Die neue Spielzeit im Deutschen Theater ist eröffnet. Regietheater, Realsatire, komische Oper, gallige Kritik an den guten Darbietungen und Lobhudelei für die schlechten, aber zeitgeistigen Stücke und ein wohl weiterhin ratloses Publikum werden auch diesmal die Spielzeit prägen. Diese Prophezeiung schon am zweiten Kalendertag nach der Wahl des neuen Deutschen Bundestages ist nicht schwer. Obwohl die Wähler Protagonisten wie Statisten diesmal ganz anders zusammengestellt haben, als dies in den voraufgegangenen Spielzeiten bzw. Legislaturperioden der Fall war, zeigt sich bereits jetzt, daß die alten Regisseure und Kritiker nichts verstanden haben, auch wenn der dümmliche Satz: „Wir haben verstanden“ offenbar zum Standardrepertoire der Akteure gehört. Doch der Reihe nach.
Beginnen wir mit den Volksparteien, die diesen Namen nun wirklich nicht mehr verdienen. Wen nur noch 20 % wählen, der kann nun wirklich nicht von sich sagen, das Volk zu repräsentieren. Rechnet man die 3.0 % Nichtwähler mit ein, so haben sich nur 14 % der Deutschen für die SPD entschieden. Aber auch die Unionsparteien, bei denen heuer nur ein Drittel der Wähler ihr Kreuz gemacht haben, können damit nicht mehr ernsthaft den Anspruch erheben, Volksparteien zu sein. Denn ihnen haben tatsächlich weniger als ein Viertel der Deutschen ihre Stimme gegeben. Volksparteien, wie sie die ersten Jahrzehnte der Bundesrepublik Deutschland geprägt haben, hatten jeweils einen beträchtlichen Anteil der gesamten Bevölkerung hinter sich, dazu noch soziologisch gut unterscheidbar strukturiert. Die Union vertrat das Bürgertum, die Sozialdemokratie die Arbeiterschaft, dazwischen zahlenmäßig überschaubar die FDP mit liberaler, wohlhabender Klientel. Von alledem sehen wir heute nichts mehr. Die Wählerschaft ist volatil, wie die Börsianer sagen. Das klassische Arbeitermilieu gibt es nicht mehr, die wohlhabende Klientel wird zum großen Teil von linksgrünen Akademikern gestellt. Die Kirchen, die einst vor den Wahlen von den Kanzeln ganz unverblümt dazu aufgerufen haben, nur Parteien mit dem großen C im Namen zu wählen, verstehen sich heute ganz offensichtlich nicht mehr als Verkünder des Reiches Gottes, sondern als Lehranstalten für politisch korrekte Sozialpädagogik, was natürlich nicht mehr zur Verkündung des Evangeliums, sondern zur Verbreitung linksgrüner Parolen führt. Die schon sprichwörtlich gewordene schwäbische Notarsgattin randalierte Arm in Arm mit Antifa-Kämpfern vor der Großbaustelle des Stuttgarter Hauptbahnhofs. Was man früher einmal höhere Töchter genannt hat, stand im Herbst 2015 massenhaft mit glücklichem Lächeln an den Bahnsteigen um ankommende vermeintliche wie wirkliche Flüchtlinge mit Teddybären zu bewerfen. Die politische Landschaft ist so unübersichtlich geworden, daß die Landmarken und Wegezeichen kaum noch zu erkennen sind. Es verwundert also nicht, daß immer mehr Lotsen ihre Dienste anbieten, und damit notwendigerweise auch die Zahl derer, die ihnen jeweils folgen, kleiner wird. Und damit sind wir bei den Gewinnern der Bronzemedaille und den auf die Plätze verwiesenen, um einmal vom Theater weg in die Arena zu gehen.
Schauen wir uns zunächst die größte der klein gewordenen Parteien an. Nichts Neues im Westen, und auch aus dem Osten kommt nicht das Licht. Und täglich grüßt das Murmeltier, heißt das Stück, das diese Compagnie auf den Spielplan gesetzt hat. Der Prinzipalin fällt weiterhin nichts anderes ein, als die immer gleichen Darsteller das immer gleiche Stück spielen zu lassen. Inhalt und Botschaft des Stückes heißen wie die Jahre zuvor: Auf dem Regiestuhl sitze ich, egal was gespielt wird. Daß mit dieser Monotonie immer weniger Besucher angelockt werden, liegt wohl auf der Hand. Die Zahl der Abonnenten für die nächste Spielzeit wird sich erneut deutlich nach unten bewegen. Da hilft es auch nichts, daß man künftig wohl nicht mehr die unsägliche Ursula von der Leine auf der Bühne sehen wird, denn überforderte Statisten wie Kauder und Tauber werden uns weiter zugemutet.
Wenig Freude wird dem Publikum die alte Tante SPD machen. Denn es sieht nicht so aus, als ob sie aus ihrem Ensemble wenigstens solche Fehlbesetzungen wie den Mann aus Würselen oder den Pöbler vom Dienst aus Schleswig Holstein entfernen würde. Regie soll ja nun die massive Dame aus der Eifel führen, der nie etwas anderes einfällt, als für ihre Stücke mehr Geld auszugeben, als an der Kasse eingenommen wird.
