Giordano Bruno, Galileo Galilei, und nun Ulrich Kutschera

Nein, der Scheiterhaufen wird nicht der Ort sein, auf dem Ulrich Kutschera sein Leben beenden wird, und er wird auch nicht nach lebenslangem Hausarrest diese Welt verlassen. Die Strafen des 16. Jahrhunderts für Ketzerei gehören nun einmal der Vergangenheit an. Und es ist auch nicht mehr eine allmächtige Kirche, die jede Abweichung von ihren Lehren unnachsichtig ahndet. Wir leben ja schließlich in einem aufgeklärten Rechtsstaat, in dem die Wissenschaften und ihre Vertreter in höchstem Ansehen stehen. Die Freiheit der Wissenschaft gilt viel. Die allermeisten Menschen in unserem Lande sind auch davon überzeugt, daß der wissenschaftliche Fortschritt unsere Lebensgrundlagen garantiert und fortlaufend verbessert. Niemanden käme es daher in den Sinn, der Wissenschaft religiöse oder ideologische Fesseln anzulegen.

Was ist Wissenschaft?

Wie in Stein gemeißelt steht somit virtuell über allem wisssenschaftlichen Bemühen der Satz des Bundesverfassungsgerichts:

Wesensmerkmal der Wissenschaft ist ihre prinzipielle Unvollständigkeit und Unabgeschlossenheit, die ihr trotz des für sie konstitionellen Wahrheitsbezuges eignet. Ihre Ergebnisse sind daher stets vorläufig und der Korrektur auf Grund besserer Erkenntnis zugänglich.

Die strafrechtliche Verfolgung eines Naturwissenschaftlers wegen seiner Forschungsergebnisse ist daher in unserer Zeit nicht mehr denkbar. Kritik daran wird ausschließlich im wissenschaftlichen Diskurs formuliert. Jeder, der mit seinen wissenschaftlichen Forschungsergebnissen an die öffentlichkeit tritt, muß sich der fachlichen Kritik seiner Kollegen und den Fragen des Publikums stellen. Staatsanwälte und Richter interessieren sich dafür, wenn überhaupt, nur privat wie jeder andere. 

Die Inquisition kehrt zurück

Doch halt! Findet da nicht gerade vor dem Amtsgericht zu Kassel ein Prozeß gegen den Evolutionsbiologen Professor Ulrich Kutschera statt? Soll er sich strafbar gemacht haben, weil er seine wissenschaftlich begründete Überzeugung publiziert hat, gleichgeschlechtliche Paare seien nicht fähig, Kinder aufzuziehen, weil sie ja grundsätzlich keine gemeinsamen Kinder haben können, im Gegenteil, diesen Kindern tue es nicht gut, in einer solchen Beziehungaufzuwachsen, ja sie seien sogar pädophilen Nachstellungen ausgesetzt? Angesichts der gesellschaftlich und politisch vorherrschenden Anschauungen zur Homosexualität, die ja nun zur Einführung der Ehe von gleichgeschlechtlichen Sexualpartnern und sogar zum Recht dieser Eheleute neuer Art auf die Adoption von Kindern geführt hat, fürwahr eine zumindest ungewöhnliche Erkenntnis oder vielleicht auch nur Theorie.

Indessen findet eine wissenschaftliche Debatte der Thesen des Professors nicht statt. Vielmehr hat sich die Staatsanwaltschaft der Sache angenommen und ihn wegen Volksverhetzung angeklagt. Volksverhetzung – was ist das eigentlich? Betrug, Diebstahl oder Mord sind Straftatbestände, die jedenfalls in Grundzügen jedermann geläufig sind. Volksverhetzung, § 130 StGB, indessen ist eine Vorschrift, die im Rechtsleben eine nur untergeordnete Rolle spielt. Wer etwa als „Justiztourist“ durch die Flure der Gerichte streift und die Aushänge vor den Sitzungssälen studiert, wird so gut wie nie auf eine Verhandlung wegen dieses Delikts stoßen. Deswegen will ich einmal den Grundtatbestand der Volksverhetzung, wie er in § 130 Abs. 1 StGB formuliert ist, zitieren:

