Archiv für den Monat: Dezember 2024

Jeder blamiert sich, so gut er kann

Immer wenn du meinst, es geht nicht mehr, kommt von irgendwo ein Lichtlein her. Diese treuherzige Volksweisheit meinte ja damals, als die Worte noch so verstanden wurden, wie sie ohne Interpretation, genauer, Hineingeheimnissen, gemeint und zu verstehen waren, die Hoffnung, ja Lebenserfahrung, daß selbst aussichtslos erscheinende Situationen letztendlich im Guten aufgelöst werden würden. Recht war eben Recht, Unrecht war eben Unrecht. Regierung, Polizei und Verwaltung arbeiteten verlässlich daran, daß Schaden von den Bürgern des Landes abgewendet wurde. Doch Lummerland ist abgebrannt. Der gute alte Vater Staat hat abgedankt. An seine Stelle ist der Leviathan des Staatsphilosophen Thomas Hobbes getreten. Er will unser Denken und Tun bestimmen. Was er nicht will, sind freie Bürger. Was er will, ist die Unterwerfung unter seinen Willen und den Gruß seines Gesslerhuts. Wie anders soll man die folgenden Nachrichten aus dem Staate Absurdistan verstehen?

3,4 cm Terrorgefahr

Bekanntlich hat unsere fantastische Innenministerin unter dem Eindruck der tödlichen Messerattacke eines Islamisten in Mannheim Messerverbotszonen in den deutschen Innenstädten eingeführt. Offenbar sind demnach die Polizeibeamten angewiesen, auch das Mitführen von kleinen Schweizer Messern mit einer Klingenlänge von 3,4 cm als Ordnungswidrigkeit zu verfolgen und natürlich diese furchterregenden Mordwerkzeuge zu beschlagnahmen. Offensichtlich ist in der Ausführungsverordnung nicht nach Klingenlänge differenziert worden, wie das ansonsten allgemein im Waffenrecht der Fall ist. Gewöhnliche, nicht zu arrentierende Taschenmesser und feststehende Messer bis zu einer Klingenlänge von 12 cm dürfen außer in den sogenannten Messerverbotszonen überall mitgeführt werden. Der Schutz der Bevölkerung vor messerschwingenden Islamisten indessen gebietet wohl, auch solche Messerchen unter das Mitführungsverbot fallen zu lassen, von denen nicht einmal in den Händen eines Terroristen wirklich eine Gefahr ausgehen kann. Jeder Spazierstock ist in den Händen eines entschlossenen Täters gefährlicher, als solche Federmesser, mit denen man zwar Briefe öffnen, aber nicht einmal problemlos Orangen schälen kann.

Glauben Sie nicht? Derzeit geht ein Video vom Weihnachtsmarkt in Ludwigshafen viral durch das Internet. Dort kann man sehen, wie eine Polizeistreife eine ältere Dame anhält und auffordert, einen Blick in ihre Handtasche werfen zu können, um eventuell mitgeführte Waffen festzustellen und zu beschlagnahmen. Tatsächlich findet sich in der Handtasche ein kleines Schweizer Messer. Der Polizeibeamte stellt auch fest, daß die Klinge etwa so lang ist wie ein kleiner Finger. Allerdings muß er die Dame darüber belehren, daß sie damit gegen das Messerverbot an diesem Ort verstoßen hat. Das Messer muß er leider beschlagnahmen und der Dame überdies ankündigen, daß sie demnächst einen Bußgeldbescheid in ihrem Briefkasten vorfinden wird.

