Der Führer hat Sie zum Tode verurteilt

Aiman al Sawahiri, Nachfolger Osama bin Ladens als Anführer der Terrororganisation Al Kaida, wurde nun wie sein Vorgänger auf Befehl des amerikanischen Präsidenten getötet. Der amerikanische Präsident und die amerikanische Presse erklären dies natürlich als gerechte Strafe für einen Terroristenanführer. In Europa sind die Reaktionen gemischt, es überwiegt jedoch die Genugtuung über den Tod des Mannes, an dessen Händen zweifellos Blut klebte, sehr viel Blut. Auch ich kann diesem Verbrecher keine Träne nachweinen. Indessen ist bei allem Abscheu vor der Person al Sawahiri und seinen Untaten doch die Frage zu stellen, ob hier alles mit rechten Dingen zugegangen ist.

Verbrecher werden von Gerichten abgeurteilt

Ein Gerichtsverfahren gegen den Terroristenchef gab es nicht. Dazu hätte man ja erst einmal dieses Verbrechers habhaft werden müssen. Auch in den USA ist ein Strafverfahren in Abwesenheit nur dann zulässig, wenn der Angeklagte zustimmt. In einem Verfahren wegen Mordes ist das nicht vorstellbar. Dennoch haben die USA wie im Falle Osama bin Laden für sich das Recht in Anspruch genommen, den Terroristenanführer zu liquidieren. Die USA berufen sich im wesentlichen darauf, mit Al Kaida im Kriegszustand zu leben. Deswegen sei der Führer der gegnerischen Kriegspartei natürlich auch juristisch ein ein legitimes Ziel der eigenen Waffen. Im Kriege Kombattanten zu töten, ist eben rechtens. Doch erhebt sich hier schon die Frage, ob das richtig sein kann. Wir sprechen ja in der Auseinandersetzung mit dem internationalen Terrorismus von einer asymmetrischen Kriegführung. Wir haben auf der einen Seite Terrororganisationen, denen die völkerrechtliche Zuordnung Kriegspartei wohl schwerlich gerecht wird, letztendlich aber jedenfalls bei gewisser Intensität der Kampfhandlungen zutreffend ist. Denn selbst dann, wenn man von Rechts wegen den Kampf gegen den Terrorismus als polizeiliche Aufgabe ansieht, schlägt das bei gewisser Quantität und Qualität schon in Kriegführung um. Das war wohl der Fall, als man sich nach dem 11. September 2001 entschlossen hatte, die Terrororganisation Al Kaida militärisch anzugreifen und auszuschalten. Indessen ist der Krieg in Afghanistan seit geraumer Zeit beendet. Der Rechtfertigungsgrund der Kriegshandlung, der jede ansonsten rechtswidrige Tötung im Kriegsfalle legalisiert, kann hier nicht mehr angeführt werden. Der Anführer der feindlichen Terrororganisation fällt gewissermaßen vom Status des Kriegsherrn auf den Status des Kriminellen zurück, und das ist eine Sache für Polizei und Justiz. Dann muß man ihn sich eben holen, und wenn das auch schwierig sein mag. Ein Auslieferungsantrag an die afghanischen Behörden wäre ja wohl kaum zielführend gewesen. Doch wen man per Drohne liquidieren kann, den kann man wohl auch gefangen nehmen, auch wenn das in einem fremden Land nicht einfach ist. Wozu hat man aber etwa die Navy Seals? Das wäre wohl auch völkerrechtlich nicht unproblematisch gewesen, aber bei weitem keine derartig krasse Mißachtung des Rechts wie im vorliegenden Fall. Und wenn das nicht möglich ist, dann stößt eben das Recht an seine Grenzen. Damit müssen wir ja auch sonst leider häufig leben. 

