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Die spinnen, die Deutschen!

Asterix-Leser wissen es schon längst: Die spinnen, die Römer! Oder auch schon mal: Die spinnen, die Briten! Das ist der gallische Kommentar zu dem im Heft über die Briten persiflierten Brauch der „geheiligten“ Teestunde am Nachmittag. Dafür wird selbstverständlich der Kampf eingestellt. Die Zeichnungen des genialen Albert Uderzo von den das Schlachtfeld zur Teestunde verlassenden Briten und den darüber völlig perplexen Römern kamen mir unwillkürlich in den Sinn, als ich von der neuesten Kapriole des gewerkschaftlich organisierten Wehrwesens in Deutschland erfuhr. Es gilt ja nun schon seit vielen Jahren auch in der Bundeswehr eine Arbeitszeitregelung, wie sie auch sonst im öffentlichen Dienst vorgeschrieben ist. Das mag in Friedenszeiten ja grundsätzlich in Ordnung sein. Denn der Friede unterscheidet sich vom Krieg unter anderem ja auch dadurch, daß das Leben nur zum Teil dem Broterwerb gewidmet ist, und ansonsten eben gelebt werden kann. Das ist auch in anderen Armeen so. Die Bundeswehr hat aber offenbar ein Problem mit den anfallenden Überstunden. Deren Ausgleich, sei es in Form vermehrten Personalbedarfs, sei es in Form von zusätzlichen Gehaltszahlungen, gibt der chronisch rachitische Wehretat nicht her. Auf der anderen Seite wird jedoch, streng gewerkschaftlich orientiert, alles dem Dienst zugeschlagen, was nur irgendwie so eingeordnet werden könnte. Besonders absurd ist dabei die rechtliche Bewertung des Schlafs an Bord des Kriegsschiffs, auf dem der wackere Seemann Dienst tut. Denn wenn er an Bord schläft, dann ist das Dienst und rechnet in die 41 Stunden wöchentliche Dienstzeit. Schläft er hingegen im Hotel an Land, dann ist das natürlich dienstfreie Zeit, und sei es in Honolulu. Ob der Bund dabei etwas spart, wollen wir einmal dahingestellt sein lassen, denn darauf kommt es beim gewerkschaftlich geprägten Denken nicht an. Kann diese deutsche Marotte noch von den NATO-Partnern belächelt werden, ist die neueste Kapriole der deutschen Dienstzeitregelung geeignet, die Einsatzfähigkeit nicht nur der Bundeswehr, sondern der NATO zu beeinträchtigen. Zur Vermeidung eines hohen Überstundenberges bei der Bundeswehr muß nun bei Übungen auch im Rahmen der NATO der deutsche Soldat pünktlich Feierabend machen. Die Begeisterung auf Seiten der Verbündeten dürfte sich in engen Grenzen halten und auf die Soldaten beschränken, die gerne mal ein paar Stunden früher in die Kneipe gehen wollen. Den verantwortlichen Offizieren indessen dürfte jegliches Verständnis dafür fehlen, daß ihre deutschen Kameraden sich mitten in der Übung wie die Briten bei Asterix vom Truppenübungsplatz entfernen oder sich aus der Stabsbesprechung abmelden. Die spinnen, die Deutschen! Aber bei vollem Lohnausgleich!

 