Wer in einer Weise, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören,

1. gegen eine nationale, rassische, religiöse oder durch ihre ethnische Herkunft bestimmte Gruppe, gegen Teile der Bevölkerung oder einen einzelnen wegen seiner Zugehörigkeit zu einer vorbezeichneten Gruppe oder zu einem Teil der Bevölkerung zum Haß aufgestachelt, zu Gewalt-oder Willkürmaßnahmen auffordert oder

2. die Menschenwürde anderer dadurch angreift, daß er eine vorbezeichneten Gruppe, Teile der Bevölkerung oder einen Einzelnen wegen seiner Zugehörigkeit zu einer vorbezeichneten Gruppe oder zu einem Teil der Bevölkerung beschimpft, böswillig verächtlich macht oder verleumdet, wird mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.

Ohne vertieft in die juristischen Probleme dieser Vorschrift einzusteigen, soll doch die Frage aufgeworfen werden, ob homosexuelle Menschen als Gruppe unter diese Vorschrift fallen. Durch ihre Nation, Rasse, Religion oder ethnische Herkunft bestimmt sind sie nicht. Denn in allen diesen abgrenzbaren Gruppen sind sie vertreten. Die Gerichte werden also zunächst einmal die Frage beantworten müssen, ob hier überhaupt eine abgrenzbare Gruppe im Sinne des Gesetzes betroffen ist. In der Vergangenheit wurde das zum Beispiel für Punker bejaht, für Fans von Schalke 04 und die GSG 9 verneint. Auf die letztinstanzliche Entscheidung in dieser Sache darf man also schon deswegen gespannt sein.

Inquisition gegen Aufklärung

Wesentlich bedeutsamer ist indessen, daß wir uns hier im Bereich von Meinungs- und Wissenschaftsfreiheit bewegen. Deswegen wollen wir auch den Wortlaut des Art. 5 GG zitieren:

1.Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet. Eine Zensur findet nicht statt.

2. Diese Rechte finden ihre Schranken in den Vorschriften der    allgemeinen Gesetze, den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der Jugend und in dem Recht der persönlichen Ehre.

3. Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei. Die Freiheit der Lehre entbindet nicht von der Treue zur Verfassung.

Zu den allgemeinen Gesetzen, in deren Schranken sich Meinungs-und Wissenschaftsfreiheit bewegen, gehört natürlich auch das Strafgesetzbuch. Beleidigungen sind von der Meinungsfreiheit nicht gedeckt, auch wenn öffentlich-rechtlich alimentierte Grimassenschneider und Faxenmacher bisweilen meinen, vor laufender Fernsehkamera gelte das Strafgesetzbuch nicht. Somit kann durchaus einmal gefragt werden, ob die Verbreitung wissenschaftlicher Erkenntnisse generell geeignet sein kann, Strafgesetze zu verletzen. Denn die Einschränkung des Art. 5 Nr. 2 GG steht nun mal nach der Definition der Meinungsfreiheit und bezieht sich somit vom Wortlaut der Verfassung her auf diese, nicht jedoch auf die erst danach aufgezählte Freiheit von Wissenschaft und Forschung. Somit findet die Wissenschaftsfreiheit ihre Grenze erst dort, wo Grundrechte Dritter berührt sind. In Betracht käme im vorliegenden Fall natürlich die Menschenwürde des angesprochenen Personenkreises, die nach Art. 1 Abs. 1 GG dem Schutz durch die staatlichen Gewalten, zu denen natürlich auch die Justiz gehört, anvertraut ist. Kommen wir damit aber unserem Problem näher? Können die Ergebnisse wissenschaftlicher Forschung überhaupt die Menschenwürde auch nur berühren? Ist die Menschenwürde verletzt, wenn Wissenschaftler einer bestimmten Bevölkerungsgruppe aufgrund ihrer Forschungsergebnisse Eigenschaften zuschreiben, etwa eine genetisch bedingte Alkoholintoleranz?

