An dieser Stelle habe ich mehrfach über unser Zensurministerlein berichtet. Auch habe ich mich ausführlich mit seinem Meinungsfreiheitsbeschränkungsgesetz befaßt. Daß ich mit dieser harschen Kritik nicht alleine stehe, zeigt der nachstehend wörtlich übernommene Beitrag von Prof. Dr. Thomas Hoeren, Direktor des Instituts für Informations-, Telekommunikations-und Medienrecht an der Uni Münster. In der verbreitetsten deutschen juristischen Fachzeitschrift NJW schreibt er unter der Überschrift “ Sperrchaos“.
Was macht man, wenn man als Justizminister am Ende seiner Amtszeit feststellt, dass wenig geklappt hat, dass kaum Gesetze in Kraft getreten, keine visionären Regulierungsansätze mit dem eigenen Namen verbunden sind? Was macht man, wenn man noch nicht einmal richtig angehört wird und bei Treffen von den Stakeholdern die kalte Schulter gezeigt bekommt? Man zimmert in letzter Sekunde noch schnell ein Gesetz zusammen und gibt ihm einen unsinnigen, unaussprechlichen Namen: Netzwerkdurchsetzungsgesetz.
Dieses Gesetz peitscht man dann in letzter Sekunde durch das Parlament, gegen den Widerstand der symbolisch angehörten Experten und gegen den der Fraktionen (die dem armen Minister aus politischen Gründen mitleidsvoll dann doch noch “ sein“ Gesetz möglich machen). Zum Anfang des Jahres ist dieses „NetzDG“ in Kraft getreten, und schon wenige Tage nach dem Jahreswechsel sorgte es für Ärger.
Was soll Facebook nun sperren und was nicht? Darf die AfD gehässige Bemerkungen über Ausländer bei Facebook lancieren? ist vielleicht sogar ein alter Tweet des Justizministers selbst von der Vorabkontrolle betroffen? Dabei war die Anfangsidee so gut, so einfach und klar. Man nehme vor allem Facebook und verpflichte das arrogant wirkende US-Unternehmen endlich dazu, von seinen amerikanischen Vorstellungen über Meinungsfreiheit abzurücken und sich dem deutschen Strafrecht zuzuwenden. Dann verpflichte man es, strafrechtlich relevante Äußerungen im Wege der Vorabkontrolle von sich aus zu sperren, und hänge daran eine sehr hohe Bußgeldsanktion.
Leider hatte man im Justizministerium die Details des Gesetzes nicht bedacht. Die Europäische Kommission hatte nach einer internen Anmeldung des Justizministeriums dezent darauf hingewiesen, dass der Vorstoß aus Deutschland wohl nicht mit der E-Commerce- Richtlinie übereinstimmt, die eine Haftung von Hostprovidern erst ab Kenntnis und offenkundiger Rechtswidrigkeit bejaht. Brüssel wies auf solche Bedenken hin; ein Vertragsverletzungsverfahren will man aber dort erst in die Wege leiten, wenn die Irrungen und Wirrungen der deutschen Bundestagswahl vorbei sind. Kommt ein solches Verfahren, wird das Gesetz vor dem EuGH keinen Bestand haben. Er hat schon mehrfach eine Vorabkontrolle durch den Hostprovider als nicht rechtskonform angesehen.
Noch größere Unbill droht, wenn Karlsruhe eingeschaltet wird. Mit höchster Sicherheit wird eine Verfassungsbeschwerde gegen das Gesetz eingelegt werden, nach dem auch Verfassungsrichter öffentlich zu bedenken gaben, dass angesichts des komplizierten Wortlauts der strafrechtlich relevanten Prüfungspflichten drohe, dass Facebook im Zweifel viel zu viel und viel zu früh sperre. Derzeit bedarf es eines Gerichtsverfahrens durch viele Instanzen hindurch, um etwa die Frage einer Strafbarkeit wegen Volksverhetzung zu klären. Der Nutzer kann jetzt zwar Buttons drücken, wie “ Hass schürende/verfassungswidrige Inhalte“, “ Gewalt/Bedrohung/Aufforderung zu Straftaten“ oder “ Beleidigung/üble Nachrede“.
Doch wie will er selbst entscheiden, welchen Knopf er drücken soll? Und wie soll Facebook das mithilfe einiger Juristen in der neu geschaffenen Kontrollabteilung binnen 24 Stunden prüfen? Wird Facebook nicht dem Grundsatz anhängen “ in dubio pro Sperre“? Man hätte genug Alternativen gehabt, wenn man sich an den Vorgaben aus Brüssel orientiert hätte und eine Prüfungspflicht ab Kenntnis und offenkundiger Rechtswidrigkeit bejaht hätte. Dazu hätte man keines Gesetzes bedurft, sondern nur das Telemediengesetz und die dortigen Haftungsnormen konsequent mithilfe der Rechtsprechung durchsetzen müssen. Aber so macht man keine glänzende Politik als Bundesjustizminister, der eben neue Gesetze braucht.
Angesichts des sich abzeichnenden Sperrchaos fragt man sich, was das Gesetz nun bringen soll, und vor allem, wie viel das kostet. Facebook hat in Berlin und Essen insgesamt 1700 Leute zur Kontrolle angestellt. Ähnlich hat man das Personal im Bundesamt für Justiz aufgestockt. Niemand ist mit dem Gesetz zufrieden – nicht im Ministerium, nicht in der SPD, nicht in der CDU, nicht bei der FDP und den Grünen, nicht in der alten Regierung. (Anmerkung des Verfassers: von der AfD erst gar nicht zu reden). Nur einer bleibt stur: Heiko Maas vertritt als einsamer Recke sein von ihm geliebtes Gesetz. Und wie es aussieht, wird er der Einzige bleiben.
Diese Ausführungen sind für einen Juristen, einen Hochschullehrer zumal, außerordentlich deutlich, vor allem was den Sprachgebrauch aangeht. Mit anderen Worten: der Professor schlägt dem Minister sein Gesetz um die Ohren. Wir Wähler sollten uns merken, wer eine solche Null mit einem Ministeramt ausgestattet hat.