Von Demokraten und Spezialdemokraten

Zu den Binsenweisheiten, die in unseren Tagen allerdings besondere Beachtung verdienen, gehört auch die, daß die Politik viel zu wichtig ist, als daß man sie den Politikern allein überlassen könnte. Politiker, die noch nicht ganz vergessen haben, daß sie eigentlich nur Vertreter des Volkes, nicht aber der Souverän selbst sind, ermutigen denn auch dazu, sich mit dem Tagesgeschehen zu befassen und wenn möglich, politisch auch aktiv zu werden. Ohnehin ist die Demokratie die einzige Staatsform, die unseren zivilisierten Vorstellungen von Menschenwürde gerecht wird. Denn untrennbarer Bestandteil der Menschenwürde ist auch die Eigenverantwortlichkeit des Menschen. Sie hat dann auch in sehr früher Zeit im alten Griechenland zu den Anfängen eines demokratischen Staatswesens geführt. Die freien Bürger der dortigen Stadtstaaten bestimmten durch Wahlen und Abstimmungen über die Geschicke ihres Gemeinwesens. Der Schönheitsfehler aus unserer Sicht war allerdings, daß sowohl die Frauen als auch die Sklaven davon ausgenommen waren. Doch wir wollen frühere Jahrhunderte und Jahrtausende nicht an den Maßstäben unserer Zeit messen. Die parlamentarische Demokratie mit ihren repräsentativen Elementen war letztendlich die Notlösung, welche die im Vergleich zu den antiken Stadtstaaten ungeheure Zahl von Bürgern erforderlich machte. Es mögen zwar wenige hundert Athener im alten Griechenland und wenige tausend Bürger eines Schweizer Kantons über einzelne Sachfragen entscheiden können, Millionen von Bürgern eines modernen Staates können das nicht. Deswegen müssen sie schlicht und einfach Bevollmächtigte bestellen, die für sie in ihrem Auftrag das Staatswesen leiten und verwalten. In jüngster Zeit hat allerdings der rasende technische Fortschritt insbesondere im Kommunikationswesen Möglichkeiten der Mitentscheidung geschaffen, die etwa im 19. und 20. Jahrhundert noch nicht vorstellbar waren. Es ist daher legitim, heute nach erweiterten Möglichkeiten der direkten Demokratie über die bereits existierenden Volksentscheide hinaus nachzudenken. Doch nun genug der Demokratietheorie. Denn das Recht zur Mitgestaltung der politischen Verhältnisse wird in unseren Tagen in einem Ausmaß mißverstanden und auch mißbraucht, das die Mitglieder der verfassunggebenden Versammlung von 1949 sich in ihren schlechtesten Albträumen nicht haben vorstellen können.

Die Rede ist von einem Aktionsbündnis, das unter dem Motto: „Aufstehen gegen Rassismus“ dazu aufruft, Wahlkampfveranstaltungen einer demokratischen Partei massiv zu stören, zu behindern und wenn möglich, zu unterbinden. In ihrem Aufruf heißt es nach der einleitenden Behauptung, fast täglich griffen Rassisten und Rassistinnen – so viel Gender muß sein – Flüchtlingsheime an, islamfeindliche Übergriffe nähmen zu: „Währenddessen wird die Alternative für Deutschland (AfD) zunehmend zum Sammelbecken für Fremdenfeindlichkeit und Rassismus. An vielen Orten ist die AfD Zentrum der extremen Rechten geworden. Abgeordnete der AfD verbreiten Naziparolen und hetzen gegen Andersdenkende. Die AfD ist zu einer ernsthaften Gefahr geworden, für all jene, die nicht in ihr rechtes Weltbild passen.“ Die Verfasser dieses Aufrufs bleiben Belege und Beispiele für diese Behauptung schuldig, natürlich auch für die subtile Behauptung, die AfD sei ihrerseits gewalttätig ( „ernsthafte Gefahr für all jene die nicht in ihr rechtes Weltbild passen“). In ihrer immerhin 40 Seiten starken Broschüre behaupten die Initiatoren dieses Aufrufs zum Wahlkampf dieser Partei: „Je nach Kontext der Veranstaltung und Strategie der Redner*in, vertritt die AfD dort offen rassistische Positionen oder versucht eher unterschwellig Stimmen zu fangen. Sie fabulieren dann zum Beispiel über Kulturen, die angeblich nicht zusammenpassen oder über angebliche „Bedrohung durch Muslime“. Doch auch AfDler*innen, die sich national-konservativ geben, kämpfen Seite an Seite mit bekennenden Rassist*innen und Neo-Nazis. Ein relevanter Teil der Rechten bezieht sich nicht mehr offen auf Rassentheorie, Antisemitismus und den Nationalsozialismus, sondern versteckt seine rassistischen oder sogar faschistischen Ziele unter einem national-konservativen Deckmantel, angeblicher Vereinbarkeit mit dem Grundgesetz und der Theorie des Ethnopluralismus. Dies ist eine rassistische Theorie, die sich nicht auf biologische Abstammung, sondern auf die Zugehörigkeit zu verschiedenen Kulturen bezieht. Die Kombination von offenem Rassismus oder Geschichtsrevisionismus mit ethnopluralistischen und national-konservativen Positionen dient der Relativierung und der Verschleierung rassistischer und faschistischer Ziele. Beides ist entscheidend für das Erfolgsrezept der AfD und schafft erst die Voraussetzung, daß Neo-Nazis in Landesparlamente in den Bundestag einziehen können.“

