Am 29.10.2025diskutierten in der Sendung „Münchner Runde“ des Bayerischen Fernsehens unter Leitung des Moderators Christian Nitsche die Teilnehmer Manfred Weber, CSU, Partei- und Fraktionsvorsitzender der EVP, Tino Chrupalla, AfD, Bundessprecher und Vorsitzender der Fraktion im Bundestag, Oberst André Wüstner, Vorsitzender des Deutschen Bundeswehrverbands, Prof. Peter R. Neumann, Politikwissenschaftler, King’s College London und Gesine Dornblüth, Journalistin, Autorin, ehem. Auslandskorrespondentin in Moskau über das Thema „Angst vor Eskalation – wie gefährlich ist Putin?
Die Sendung war durchaus aufschlussreich. Vor allem dahingehend, daß man danach nicht mehr im Unklaren darüber sein kann, daß Herr Chrupalla für politische Spitzenämter bei weitem nicht geeignet ist. Es fehlen die grundlegenden Kenntnisse der Außen- und Sicherheitspolitik, und angesichts seiner Diskussionsbeiträge muß man auch konstatieren, daß hier seine intellektuellen Grenzen offengelegt wurden. Das mag ein hartes Urteil sein, ich kann es aber gut begründen.
Um einige Aspekte herauszugreifen:
Chrupalla drückt sich in nahezu peinlicher Weise um die Beantwortung der Frage herum, ob Putin ein Aggressor, Diktator und Kriegsverbrecher sei. Seine Begründung für diese ausweichende Haltung, man könne doch nicht mit jemanden verhandeln, dem man solche Prädikate zuspreche, trägt natürlich nicht. Zum einen sind Diskussionsbeiträge in einer Gesprächsrunde nicht von diplomatischer Qualität, wie etwa offizielle Verlautbarungen der Bundesregierung. Zum anderen wissen Diktatoren wie der chinesische Machthaber Xi oder der türkische Präsident Erdogan und erst recht Putin selbstverständlich sehr genau, wie sie und ihre Regime in den westlichen Ländern eingestuft werden. Das hindert sie nicht daran, mit ihnen Gespräche zu führen und über wirtschaftliche Dinge zu verhandeln. Denn in der großen Politik geht es um Interessen, nicht um Befindlichkeiten. Dann auch noch zu erklären, schließlich hätten auch andere Staaten immer wieder Kriegsverbrechen begangen – angespielt wird dabei offenbar auf die USA – ist natürlich mindestens schief. Denn die Kriegsverbrechen der USA etwa in Vietnam oder dem Irak sind sowohl qualitativ als auch quantitativ meilenweit entfernt von dem, was Russland in den letzten drei Jahren in der Ukraine tut, und beispielsweise auch in den Tschetschenien-Kriegen gezeigt hat.
Die geopolitische Rolle Deutschlands
Das sind allerdings Kleinigkeiten, verglichen mit der zutage getretenen Einschätzung der geopolitischen Rolle Deutschlands. Chrupalla scheint sich allen Ernstes vorzustellen, eine enge Zusammenarbeit, um nicht zu sagen ein Bündnis, zwischen Russland und Deutschland sei der Westbindung, wie sie seit 1949 besteht, vorzuziehen. Offenbar kennt er die Geschichte nicht. Weder die westeuropäischen Staaten wie Großbritannien und Frankreich, noch gar die USA können eine solche Machtagglomeration in Zentraleuropa dulden. Nicht zuletzt war dies ja der Grund dafür, daß diese Mächte im Ersten und Zweiten Weltkrieg der erstarkenden europäischen Zentralmacht Deutschland mit militärischen Mitteln entgegengetreten sind, um sie auf die heutige Größe zurecht zu stutzen. Unbeschadet dessen, daß dies jedenfalls für den Ersten Weltkrieg als klar rechtswidrig einzustufen ist, und für den Zweiten Weltkrieg jedenfalls festgestellt werden muß, daß der geostrategische Dilettant Hitler diesen Mächten mit seiner aggressiven Politik die Möglichkeit verschafft hat, das im Ersten Weltkrieg noch unvollendete Werk fertig zu stellen, ist das eben aus der Sicht der USA, Großbritanniens und Frankreich eine geopolitische Notwendigkeit gewesen. Eine Allianz Russlands mit Deutschland könnte durchaus entsprechende Überlegungen in den USA wiederbeleben.
