Woran es wirklich gelegen hat, daß es diesmal zu Silvester in Köln auf der Domplatte einigermaßen zivilisiert zugegangen ist, wollen wir einmal offen lassen. Vor allem, ob dazu die Kölner Polizei mit ihrem Aufruf an das feierlustige Volk, doch bitte friedlich zu bleiben und sich ordentlich zu benehmen, maßgeblich beigetragen hat. Vor allem auch inwieweit es dazu wirklich hilfreich war, diesen Aufruf auch auf Arabisch zu verbreiten. Das wird auch vermutlich niemanden mehr interessieren, denn das Aufregerthema in diesem Zusammenhang ist heuer der Zornausbruch einer Politikerin, die über die sozialen Medien folgenden Text verbreitete:
„Was zur Hölle ist in diesem Land los, wieso twittert eine offizielle Polizeiseite auf Arabisch? Meinen Sie, die barbarischen, muslimischen, gruppenvergewaltigenden Männerhorden so zu besänftigen?“
Das hat nun einen Proteststurm der „guten“ Deutschen nach sich gezogen, der seinen Niederschlag in hunderten von Strafanzeigen gegen die Dame gefunden hat, wobei auch die Kölner Polizei selbst Strafanzeige erstattet haben soll. Denn es handle sich bei ihrer Äußerung um eine Straftat gemäß § 130 StGB – Volksverhetzung. Wie man inzwischen auch anderweitig lesen kann, sind sogar manche Juristen der Meinung, hier sei der Straftatbestand der Volksverhetzung erfüllt. Wir wollen das einmal näher untersuchen.
Der Grundtatbestand des § 130 Abs. 1 StGB lautet:
„Wer in einer Weise, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören,
- gegen eine nationale, rassische, religiöse oder durch ihre ethnische Herkunft bestimmte Gruppe, gegen Teile der Bevölkerung oder gegen einen einzelnen wegen seiner Zugehörigkeit zu einer vorbezeichneten Gruppe oder zu einem Teil der Bevölkerung zum Haß aufstachelt, zu Gewalt-oder Willkürmaßnahmen auffordert oder
- die Menschenwürde anderer dadurch angreift, daß er eine vorbezeichnete Gruppe, Teile der Bevölkerung oder einen einzelnen wegen seiner Zugehörigkeit zu einer vorbezeichneten Gruppe oder zu einem Teil der Bevölkerung beschimpft, böswillig verächtlich macht oder verleumdet,
wird mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.“
Es muß also zunächst einmal geprüft werden, ob die inkriminierte Äußerung sich auf eine abgrenzbare Gruppe oder einen Teil der Bevölkerung bezieht. Das ist hier zumindest sehr zweifelhaft. Objekt der Äußerung sind „Männerhorden“, die mit den Adjektiven „barbarisch, muslimisch und gruppenvergewaltigend“ gekennzeichnet werden. Wer das konkret sein könnte, ist aus der Äußerung selbst nicht mit hinreichender Sicherheit zu entnehmen. Natürlich kommt dem Leser dieser Zeilen dabei in den Sinn, daß in der Silvesternacht 2016 in großem Umfang Sexualdelikte gegen eine Vielzahl von Frauen durch eine näher nicht eingrenzbare Zahl von Tätern vorwiegend aus dem nordafrikanischen Raum verübt worden sind. Darauf hebt die Politikerin auch ab. Nachdem aber offensichtlich auch nur ein Teil dieser Straftaten überhaupt angezeigt worden ist, und auch nur ein Teil der verdächtigen Personen überhaupt polizeilich überprüft werden konnte, von der Einleitung von Strafverfahren, noch mehr aber der rechtskräftigen Verurteilung ganz abgesehen, erscheint mir schon das Tatbestandsmerkmal eines abgrenzbaren Personenkreises bzw. eines abgrenzbaren Teiles der Bevölkerung nicht erfüllt zu sein.