Deutschland zahnlos

Einst war Deutschland ein wehrhaftes Land. Seine Bürger hielten es für wichtig, eine starke Armee zu haben, denn nur so waren Freiheit und Wohlstand zu gewährleisten. Der Soldat stand in hoher Achtung. Selbst Soldat gewesen zu sein („gedient zu haben“) war selbstverständlich, ja es war eine Ehre, seinem Land zu dienen. In allen sozialen Schichten stand der aktive Soldat wie der Angehörige der Reserve in hohem Ansehen. Der sprichwörtliche preußische Assessor, dessen Dienstgrad Leutnant der Reserve gesellschaftlich höher geschätzt wird, als seine zivile Amtsbezeichnung, ist nur das bekannteste Beispiel dafür. Allerdings war er auch – unberechtigt – Zielscheibe des Spotts der linken Presse. Die Identifizierung der Bürger mit „seinen“ Streitkräften ging so weit, daß man glaubte den Staat finanziell über die Steuerpflicht hinaus unterstützen zu müssen, damit er eine angemessen ausgerüstete Streitmacht vorhalten konnte. Das bekannteste Beispiel hierfür ist der Deutsche Flottenverein, der bis zu seiner Auflösung durch das NS-Regime 1934 Geld für den Bau von Kriegsschiffen sammelte. Nicht schwer zu erraten ist, daß diese Beschreibung auf Deutschland vor dem I. Weltkrieg zutrifft. Die bittere Niederlage in diesem Krieg hat – aus heutiger Sicht vielleicht erstaunlich – an dieser Wertschätzung des Soldaten nichts geändert. Gerade die demütigenden Bedingungen des Versailler Vertrages, die Deutschland zu einer Abrüstung und Verkleinerung seiner Streitkräfte zwangen, die es auf den Status eines machtlosen und unbedeutenden Kleinstaates reduzieren sollte, führten bei der übergroßen Mehrheit des Volkes zu einer trotzigen jetzt-erst-recht Haltung. Sie war die Grundlage für die heimliche Aufrüstung und das Unterlaufen der hunderttausend Mann Regelung für die Reichswehr dergestalt, daß in diesem engen Rahmen ein Offiziers- und Unteroffizierskorps herangebildet werden konnte, das auf Grund seiner Ausbildung für eine Verwendung auf Führungsebenen weit über dem aktuellen Dienstgrad binnen kürzester Frist eine mehrfach größere Armee zu führen in der Lage war. Die Selbstverständlichkeit, mit der Bürger aller Schichten und beruflichen Qualifikationen der Einberufung zum Dienst auch im Krieg folgten, mag heute ungläubiges Staunen hervorrufen. Damals war die Verweigerung des Wehrdienstes ungesetzlich und wurde auch nur von Sektierern praktiziert. Dieses ausgeprägte Bewußtsein der Wehrhaftigkeit, gespeist aus Einsicht in die Notwendigkeit und Stolz auf das Vaterland, gepaart mit einer aus dem Vollen schöpfenden Bestenauswahl schufen Armeen, die nach dem Urteil führender Militärhistoriker an Kampfkraft, Führungskunst und Disziplin ihresgleichen nicht hatten. Das galt auch für den II. Weltkrieg, und zwar bis zum letzten Tag, wobei gerade die Leistungen der deutschen Soldaten in den letzten Kriegsmonaten unter den Bedingungen des Mangels und der monströsen materiellen und personellen Überlegenheit des Feindes nur noch ungläubiges Staunen auslösen.

Was ist davon geblieben? 70 Jahre nach dem Ende des II. Weltkrieges ist Deutschland als militärische Macht nicht mehr ernst zu nehmen. Betrachten wir stellvertretend für das gesamte militärische Potential eines Landes einmal die Zahl der durchsetzungsfähigen Landsysteme ausgewählter Staaten welt- und europaweit:

Land      KPz             SPz           GTK/Tpz         Art (Rohr)        Art (Rak)           Kampfhubschr.

USA          8.325         8.580          k.A.                 k.A.              1.000                 908

RUS       12.000        25.000     25.000            2.000               1.500                 700

SYR          2.600          2.300       1.500                450                    ?                      36

ÄGY         2.450          1.042        1.400               800                  380                     7

CHI          7.500          5.000           ?                 1.000               3.500                 148

ISR          2.800             350         5.500               672                    48                    80

POL           478           1.737          –                      315                  180                    30

ITA            500              442         1.127                 70                     20                    59

GBR          200              786         1.150                 89                     36                    66

FRA          448              630          2.080               114                     13                    60

DEU         225             350              918                 89                      28                    40

Die Zahlen lehnen sich (außer USA) an Janes Defence, zit. in Europäische Sicherheit & Technik 2/2015 an.

