Er ist offenbar so etwas wie eine Ikone des linksliberalen Milieus. Edelfeder des Süddeutschen Beobachters, magna cum laude promovierter Jurist, ehemaliger Rechtsanwalt, Staatsanwalt und Richter, Honorarprofessor an einer deutschen Universität, Ehrendoktor einer theologischen Fakultät, mit Preisen und Auszeichnungen überhäuft, Dauergast in den Talkshows der öffentlich-rechtlichen Fernsehanstalten. Diese geballte Kompetenz, gepaart mit einem zur Schau getragenen Sendungsbewusstsein als Verteidiger des gesellschaftlichen Fortschritts, ruft die schrankenlose Bewunderung im juste milieu hervor.
Doch sind die Flügel, die ihn hoch zur Sonne zu tragen scheinen, doch nur eingebildet. Wie Ikarus aus der griechischen Sage muß er abstürzen, wenn er das menschliche Maß verliert. Mit anderen Worten, sich über seinesgleichen allzu sehr erhebt. Eine Kostprobe davon konnte man gestern Abend in der Talkshow von Anne Will erleben. Abgesehen davon, daß er zum eigentlichen Thema des Abends – Machbarkeit der sogenannten Jamaika-Koalition – nichts Erhellendes beitragen konnte, spielte er sich als Verteidiger der Rechtsordnung auf, wobei er sich nicht nur im Ton vergriff, sondern sich auch als Jurist blamierte.
Als Markus Söder zu Recht meinte, man müsse doch wenigstens konsequent das Recht durchsetzen und rechtskräftig abgelehnte Asylbewerber, besonders solche, die sich Straftaten zuschulden kommen haben lassen, konsequent abschieben, rastete der Kämpfer für das Gute, Wahre und Schöne aus. „Das legt bei uns der Rechtsstaat fest, Herr Söder! Es gibt Abschiebungs-Hindernisse, und die setzen nicht Sie fest, zum Teufel noch mal! Die Art und Weise, wie Sie nach Afghanistan abschieben lassen, aus Bayern, ist eine Sauerei!“ Das ganze in einer Mischung aus Empörung, Oberlehrergehabe und Kasernenhofton. Als der so gescholtene Söder versetzte: „Reißen Sie sich mal zusammen. Was ist denn das für ein Ton?“ blaffte er zurück: „Der Ton ist ein rechtsstaatlicher Ton!“
Nun war der Ton nicht rechtsstaatlich – kann ein Ton rechtsstaatlich sein? – sondern ungehörig. Vor allem aber lag der Herr Professor hier auch fachlich daneben. Offensichtlich will oder kann er nicht zwischen der Anwendung geltenden Rechts, was Aufgabe der Behörden und der Gerichte ist, und der Schaffung neuen und Änderung geltenden Rechts, was Aufgabe der Parlamente, mithin der Politiker ist, unterscheiden. Leider läßt es das in Deutschland geltende Recht offenbar zu, daß sich auch rechtskräftig abgelehnte, ja sogar rechtskräftig strafrechtlich verurteilte Asylbewerber oder Kriegsflüchtlinge nach der Genfer Flüchtlingskonvention auf Umstände berufen können, die einer Abschiebung entgegenstehen, auch zum Beispiel dann, wenn sie keine Papiere (mehr) haben. Nun ist es Aufgabe des Gesetzgebers, erkannte Fehler und Schwachstellen in den geltenden Gesetzen zu korrigieren. Ja, Gesetzgebung ist von alters her nichts anderes, als die Reaktion des Staates auf aktuelle Probleme. Genau deswegen muß angesichts der Komplexität und des stetigen Wandels unserer Welt ständig an den Gesetzen gearbeitet und geändert werden. Ein Jurist sollte also ohne weiteres das eine vom anderen unterscheiden können. Die Entscheidung über eine Abschiebung nach geltendem Recht ist eben etwas grundlegend anderes, als die Änderung alten oder gar Schaffung neuen Rechts. Natürlich ist der Gesetzgeber nicht völlig frei, sondern an die Verfassung gebunden. Damit gehen Zeitgenossen vom Schlage eines Herrn Prantl auch gerne hausieren und wollen den Leuten weismachen, genau deswegen könne man gegen solche Misstände auch als Gesetzgeber nichts unternehmen. Nun dürfte allgemein bekannt sein, daß selbst das Asylgrundrecht keinesfalls unumstößlich in der Verfassung steht. So wurde es 1993 erheblich eingeschränkt. Die Einreise aus einem sicheren Land in Europa nach Deutschland läßt das Recht auf Asyl in Deutschland entfallen, um ein Beispiel zu nennen. Selbstverständlich kann der Gesetzgeber auch das Grundgesetz ändern, nur eben mit qualifizierter Mehrheit. Aber genau das ist ja die Aufgabe der Politiker, daß sie notfalls auch mit verfassungsändernder Mehrheit das geltende Recht den Herausforderungen unserer Zeit anpassen. Natürlich gibt es auch die absolute Grenze der Menschenwürde. Indessen ist es kein Wesensmerkmal der Menschenwürde, etwa trotz rechtskräftiger Gerichtsentscheidungen und strafgerichtlicher Verurteilung in Deutschland bleiben zu dürfen, noch weniger, weil man seinen Pass weggeworfen hat.
Doch hat dieser praeceptor Germaniae, als der sich Prantl offenbar versteht, hier nur sein wahres Gesicht gezeigt. Es geht nicht um das Recht. Es geht darum, den vermeintlichen gesellschaftlichen Fortschritt auf Biegen und Brechen durchzusetzen. Daß es dem linken Milieu in Deutschland als Ausweis des gesellschaftlichen Fortschritts gilt, möglichst alle Mühseligen und Beladenen dieser Erde mit offenen Armen zu empfangen, zu behausen und zu speisen, ist nicht zu übersehen. Wer es wagt, sich dem so verstandenen Fortschritt in den Weg zu stellen, darf auch schon mal niedergebrüllt werden. Und das Recht hat selbstverständlich der guten Absicht zu weichen. Daran ist allenfalls richtig, daß das Recht generell dienende Funktion hat. Wir müssen allerdings darauf achten, daß es nicht den Falschen dient, denn das hatten wir schon mal.