Nun läßt sich zu diesen kruden Behauptungen allerhand sagen. Vor allem fehlt jeder Beleg. Die Technik hinter dieser Argumentation ist offensichtlich: In der Art von Verschwörungstheorien wird den Rednern der AfD unterstellt, nicht zu meinen, was sie sagen. Das Grundgesetz gewissermaßen als Tarnkappe für den „Nazi“. Nebenbei bemerkt: Der Ethnopluralismus ist schon per se keine rassistische Theorie, weil er eben nicht an die blutsmäßige Abstammung anknüpft, sondern an die Zugehörigkeit zu einem Kulturkreis. Zum mitteleuropäischen, speziell deutschen Kulturkreis gehört aber unstrittig jeder Mensch, der hier aufgewachsen und kulturell geprägt worden ist, unabhängig davon, woher seine Vorfahren gekommen sind.

Größte Wachsamkeit gegenüber diesen sogenannten Aktivisten ist geboten, wenn man sich betrachtet, in welcher Art und Weise sie vorgehen wollen, und auch tatsächlich vielfach vorgehen. Da wird unter anderem empfohlen: „Infostände ärgern“ und gleich erklärt, wie das geht, nämlich durch umzingeln, einmauern und einwickeln, zum Beispiel mit Trassierband. Ein Beispiel aus Limburg an der Lahn wird als Video eingestellt. Darauf ist zu sehen, wie ein Infostand der AfD von sogenannten Aktivisten derart dicht umstellt wird, daß Passanten unmöglich gemacht wird, zu dem Infostand zu gehen, und dort mit den anwesenden Mitgliedern der AfD zu sprechen bzw. sich von ihnen politisches Werbematerial aushändigen zu lassen. Daß es sich hierbei um den Straftatbestand der Nötigung gem. § 240 StGB handelt, muß nicht näher erläutert werden. In ihrer Broschüre versuchen die Verantwortlichen auch die umworbenen künftigen Mitstreiter dadurch zu beruhigen, daß sie behaupten, eine solche Aktion stehe als Kundgebung ihrerseits unter dem Schutz der grundgesetzlich geschützten Versammlungsfreiheit. In der Art des schlechten Juristen wird dann auch eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts als Beleg hierfür genannt, ohne allerdings deren Sachverhalt mitzuteilen. Das ist aber unbedingt erforderlich, um beurteilen zu können, ob der vom Bundesverfassungsgericht entschiedene Fall mit dem hier gezeigten so weit übereinstimmt, daß man die Grundsätze der Entscheidung jenes Falles auf diesen Fall anwenden kann. Liest man die Entscheidung nach, so stellt man fest, daß in jenem Falle nicht etwa ein Info-Stand einer Partei umstellt und abgeriegelt worden ist, sondern daß lediglich der Beschwerdeführer in der Nähe dieses Standes per Megaphon krakeelt hat. Das heißt also, daß die Verfasser jener Broschüre ihre Adressaten zu Straftaten animieren und ihnen gleichzeitig wider besseres Wissen erklären, es handele sich eben nicht um strafbare Handlungen. Aus der Sicht des Juristen hat derartiges ein ganz besonderes Geschmäckle.

