In Polen findet derzeit die Handball-Europameisterschaft statt. Bisher schlagen sich unsere Jungs auch prächtig. Was dieses Ereignis mit der political correctness zu tun hat? Nun, die Namen der Städte, in denen die Spiele ausgetragen werden, bereiten politisch korrekten Zeitgenossen in Deutschland Probleme.
Schreibt man nun die Spielorte polnisch oder deutsch? Gespielt wird in Breslau, Danzig, Kattowitz und Krakau. Natürlich liegen diese Städte in Polen, und das nun schon seit 70 Jahren. Warum das so ist, ist allgemein bekannt. Deswegen heißen sie in Polen auch Wroclaw, Gdánsk, Katovice und Kraków. Zur korrekten Schreibweise von Wroclaw fehlt meinem PC eine Eingabetaste für den diakritischen Buchstaben l mit kleinem Schrägstrich, der in der polnischen Sprache einen Konsonanten bedeutet, dessen Aussprache in etwa dem englischen „u“ (double u) entspricht. Das polnische Alphabet hat nun einmal 32 Buchstaben, davon 23 Konsonanten, das lateinische Alphabet, in dem das Vokabular der meisten europäischen Sprachen, auch der deutschen, wiedergegeben wird, hat indessen nur 26 Buchstaben, davon 20 Konsonanten. Die korrekte Aussprache des Polnischen ist jedenfalls für einen Ausländer, der diese Sprache nicht wenigstens in Dolmetscherqualität beherrscht, nahezu unmöglich. Schon deswegen sollte man als Ausländer davon absehen, krampfhaft der political correctness im deutsch-polnischen Verhältnis dienen zu wollen, abgesehen davon, daß der Gebrauch der deutschen Namen dieser Städte für uns nicht nur einfacher ist, sondern eigentlich auch üblich sein sollte, wie das auch sonst bei den Namen von Städten in anderen Ländern der Fall ist.
Kein Italiener wird daran Anstoß nehmen, daß wir Deutschen immer noch von Mailand statt von Milano sprechen. Denn Mailand heißt nun einmal seit dem elften Jahrhundert als in der Lombardei und damit lange Zeit im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation gelegene Stadt so und nicht Milano. Aber auch unabhängig von den politischen Veränderungen in den Zeitläuften haben die Städte im In- und Ausland verschiedene Namen. So sprechen wir von Rom, statt von Roma, von Neapel statt von Napoli und von Florenz statt von Firenze. Kein Italiener nimmt daran Anstoß. Uns stört es natürlich auch nicht, daß Amerikaner von Munich und Nuremberg statt von München und Nürnberg sprechen. Die Franzosen stört es ebensowenig, daß der Name ihrer Hauptstadt im Englischen und im Deutschen völlig anders klingt, als in ihrer eigenen Muttersprache.
Im Falle der polnischen Städtenamen ist das offenbar völlig anders. Das hat natürlich mit der deutsch-polnischen Geschichte zu tun. In der Zeit des Kalten Krieges, aber auch noch geraume Zeit danach, wurde in Polen der Popanz eines deutschen Revanchismus gepflegt. Man unterstellte uns Deutschen allen Ernstes, die Ostgebiete wiedergewinnen zu wollen. Zwar mag es den ein oder anderen in den Vertriebenenverbänden gegeben haben, der sich das ernsthaft vorgestellt hat. Eine auch nur annähernd realistische Option der deutschen Politik war dies indessen niemals. Diplomatische Proteste der polnischen Regierung hinsichtlich des Sprachgebrauchs in den deutschen Medien, wenn von Breslau oder Danzig die Rede ist, sind nicht bekannt geworden. Ungeachtet dessen glauben jedoch gewisse Zeitgenossen in den Medien der political correctness dienen zu müssen, indem sie krampfhaft von Katovice und gelegentlich auch Wroclaw schreiben, statt von Kattowitz und Breslau. Merkwürdigerweise heißt es bei diesen Zeitgenossen aber Danzig und Krakau statt Gdánsk und Kraków. Hier werden wohl unverdrossen die politischen Schlachten des kalten Krieges weiter geschlagen. Jene wackeren Kämpfer für die political correctness auch in diesem Punkt erscheinen doch ähnlich aus der Zeit gefallen, wie die Soldaten des Tenno, die noch Jahrzehnte nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges im indonesischen Dschungel herumirrten.
