Wer sind wir, und wenn ja, wieviele?

Die Frau Bundeskanzlerin hat geruht, grundsätzliches von sich zu geben. Für ihren Geschmack wird wohl zu viel darüber geredet, wer eigentlich zu uns gehört, und wer nicht. Sie scheint besonders zu stören, daß viele Deutsche die Leute, die von Frau Merkel eingeladen und willkommen geheißen worden sind, einfach nicht zum deutschen Volk zählen wollen. Darum hat sie ganz in der Tradition ihres Vorgängers Schröder einen Basta-Spruch losgelassen. Und der lautet: „Das Volk ist jeder, der in diesem Land lebt.“ Jeder, der in diesem Land lebt? Anerkannte, abgelehnte und geduldete Asylbewerber, Leute mit und ohne Papiere, die sich als Kriegsflüchtling ausgeben, oder es vielleicht auch sind. Legal, illegal,sch…egal, lautete früher einmal ein Sponti-Spruch. Kommt alles nicht so genau, irgendwie sind wir doch alle Menschen.

Doch halt, so einfach ist es doch nicht. 2007 hat ein populärer Philosoph eine Betrachtung unter dem Titel „Wer bin ich, und wenn ja, wie viele?“ veröffentlicht. Dieser Titel kam mir spontan in den Sinn, als ich diese Sottise unserer Kanzlerin gelesen habe. Wer sind wir, und wenn ja, wie viele? Die Antwort darauf gibt wenig überraschend das Grundgesetz. Art. 20 Abs. 2 Satz 1 GG bestimmt, daß das Staatsvolk der Bundesrepublik Deutschland Träger und Subjekt der Staatsgewalt ist. Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Urteil vom 31.10.1990 festgestellt, das Staatsvolk, von dem die Staatsgewalt in der Bundesrepublik Deutschland ausgeht, werde nach dem Grundgesetz von den Deutschen, also den deutschen Staatsangehörigen und den ihnen nach Art. 116 Abs. 1 GG gleichgestellten Personen gebildet. Die letztgenannte Bestimmung hat heute keine Bedeutung mehr, denn sie betraf Flüchtlinge und Vertriebene deutscher Volkszugehörigkeit, die in den Grenzen des Deutschen Reiches vom 31.12.1937 Aufnahme gefunden hatten. Maßgeblich ist also die Staatsangehörigkeit. Bekanntlich wird man deutscher Staatsangehöriger durch Geburt. Wer von deutschen Eltern abstammt, ist automatisch Deutscher. Dieses Staatsangehörigkeitsprinzip des ius sanguinis, wie die Juristen sagen, wird teilweise durchbrochen durch die Regelung, daß auch Kinder ausländischer Eltern, die auf deutschem Boden geboren werden, die deutsche Staatsangehörigkeit erlangen (ius soli),vorausgesetzt, ein Elternteil lebt seit mindestens acht Jahren berechtigt in Deutschland. Ferner können Ausländer unter bestimmten Bedingungen, vor allem nach mindestens achtjähriger Aufenthaltszeit und dem Nachweis ausreichender Deutschkenntnisse, auf Antrag die deutsche Staatsbürgerschaft erhalten.

Es besteht also durchaus ein rechtlicher Unterschied zwischen dem deutschen Volk und der Bevölkerung, die sich auf seinem Staatsgebiet aufhält. Es gibt eine Bevölkerung dieses Landes. Diese besteht aus Angehörigen des deutschen Volkes und aus Menschen, die sich dauerhaft auf dem deutschen Staatsgebiet aufhalten. Frau Merkel ist keine Juristin. Sie ist Physikerin. Vielleicht erläutert ihr jemand einmal diese Unterschiede. An Juristen mangelt es ja weder im Kanzleramt, noch in ihrer Fraktion. Zu dieser Erläuterung gehört natürlich die Belehrung darüber, daß die demokratischen Mitwirkungsrechte und damit zum Beispiel die grundsätzliche Entscheidung für oder gegen Zuwanderung, und auch die Art und Weise der Ausgestaltung von Zuwanderung, Sache des Volkes und nicht der Bevölkerung sind. Wer das anders sieht, verwirklicht den Titel des bekanntesten Buches von Thilo Sarrazin: Deutschland schafft sich ab. Der Amtseid der Kanzlerin stünde dem jedoch entgegen. Gemäß Art. 56 des Grundgesetzes lautet er bekanntlich: „Ich schwöre, daß ich meine Kraft dem Wohle des deutschen Volkes widmen, seinen Nutzen mehren, Schaden von ihm wenden, das Grundgesetz und die Gesetze des Bundes wahren und verteidigen, meine Pflichten gewissenhaft erfüllen und Gerechtigkeit gegen jedermann üben werde. So war mir Gott helfe.“ Sie hat ihr Amt also im Interesse des deutschen Volkes auszuüben, nicht im Interesse einer irgendwie hier lebenden Bevölkerung. Sie hat das Grundgesetz zu wahren und zu verteidigen. Und dieses und nicht etwa die Kanzlerin legt eben fest, wer das deutsche Volk ist. Daß man darauf hinweisen muß, kann wohl nur in Deutschland passieren.

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