Zu den Standardargumenten von linken Pazifisten wie auch bürgerlichen Bundeswehrverächtern gehörte während des Kalten Krieges die Behauptung, Deutschland benötige eigentlich keine Armee, auf gar keinen Fall die Wehrpflicht. Denn die äußere Sicherheit werde allein durch die Atomwaffen der USA garantiert. Ich selbst habe von solchen Argumenten nie etwas gehalten. Bestätigt wurde ich in meiner Einschätzung fünf Jahre nach dem Zusammenbruch des Warschauer Paktes. Und zwar aus erster Hand.
Zu Besuch in der Vergangenheit
Im Mai 1994 nahm ich in meiner damaligen Eigenschaft als Kommandeur eines nichtaktiven Pionierbataillons der Bundeswehr an einer Kommandeurtagung meiner Truppengattung teil. Für Nichtmilitärs: Unter nichtaktiven Truppenteilen versteht man solche, deren Waffen und Gerät vorhanden, deren Soldaten indessen als Reservisten nicht präsent sind, sondern bei Bedarf einberufen werden. Im sogenannten Kalten Krieg bis zum Zusammenbruch des Warschauer Paktes verfügte die Bundeswehr über derartige nichtaktive Truppenteile in großem Umfang, dazu über Personalersatz für die präsenten, aktiven Truppenteile, so daß zu den ständig präsenten mehr als 500.000 aktiven Soldaten rund 700.000 gut ausgebildete Reservisten kamen. Das ist heute ganz anders. Noch mehr als die aktive Truppe ist die Reserve zusammengeschrumpft. Dies liegt vor allem an der Aussetzung der Wehrpflicht seit 2011. Ohne deren Wiederaufleben wird eine die effiziente Landesverteidigung erst ermöglichende Schaffung von nichtaktiven Truppenteilen zur Ergänzung der präsenten Armee nicht möglich sein.
Der ehemalige Feind und heutige Kamerad berichtet
Diese Kommandeurtagung fand auf dem Truppenübungsplatz Klietz statt, zwischen Elbe und Havel teils in Sachsen-Anhalt, teils in Brandenburg gelegen. Dieser Übungsplatz ermöglicht wegen seiner geographischen Lage unter anderem das Üben des taktisch außerordentlich anspruchsvollen Angriffs über Gewässer, natürlich auch die Verteidigung dagegen. Das war seine Hauptfunktion für die Streitkräfte des Warschauer Paktes. So berichtete es mir der damalige stellvertretende Kommandant dieses Übungsplatz, der noch wenige Jahre zuvor als Oberstleutnant der NVA Kommandant, und nunmehr als Major der Bundeswehr eben stellvertretender Kommandant dieses Truppenübungsplatzes war. Jedes Jahr habe es eine Großübung von Truppen der NVA, der Roten Armee und weiterer Bündnisarmeen dort gegeben. Geübt worden sei jeweils der Angriff von Osten nach Westen, zunächst über die Havel, und dann über die Elbe. Das sei in kleinem Maßstab die Darstellung des Angriffs auf die NATO über die Elbe und dann über den Rhein gewesen. Dieses Manöver war offenbar jeweils so wichtig, daß es von prominenten Politikern und Generälen des Warschauer Paktes beobachtet wurde. Allerdings hätte der leitende General dieses Manövers jedes Mal am Ende den anwesenden politischen und militärischen Führern des Warschauer Paktes gemeldet, daß das Übungsziel nicht erreicht worden sei. Denn bei realistischer Annahme der Stärke und Gefechtsführung des Feindes sei man auch dieses Mal wieder zu dem Ergebnis gekommen, daß, so wörtlich, „es nicht geht“.
Wir haben alles richtig gemacht
Das war in die Tat die Bestätigung dessen, daß die NATO so stark war, daß sie einem konventionellen Angriff der Truppen des Warschauer Paktes standhalten konnte. Weil in dem geübten Szenario als Problemlösung die nukleare Option nicht beinhaltet war, konnte ich daraus nur schließen, daß diese Option von den Generälen des Warschauer Pakts seinerzeit nicht wirklich als realistisch angesehen worden war. Was jahrzehntelang in Deutschland von sich für klug und gut informiert haltenden Zeitgenossen belächelt worden war, erwies sich tatsächlich als erfolgreiche Abschreckung. Und auch als die historisch zum gefühlt tausendsten Male aufs Neue bestätigte römische Erkenntnis: si vis pacem, para bellum.