Helmut Kohl wurde mitte der achtziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts dafür gescholten, daß er seine und die folgenden Generationen der Deutschen von einer Mitschuld an den Verbrechen der Nationalsozialisten freisprach, indem er auf die schlichte Tatsache hinwies, daß eine Verantwortung dafür doch nur denen zugeschrieben werden kann, die damals bereits erwachsen waren, und somit wenigstens in Grenzen Einfluß auf die Politik des Landes nehmen konnten. Natürlich paßte das nicht in das Weltbild derjenigen, die im Nationalsozialismus eine Ausprägung des sogenannten deutschen Sonderweges in der Geschichte sahen und heute noch sehen, der eben von Friedrich dem Großen über Bismarck zwangsläufig zu Hitler geführt haben soll. Und daraus entstand eben das Narrativ von der ewigen Schuld der Deutschen. Daß dieses Narrativ gewissermaßen zum Glaubensbekenntnis des deutschen Juste Milieu in den Universitäten, Redaktionsstuben und politischen Parteien geworden ist, gehört zu den Gewissheiten der Gegenwart wie der Klimawandel (unabhängig von seinen Ursachen), das Corona-Virus und der islamische Terrorismus.
Die Erklärung der Deutschen Bischofskonferenz zur „Mitschuld“ im II. Weltkrieg
Die katholische Kirche ist eine ehrwürdige Institution. Zu ihren Wesensmerkmalen gehört, daß sich Änderungen in ihr nur sehr, sehr langsam vollziehen. Man sagt, sie denke in Jahrhunderten. Und deswegen ist es nicht weiter verwunderlich, daß sie nun 75 Jahre nach dem Ende der NS-Herrschaft, ihre „Mitschuld“ am Krieg erkannt haben will. Denn das oberste Leitungsgremium der katholischen Kirche in Deutschland, die Deutsche Bischofskonferenz, hat in einer Erklärung zur Position der katholischen Bischöfe im Zweiten Weltkrieg eine „Mitschuld der Kirche“ eingeräumt. „Bei aller inneren Distanz zum Nationalsozialismus und bisweilen auch offenen Gegnerschaft war die katholische Kirche in Deutschland Teil der Kriegsgesellschaft“, erklärte der Bischof von Hildesheim Heiner Wilmer während einer Pressekonferenz in der vergangenen Woche. „Indem die Bischöfe dem Krieg kein eindeutiges ‚Nein‘ entgegenstellten, sondern die meisten von ihnen den Willen zum Durchhalten stärkten, machten sie sich mitschuldig am Krieg“, heißt es weiter in dieser Verlautbarung. Und sein Amtsbruder aus Limburg Georg Bätzing klagt darüber, daß der 8. Mai 1945 in Deutschland lange Zeit als Tag der Niederlage verstanden worden sei. Die Deutschen hätten „wie nie zuvor selbst die Folgen des von ihrem Land verursachten Krieges erleben“ müssen als „Besatzung, als Hungersnot und vor allem als massenhafte Flucht und Vertreibung aus den östlichen Gebieten.“ Dagegen mahnte er an: „Auch wir sind befreit worden.“ Es sei deshalb erfreulich, daß „der deutsche Staat und weite Teile der Öffentlichkeit den 8. Mai in diesem Geist begehen.“
Nostra culpa, nostra maxima culpa
Bischof Bätzing meint weiter, daß dieses Dokument der Deutschen Bischofskonferenz einem „Schuldbekenntnis“ gleichkomme, wobei natürlich Erinnerungen an das Schuldbekenntnis der evangelischen Kirche gleich nach dem Kriege aufkommen. Die Bischöfe kritisieren das Verhältnis der katholischen Amtskirche zum Nationalsozialismus. Das damalige Handeln der Kirche habe unter anderem an der „traditionellen Lehre vom gerechten Krieg“, einer gesellschaftlichen Akzeptanz des Militärischen, dem Verhältnis von Kirche und Nation und der „grundlegenden Ablehnung des Kommunismus“ gelegen. Die Seelsorge im Dritten Reich habe vor allem dem eigenen Volk gegolten, während die „Leiden der Anderen“ aus dem Blick geraten seien. Da ist natürlich seine Warnung nicht überraschend, daß sich „der alte Ungeist der Entzweiung, des Nationalismus, des ‚völkischen‘ Denkens und autoritärer Herrschaft“ wieder erhebe. Wer aus der Geschichte gelernt habe, müsse dem mit „größter Entschiedenheit entgegentreten“, das gelte auch besonders für die Kirche.