In der Broschüre und dem Internetauftritt wird dann auch empfohlen, Veranstaltungen zu stören. Die  „Veranstaltungsortbesitzer“ – für eine solche Begriffsdrechselei hätte mir mein Deutschlehrer seinerzeit sicherlich ein „mangelhaft“ gegeben – sollen die Aktivisten kontaktieren und  „zum Absagen überzeugen“ – auch hier muß ich bezweifeln, ob der Verfasser tatsächlich Abitur gemacht hat – , was nach allen Erfahrungen der jüngsten Vergangenheit nichts anderes heißt, als daß man die betreffenden Gastwirte vor die Wahl stellt, entweder über kurz oder lang die Fenster ihrer Lokale neu verglasen zu müssen, oder aber die bereits gebuchte Veranstaltung der AfD mit entsprechenden Kostennachteilen abzusagen. Also ein Aufruf zur Begehung von Straftaten wie Nötigung und Sachbeschädigung. Beschwichtigend wird hinzugefügt, daß die Gastwirte natürlich nicht gemeint seien, sondern man nur gegen die AfD vorgehen wolle. Doch den Gastwirten wird klargemacht: „Wer sich in dieser Situation aber schützend vor die AfD stellt, muß Kritik und Protest ertragen.“ Was darunter zu verstehen ist, kann nach den Erfahrungen in den letzten Monaten nicht zweifelhaft sein. Des weiteren wird dazu aufgerufen, Störaktionen während der Veranstaltungen der Partei durchzuführen, um „Nazis“ zu enttarnen. Nun gibt es in dieser Partei keine Nationalsozialisten, wie jeder weiß. Leute mit Sympathien für die seit 1945 nicht mehr existente NSDAP findet man allenfalls noch in der NPD. Dieser hat das Bundesverfassungsgericht bekanntlich Verfassungsfeindlichkeit bescheinigt, sie jedoch wegen ihrer politischen und wirtschaftlichen Schwindsucht als so ungefährlich eingestuft, daß es eines Verbotes nicht bedarf.

Wenig überraschend wird natürlich auch dazu aufgerufen, allerorten (Toiletten, Schulhöfe, Bushaltestellen etc.) irgendwelche Aufkleber anzubringen. Daß es sich dabei um Sachbeschädigung, § 303 StGB, handelt, ist Jurastudenten bereits in den Anfangssemestern klar.

Bemerkenswert ist vor allem, wer diese in vielerlei Hinsicht rechtswidrige Aktion, die darüber hinaus einen Anschlag auf die politische Kultur in unserem Lande darstellt, unterschriftlich unterstützt. Aus der Politik sind das nicht unerwartet weite Teile der SPD, der Grünen und die Linke. Einzelne Politiker dieser Parteien halten es sogar für angebracht, auch persönlich als Unterstützer aufzuscheinen. Um die wichtigsten zu nennen: Katarina Barley, Ralf Stegner, Manuela Schwesig und Eva Högl von der SPD, Kathrin Göring-Eckardt, Toni Hofreiter und Cem Özdemir von den Grünen, Dietmar Bartsch, Katja Kipping, Petra Pau und Bernd Riexinger von der Linken. Doch auch das Who is Who der Gewerkschaften, beginnend mit Frank Bsirske und einer Vielzahl von Ersten Bevollmächtigten der Einzelgewerkschaften und die unvermeidlichen Vertreter der Kirchen, aber auch Institutionen wie die Katholische Landjugendbewegung Deutschlands e.V. und die jüdische Gemeinde Pinneberg halten es wohl für unverzichtbar, hier aufzuscheinen. Bemerkenswert ist die Zahl von Hochschullehrern verschiedener Disziplinen, darunter angesichts der glatt rechtswidrigen Aktionen des Bündnisses zu meinem nicht geringen Erstaunen der Jurist Prof. Dr. Normen Paech, aber auch Gestalten vom Narrensaum der Gesellschaft wie diverse Bands mit so bezeichnenden Namen wie Narcolaptic, Rantanplan, Schmutzki und der unvermeidliche Linksbarde Konstantin Wecker.

Wenn führende Vertreter zweifellos demokratischer Parteien sich einer solchen Aktion anschließen und damit Aufrufe zu Straftaten unterstützen, dann kann ich nicht umhin, diese Leute nicht mehr in den Reihen der Demokraten zu verorten. Vielmehr handelt es sich um ganz besondere „Spezialdemokraten“. Das sehe ich offenbar nicht alleine so. Die Verfassungsschutzbehörden diverser Bundesländer haben mitgeteilt, diese Organisation zu beobachten, worüber sich diese Spezialdemokraten natürlich empören. Man kann nur anregen, dass auch die Staatsanwaltschaften hier einmal genauer hinsehen und sodann die notwendigen Strafverfolgungsmaßnahmen in die Wege leiten.

 

 

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