Ich selbst habe vor kurzem Gelegenheit gehabt, die Handhabung des Messerverbots durch die bayerische Polizei überprüfen zu können. Letzte Woche war ich mit meiner Frau in der Stadt, um Weihnachtseinkäufe zu erledigen. Spontan wollte sie dann noch auf den Christkindlesmarkt. Wie man weiß, ist auch dieser Bereich in Nürnberg Messerverbotszone. Nun hängt an meinem Schlüsselbund die Miniaturausführung des Schweizer Messers mit einer Klingenlänge von immerhin 3,4 cm. Ich konnte mir also vorstellen, daß die Polizei angewiesen ist, auch solche Mordwaffen zu konfiszieren und wegen eines Verstoßes gegen das Waffengesetz ein Bußgeldverfahren gegen den Besitzer einzuleiten. Also sprach ich die vor dem Weihnachtsmarkt diensthabenden Polizeibeamten an und zeigte ihnen meinen Schlüsselbund mit dem kleinen Schweizer Messer vor, verbunden mit der Frage, ob ich dieses Messer auf den Christkindlesmarkt mitnehmen dürfe, oder aber die Beamten freundlicherweise bereit wären, dieses Messer während meines Besuchs auf dem Christkindlesmarkt in ihre Obhut zu nehmen. Das bejahten die Beamten recht freundlich, wobei man ihnen ansah, was sie von dieser Vorschrift hielten.

Natürlich ist es völlig klar. Der Gewinn an an innerer Sicherheit dieses unterschiedslose Verbotes für uns von Messern aller Art in bestimmten Bereichen ist glatt null. Abgesehen davon, daß die Einhaltung dieser Vorschrift durch die Bevölkerung praktisch nicht kontrolliert werden kann, geht von einem Großteil der davon betroffenen Messer keinerlei ernsthafte Gefahr aus. Es wäre auch jedem Juristen, schon dem blutigsten Berufsanfänger, durchaus möglich eine derartige Vorschrift mit der nötigen Differenzierung zu versehen. Man müsste nur die Länge der Klinge in die Vorschrift schreiben, etwa 12 cm aufwärts. Das ist auch für jeden Polizeibeamten mit Leichtigkeit zu überprüfen. Notfalls führt er eben einen Maßstab von der erlaubten Länge mit sich, den er kurz an die Klinge des zu begutachtenden Messers hält. Warum im Übrigen die eingangs besagte ältere Dame kontrolliert wurde, hat natürlich den Hintergrund, daß Polizeibeamte in solchen Situationen sich dem Vorwurf des sogenannten racial profiling aussetzen, wenn sie solche Menschen überprüfen, die eben so aussehen, wie derartige Attentäter aus dem vorderen Orient eben im Allgemeinen aussehen. Also kontrollieren wir erst einmal drei ältere Damen mit offensichtlich biodieutschem Aussehen, und erst dann schauen wir uns einen jungen Mann von orientalischem Aussehen an.

Majestätsbeleidigung 2.0

Der Leviathan ist nicht nur allgewaltig. Er regelt nicht nur alle Lebensbereiche. Er ist auch außerordentlich ehrpusselig. Der nun unrühmlich im Meer der bundesdeutschen Geschichte versunkenen Ampelkoalition war es vorbehalten, die moderne Version der Majestätsbeleidigung unter Strafe zu stellen. Sie führte 2021 eine Änderung des § 188 StGB ein, wonach nicht nur wie bisher unwahre und ehrenrührige Tatsachenbehauptungen über Inhaber politischer Ämter strafbar sind, sondern auch bloße Beleidigungen, dazu noch zum Schutze völlig bedeutungsloser Politiker wie etwa Gemeinderäte. Es bedarf für die Strafverfolgung nicht einmal eines Strafantrages seitens des Verletzten. Vielmehr ist auch eine an sich harmlose, jedoch möglicherweise verletzende Äußerung über einen einfachen Gemeinderat, von Ministern ganz zu schweigen, von Amts wegen durch Polizei und Staatsanwaltschaften zu verfolgen und vor Gericht zu bringen. Das ist eben der juristische Hintergrund von „Habeck-Gate“ bzw. der sogenannten Schwachkopf Affäre. Offensichtlich sind die Staatsanwaltschaften auch angewiesen, hier auch bis in den Bagatellbereich hinunter alles zu verfolgen, was an Unbotmäßigkeiten dieser Art bekannt wird. Und offensichtlich entblöden unsere Politiker sich letztlich auch nicht, bloße Geschmacklosigkeiten strafrechtlich verfolgen zu lassen.