Des weiteren verlangt das Gesetz, daß mit der inkriminierten Äußerung gegen diese abgrenzbare Gruppe zum Haß aufgestachelt oder gar zu Gewalt- oder Willkürmaßnahmen aufgefordert wird. Dabei ist jedoch schon wegen der notwendigen Bestimmtheit des erfüllten Tatbestandes (nulla poena sine lege stricta) die inkriminierte Äußerung restriktiv dahingehend auszulegen, daß ihr Sinn ermittelt wird und dann, wenn die Äußerung mehrdeutig ist, sie eben nicht in dem Sinne verstanden werden darf, der zur Strafbarkeit führt. Für für Meinungsäußerungen gilt dies im Lichte des Artikels 5 Abs. 1 des Grundgesetzes erst recht ( Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 4. Februar 2010, Aktenzeichen 1 BvR 369-371/04). Im vorliegenden Falle ist die Äußerung der Politikerin zwanglos dahingehend auszulegen, daß sie den Aufruf der Polizei gerade an Täter aus dem Spektrum, welches ein Jahr zuvor in Köln derart negativ in Erscheinung getreten war, für ungeeignet hält, ausgerechnet solche Leute zu einem anständigen und vor allem straffreien Verhalten zu bewegen. Gleiches gilt auch im Hinblick auf die zweite Alternative der Vorschrift, welche die Menschenwürde der angesprochenen Gruppen oder Teilen der Bevölkerung schützt.
Darüber, ob die Äußerung auch geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören, muß nicht mehr gesprochen werden. Der ist sowieso heutzutage ziemlich gestört. Die Ursache dafür liegt weniger bei denen, welche die Zustände in unserem Land kritisieren, als bei denen, die diese Zustände zu verantworten haben, um einmal in das Sprachmuster unserer Kanzlerin zu wechseln. Als einer von denen, die schon länger hier leben, darf ich das doch?
Um auch an konkret entschiedenen Fällen einmal darzustellen, was alles nicht nach § 130 Abs. 1 StGB strafbar ist, will ich einige davon vorstellen:
Der oben zitierten Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts lag zugrunde, daß Demonstranten im Sommer 2002 mit Plakaten und Spruchbändern auftraten, auf denen unter anderem zu lesen war: „Aktion Ausländer Rückführung: Aktionswochen 3. Juni bis 17. Juni 2002. Für ein lebenswertes deutsches Augsburg. Augsburger Bündnis – Nationale Opposition.“ Das fällt eben nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts in den Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 GG – Meinungsfreiheit. Überhaupt läßt das Bundesverfassungsgericht in diesem Bereich auch überspitzte, abwertende und teils recht unappetitliche Äußerungen zu. Die Werteordnung des Grundgesetzes verlangt eben von jedem Bürger, auch Meinungen lesen und hören zu müssen, die ihm zuwider sind. Denn die Meinungsfreiheit ist nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts für eine Demokratie schlechthin konstituierend.
Der Bundesgerichtshof hatte einen Fall zu entscheiden, in welchem der Angeklagte mit dem Aufruf an die Öffentlichkeit gegangen war: „Deutsche wehrt euch gegen Überfremdung, Islamisierung und Ausländerkriminalität!“ Anders als die Staatsanwaltschaft bewertete der Bundesgerichtshof das nicht als Volksverhetzung im Sinne von § 130 Abs. 1 StGB und sprach mit Urteil vom 20.9.2011 den Angeklagten frei (Az.: 4 StR 129/11).
Am Tatbestandmerkmal der Bestimmbarkeit der verbal angegriffenen Gruppe scheiterte die Anklage gegen einen Veranstalter, der das ganz sicher unappetitliche und ungehörige Lied „Ausländerhure“ einer rechtsextremen Musikgruppe namens „Kraftschlag“ abgespielt hatte. (BGH, Beschluß vom 14. April 2015, Az.: 3 StR 602/14)
Der Angeklagte des nun vorgestellten Falles hatte T-Shirts hergestellt und vertrieben, die unter der in weißen Großbuchstaben gehaltenen Überschrift „REFUGEES“ mittig ein Piktogramm zeigten, welches links eine auf dem Boden kniende Person zeigte. Rechts von dieser war eine stehende Person abgebildet, die ihre rechte Hand auf den Kopf der knienden Person ablegte und in der erhobenen linken Hand einen spitzen Gegenstand hielt. Neben der stehenden Person stand diagonal angeordnet weiter in roten Großbuchstaben das Wort „NOT“. Unterhalb des Piktogramms endete das Druckmotiv mit dem ebenfalls in weißen Großbuchstaben gehaltenen Wort „WELCOME“. Deswegen hatten Amtsgericht und Landgericht den Angeklagten wegen Volksverhetzung gemäß § 130 Abs. 1 Nr. 1 StGB verurteilt. Auf die Revision des Angeklagten hob das Oberlandesgericht Celle mit Beschluß vom 27.10.2017 diese Entscheidungen auf sprach den Angeklagten frei. Es lohnt sich, aus der Entscheidung zu zitieren, die nach dem Hinweis auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu Art. 5 Abs. 1 GG ausführt:
„Nach diesen Maßstäben liegt – entgegen der Wertung des Berufungsgerichts – kein Fall vor, in dem bei der vorzunehmenden Gesamtbetrachtung der Äußerungsgehalt ausschließlich oder zumindest als unabweisbar aufdrängende Schlußfolgerung als ein Angriff auf unmittelbar gegen die in Deutschland lebenden Flüchtlinge gerichtet ist. Schon ungeachtet der weiteren Begleitumstände ist fraglich, inwieweit die gestalterische Darstellung des Motivs selbst einen eindeutigen Richtungsbezug erkennen läßt. So stellt das Landgericht zwar zutreffend darauf ab, daß die bildliche Darstellung eine unmittelbar bevorstehende Hinrichtungsszene verkörpert und eine anderweitige Deutung fernliegt. Gleichwohl läßt sich daraus nicht zwangsläufig die festgestellte Angriffsrichtung in Richtung des als „Refugees“ bezeichneten Personenkreises erkennen. So geht das Berufungsgericht schon nicht auf den Umstand ein, daß das neben dem Piktogramm befindliche Wort „NOT“ sich sowohl farblich als auch gestalterisch durch eine kursive sowie leicht diagonal angeordnete Schreibweise von der verbleibenden Textpassage abhebt. Hierdurch werden beim Betrachter zwangsläufig unterschiedliche Interpretationsmöglichkeiten eröffnet, die einem eindeutigen Aussageverständnis entgegenstehen. So läßt sich der Aussageinhalt auch dahin begreifen, daß Flüchtlinge dem Grunde nach willkommen geheißen werden, der Ausübung von Gewalt (beispielhaft angedeutet durch die vorbezeichnete Hinrichtungsszene) jedoch entgegengetreten werde. Der Aussageinhalt läßt dabei weiter Raum, ob die dargestellte Exekution einzelnen gewaltbereiten Flüchtlingen selbst oder Handhabung in ihren Herkunftsgebieten zugeschrieben wird..“
Diese Beispiele sollten genügen. Es ist schlechterdings nicht vorstellbar, daß gegen die zitierte Politikerin ein Strafverfahren wegen Volksverhetzung eingeleitet wird. Allerdings ist es nun einmal in Deutschland so, daß wohl nicht jeder sagen darf, was er denkt, vorausgesetzt es handelt sich um Politiker der AfD, wie im vorliegenden Falle. Denn es handelt sich bei der angesprochenen Politikerin um die Abgeordnete des Deutschen Bundestages Beatrix von Storch, bekanntermaßen eine führende Politikerin jener Partei. Aus der Sicht des linken Spektrums in unserem Lande handelt es sich dabei ohnehin um eine Ausgeburt der Hölle. Aus der Sicht der Unionsparteien und der FDP zumindest um politische Schmutzkonkurrenz. Deswegen erhebt sich jedes Mal ein Geschrei, wenn Politiker dieser Partei sich zu kontroversen politischen Themen äußern. Vor allem, wenn es um die Flüchtlingspolitik geht, in welcher ja allein die AfD eine grundsätzlich andere Position vertritt, als die übrigen Parteien. Und das wird regelmäßig als mindestens unanständig, wenn nicht gar Volksverhetzung bewertet. Da wundert es dann nicht, wenn selbst bei manchen Juristen das Denkvermögen aussetzt und die Emotion die Oberhand gewinnt. Beispielhaft erinnern wir hier an den inzwischen pensionierten Vorsitzenden Richter des 2. Strafsenats beim Bundesgerichtshof, Prof. Dr. Thomas Fischer, seines Zeichens unter anderem Verfasser des Standardkommentars zum Strafgesetzbuch aus dem Beck-Verlag. Wegen der bekannten Äußerung des Herrn Dr. Gauland über die Ausländerbeauftragte der Bundesregierung, Frau Özoguz, die man seiner Meinung nach erst nach Thüringen schicken und dann nach Anatolien entsorgen solle, hat Herr Fischer Strafanzeige wegen Volksverhetzung erstattet. Hält man sich an seine Kommentierung des § 130 StGB, dann kann dieser Strafanzeige kein Erfolg beschieden sein. Doch wie gesagt, politische Leidenschaften beeinträchtigen das Denkvermögen.
Einen Maulkorb muß sich in Deutschland glücklicherweise bisher niemand anlegen lassen. Die einschlägigen Versuche des Zensurministerleins Heiko Maas, dies jedenfalls im Bereich der sozialen Medien zu tun, werden mit Sicherheit vom Bundesverfassungsgericht unterbunden werden. Dieser merkwürdige Jurist wird späteren Generationen ohnehin nur als Kuriosum der deutschen Rechtsgeschichte in einer Fußnote begegnen.