Die Freiheit der Wissenschaft

Das Bundesverfassungsgericht musste sich in der Vergangenheit mit Problemen der Wissenschaftsfreiheit vor allem bei Fragen der neueren Geschichte, etwa des Holocaust, auseinandersetzen. Der Ansatzpunkt der Karlsruher Richter ist hier die Definition der wissenschaftlichen Forschung überhaupt. Nur dann, wenn ernsthafte wissenschaftliche Arbeit dahintersteckt, die ihrerseits ergebnisoffen ist und nicht etwa nur vorgefassten Meinungen einen wissenschaftlichen Anstrich geben will, steht das Ergebnis unter dem Schutz von Art. 5 Abs. 3 GG. Handelt es sich um Wissenschaft, ist das eben so hinzunehmen, auch wenn es die Gefühle und Befindlichkeiten Betroffener verletzt. Eine Prüfung am Maßstab der Strafgesetze findet dann erst gar nicht statt. Handelt es sich jedoch nicht um Wissenschaft, sondern nur um eine Meinungsäußerung so greift natürlich das Strafgesetzbuch in seiner Funktion als Begrenzung der Meinungsfreiheit. Im vorliegenden Falle sollte also die Frage im Vordergrund stehen, ob die inkriminierten Thesen des Professors dem wissenschaftlichen Anspruch genügen, oder aber nur die wissenschaftliche Verbrämung einer gesellschaftspolitischen Meinung festgestellt werden muß. Das sollte eigentlich durch Sachverständige zu klären sein. Denn die Frage, ob hier eine wissenschaftliche Leistung vorliegt oder nicht, sollte ausschließlich objektiv beantwortet werden können, nicht aber ideologisch aus dem Zeitgeist heraus. Doch selbst dann, wenn es sich nur um eine Meinung ohne wissenschaftlichen Wert handeln sollte, müßte doch der liberale Grundsatz gelten, daß auch unbequeme, viellecht sogar manchen Menschen unerträgliche Meinungen frei geäußert werden dürfen. Denn das gehört zum Wesen einer freiheitlichen Gesellschaftsordnung.

Es ist allerdings zu befürchten, daß dieses Verfahren völlig anders laufen wird. Allein schon die Tatsache, daß der Sachverhalt zu einer Anklage und ihrer Zulassung bei Gericht geführt hat, läßt Schlimmes befürchten. Auch die Juristen denken nicht im luftleeren Raum, sondern sind Kinder ihrer Zeit und von deren Vorstellungen geprägt. War das in früheren Jahrhunderten die Religion, so ist dies heute die Weltanschauung. Die Ideologie von Liberalität und Toleranz beherrscht das Denken unserer und der nachfolgenden Generation. Wir sind mit dem Dogma groß geworden, daß die Freiheit des Menschen grenzenlos ist. Sich in jeder Hinsicht ausleben zu dürfen, erscheint als Quintessenz der Freiheitsrechte unserer Verfassung. Selbstverständlich gehört auch die Freiheit, sein Geschlechtsleben so zu gestalten, wie es einem beliebt, zu den nicht hinterfragbaren Grundrechten. Allerdings doch nur soweit, als nicht die Grundrechte anderer beeinträchtigt werden. Die sexuelle Belästigung anderer steht zu Recht unter Strafdrohung, was für den Exhibitionismus genauso gilt wie für die Vergewaltigung. Die Freiheitsrechte schützen eben nicht das Ausleben jedweder sexuellen Neigungen. So ist es heute völlig unstrittig, daß nach Jahrhunderten der strafrechtlichen Verfolgung homosexueller Menschen nunmehr auch für sie gilt, was für alle anderen Menschen gilt.