Die Weiterverbreitung des sogenannten Schwachkopf-Memes durch einen unterfränkischen Rentner hat ja sogar dazu geführt, daß das Amtsgericht Bamberg auf Antrag der Staatsanwaltschaft Bamberg einen Durchsuchungsbeschluss gegen den Mann erlassen hat, der dann auch nach allen Regeln der polizeilichen Kunst ausgeführt wurde, natürlich morgens um 6:00 Uhr. Und vor kurzem ist bekannt geworden, daß auf den Strafantrag der Ministerpräsidentin von Mecklenburg-Vorpommern ein Strafbefehl gegen einen Ingenieur erlassen worden ist, der diese fantastische Politikerin in einer an sie gerichteten E-Mail Märchenerzählerin genannt und ihr vorgeworfen hat, den Menschen dummes Zeug zu verkaufen. Im Strafbefehl wurde eine Geldstrafe in Höhe von immerhin 3.000,00 € festgesetzt. Weil der gute Mann nicht formgerecht Einspruch dagegen eingelegt hatte, wurde der Strafbefehl auch rechtskräftig. Und weil der „Täter“ nicht zahlen wollte, wurde er an seinem Arbeitsplatz verhaftet und zur Verbüßung der Ersatzfreiheitsstrafe von 30 Tagen in eine JVA verbracht. Anschließend, wenig überraschend, verlor er auch seinen Job.

Was wird hier bezweckt?

Was mich als Rechtsanwalt angesichts dieser Fälle schon die Augenbrauen hochziehen und die Stirn in Falten legen lässt, ist die offensichtliche Unprofessionalität der beteiligten Staatsanwälte und Richter. Wir haben eigentlich alle das gleiche im Studium gelernt. Auch § 188 StGB, der Tatbestand der Majestätsbeleidigung unserer Zeit, setzt zunächst einmal das Vorliegen einer Beleidigung im Sinne von § 185 StGB voraus. Dieser Tatbestand ist ganz sicher in den Fällen der sogenannten Formalbeleidigung von der Qualität des „berühmten“ A-Worts gegeben. Sowohl die Märchentante als auch der Schwachkopf erfüllen diesen Tatbestand bei weitem nicht. Wenn derartiges gleichwohl von der Staatsanwaltschaft aufgegriffen und ein Haftbefehl beim zuständigen Amtsgericht beantragt wird, dann kann dies nur auf einer Weisung von ganz oben beruhen, wonach jegliche harsche Kritik an Politikern, gleichgültig ob Formalbeleidigung oder nicht, eben zu verfolgen ist. Und es gibt dann offensichtlich auch Richter, die dies entweder unbesehen durchwinken oder zumindest innerlich nicht ganz unabhängig sind, und sei es nur mit dem Hintergedanken des persönlichen Fortkommens. Natürlich wird jeder der beteiligten Richter und Staatsanwälte diesen Verdacht entrüstet von sich weisen, und jeder Justizminister entrüstet darauf hinweisen, daß wir schließlich in einem Rechtsstaat leben. Wirklich?

Der Unterschied zwischen einem Souverän und einem Kleingeist

Angesichts der Böhmermann/Erdogan Affäre wurde in Deutschland vielfach zu Recht verlangt, eine so antiquierte Strafvorschrift wie den § 188 StGB auch in der damaligen Form ersatzlos zu streichen. Die Majestätsbeleidigung sei eben doch ein Relikt aus längst vergangenen Zeiten. Wie wir wissen, fand das in Berlin keinen Widerhall. Vielmehr wurde der Tatbestand der Majestätsbeleidigung erheblich ausgeweitet. Die Weisheit der seinerzeitigen Ampelkoalition hat nun jedem Amtsträger vom Gemeinderat bis zum Bundespräsidenten ein wenig Majestätsgefühl beschert. Und das wird offenbar freudig angenommen und „Riesenpolitiker“ (Franz Josef Strauß über Jürgen Möllemann) wie Agnes Strack-Zimmermann, Robert Habeck, Annalena Baerbock und Manuela Schwesig treten Lawinen von Strafanträgen über Deutschland los. Ein wirklicher Souverän im Wortsinn geht mit Schmähungen seiner Person anders um. Friedrich der Große gibt uns Beispiel und Maßstab. Es wurde ihm eines Tages von seinen Höflingen zugetragen, daß an den Ästen der Alleebäume der Prachtstraßen in Berlin Plakate voller Schmähungen des Königs hingen. Und sie erbaten seine Befehle, was nun zu geschehen habe. Zu ihrem großen Erstaunen verfügte der König knapp: „Niedriger hängen!“ Ja, warum denn, fragten die Höflinge. Die Antwort des Königs: „Damit sich die Leute nicht so die Hälse verrenken müssen.“