Staatlicher Mord ist eben auch Mord

Soweit erkennbar, ist auch in Deutschland die Rechtsauffassung insoweit eindeutig. Als Beispiel kann herangezogen werden der Fall Berlin-Tiergarten, in dem ein Georgier offensichtlich auf Befehl des russischen Präsidenten Putin von einem Agenten erschossen wurde. Nach deutschem Recht war das schlicht ein Mord. Und so wurde der Fall vom zuständigen Berliner Kammergericht auch behandelt. Keine Rolle kann dabei spielen, ob das Opfer dieses Mordes sich seinerseits möglicherweise in Russland oder überhaupt gegen den russischen Staat strafbar gemacht hat. Sollte das der Fall gewesen sein, hätte er dort juristisch zur Verantwortung gezogen werden müssen.

Der Starke ist am mächtigsten allein (Hitler), was kümmert ihn das Recht?

Indessen sind das sehr theoretische Überlegungen. Wo kein Kläger, da kein Richter. Es ist absolut unvorstellbar, daß etwa der amerikanische Präsident von irgend einem Gericht auf dieser Erde für den Mordbefehl verurteilt werden könnte, ebensowenig der russische Präsident für den Fall des Tiergarten-Mordes. Das hat ja auch eine lange Tradition. Napoleon wurde für den Justizmord an den elf Schill’schen Offizieren am 16.09.1809 ebensowenig verurteilt wie Stalin für die auf seinen Befehl geführten Schauprozesse mit bereits zuvor feststehenden Todesurteilen und deren Vollstreckung. Stalin indessen fand den Tod vermutlich von Mörderhand, wobei man von einem weiteren Scheusal der Geschichte als Täter ausgeht (Berija). Bei Napoleon wäre eine Anklage und Verurteilung nach Waterloo sogar möglich gewesen. Doch niemand hat ihn angeklagt. Wie schwer in solchen Fällen auch der Nachweis der persönlichen Verantwortung des jeweiligen Herrschers ist, zeigte auch der Mordfall Kashoggi vom 02.10.2018. Alle Welt geht davon aus, daß der saudische Kronprinz Mohammed bin Salman den Mord befohlen hat. Im Gerichtsverfahren war davon jedoch keine Rede. Vielmehr leitete der Kronprinz die Ermittlungen selbst, womit gewährleistet war, daß seine Rolle in diesem Kriminalfall auf keinen Fall ausgeleuchtet werden würde.

Man kann sich auch nicht vorstellen, daß etwa der chinesische, der nordkoreanische oder etwa der weißrussische Diktator für irgend einen Mord an einer unliebsamen Person, und sei es als Vollstreckung eines Gerichtsurteils getarnt- was man gemeinhin Justizmord nennt -, zur Verantwortung gezogen werden könnte.

Das Staatsinteresse steht eben über dem Recht

Wer die absolute Macht in Händen hat, den interessieren Rechtsfragen nicht. Da findet sich dann der politische Gegner vor dem Erschießungskommando wie seinerzeit die von Hitler persönlich aus einer Liste ausgewählten sechs SA Führer am 30.06.1934 und hört vom Leiter des Exekutionskommandos die Erläuterung: „Der Führer hat Sie zum Tode verurteilt!“ Die moderne Art der Exekution per Drohne und Rakete aus heiterem Himmel macht eine solche Erläuterung entbehrlich. Man steht ja nicht vor einem Exekutionskommando, sondern ahnungslos auf seinem Balkon. Vielleicht ist das ja sogar humaner als der klassische Justizmord.

Als Konstante der Weltgeschichte müssen wir wohl ansehen, daß ab einer gewissen Höhe der Macht das Recht keine Rolle mehr spielt. Das wussten bekanntlich schon die alten Römer. Quod licet iovi, non licet bovi.

Ein Gedanke zu „Der Führer hat Sie zum Tode verurteilt

  1. Frank Abels

    Am 20.04.1939 fand in Berlin „Unter den Linden“ eine Parade zu Hitlers 50.Geburtstag statt. Der britische Geheimdienst hatte gegenüber der
    Hitler Tribüne im oberen Geschoss eines Hauses zwei Scharfschützen
    postiert und meldete nach London diesen Tatbestand. Churchill verbot die Tötung Hitlers weil er sich nicht durch einen Mord mit der britischen Nation ins Unrecht setzen wollte. Quelle: Bertold, 42 Attentate auf Adolf Hitler, Berlin 2007

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