Ökumenische Schuldsolidarität
Angesichts eines solchen Textes, mit dem man heutzutage als Student der politischen Wissenschaften oder auch der Geschichte in einer Seminararbeit ganz sicher gute Noten bekäme, könnte man spöttisch bemerken, daß nun auch die deutschen katholischen Bischöfe da angekommen sind,wo ihre evangelischen Amtsbrüder bereits am 19. Oktober 1945 in ihrem „Stuttgarter Schuldbekenntnis“ standen und selbstverständlich seither stehen. Und sie stehen damit ganz sicher in der langen Reihe derer, denen es in eigener Wahrnehmung wegen ihrer „späten Geburt“ nicht vergönnt war, mutig gegen das Unrecht aufzustehen um dann als Märtyrer des Glaubens und der Menschenrechte in die Geschichte einzugehen, mehr noch, zur Ehre der Altäre erhoben zu werden. Denn ganz sicher wären sie, hätten sie nur damals bereits gelebt, mutig gegen das Unrecht aufgestanden. Ihnen eignet die Tragik der späten Geburt, was sie niederdrückt. Erheben können Sie sich jedoch über diejenigen, welche die Tatsache ihrer späten Geburt als Gnade empfinden, Gnade deswegen, weil sie eben nicht vor die Existenzfrage Widerstand und Tod oder Gehorsam und Leben gestellt werden konnten.
Doch das greift zu kurz. Natürlich ist es zunächst einmal gegenüber den deutschen Katholiken jener Zeit anmaßend und ungerecht, ihr zweifelsfrei mehrheitlich ablehnendes Verhältnis zum Nationalsozialismus in ein opportunistisches Mitläufertum umzufälschen. Da lohnt sich zunächst einmal ein Blick auf die Fakten:
Wie ist es denn gewesen, um mit Leopold von Ranke zu fragen?
Das Wahlverhalten der Deutschen bei den Reichstagswahlen zeigt deutlich, daß die NSDAP in katholisch geprägten Regionen kaum gewählt wurde. Das zieht sich durch von der ersten Reichstagswahl mit Beteiligung der NSDAP am 4. Mai 1924 bis zur letzten Reichstagswahl am 5. März 1933. Natürlich ging dieses Wahlverhalten zu einem guten Teil auf den Einfluß des Papstes und der deutschen Bischöfe auf das Kirchenvolk zurück. Zu den Wesensmerkmalen der katholischen Kirche gehört von alters her ihr streng hierarchischer Aufbau und daraus folgend eine strikte Glaubensdisziplin. Was von der Kanzel herab gepredigt wurde, war nicht nur in den eigentlichen Glaubensdingen, sondern allgemein verbindlich. Das erstreckte sich auch auf die Politik. Noch in den fünfziger und sechziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts war es üblich, daß katholische Pfarrer von der Kanzel herab nahezu unverblümt die Wahl der Unionsparteien ihren Gläubigen als einzig denkbare Wahl eines Katholiken vorgaben. Das war in den zwanziger und dreißiger Jahren des vergangenen Jahrhunderts mit Sicherheit nicht anders, eher noch ausgeprägter. Und so muß man auch die von allen Kanzeln herab verlesene Enzyklika Pius XI. „Mit brennender Sorge“ als kirchenamtlich verbindliche Stellungnahme zum nationalsozialistischen Regime verstehen. Für jeden Katholiken war damit klar, daß in Deutschland der Antichrist herrschte.