Der Abstand zwischen einem wirklichen Souverän, der eben auch souverän handelt, und bundesrepublikanischen Politikern unserer Zeit könnte nicht größer sein. Wir sollten uns indessen daran erinnern, daß der Souverän unseres Landes das Volk ist, und die sich als souverän wähnenden Politiker unsere Diener sind. Vielleicht spricht sich das auch noch bei unseren Gerichten herum. Art 20 GG wird ja nun im Jurastudium eingehend behandelt. Fazit für heute: Wir haben immerhin ein Gleichgewicht. Fachliche Unfähigkeit und fehlende Souveränität halten sich bei der Mehrheit unserer Politiker die Waage.

Armes Deutschland!

Si vis pacem para bellum: der Wahrheitsbeweis

Zu den Standardargumenten von linken Pazifisten wie auch bürgerlichen Bundeswehrverächtern gehörte während des Kalten Krieges die Behauptung, Deutschland benötige eigentlich keine Armee, auf gar keinen Fall die Wehrpflicht. Denn die äußere Sicherheit werde allein durch die Atomwaffen der USA garantiert. Ich selbst habe von solchen Argumenten nie etwas gehalten. Bestätigt wurde ich in meiner Einschätzung fünf Jahre nach dem Zusammenbruch des Warschauer Paktes. Und zwar aus erster Hand.

Zu Besuch in der Vergangenheit

Im Mai 1994 nahm ich in meiner damaligen Eigenschaft als Kommandeur eines nichtaktiven Pionierbataillons der Bundeswehr an einer Kommandeurtagung meiner Truppengattung teil. Für Nichtmilitärs: Unter nichtaktiven Truppenteilen versteht man solche, deren Waffen und Gerät vorhanden, deren Soldaten indessen als Reservisten nicht präsent sind, sondern bei Bedarf einberufen werden. Im sogenannten Kalten Krieg bis zum Zusammenbruch des Warschauer Paktes verfügte die Bundeswehr über derartige nichtaktive Truppenteile in großem Umfang, dazu über Personalersatz für die präsenten, aktiven Truppenteile, so daß zu den ständig präsenten mehr als 500.000 aktiven Soldaten rund 700.000 gut ausgebildete Reservisten kamen. Das ist heute ganz anders. Noch mehr als die aktive Truppe ist die Reserve zusammengeschrumpft. Dies liegt vor allem an der Aussetzung der Wehrpflicht seit 2011. Ohne deren Wiederaufleben wird eine die effiziente Landesverteidigung erst ermöglichende Schaffung von nichtaktiven Truppenteilen zur Ergänzung der präsenten Armee nicht möglich sein.