Das führt bisweilen auch zu eher peinlichen Ergebnissen. So soll in einer deutschen Tageszeitung vorne im politischen Teil von „Wroclaw“ als Spielort der Handball Europameisterschaft die Rede gewesen sein, während der Bericht im Sportteil mit dem Hinweis „aus Breslau berichtet…“ begann. Unsere wackeren Sportreporter sind wohl von der Geisteskrankheit namens political correctness im allgemeinen nicht befallen.
Dabei ist die deutsche Politik selbst zu einer salomonischen Lösung gelangt. Im gemeinsamen Ministerialblatt der Bundesministerien vom 23.12.2009 findet sich eine Verordnung über den Reisepaß. Dort ist mit deutscher Gründlichkeit minutiös festgelegt, was dort hineingehört, und wie es auch zu schreiben ist. In § 4 Abs. 1, Tz 4.1.5.2. ist hinsichtlich der Schreibweise eines in Polen gelegenen Geburtsortes festgelegt, daß gemäß der deutsch-polnischen Paßabsprache von 1976 bei Personen, deren Geburtsort vor dem 8. Mai 1945 innerhalb der Grenzen des Deutschen Reiches vom 31. Dezember 1937 lag, nur die deutsche Ortsbezeichnung des Geburtsortes (zum Beispiel Breslau für Wroclaw – die Bundesdruckerei hat auch keine polnische Tastatur – oder Hindenburg für Zabrze) einzutragen ist. Bei Geburten ab dem 8. Mai 1945 in den oben bezeichneten Gebieten soll die polnische Bezeichnung, dahinter in Klammern die deutsche Ortsbezeichnung, eingetragen werden. Sind vor dem 8. Mai 1945 mehrere Umbenennungen erfolgt, wird die allgemein übliche deutsche Ortsbezeichnung in Klammern eingetragen. Eine Angabe des Staates ist grundsätzlich nicht vorgesehen. Alles klar? Opa ist 1916 in Breslau geboren, Papa 1946 in Wroclaw (Breslau). In welchem Land das war, ergibt sich nicht aus dem Reisepaß, sondern dazu schlägt man einen historischen Atlas auf.
Vielleicht sollte es mit den Jahren auch unseren politisch korrekten Zeitgenossen dämmern, daß die Geschichte selbst großzügig ist, und die Kleingeistigkeit das zweifelhafte Privileg von Menschen ist, die da meinen, ihre Deutung der Geschichte dem Rest der Menschheit aufzwingen zu können. Das Beispiel Breslau ist eigentlich sehr aufschlußreich. Im Jahre 990 von dem Piastenherzog Mieszko gegründet und nach der Unabhängigkeit Schlesiens von Polen im Jahre 1202 deutsch geworden, kurzzeitig auch böhmisch und ungarisch, kam die Stadt dann 1945 wieder zu Polen. Wie in den meisten Fällen mittelalterlicher Städtegründungen hat es dort natürlich auch vor 990 eine Ansiedlung gegeben. Der lateinische Name war Vratislavia, was auf seine slawischen Wurzeln hindeutet, und sich letztendlich sowohl im deutschen Breslau wie im polnischen Wroclaw (die Tastatur meines PC hat weiterhin kein diakritisches polnisches l) wiederfindet. Vielleicht übersteigt das alles aber das intellektuelle Fassungsvermögen des Gehirns eines der political correctness verpflichteten Menschen, denn es ist bereits mit allerhand politischem Müll bis zum Überlaufen angefüllt.