Die Folkloretruppe aus Bayern muß schockiert zur Kenntnis nehmen, daß ihre Schuhplattler immer weniger Freunde finden, auch wenn sich ihr Regisseur schneller dreht, als das Mädel auf der Bühne. Natürlich werden schon jetzt die Messer gelockert. Noch kein CSU-Vorsitzender hat eine verlorene Wahl überlebt. Allerdings muß bezweifelt werden, ob die Protagonisten der Truppe begriffen haben, daß sie nie mehr wieder die absolute Mehrheit des Publikums in ihre Vorstellungen locken werden. Den Herold, der vor jeder Vorstellung verkündet: “ Rechts neben uns kann es eine demokratische Partei nicht geben“, kann man getrost zur Künstleragentur zurückschicken. Nur wenn sie selbst das Stück spielt, das national-konservative Zuschauer in ihre Vorstellungen lockt, und dabei auf Drehbuch, Regie und Intendanz ihrer großen Schwester gänzlich verzichtet, stattdessen auch in deren Häusern auftritt, ohne dabei von der Furcht geplagt zu werden, daß auch die nun bei ihr Zuhause die Bühnen bespielt, nur dann hat sie in der künftigen vielfältigen Theaterlandschaft eine Überlebenschance.
Mit dem Anspruch, dem Publikum ein in jeder Hinsicht modernes Stück zu bieten, tritt der Alleinunterhalter und Posterboy von den vorübergehend in der Versenkung verschwunden Liberalen an. Ob der Unterhaltungswert seiner Vorstellungen die Erwartungen des Publikums enttäuschen oder übertreffen wird, wird sich zeigen. Jedenfalls Unterhaltungswert dürfte das Programm haben, auch in Ansehung des Personals auf der Bühne. Der Quartals-Rambo aus Schleswig Holstein ist alle Mal als Buffo wie als Harlekin verwendbar, auch wenn dem Publikum nicht selten ob der Qualität des Gebotenen das Lachen im Halse stecken bleiben wird.
Die grüne Kulisse wird zwar wenig Natur, dafür aber allerhand Merkwürdigkeiten vor dem staunenden Publikum ausbreiten. Ein zu Hause leutselig schwäbelnder Außenminister, dessen Qualifikation für dieses Amt außer der personifizierten Internationalität nicht erkennbar ist, kann positiv immerhin als lustige Knallcharge gewertet werden. Die abgebrochene Theologin aus Thüringen mit dem Gehabe der Kindergartentante garantiert seichte Unterhaltung, wie sie die Produzenten moderner Vorabendserien in den Fernsehprogrammen kaum schlechter hinbekommen. Das Genre der unfreiwilligen Komik beherrscht perfekt der ernste Tümpelforscher aus Oberbayern, dem dabei natürlich kein Lacherl auskommt.
Das Kapital von Marx (dem aus dem 19. Jahrhundert mit dem Rauschebart, nicht dem seelenverwandten dicken Kardinal aus München) gibt wie immer die Berliner Volksbühne. Rosa Luxemburg feiert dort ja auch optisch immer wieder ihre Auferstehung, was Oscars Sara mit Leichtigkeit zu beweisen pflegt. Ihr Publikum wird sich auch weiterhin nicht in der Tür irren. Es seitens der anderen Intendanten zu umwerben, scheint verlorene Liebesmüh‘.
So richtig was los ist eigentlich nur bei dem Ensemble, das die anderen partout nicht mitspielen lassen wollten. Schon im Vorspiel zum ersten Akt flogen die Fetzen. Das politische Piratenpärchen Petry und Pretzell führte erst mal eine veritable Schmierenkomödie auf, um sich dann von der Bühne gleich wieder zu verabschieden. P & P werden sich wohl neuen Geschäftsfeldern zuwenden und mit Furioso Varietétheater und Kneipen stürmen um am Ende wie Bonnie & Clyde im (virtuellen) Kugelhagel von Justiz und Medien zu unterzugehen. Derweil wird die Kritikerzunft unter dem Beifall der politischen Konkurrenz die Darbietungen des Ensembles in Grund und Boden schreiben. Ihren Protagonisten werden die Rollen der klassischen Finsterlinge wie Hagen von Tronje (Alexander Gauland) oder gar der kalten Kommandeuse eines KZ (Alice Weidel) zugewiesen werden. Doch gibt Ihnen das die Möglichkeit, am Anfang des Stückes alle Grausamkeiten zu begehen, wie das Macchiavelli dem Fürsten geraten hat. D.h. also, erst mal alle Pfosten ihrer Truppe abzusägen und zu entsorgen. Wenn dann in der Pause nach dem ersten Akt das Blut von den Brettern gewischt worden ist, können die erhebenden wie auch die unterhaltenden Texte rezitiert werden, und der Wohlklang Mozart’scher Arien kann den Zuschauerraum füllen. Man braucht keine vertiefte Kenntnis der Szene um festzustellen, daß die Intendanten der Konkurrenz mitsamt ihrer willfährigen Kritikerschar genau davor Angst haben. Denn den Angstschweiß sieht man bereits auf ihren Gesichtern und riecht ihn auch.
Viel Vergnügen, verehrtes Publikum!
Friedrich Schiller meint (und dürfte Recht haben):
Eng ist die Welt, und das Gehirn ist weit,
Leicht beieinander wohnen die Gedanken,
Doch hart im Raume stoßen sich die Sachen,
Wo eines Platz nimmt, muß das andre rücken,
Wer nicht vertrieben sein will, muß vertreiben,
Da herrscht der Streit, und nur die Stärke siegt.
Friedrich Schiller, Wallensteins Tod, 2. Auftritt