Wem Gott gibt ein Amt, dem gibt er auch Verstand. Dieses alte Sprichwort gibt natürlich nicht so sehr die Wirklichkeit wieder, als die Erwartungen, die man eben in die Fähigkeiten eines Menschen setzt, dem eine verantwortungsvolle Aufgabe übertragen worden ist. Josef Schuster übt nun seit gut fünf Jahren das verantwortungsvolle Amt eines Präsidenten des Zentralrats der Juden in Deutschland aus. Der Internist aus Würzburg ist zweifellos ein kluger Mann. Er äußert sich häufig und vertritt energisch die Interessen seiner Religionsgemeinschaft. Da kann es nicht ausbleiben, daß er mit seinen Äußerungen schon mal daneben liegt. Wer arbeitet, macht Fehler. Wer viel arbeitet, macht mehr Fehler. Nur wer die Hände in den Schoß legt, macht gar keine Fehler, sagte einst Alfred Krupp.
Der Stein des Anstoßes
Besonders gefährdet ist in dieser Beziehung natürlich jeder, der Interessen zu vertreten hat. Da überzieht man schon einmal. Genau das ist Josef Schuster nun passiert. Kurz zum Sachverhalt: Zur diesjährigen Ruhrtriennale, die an sich vom 14. August bis zum 20. September 2020 stattfinden sollte, und inzwischen wegen der Corona-Krise abgesagt worden ist, war als Ehrengast der Historiker und Politikwissenschaftler Achille Mbembe aus Kamerun eingeladen. Sein Hauptarbeitsgebiet ist – wenig überraschend – der Postkolonialismus. Naturgemäß befasst er sich mit den diversen Spielarten des Rassismus, möglicherweise auch nur solchen Erscheinungen, die man darunter subsumieren kann oder auch nicht. Jedenfalls handelt es sich bei ihm um einen weltweit angesehenen Wissenschaftler. In Deutschland wurde er unter anderem mit dem Geschwister-Scholl-Preis und dem Ernst-Bloch-Preis ausgezeichnet. Eine weitere Ehre ist die Albertus-Magnus-Professur an der Universität Köln. Mbembe wird allerdings vorgeworfen, sich antisemitische Positionen zu eigen gemacht und insbesondere die israelische Politik gegenüber den Palästinensern mit der seinerzeitigen südafrikanischen Apartheid verglichen zu haben. Mbembe weist das zurück.
Jagt sie fort, sie hat einen Antisemiten eingeladen!
Josef Schuster glaubte darauf in der Weise reagieren zu müssen, daß er nichts weniger als die Entlassung der Intendantin der Ruhrtriennale, Stefanie Carp, forderte. Aus seiner Sicht ist es wohl unverzeihlich, einen Ehrengast einzuladen, den er für einen antisemitischen Lautsprecher hält. Dabei scheint es völlig gleichgültig zu sein, mit welchem Thema sich dieser Ehrengast bei dieser Veranstaltung befassen wird, und welche Themen der Wissenschaftler sonst bearbeitet. Er ist eben mit dem Makel des Antisemiten behaftet, jedenfalls in den Augen von Herrn Schuster. Und weil das so ist, kann man nicht bei der Forderung stehen bleiben, diesen Ehrengast wieder auszuladen, oder zumindest darauf hinzuwirken, daß sein Vortrag ohne antisemitische Tendenzen auskommt. Nein, die Chefin der Festspiele muß gefeuert werden. Drunter geht es nicht. Wer einen Antisemiten einlädt, ist vermutlich selber eine.
Emotionen trüben das klare Denken
Natürlich muß man sich fragen, was einen an sich klugen und besonnenen Mann reitet, derartig daneben zu greifen. Sicher kann man gut verstehen, daß jemand als Jude, Präsident des Zentralrates zumal, nicht nur von Amts wegen, sondern aus tiefstem Herzen den Antisemitismus verabscheut und sich ihm überall entgegenstellt. Doch offenbar neigen Menschen wie Herr Schuster dazu, hier zu überziehen. Wo die Emotionen überwiegen, hat die kühle Überlegung keinen Platz. Wer gewissermaßen von Amts wegen den Antisemitismus bekämpft, neigt dazu, in jedem Kritiker der israelischen Politik einen verkappten Wiedergänger der Nazis zu erkennen. Und dann fühlt man sich dazu berufen, das vermeintliche Übel mit Stumpf und Stiel ausrotten zu müssen. Und so versteigt man sich dann dazu, nicht nur einen weltweit angesehenen Wissenschaftler als Antisemiten zu brandmarken, wo es vielleicht noch anginge, ihn insoweit als umstritten zu bezeichnen, sondern auch den Kopf der Intendantin zu fordern, die es gewagt hat, einen solchen Menschen zu ihrer Veranstaltung einzuladen.
Warum so etwas nicht geht
Das ist übergriffig. Es ist übergriffig insoweit, als man sich anmaßt, über die Besetzung einer Position im kulturellen Leben zu entscheiden, über die eben demokratisch gewählte Politiker zu entscheiden haben. Es ist übergriffig auch insoweit, als man sich die Deutungshoheit über den Begriff des Antisemitismus anmaßt, den zu definieren keineswegs exklusiv die Sache der Juden ist, sondern der als menschenverachtende Ideologie eben von der Menschheit insgesamt definiert und bekämpft werden muß. Es geht eben nicht an, daß eine Gruppe, auch nicht die der Betroffenen, insoweit exklusiv die Richtung vorgibt, und der Rest der Menschheit sich danach zu richten hat. Der historische Holocaust und die Lehren daraus gehören, wenn man diesen Begriff hier benutzen kann, weder den Nachfahren der Opfer, noch der Täter allein, sondern wie die Geschichte überhaupt allen Menschen. Sie alle haben dies in ihrem kollektiven Gedächtnis. Sie alle tragen die Verantwortung dafür, daß sich derartiges nicht wiederholt. Das unabhängig davon, welche Gruppe von Menschen künftig das Opfer einer solchen Ideologie werden könnte. Und somit ist es übergriffig, darüber alleine verfügen zu wollen und den Verantwortlichen für die Besetzung einer Position wie der Chefin der Ruhrtriennale anzusinnen, diese Dame wegen mangelnder Antisemitismusresistenz in die sprichwörtliche Wüste zu schicken.