Dabei blieb es nicht. In die Geschichte eingegangen ist der Bischof von Münster, Clemens August Graf von Galen, mit seinen Predigten gegen den Ungeist des NS-Regimes. Das hat ihm seinerzeit den Ehrennamen “ Löwe von Münster“ eingetragen. Daß er sich nicht in die lange Reihe der katholischen Märtyrer jener Zeit einreihen mußte, dürfte nicht zuletzt auf die Fürsprache des populären und von Hitler bewunderten Jagdfliegers Werner Mölders zurückzuführen sein. Bei all seiner Menschenverachtung war der Diktator doch auch bestrebt, populär zu sein, auch wenn er nicht mehr auf Wahlen angewiesen war. Eine Vielzahl von katholischen Geistlichen büßte indessen ihr Eintreten für die Menschenrechte, insbesondere die vom Regime verfolgten Juden, Christen, Dissidenten, aber auch die Opfer der Euthanasie, mit dem Leben. Ca. 160 Diözesanpriester, 60 Ordensmänner, vier Ordensfrauen und 110 Laien fielen den Justizmorden des Regimes zum Opfer. Namen wie Pater Alfred Delp, Dompropst Bernhard Lichtenberg, aber auch der an den Folgen der KZ-Haft gestorbene Pater Rupert Mayer stehen für die Vielzahl der katholischen Geistlichen, die dem Regime die Stirn geboten und dafür mit ihrem Leben bezahlt haben. Nicht zuletzt muß bemerkt werden, daß auch Oberst Graf Stauffenberg Katholik war, was seinem moralischen Kompaß Weisung gab.
Ein Urteil aus berufenem Munde
Albert Einstein, ein Zeitzeuge, an dessen Geisteskraft und Urteilsfähigkeit jene spätgeborenen Bekritteler der katholischen Bischöfe jener Tage nicht entfernt heranreichen, wird im Time Magazin Dezember 1940 mit den Worten zitiert: „Nur die katholische Kirche protestierte gegen den Angriff Hitlers auf die Freiheit und die Menschenrechte. Ich hatte nie ein besonderes Interesse an der Kirche. Jetzt aber fühle ich eine große Liebe und Bewunderung für sie.“
Galten für die Bischöfe damals die moralischen Prinzipien unserer Zeit?
Widerspruch fordert der Vorwurf der Bischöfe an ihre seinerzeitigen Amtsvorgänger heraus, sie hätten dem Krieg kein eindeutiges ‚Nein‘ entgegengestellt, sondern hätten sogar den Willen zum Durchhalten gestärkt. Sie hätten sich an der traditionellen Lehre vom gerechten Krieg, einer gesellschaftlichen Akzeptanz des Militärischen, dem Verhältnis von Kirche und Nation und der grundlegenden Ablehnung des Kommunismus orientiert.
Pflicht zum Widerstand?
Man verlangt also allen Ernstes, die deutschen Bischöfe hätten etwa nach dem 1. September 1939 von der Kanzel herab Hitler auffordern sollen, die Kampfhandlungen einzustellen und den Rückzug aus Polen zu befehlen. Sich also dem Vorwurf der Wehrkraftzersetzung, des Landesverrats und was sonst noch jeder regimetreue Staatsanwalt seinerzeit mit leichter Hand in eine Anklageschrift hätte schreiben können, auszusetzen. Gewissermaßen statuieren die deutschen Bischöfe nun eine Pflicht zum Widerstand. Das läßt sich vom im übrigen gut dotierten Amtsstuhl herab in der Umgebung eines demokratischen Rechtsstaates leicht sagen.