Abgesehen davon liefer Deutschland als enger verbündeter Russlands Gefahr, auch nach und nach dessen politisches System zu übernehmen, wie das ja auch im Zuge der Westbindung geschehen ist, als Deutschland sich auch politisch als Demokratie westlichen Zuschnitts entwickelt hat. Ich möchte jedenfalls nicht in einem Land leben, in dem man gelegentlich als Oppositioneller auch einmal vom Balkon fallen kann oder sonst wie verschwindet, gerne auch einmal in einem Schauprozess von einem nur scheinbar unabhängigen Gericht zu einer langjährigen Freiheitsstrafe verurteilt wird. Da ist unsere Verfassungswirklichkeit unbeschadet ihrer Mängel im Detail doch bei weitem vorzuziehen.
Russland war nie Deutschlands Freund
Chrupalla müsste eigentlich auch wissen, daß Russland in der Geschichte beider Länder noch niemals wirklich Deutschlands Freund gewesen ist. Im Siebenjährigen Krieg stand es lange gegen Preußen, bis eben 1762 mit Peter III. ein Bewunderer Friedrichs des Großen den Zarenthron bestieg. In der Julikrise 1914 waren Russland und Frankreich die entschiedensten Kriegstreiber gegen Deutschland. Über den Zweiten Weltkrieg und seine Folgen muß insoweit kein weiteres Wort mehr verloren werden. Kein Wunder, daß Bismarck Russland stets misstraute. Davon gänzlich unberührt sind natürlich die kulturellen Leistungen russischer Komponisten und Dichter. Natürlich ist die russische Kultur Teil der abendländischen Kultur insgesamt. Machtpolitik und Kultur sind indessen zwei Welten.
Chrupalla verschließt auch fest die Augen vor der militärischen Bedrohung durch Russland. Diese besteht schlicht und einfach zum einen in den militärischen Möglichkeiten, und zum anderen in der aggressiven Haltung Russlands. Nicht nur der völkerrechtswidrige Krieg gegen die Ukraine, sondern auch das Vorgehen in Georgien und die Aussagen Putins zu seiner Rolle als Vollender des Werks Peters des Großen und die Bewertung des Untergangs der Sowjetunion als größte Katastrophe in der jüngeren russischen Geschichte lassen doch nur die Einschätzung zu, daß Putin gegebenenfalls auch mit militärischen Mitteln seine Gebietsansprüche durchsetzen will. Richtig ist nur, daß man selbst mit Blick darauf nicht davon absehen darf, auch Gespräche zu führen und zu verhandeln. Allerdings wohlwissend, mit wem man es zu tun hat, und aus der Position der militärischen Stärke heraus. Wer das für Kriegstreiberei hält, hat das Wesen der Außen- und Sicherheitspolitik nicht verstanden.
Der Bruch des Völkerrechts kann nicht kleingeredet werden
Chrupalla weist zwar mit einer gewissen Berechtigung darauf hin, daß die Vorgeschichte des russischen Angriffs auf die Ukraine betrachtet werden muß. Indessen liegt er schon damit falsch, daß er behauptet, die NATO habe sich entgegen früher gemachten Zusagen nach Osten ausgedehnt, in dem sie frühere Warschauer Pakt Staaten aufgenommen habe. Insoweit weist er sogar den Hinweis der Journalistin Gesine Dornblüth auf die Grundakte über gegenseitige Beziehungen, Zusammenarbeit und Sicherheit zwischen der NATO und der Russischen Föderation vom 27.5.1997 zurück. Denn darin sei ja von der Ukraine nicht die Rede. Das ist falsch, weil in diesem Vertrag ausdrücklich der Verzicht auf die Androhung oder Anwendung von Gewalt gegeneinander oder gegen irgend einen anderen Staat, seine Souveränität, territoriale Unversehrtheit oder politische Unabhängigkeit festgehalten ist, ebenso wie die Achtung der Souveränität, Unabhängigkeit und territorialen Unversehrtheit aller Staaten sowie ihres naturgegebenen Rechts, die Mittel zur Gewährleistung ihrer eigenen Sicherheit sowie der Unverletzlichkeit von Grenzen und des Selbstbestimmungsrechts der Völker, wie das in der Schlussakte von Helsinki und anderen OSZE-Dokumenten verankert ist, selbst zu wählen. Zu diesem Zeitpunkt war Wladimir Putin bereits Präsident der Russischen Föderation. Mehr noch, es gibt eine Reihe von Verträgen, die speziell das Verhältnis zwischen Russland und der Ukraine regeln. Noch zu Zeiten der Sowjetunion, am 19.11.1990, erkannten beide Staaten gegenseitig ihre territoriale Integrität und ihre gegenwärtigen Grenzen in dem Vertrag über Freundschaft, gute Nachbarschaft und Zusammenarbeit an. Der Vertrag trat am 14.6.1991 in Kraft und wurde mit dem russisch-ukrainischen Vertrag über gegenseitige Beziehungen vom 21.6.1992 bekräftigt. Ich habe das in meinem knapp gehaltenen, aber mit einem Anhang, der die einschlägigen Verträge wiedergibt, kurz nach Beginn des Ukrainekrieges veröffentlichten Buch „Tatort Ukraine“, erschienen im Verlag Book Today, übersichtlich dargelegt.
