Seine treuesten Anhänger vermutet Erdogan nicht ganz zu Unrecht in Deutschland. Seine Türken sollen seiner Verfassungsreform zustimmen, damit er endlich die ganze Macht in seinen Händen vereinen kann. Deswegen schickt er seine Minister zu Wahlkampfauftritten nach Deutschland und behält sich vor, auch selbst die türkischen Massen in Almanya auf Linie zu bringen.
Doch nun haben deutsche Städte einfach verboten, daß türkische Minister hier Wahlkampf machen. Sie stützen sich auf sicherheitsrechtliche Bedenken, was ihr gutes Recht ist. Erdogan schäumt. Von der Bundesregierung indessen hört man nichts klares. Man eiert herum und erweckt den Eindruck, die grundgesetzlich geschützte Meinungs- und Versammlungsfreiheit stünde einem Verbot solcher Veranstaltungen durch den Bund entgegen. Das ist nicht nur erstaunlich, sondern schlicht falsch. Man könnte auch sagen, die Bundesregierung lügt uns an. Stellungnahmen von angesehenen Verfassungsrechtlern besagen nämlich das genaue Gegenteil. So etwa Prof. Christian Tomuschat (Bonn): „Der Auftritt eines Ministers ist nicht der Auftritt eines Privatmannes. Er erscheint hier als Organ eines fremden Staates und nimmt eine hoheitliche Handlung wahr, die auf dem Boden eines anderen Staates nicht stattzufinden hat:“ Ähnlich die Professoren Poscher und Gusy. Sie bewegen sich damit nicht im Elfenbeinturm der Wissenschaft, sondern auf dem Boden der Rechtsprechung. So hat erst jüngst das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen mit Beschluß vom 29.07.2016 eine solche Veranstaltung verboten. Zur Begründung hat es unter anderem ausgeführt: „Art. 8 Abs. 1 GG ist kein Instrument dafür, ausländischen Staatsoberhäuptern oder Regierungsmitgliedern ein Forum zu eröffnen, sich auf öffentlichen Versammlungen im Bundesgebiet in ihrer Eigenschaft als Hoheitsträger amtlich zu politischen Fragestellungen zu äußern.“ Denn die Möglichkeit ausländischer Staatsoberhäupter oder Regierungsmitglieder zur Abgabe politischer Stellungnahmen im Bundesgebiet sei nach der Regelungssystematik des Grundgesetzes eben nicht grundrechtlich fundiert. Vielmehr sei das eine politische Angelegenheit. Dabei stützt sich das Gericht auf Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts vom 14. Juli 1999. Ein Politiker ist auch niemals Privatmann, solange er im Amt ist und sich öffentlich zu politischen Dingen äußert.
Wie man mit dem Ansinnen Erdogans, Wahlkampf im Ausland zu machen, richtig umgeht, haben jüngst die Niederlande vorgemacht. Die dortige Regierung hat schlicht und einfach einen Auftritt des türkischen Präsidenten, der ersichtlich seinem Wahlkampf für die angestrebte Verfassungsreform dienen soll, für unerwünscht erklärt. Um in der diplomatischen Sprache zu bleiben: Wir sollten unsere Regierung so lange für unerwünscht erklären, als sie ihrer Pflicht nicht nachkommt, die Interessen ihres Volkes gegenüber einem größenwahnsinnigen ausländischen Potentaten zu verteidigen.
Lieber Rainer,
ich stimme Dir voll darin zu, dass unser Land keine Wahlkampfauftritte ausländischer Politiker dulden sollte und muss.
Die diesbezügliche juristische Bewertung scheint ja auch – wie von Dir sehr sachlich dargelegt – eindeutig zu sein.
Trifft es jedoch tatsächlich zu, dass Erdogan „….die ganze Macht in seinen Händen vereinen…..“ will, wie Du schreibst?
Er will ein Präsidialsystem einrichten, d.h. die Funktionen Staatsoberhaupt und Regierungschef in Personalunion übernehmen; na und?
Ein solches beinhaltet auch die Möglichkeit, per Dekret zu regieren.
Wo ist der Unterschied zu anderen Präsidialsystemen wie beispielsweise in den USA und Frankreich, um nur diese beiden zu nennen.
Sind diese Länder deshalb undemokratisch?
So erließ beispielsweise Trump in den ersten Tagen seiner Präsidentschaft am Kongress vorbei mehrere Dekrete mit zum Teil gravierenden Inhalten:
• Einreiseverbot gegen Bürger von mehrheitlich muslimischen Staaten.
• Mauerbau an der Grenze zu Mexiko
• Einschränkung Obamacare
• Absage an TTP
• Aufhebung von Umweltregulierungen, Stop Pipeline in North Dakota etc.
Auch der Sozialist Hollande setzte 2015 nach der Anschlagsserie in Paris ein Dekret durch, das die Bürgerrechte stark einschränkte.
Und erst letztes Jahr setzte er das umstrittene Gesetz zur Reform des Arbeitsrechts per Dekret durch.
Dies auch ohne Debatte in der Nationalversammlung und ohne Abstimmung der Abgeordneten.
Messen wir bei Erdogan mit zweierlei Maß?!
Lieber Peter,
d‘ accord. Aber Erdogan will deutlich mehr. So soll die Justiz ihre Unabhängigkeit verlieren, weil das Gremium, welches künftig die Richter ernennt, nahezu vollständig vom Präsidenten berufen wird. Auch wird das Parlament den Präsidenten nicht in dem Maße kontrollieren und ggf. übersteuern können, wie das in den USA und Frankreich möglich ist. Aber das müssen die Türken halt selber wissen. Nur soll nicht in unserem Land türkischer Wahlkampf gemacht werden. Innenpolitik heißt so, weil es sich dabei um innere Angelegenheiten des betreffenden Landes handelt.