Aus der Zeit gefallene Kritik an der Gesellschaft eines Zeitalters
Völlig unhistorisch ist die Kritik daran, daß die Kirche gegen Ende des Krieges den Willen zum Durchhalten gestärkt habe. Abgesehen davon, daß es wohl zur seelsorgerischen Aufgabenstellung gehört, den Soldaten im Kriege seelischen Beistand zu geben, ganz unabhängig davon, aus welchen politischen Gründen sie Entbehrung, Not und Gefahr ertragen müssen, muß man natürlich danach fragen, welche Alternative denn bestanden habe. Sollten etwa Bischöfe und Priester dazu aufrufen, die Waffen niederzulegen oder zu desertieren? Und ist es nicht absolut unhistorisch, die gesellschaftliche „Akzeptanz des Militärischen“ zu beklagen? In einer Zeit, in der die Uniform in allen Ländern dieser Erde als das „Ehrenkleid der Nation“ bezeichnet wurde und kein König jemals „ohne“ auftrat? Was soll die abfällige Bemerkung über das Verhältnis von Kirche und Nation? War das etwa ebenso wie die Akzeptanz des Militärischen nicht etwa gesellschaftliche Realität in allen Staaten und Völkern jener Zeit? Und was, bitte schön, hat die Deutsche Bischofskonferenz gegen die grundlegende Ablehnung des Kommunismus einzuwenden? War und ist nicht der Kommunismus einer der konsequentesten und grausamsten Feinde der katholischen Kirche? Und was ist daran zu beanstanden, daß die Seelsorge im Dritten Reich vor allem dem eigenen Volk gegolten habe, während die so mitfühlend formulierten „Leiden der Anderen“ aus dem Blick geraten seien? Ist denn etwa der Bischof von Münster nicht erst einmal der Seelsorger der Gläubigen seiner Diözese? Muß er sich nicht etwa in erster Linie ihnen zuwenden? Und sind im übrigen nicht viele katholische Geistliche seinerzeit auch für die sogenannten „Anderen“ eingetreten?
Die Lehre vom gerechten Krieg war auch die Lehre der Kirche
Und nicht zuletzt: war die „traditionelle“ Lehre vom gerechten Krieg seinerzeit nicht schon seit Jahrhunderten die feste Überzeugung nicht nur der Philosophen, Juristen und Politiker, sondern auch der religiösen Autoritäten? Man muß wohl den deutschen Bischöfen in Erinnerung rufen, daß diese Lehre etwa von Augustinus mit Nachdruck vertreten wurde. Seine Gedanken zum gerechten Krieg wurden im Jahre 1140 in die päpstliche Gesetzessammlung „Decretum Gratiani“ aufgenommen und galten für die katholische Kirche verbindlich immerhin bis zum Jahr 1917. Augustinus hat damals immerhin erklärt, wenn die christliche Religion die Kriege überhaupt für sündhaft hielte, so würde das Evangelium den heilsamen Rat geben, die Waffen abzulegen und dem Kriegsdienste durchaus zu entsagen. Das tue es aber nicht, sondern es werde da gesagt: „Es fragten ihn [Jesus] auch Soldaten: ‚Was sollen wir tun?‘ Er sprach zu ihnen: ‚Plündert nicht und erpresst niemand! Seid zufrieden mit eurem Sold!“ (Lk 3, 14). Kann man der Kirche ihr staatstragendes Verhältnis auch zum Militär und Krieg vorhalten, wenn es doch über die Jahrhunderte hin üblich war, die Waffen zu segnen und für den Sieg zu beten? Doch es ist typisch für das Geschichtsverständnis des Juste Milieu unserer Tage, zu dem auch die katholischen Bischöfe unbedingt gehören wollen, die Menschen früherer Zeiten an den moralischen Maßstäben unserer Zeit zu messen, Maßstäben, die sie selbst aufgestellt haben.
Wer die ewigen Wahrheiten gegen den Zeitgeist tauscht, tauscht auch die Ewigkeit gegen die Vergänglichkeit der Zeit
Auch diese Erklärung der Deutschen Bischofskonferenz fügt sich nahtlos in die Zeitgeistgläubigkeit ein, die an die Stelle des Glaubens getreten ist. Doch wer braucht eigentlich eine steuerfinanzierte NGO, die sich wenig für das Seelenheil ihrer Gläubigen, aber sehr viel für modische politische Trends wie Klima, Migration und Genderei interessiert? Die Mitgliedschaft bei den Grünen kostet deutlich weniger als die Kirchensteuer. Und man bekommt dafür das Original und nicht die schlechte Kopie. Vielleicht liegt auch darin eine Erklärung für den rapiden Rückgang der Mitgliederzahlen beider christlichen Kirchen in Deutschland. Wie man sieht, arbeiten die katholischen Bischöfe daran, daß dies so weitergeht.