Keine Ahnung von der NATO
Chrupalla erklärt auf Fragen von Professor Peter Neumann zum Verhältnis seiner Partei zur NATO, sie stehe selbstverständlich zur NATO, allerdings mit der Einschränkung, „als Verteidigungsbündnis ja, aber leider sei sie in Teilen kein Verteidigungsbündnis, sie beteilige sich an Kriegen“, wobei er ausdrücklich auf die Ukraine Bezug nimmt. Das ist mit Verlaub gesagt Unsinn, in der Diktion von Frau Ministerin Bärbel Bas Bullshit. Die NATO ist selbstverständlich ein reines Verteidigungsbündnis. Sie führt nirgends einen Angriffskrieg. Auch das militärische Eingreifen in den jugoslawischen Bürgerkrieg wurde seinerzeit mit dem völkerrechtlichen Nothilferecht begründet, wenn auch im Ergebnis wohl zu Unrecht. Der Einsatz der Bundeswehr außerhalb des NATO-Gebiets bedarf grundsätzlich der vorherigen Erlaubnis des Deutschen Bundestages, was das Bundesverfassungsgericht in seinem bekannten Out-of-Aerea-Urteil von 1994 festgeschrieben hat. Indessen ist dort auch nachzulesen, daß wegen Art. 24 Abs. 3 des Grundgesetzes Deutschland sich auch militärisch im Rahmen kollektiver Sicherheitssysteme wie UNO und NATO engagieren darf. Mehr aber nicht, denn dem steht Art. 87a des Grundgesetzes entgegen. Die Beteiligung Deutschlands an einem völkerrechtswidrigen Angriffskrieg wäre verfassungsrechtlich gar nicht möglich. Eine entsprechende Änderung des Grundgesetzes dürfte nicht einmal mit einer Zweidrittelmehrheit möglich sein, denn dem dürfte das Verbot der wesentlichen Veränderung tragender Verfassungsbestimmungen entgegenstehen. Die wolkigen und naturgemäß nicht näher belegten Äußerungen Chrupallas, die NATO sei in Teilen kein Verteidigungsbündnis mehr, disqualifizieren ihn als Politiker nachhaltig.
Opposition tut not, man muß das aber auch können
Natürlich ist es Aufgabe der Opposition, eine Alternative zur Regierungspolitik darzustellen, und einer Partei, die sich ausdrücklich Alternative für Deutschland nennt, steht das auch gut zu Gesicht. Indessen kann sich auch eine Opposition nur im Rahmen des Grundkonsenses der deutschen Politik bewegen. Dazu gehört eben die Mitgliedschaft unseres Landes in den Vereinten Nationen und in dem Nordatlantischen Bündnis. Ausdrücklich ist in unserer Verfassung ja auch geregelt, und zwar in Art. 24, daß mit dieser Mitgliedschaft jeweils auch in begrenztem Umfang staatliche Souveränität auf eben diese internationalen Organisationen übertragen wird. Wer dagegen anreitet wie Don Quichotte gegen die Windmühlenflügel, gibt eben damit genau dieses Bild des Ritters von der traurigen Gestalt auf der politischen Bühne unseres Landes. Indessen braucht unser Land selbstverständlich wie alle anderen Länder auch eine tatkräftige, überzeugende und seriöse Opposition. Mit Politikern wie Herrn Chrupalla an der Spitze kann das eine Partei nicht wirklich leisten. Der Mann mag möglicherweise einen ordentlichen Mittelstandspolitiker abgeben können, mit dem Vorsitz in Partei und Fraktion ist er indessen bei weitem überfordert. Gewogen, und für zu leicht befunden.