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Widerstand

Der20. Juli, nicht als bloßes Kalenderdatum, sondern als historischer Begriff für den Widerstand gegen die Hitler-Diktatur, ist wieder einmal ins Gerede gekommen.

Nur kurz ist auf die abwegigen Äußerungen eines offenbar ebenso überehrgeizigen wie historisch und juristisch ungebildeten  Studenten einzugehen, wonach Stauffenberg nur ein Verräter gewesen sei, der nichts anderes gewollt habe, als seine Haut zu retten. Das ist so abwegig, daß man dem jungen Mann nur raten kann, sich erst einmal intensiv mit der  Geschichte des Widerstandes, vor allem des militärischen Widerstandes, zu befassen. Er wird dann sehr bald feststellen, daß es Stauffenberg und seinen Mitstreitern, aber auch anderen Widerstandskreisen, die ihm eher lose verbunden waren, tatsächlich darum gegangen ist, Deutschland von der Diktatur einer Verbrecherbande zu befreien und dann auf den Trümmern der Diktatur ein neues, sittlich hochstehendes Deutschland zu gründen. Dazu mag der nachfolgende Auszug aus dem von Stauffenberg selbst formulierten Eid ein deutlicher Hinweis sein:

„Wir wollen eine neue Ordnung, die alle Deutsche zu Trägern des Staates macht und ihnen Recht und Gerechtigkeit verbürgt, verachten aber die Gleichheitslüge und beugen uns vor den naturgegebenen Rängen. Wir wollen ein Volk, das in der Erde der Heimat verwurzelt, den natürlichen Mächten nahe bleibt, das im Wirken in den gegebenen Lebenskreisen sein Glück und sein Genüge findet und in freiem Stolze die niederen Triebe des Neides und der Mißgunst überwindet. Wir wollen Führende, die, aus allen Schichten des Volkes wachsend, verbunden den göttlichen Mächten, durch großen Sinn, Zucht und Opfer den anderen vorangehen.“

Ein Zeichen dieses Neubeginns war auch die von dem Widerstandskämpfer Joseph Wirmer entworfene neue deutsche Fahne. In ihrer gestalterischen Anlehnung an die skandinavischen Flaggen mit dem liegenden Kreuz ist sie im übrigen eine ganz deutliche Anspielung auf Deutschland als Teil des christlichen Abendlandes. Deswegen ist es auch abwegig, ausgerechnet dieses Symbol des Widerstandes für neonationalsozialistische Bestrebungen in Anspruch zu nehmen.

Naturgemäß waren Widerstand und Überwindung der Diktatur nur auf gewaltsamen Wege möglich. Daß damit formal Straftatbestände wie Hochverrat und Mord erfüllt werden mußten, lag in der Natur der Sache. Indessen haben sich Stauffenberg und seine Mitverschwörer eben nicht strafbar gemacht. Ihnen stand das Rechtsinstitut des übergesetzlichen Notstandes zur Seite. Das Motiv, Deutschland vom Joch der Diktatur, und von der Herrschaft einer Verbrecherbande  zu befreien, den Weg zum Frieden wenigstens zu suchen und ein neues, besseres Deutschland zu schaffen, der hohe sittliche Ernst, der dies alles begründete, verbunden mit dem persönlichen Mut der Verschwörer, haben sie tatsächlich zu Helden gemacht. Daran kann kein vernünftiger Zweifel bestehen.

Soweit nun neuerdings Stauffenberg für die Europapolitik der Bundeskanzlerin und ihres Kabinetts in Anspruch genommen wird, ist das mehr als kühn, tatsächlich abwegig. Abgesehen davon, daß sich damals niemand ein Gebilde wie die heutige Europäische Union vorstellen konnte, ging es auch den Verschwörern des 20. Juli um ihre Nation. Daß sie diese im historischen und kulturellen Rahmen Europas sahen, und auch anstrebten, mit den europäischen Nachbarn Deutschlands gute Beziehungen zu pflegen, steht auf einem anderen Blatt. Sie deswegen aber für die Merkel’sche Europapolitik in Anspruch zu nehmen, ist einfach nicht zulässig.

Eine Bemerkung noch zum Widerstandsrecht in Art. 20 Abs. 4 des Grundgesetzes. Neuerdings wird diese Verfassungsvorschrift als juristisch mißlungen bezeichnet. Dies deswegen, weil sie ja erst dann greift, wenn auf anderem Wege als durch den Widerstand keine Abhilfe geschaffen und verfassungsmäßige Zustände wiederhergestellt werden können. Natürlich gibt diese Vorschrift keinen gerichtlich einklagbaren Anspruch und läuft von daher erst einmal leer. Indessen kann man diese Vorschrift nur aus ihrer Entstehungsgeschichte interpretieren und einordnen. Sie ist natürlich eine Reaktion auf den 20. Juli 1944. Nicht zuletzt das Fehlen eines bis dahin allgemein anerkannten überpositiven Widerstandsrechts hat dazu geführt, ein positives Widerstandsrecht in der Verfassung zu statuieren. Alleine schon das Vorhandensein einer solchen Verfassungsnorm hat eine psychologische Wirkung dergestalt, daß in einem solchen Falle, dessen Eintritt uns für alle Zeiten erspart bleiben möge, das Gefühl vorherrscht, eindeutig rechtmäßig zu handeln. So hat das Roman Herzog Anfang der Neunzigerjahre im führenden Kommentar zum Grundgesetz ausgeführt. Dieses Widerstandsrecht, so führt dieser hervorragende Kenner der Verfassung, später Präsident des Bundesverfassungsgerichts und dann Bundespräsident, aus, gilt für die Soldaten der Bundeswehr in besonderer Weise. Denn in einem solchen Falle kann seines Erachtens niemand die den Widerstand tragenden Soldaten der Bundeswehr daran hindern, daß sie sich in Ausübung des ihnen nunmehr zugefallenen Widerstandsrechtes der Organisationsform und der Ausrüstung bedienen, die sie bisher besessen haben. Mit anderen Worten: Unsere Verfassung billigt ausdrücklich den militärischen Widerstand ab dem Zeitpunkt, in dem eine Diktatur sich anschickt, die Macht zu ergreifen und die verfassungsmäßigen Rechte der Bürger suspendiert. Diskussionen über die Rechtmäßigkeit des Widerstandes, wie sie nach dem 20. Juli 1944 geführt worden sind, hätten dann auch keine Grundlage mehr. Die Verschwörer müßten sich ja nicht mehr auf einen übergesetzlichen Notstand berufen, sondern könnten auf ihr verfassungsmäßiges Recht zum Widerstand verweisen, auch zum gewaltsamen Widerstand.

Der 20. Juli 1944 gehört ganz sicher zu den politischen, aber auch juristischen Grundlagen der Bundesrepublik Deutschland. Daß andere Völker dieser Erde auf einen glücklicheren Verlauf ihrer Geschichte zurückblicken können, der die Erwähnung des Menschenrechtes auf Widerstand und auch des sittlichen Gebots zum Widerstand in ihren Verfassungen nicht notwendig gemacht hat, ist die eine Sache. Daß wir auf dieses Datum mit einer Mischung aus Trauer um die Opfer jener Diktatur und Stolz auf die Widerstandskämpfer schauen, ist eine andere, aber sicher keine schlechte Sache.