Der ehemalige Feind und heutige Kamerad berichtet

Diese Kommandeurtagung fand auf dem Truppenübungsplatz Klietz statt, zwischen Elbe und Havel teils in Sachsen-Anhalt, teils in Brandenburg gelegen. Dieser Übungsplatz ermöglicht wegen seiner geographischen Lage unter anderem das Üben des taktisch außerordentlich anspruchsvollen Angriffs über Gewässer, natürlich auch die Verteidigung dagegen. Das war seine Hauptfunktion für die Streitkräfte des Warschauer Paktes. So berichtete es mir der damalige stellvertretende Kommandant dieses Übungsplatz, der noch wenige Jahre zuvor als Oberstleutnant der NVA Kommandant, und nunmehr als Major der Bundeswehr eben stellvertretender Kommandant dieses Truppenübungsplatzes war. Jedes Jahr habe es eine Großübung von Truppen der NVA, der Roten Armee und weiterer Bündnisarmeen dort gegeben. Geübt worden sei jeweils der Angriff von Osten nach Westen, zunächst über die Havel, und dann über die Elbe. Das sei in kleinem Maßstab die Darstellung des Angriffs auf die NATO über die Elbe und dann über den Rhein gewesen. Dieses Manöver war offenbar jeweils so wichtig, daß es von prominenten Politikern und Generälen des Warschauer Paktes beobachtet wurde. Allerdings hätte der leitende General dieses Manövers jedes Mal am Ende den anwesenden politischen und militärischen Führern des Warschauer Paktes gemeldet, daß das Übungsziel nicht erreicht worden sei. Denn bei realistischer Annahme der Stärke und Gefechtsführung des Feindes sei man auch dieses Mal wieder zu dem Ergebnis gekommen, daß, so wörtlich, „es nicht geht“.

Wir haben alles richtig gemacht

Das war in die Tat die Bestätigung dessen, daß die NATO so stark war, daß sie einem konventionellen Angriff der Truppen des Warschauer Paktes standhalten konnte. Weil in dem geübten Szenario als Problemlösung die nukleare Option nicht beinhaltet war, konnte ich daraus nur schließen, daß diese Option von den Generälen des Warschauer Pakts seinerzeit nicht wirklich als realistisch angesehen worden war. Was jahrzehntelang in Deutschland von sich für klug und gut informiert haltenden Zeitgenossen belächelt worden war, erwies sich tatsächlich als erfolgreiche Abschreckung. Und auch als die historisch zum gefühlt tausendsten Male aufs Neue bestätigte römische Erkenntnis: si vis pacem, para bellum.

Außenpolitik mit und ohne Hirn

Es ist schon merkwürdig. In Sachen Krieg und Frieden, Rüstung und Abrüstung sowie Freund und Feind hat sich in den letzten Jahren eine merkwürdige Verschiebung der politischen Einstellungen ergeben.

In den Zeiten des Kalten Krieges waren innenpolitisch bei uns die Fronten klar:

Die Linke aller Schattierungen stand für Pazifismus, zum großen Teil auch an der Seite der sozialistischen/kommunistischen Brüder und Schwestern im Osten. Die Rechte, von den Liberalen über die Bürgerlichen bis hin zu den Nationalen stand für Wehrhaftigkeit und bekannte sich zur NATO. Das ist heute offensichtlich in weiten Teilen genau umgekehrt, in geringeren Teilen mindestens unklar. Darüber sollte man schon ein paar Worte verlieren.

Die Bundeswehr war wenigstens halbwegs gut finanziert, mehr als 2 % des Bruttosozialprodukts standen zur Verfügung. Mit 595.000 präsenten Soldaten und zusätzlich rund 700.000 sofort verfügbaren Reservisten konnte sie auch einem überraschenden Angriff des Warschauer Pakts ca. 1,3 Millionen gut ausgebildete Soldaten entgegenstellen. Gut ausgebildet, denn auch die wehrpflichtigen Mannschaftsdienstgrade dienten 15 bzw. 18 Monate lang. Heute haben wir 180.000 präsente Soldaten zzgl. 34.000 Reservisten. Hatte die Bundeswehr 1985 noch ca. 4600 Kampfpanzer, so sind es heute nur noch bescheidene 295 Stück. Trotz der vom Bundeskanzler nach dem Einmarsch der russischen Streitkräfte in die Ukraine ausgerufenen Zeitenwende hat sich daran bis jetzt nichts geändert.

