffamieren, von Politikern wie Geert Wilders in den Niederlanden oder Herbert Kickl in Österreich ganz abgesehen. Selbst die italienische Ministerpräsidentin Georgia Meloni muß sich in den deutschen Medien als „Postfaschistin“, was eine nur dürftige Tarnung für Rechtsextremistin ist, beschimpfen lassen, natürlich mit der Billigung der deutschen politischen Linken von SPD bis Die Linke. Unvergessen ist auch die Verteufelung des österreichischen Politikers Jörg Haider, was sich auch nach seinem Tode hinsichtlich seiner Partei FPÖ fortsetzt. Auch hinsichtlich wirklich kritikwürdiger Zustände in anderen Ländern, denken wir nur an die Diktaturen aller Schattierungen, gehört es gewissermaßen zum guten Ton, völlig undiplomatisch Klartext zu sprechen. Auch wenn man dem zustimmen kann, so sollte das doch auf eben diese Diktaturen beschränkt bleiben.

Die historische Kontinuität

Gerade im Hinblick auf die Kritik eines führenden US amerikanischen Politikers darf nicht vergessen werden, daß schon die Gründung der Bundesrepublik Deutschland einschließlich der Arbeit an ihrer Verfassung nachgerade unter der Vormundschaft der USA stattgefunden hat. Soweit ersichtlich, hat das in Deutschland nie jemand kritisiert, sehen wir einmal von rechtsextremen Außenseitern wie der NPD ab.

Nicht Regelverletzung, sondern therapeutischer Eingriff

Die Kritik an der Rede des amerikanischen Vizepräsidenten vor der Münchner Sicherheitskonferenz ist geschichtsvergessen, in höchstem Maße scheinheilig und in der Sache absolut unbegründet. Herr Vance legt den Finger in die Wunde. Das ist immer schmerzhaft, auch im übertragenen Sinne. Tut es der Arzt physisch, ist das der Auftakt zur Heilbehandlung. Tut es ein prominenter Kritiker metaphorisch, so sollte das ebenfalls der Auftakt zur Heilbehandlung sein. Daß die Demokratie in Deutschland derer dringend bedarf, ist ebenso zutreffend wie die Analyse der Demokratie in Amerika von Alexis der Toqueville vor 190 Jahren. Mir scheint, daß seine Kritik durchaus auf fruchtbaren Boden gefallen ist, denn was die Meinungsfreiheit angeht, sind die USA Deutschland meilenweit voraus.