Die moderne Zivilreligion

Eine völlig andere Frage ist es jedoch, wie der Staat familiäre Beziehungen regelt, etwa Ehe und Adoption. Sexuelle Beziehungen einerseits und gesetzlich geregelte familiäre Verhältnisse andererseits mögen zwar Überschneidungen aufweisen, sind jedoch grundsätzlich unterschiedliche Lebenssachverhalte, die nicht denknotwendig kausal verknüpft sind. Deswegen sind zum Beispiel sexuelle Beziehungen außerhalb der Ehe fraglos normal. Das war ja nicht immer so. In früheren Jahrhunderten gebot eine allmächtige Kirche die Eheschließung vor der Aufnahme sexueller Beziehungen, von allen anderen Beschränkungen des Privatlebens in dieser Hinsicht einmal ganz abgesehen. Heute indessen scheint es umgekehrt zu sein. Die alles beherrschende Vorstellung von einem Menschenrecht auf „anything goes“ gebietet mit der gleichen Strenge, wie sie einst religiösen Geboten eigen war, die unbegrenzte Toleranz, ja sogar Akzeptanz als gleich in jeder Hinsicht. Zwar verlangt der Gleichheitssatz in Art. 3 des Grundgesetzes nur, Gleiches gleich und Ungleiches ungleich zu behandeln. Indessen gilt es als menschenrechtswidrig, biologische Unterschiede zwischen den Menschen überhaupt nur anzusprechen, wie es zur Zeit die unsägliche Rassismusdebatte zeigt. Das gilt natürlich auch für sexuelle Veranlagungen und deren  Auswirkungen auf die Rechtsstellung, zumal es in weiten Kreisen der Bevölkerung inzwischen schon zum Glaubenssatz geworden ist, daß es nicht etwa sexuelle Veranlagungen, sondern nur willentlich gesteuerte sexuelle Neigungen gibt, und es somit hier keine Ungleichheit unter den Menschen mit unterschiedlichen sexuellen Neigungen geben kann.

Diese Vorstellungen werden mit der gleichen  Inbrunst propagiert und durchgesetzt, wie seinerzeit religiöse Vorstellungen, auch solche von der Gestalt der Erde und dem Sexualleben der Menschen. Wer etwa Zweifel daran äußert, daß die Ehe von gleichgeschlechtlichen Menschen ein gesellschaftlicher Fortschritt ist, weil er etwa meint, daß sexuelle Beziehungen zwischen Männern und Frauen zwar das gleiche wie solche zwischen Männern und Männern bzw. Frauen und Frauen, aber nicht dasselbe sind, weil nur die erstgenannten zur Gründung einer Familie im hergebrachten Sinne mit gemeinsamen Kindern der Eheleute führen können, der muß sich heute der sogenannten Homophobie zeihen lassen und steht im gesellschaftlichen Abseits. Thesen wie die des Professors Kutschera lösen demgemäß öffentliche Empörung aus. Haben solche Abweichungen vom Glauben einen Giordano Bruno noch auf den real lodernden Scheiterhaufen gebracht, so bringen sie den Ketzer heute auf den virtuellen Scheiterhaufen der gesellschaftlichen Verfemung. Da nimmt es nicht wunder, daß dann auch die Konsequenz der strafrechtlichen Verfolgung eintritt. Denn, wie gesagt, auch Juristen sind Kinder ihrer Zeit. Und so wird dem mutigen Professor zwar nicht der Scheiterhaufen drohen, auch nicht der lebenslange Hausarrest. Man wird ihn auch nicht zum Widerruf zwingen können. Es ist jedoch zu befürchten, daß am Ende eine strafrechtliche Verurteilung und damit gesellschaftliche Ächtung einer unbequemen wissenschaftlichen Meinung stehen wird. Jedenfalls wird Ulrich Kutschera in guter Gesellschaft sein. Im Laufe der Jahrhunderte sind Giordano Bruno und Galileo Galilei von verfemten Außenseitern zu wissenschaftlichen Ikonen geworden. Ob dies bei Ulrich Kutschera ebenso sein wird, werden spätere Generationen entscheiden.


 


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