Dieses Zahlenbild zeigt mit erschreckender Deutlichkeit, welchen Stellenwert das wirtschaftlich starke Deutschland seiner militärischen Stärke beimißt. Die Bundeswehr verfügt über gerade mal halb so viele Kampfpanzer wie die NATO-Partner Polen, Frankreich oder auch Italien, bei SPz bzw. GTK sieht es noch schlechter aus. Nur bei der Artillerie kann man mit Armeen wie der italienischen, britischen oder französischen mithalten, bei den Kampfhubschraubern fällt man schon deutlich ab. Im weltweiten Vergleich steht man hinter Staaten wie Syrien und Ägypten weit zurück. Selbst das kleine Israel ist militärisch im Vergleich zu Deutschland eine Großmacht. Dazu paßt natürlich, daß Deutschland seit Jahren nur 1,3 % des Bruttosozialprodukts für seine Verteidigung ausgibt, obwohl die Vorgaben der NATO md. 2% verlangen.

Eine solche Entwicklung ist natürlich nicht zufällig. Sie hat Gründe und Ursachen. Die Politik tut im Großen und Ganzen durchaus, was die Wähler wollen. Wenn die übergroße Mehrheit der Deutschen an einer starken Armee interessiert wäre, könnte man als Politiker mit dem Versprechen, einen hohen Verteidigungshaushalt zu beschließen, Wahlen gewinnen. Von nichts verstehen Politiker mehr, als von der Erwartungshaltung ihrer Wähler. Weil die Deutschen schon während des kalten Krieges, aber erst recht seit dessen Ende, für Militär und Rüstung nichts übrig haben, kümmert die Bundeswehr dahin. Die Aussetzung (de facto Abschaffung) der Wehrpflicht ist von den meisten Deutschen gleichgültig bis zustimmend zur Kenntnis genommen worden, von den nicht wenigen Pazifisten in Politik, Medien und Kirchen enthusiastisch begrüßt worden.

