Der 8. Mai 1945 – Die gespaltene Erinnerung

Wer sich zum 8. Mai 1945 äußert, der muß mit unterschiedlichen, teils sehr gegensätzlichen Reaktionen rechnen. Das gilt für jede öffentliche Äußerung zur jüngeren deutschen Geschichte. Soweit sich dies im Rahmen des wissenschaftlichen oder publizistischen Diskurses hält, ist das auch nicht nur normal, sondern zu begrüßen. Die Demokratie lebt davon, daß sachlich diskutiert wird. Indessen fällt es auf, daß die Debatte um historische Tatsachen und noch mehr ihre Bedeutung häufig, leider allzu häufig, nicht sachlich geführt wird. Vielmehr werden Äußerungen, die hinsichtlich der Faktendarstellung oder der Interpretation von Ereignissen nicht dem entsprechen, was man heutzutage den mainstream nennt, in aller Regel nicht sachlich diskutiert, sondern gewissermaßen als Ketzerei gebrandmarkt. Warum das so ist, soll an dieser Stelle nicht vertieft werden. Darüber wird derzeit viel geschrieben.

Es scheint notwendig zu sein, einmal grundsätzlich darzustellen, um was es mir geht. Zunächst einmal ist es völlig klar und muß deswegen nicht stets und ständig erneut dargestellt werden, daß der Nationalsozialismus neben dem Kommunismus eine der übelsten und menschenverachtendsten Ideologien war, die jemals auf dieser Erde vertreten wurden und leider auch für eine Zeit zur Herrschaft gelangt sind. Die monströsen Verbrechen Hitlers und seiner Gefolgsleute stehen wie ein Gebirgsmassiv beherrschend im Hintergrund eines jeden Bildes, das jene Zeit darstellt. Indessen spielen sich vor diesem Hintergrund, um im Bilde zu bleiben, eine Reihe von Dramen ab, die jedes für sich genau betrachtet werden müssen. Daraus erhellt, daß es eben keine Relativierung irgendeines vor dem Betrachter ablaufenden Ereignisses jener Zeit ist, wenn es ebenso wie ein anderes jener Ereignisse geschildert wird. Sie stehen nebeneinander. Mehr nicht.

Genau aus diesem Grunde kann es auch keine Hierarchie der Opfer geben. Das Schicksal des im KZ ermordeten jüdischen Kindes geht mir genauso nahe, wie das Schicksal des Kindes, das im Keller seines Elternhauses durch die Explosion einer amerikanischen Fliegerbombe getötet worden ist. Das Schicksal der italienischen Bäuerin, die als Sühnegeisel erschossen worden ist, geht mir ebenso nahe, wie das Schicksal des jungen deutschen Soldaten, den griechische Partisanen gezwungen haben sich nackt auszuziehen, um ihm dann die Kehle durchzuschneiden. Die Trauer der Eltern des gefallenen deutschen Soldaten ruft ebenso mein Mitgefühl hervor, wie die Trauer der Eltern des gefallenen britischen Soldaten. Das alles halte ich aber für derart selbstverständlich, daß es Im Zusammenhang mit der Schilderung und Bewertung eines historischen Ereignisses nicht eigens erwähnt werden muß. Vielmehr steht das immer im Hintergrund wie das eingangs als Metapher vorgestellte Gebirgsmassiv.

Hinzu kommt, daß jedenfalls in Deutschland im Zusammenhang mit der Schilderung und Bewertung von Ereignissen aus der Zeit des Zweiten Weltkrieges eine schlicht berichtende und nichts verschweigende Darstellung stets als relativierend oder verharmlosend diffamiert wird.

Allerdings halte ich es für notwendig, auch Ereignisse zu schildern, die für gewöhnlich in der Medienlandschaft nicht zu entdecken sind. Auch wenn sicherlich etwa die Zahl der Opfer des Holocaust oder der rassistisch motivierten Liquidierung von Soldaten und Zivilisten in Osteuropa überwiegt, kann eine seriöse Berichterstattung nicht darauf verzichten, auch Kriegsverbrechen der anderen Seite zu beschreiben. Denn die Wahrheit ist unteilbar. Es kann auch nicht darauf verzichtet werden, in jedem Einzelfall die Rechtslage zu untersuchen. Denn das Recht ist ein Wesensmerkmal der Zivilisation. Gerade die Rechtlosigkeit kennzeichnet Regime wie den Nationalsozialismus und den Kommunismus. Die Wirklichkeit kann nicht nur in schwarzer und weißer Farbe gemalt werden, vielmehr überwiegen die Grautöne.

Gerade weil die Verbrechen der Nazis in den gängigen Schilderungen der Zeit des Zweiten Weltkrieges gewissermaßen formatfüllend erscheinen, halte ich es nicht für notwendig, gewissermaßen zum 4322ten mal die gleiche Geschichte zu erzählen. Vielmehr halte ich es für notwendig, auch die weithin nicht bekannten Fakten ebenfalls vorzustellen. Denn wer sich für jene Zeit interessiert, der sollte auch die Chance haben, vollständig informiert zu werden. Nur dann kann er sich auch ein eigenes Bild machen. Nicht umsonst hat diese Internetseite den Untertitel „sapere aude – Habe den Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen“.

Ebenso wird es als revisionistisch oder gar geschichtsverfälschend angesehen, wenn an der alleinigen Kriegsschuld der Deutschen gezweifelt wird. Schon die Benennung von mitursächlichen Verhaltensweisen der Regierungen anderer Länder wird als unzulässige Verdrehung der Wahrheit angeprangert. Die Diskussion in der Sache wird erst gar nicht zugelassen. Selbst wenn lediglich die wirklich unvertretbare Argumentation zurückgewiesen wird, die Deutschen hätten, weil sie den Zweiten Weltkrieg vom Zaun gebrochen und den Holocaust durchgeführt hätten, in Gestalt der Flächenbombardierungen ihrer Städte und der Vertreibung und Ermordung ihrer Landsleute aus den östlichen Teilen ihres Landes nur die gerechte, zumindest erwartbare Strafe erhalten, wird das als Sünde wider den Anstand gewertet. Hatte denn das erwähnte Kind in der Bombennacht etwas mit Hitler zu tun? Und welche Schuld hatte die zu Tode gequälte und vergewaltigte Frau aus Ostpreußen?

Abgesehen davon, daß dies den betreffenden Autoren gegenüber – von Ausnahmefällen natürlich abgesehen – schlicht unanständig ist, wird damit auch die Chance vertan, sich in der Sache auseinanderzusetzen. Was mich betrifft, so bin ich für jede sachliche Kritik dankbar, weil sie grundsätzlich geeignet ist, mir neue Erkenntnisse zu vermitteln. Denn, wie unser höchstes Gericht einmal formuliert hat, ist es der wissenschaftlichen Arbeit – und dazu gehört die Beschäftigung mit der Geschichte ganz sicher auch – wesenseigen, stets neuen Erkenntnissen offen zu sein. Wissenschaft ist eben niemals etwas abgeschlossenes, sondern eine Sache, die von der Gewinnung neuer Erkenntnisse lebt. Denn sonst hätten wir es mit einem heiligen Buch zu tun und befaßten uns mit Religion. Das alles gilt auch außerhalb der universitären wissenschaftlichen Arbeit im Bereich der Publizistik. Willy Brandt hat das einmal prägnant in die Worte gefaßt: „Die Geschichte kennt kein letztes Wort.“ Bleiben wir also sachlich.

 

 

 

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