Nun ist der Kalte Krieg gottlob vorbei. Wir können mit Recht auch sagen, daß der politische und wirtschaftliche Zusammenbruch des Warschauer Paktes in erster Linie der glaubhaft gestalteten Verteidigung, zu einem nicht geringen Anteil der immer größer werdenden wirtschaftlichen Überlegenheit des Westens und auch dem glaubhaft dokumentierten Willen der Bürger unseres Landes und der verbündeten Staaten geschuldet war. Pazifismus war die Bewegung einer linken Minderheit, stärker im universitären Milieu und den Kirchen, schwach bis bedeutungslos in der Arbeiterschaft und dem Bürgertum.

Das hat sich fundamental geändert. Die Lage ist insoweit äußerst unübersichtlich. Auffallend ist jedoch, daß früher glühende Pazifisten wie die Grünen, die Linke und Teile der SPD nun einer weitgehenden militärischen Unterstützung der Ukraine in ihrem Abwehrkampf gegen Russland das Wort reden, teilweise über die bloße Lieferung von effizienten Waffen hinaus. Auffallend ist auch, daß nicht nur im BSW, seiner von jeher russlandfreundlichen Vorsitzenden Sahra Wagenknecht folgend, sondern auch in der AfD ein entschiedener Pazifismus herrscht, der vor allem einen Friedensschluss um jeden Preis fordert, und mit teils schrillen Tönen davor warnt, daß Deutschland in diesem Krieg hineingezogen werden könnte. Es ist ebenfalls auffallend, daß jedenfalls in Teilen der SPD, der Linken überhaupt, vom BSW ganz abgesehen, mit Blick auf den Konflikt zwischen Israel und den palästinensischen Terrororganisationen, eine dezidiert palästinenserfreundliche und gegenüber Israel mindestens kritische Haltung vorherrscht. Erstaunlich deswegen, weil jedenfalls seit 1949 über Jahrzehnte auch im linken Teil des deutschen politischen Spektrums die uneingeschränkte Unterstützung Israels gegenüber seinen Feinden gewissermaßen zum guten politischen Ton gehörte.

Sicherlich war die gewaltige Bedrohung durch den Warschauer Pakt während des Kalten Krieges die Garantie dafür, daß die politischen Verhältnisse außerordentlich stabil waren. Wer Freund und wer Feind war, daran konnte kein Zweifel bestehen. Heute ist nun die politische Lage volatil und wechselhaft, was natürlich allerorten, auch in Deutschland, zu unklaren Verhältnissen führt. Indessen mag das zwar der Demokratie wesenseigen sein, muss aber nicht in jedem Falle zu begrüßen sein.

Vor allem muss man hinterfragen, was diese gewandelten politischen Überzeugungen betreffend Sicherheit, Verteidigung und Bündnispolitik verursacht hat. Daß etwa das linke politische Spektrum jedenfalls hinsichtlich des Russland/Ukraine Krieges seinen Pazifismus über den Bord geworfen und durch einen entschiedenen Willen zur auch militärischen Unterstützung der Ukraine gesetzt hat, mag zwar zu begrüßen sein. Es ist aber unklar, wie lange das anhält, ob das wirklich letztendlich die Übernahme des Prinzips si vis pacem para bellum ist, oder ob das nicht viel mehr eine tagespolitische Eintagsfliege genannt werden muss, wird abzuwarten sein.