Wie konnte das geschehen? Die totale Niederlage von 1945 wurde von vielen, viel zu vielen maßgeblichen meinungsbildenden Institutionen nicht nur als Scheitern des Nationalsozialismus, verlorener Krieg oder Meilenstein der Weltgeschichte, sondern viel tiefer gehend als Ende des deutschen Weges – manche sagten Sonderweges – gesehen. Dabei spielte natürlich die massiv betriebene Umerziehung vor allem durch die USA eine Rolle, von der zu sprechen heute als unschicklich, wenn nicht gar rechtsradikal gilt. Die destruktiven Lehren der sog. Frankfurter Schule um Marcuse und Habermas, die auf weite Teile der deutschen akademischen Jugend eine große Anziehungskraft ausübten und letztendlich die theoretischen Grundlagen der 68er schufen, taten ein übriges. Das Ergebnis ist eine Gesellschaft, die ihre eigene Armee allenfalls mit freundlichem Desinteresse betrachtet, wie es ein früherer Bundespräsident treffend formuliert hat. Hinzu kommt ein Wohlstandspazifismus, der angestrengt darüber hinwegsieht, daß unsere Art zu leben nur möglich ist, weil es einen militärischen Zaun um diese Idylle gibt, den aber bittschön doch die anderen bezahlen und bewachen sollen. Peter Scholl-Latour hat diese dümmliche Spießigkeit einmal als den „blökenden Pazifismus“ der Deutschen bezeichnet. Ich habe in meiner Ansprache als scheidender Kommandeur des PiBtl 761 im November 1995 zustimmend ergänzt, daß ihnen auch ein „grunzender Hedonismus“ eignet. Ein solches Volk findet auch kaum irgendwo auf dieser Erde seinesgleichen. Wer etwa die Wertschätzung des Soldaten in den USA, Frankreich oder Italien, die sich nicht nur an den nationalen Gedenk- und Feiertagen, sondern im Alltag zeigt, mit der Bedeutung der Streitkräfte in unserem Land vergleicht, der wird erhebliche Unterschiede feststellen. Das beginnt mit solchen Äußerlichkeiten wie Paradeuniformen und der selbstverständlichen Führung des Dienstgrades auch ausgeschiedener Soldaten im gesellschaftlichen Verkehr und vollendet sich eben in der materiellen Ausstattung der Streitkräfte, aber auch der Bereitschaft, sie ganz selbstverständlich als Machtmittel im Inneren wie auch nach außen einzusetzen. Daß Welten zwischen dem Selbstverständnis der Bundeswehr und den Streitkräften anderer Nationen liegen, kann der aufmerksame Beobachter etwa bei Paraden mit internationaler Beteiligung sehen. Nicht nur das Fehlen einer Paradeuniform historischen Gepräges, selbstverständlich mit Seitenwaffe für die Offiziere, läßt die schlicht gewandeten Deutschen irgendwie merkwürdig erscheinen, auch der Paradedrill, als dessen Erfinder sie lange galten, ist offensichtlich nicht im international üblichen Maß vorhanden, wenn nicht gerade das Wachbataillon eingesetzt wird. So konnte es sich Adalbert Weinstein, der legendäre Fachmann für das Militär bei der FAZ, der immerhin als als wehrübender Reserveoffizier einmal eine Brigade des deutschen Heeres führen durfte, in seinem Bericht über eine Parade von NATO-Truppen 1979 nicht verkneifen, den Auftritt der deutschen Formation unter die Überschrift zu stellen: „Unbeholfen stolperte der Leutnant vor seinen Reisigen her…“. Man mag das für unwesentlich halten. Doch schon Friedrich Schiller hat in „Wallensteins Lager“ festgestellt: „Der Soldat muß sich können fühlen!“ Wenn das Auto nicht geputzt wird, dann wird bald auch das Motoröl nicht mehr nachgefüllt und die Inspektion vergessen. In diesen Zusammenhang gehört auch die offensichtliche Mißachtung der soldatischen Traditionen unseres Landes. Wenn ein Generalinspekteur zum Thema Traditionspflege nichts anderes beizutragen weiß, als daß die Tradition der deutschen Streitkräfte „in die Waschmaschine gehört“, und wenn nur die preußischen Reformer und die Befreiungskriege, der militärische Widerstand gegen Hitler und die Geschichte der Bundeswehr selbst als identitätsstiftend für diese Armee gelten dürfen, dann ist klar, daß die Politik eine Verteidigungsorganisation wünscht, die nichts mehr mit den Armeen früherer Zeiten zu tun hat. Auch hier ist die Saat aufgegangen, die Historiker Wie Hans-Ulrich Wehler und andere gesät haben, denen die Uminterpretation der deutschen Geschichte als verhängnisvoller Sonderweg heraus aus der aufgeklärten demokratischen Gesellschaft, hinein in autoritäre Strukturen und eine aggressive Außenpolitik, Aufgabe und Verpflichtung war. Die Armee des auf diese Weise geschaffenen neuen, demokratischen und zivilen Deutschland soll kostengünstig politische Ziele unterstützen, nur ja keinen Bezug zur als unrühmlich angesehenen Vergangenheit aufweisen und ein unauffälliger Bestandteil der bundesrepublikanischen Wirklichkeit sein. Dazu paßt es und ist nachgerade bezeichnend, daß die Auslieferung des neuen SPz „Puma“ sich deswegen verzögert, weil noch keine Lösung dafür gefunden worden ist, wie hochschwangere Soldatinnen im hinteren Kampfraum transportiert werden können. Daß Gefechtsfahrzeuge und Luftfahrtgerät inzwischen „kannibalisiert“ werden, damit wenigstens ein kleiner Teil davon einsatzfähig bleibt, rundet das Bild ab. Daß der Ruf nach einer Vermehrung des Verteidigungshaushalts um 1 Mrd. € jährlich, damit die Bundeswehr überhaupt noch einsatzfähig bleibt, nicht etwa von den verantwortlichen hohen Offizieren kommt, sondern wie bei der ähnlich gelagerten Problematik im Bereich der inneren Sicherheit von der berufsständischen gewerkschaftlichen Vertretung der Soldaten bzw. Polizei, spricht Bände über das Verhältnis der Politik zu ihren hochqualifizierten Soldaten. Sie wünscht sich nicht Blücher, nicht von der Marwitz, sie wünscht sich „Lakeitel“ in Bundeswehruniform.

Vielleicht würde es in Deutschland kaum jemand merken, wenn die Bundeswehr völlig verschwände und bei Staatsbesuchen nur noch eine Komparsentruppe der Babelsberger Filmstudios die Ehrenformation stellte. Kostengünstiger wäre es allemal.

 

Nachsatz: Das Bild zeigt mich als wehrübenden Major in der Verwendung als Urlaubsvertreter des Kommandeurs PiBtl 10 in Ingolstadt 1989

10.02.2015