Nicht wirklich nachvollziehbar ist jedenfalls tagesaktuelle Pazifismus in der AfD. Galt es doch früher als ausgemacht, daß nationale, rechte Parteien die Wehrhaftigkeit des Landes gewissermaßen auf ihr Panier geschrieben hatten, so nimmt man heute zur Kenntnis, daß auf dem kommenden Wahlparteitag der AfD höchstwahrscheinlich der Antrag, die 2011 ausgesetzte Wehrpflicht wieder einzuführen, erst gar nicht zur Abstimmung kommen wird. Angesichts etwa eines Anton Hofreiter von den Grünen, der offenbar alle Anstrengungen unternimmt, demnächst zum General h.c. zu avancieren, wirkt der Pazifismus eines Tino Chrupalla von der AfD wie absurdes Theater. Es mag zwar auch sein, daß diese Haltung derzeit in weiten Teilen der Bevölkerung populär ist. Sie sorgt aber erkennbar nicht für entsprechende Wahlchancen, die ja heute nicht größer sind, als sie in der Zeit vor dem Ukraine Krieg immer wieder in den Umfragen abzulesen waren. Viele der Mitglieder und Wähler dieser Partei kommen letztendlich aus den Unionsparteien. Es war aber seit Adenauer die Westbindung Deutschlands gewissermaßen DNA der Union. Die Stationierung von US-amerikanischen Streitkräften einschließlich atomar bestückter Raketen war nicht nur in der Union, sondern auch in weiten Kreisen der politisch weniger gebundenen Bevölkerung selbstverständlicher Bestandteil der bundesdeutschen Existenz. Diese ehemaligen Mitglieder der Unionsparteien und ehemaligen Wähler haben in diesem Punkt sicherlich ihre Auffassungen nicht geändert und sind etwa deswegen Wähler oder Anhänger der AfD geworden. Das waren bekanntlich ganz andere Punkte, zunächst die desaströse Wirtschaftspolitik (Griechenland-Rettung, wachsende Abhängigkeit von Brüssel) der Frau Merkel, dann der Atomausstieg, unter dem wir heute zu leiden haben und vor allem die Zulassung, ja sogar Förderung einer ungeregelten, unkontrollierten und finanziell für Deutschland ruinösen Einwanderung. Aus überzeugten Befürwortern der NATO und der Bundeswehr sind indessen mit Sicherheit keine Pazifisten geworden.

Unabhängig davon, daß der Pazifismus grundsätzlich ein Holzweg ist, ist diese Haltung in der aktuellen Situation noch unverständlicher. Man fasst sich an den Kopf. Russland unter der Führung eines nur schlecht getarnten Diktators greift ein Nachbarland an, um es sich einzuverleiben. Putin erklärt auch unumwunden, der Zusammenbruch der Sowjetunion sei die größte Katastrophe seines Landes gewesen, und er sehe sich nun in der Situation Peters des Großen, der bekanntlich seine Aufgabe darin gesehen hat, die russische Erde zu sammeln, egal, zu welchem Staat sie gerade gehörte. Vor allem aber hat Russland mit dem Angriff auf die Ukraine das völkerrechtlich verbindliche Verbot des Angriffskrieges missachtet. Das ist die sprichwörtliche rote Linie. Dabei ist völlig unerheblich, ob geopolitisch ein gewisses Verständnis für den Wunsch Russlands bestehen könnte, die Westbindung des Nachbarlandes Ukraine zu verhindern. Insoweit weint Herr Putin aber auch Krokodilstränen, denn er hat bis vor zehn Jahren sämtliche Verträge ehemaliger Warschauerpakt-Staaten mit der NATO unterschriftlich gebilligt. Näheres kann man in meinem Buch „Tatort Ukraine“ nachlesen. Die Vorstellung, an der Seite einer autoritär bis diktatorisch regierten Weltmacht namens Russland stehe Deutschland besser da, als an der Seite einer demokratischen und weitgehend rechtsstaatlichen Weltmacht namens USA, ist an Abwegigkeit kaum zu übertreffen. Auch wenn AfD in ihren übrigen Programmpunkten durchaus eine demokratische und seriöse Alternative zu den übrigen politischen Parteien unseres Landes ist, auch wenn diese und ihre medialen Steigbügelhalter uns anderes weismachen wollen, sie wird mit diesem seltsamen Pazifismus nicht wenige potentielle Wähler vergraulen. Man reißt also dort buchstäblich mit dem Gesäß ein, was man vorne mit seinen Händen aufgebaut hat. In diesem Zusammenhang muss über den linken Pazifismus natürlich kein Wort verloren werden. Trifft er auch noch noch mit einer traditionellen Russlandfreundlichkeit zusammen, wie in Teilen der SPD, der gesamten Linken und vor allem bei Sahra Wagenknecht, dann kann man seine Nichtwählbarkeit kaum besser beweisen.

Nebenbei bemerkt. Abgesehen davon, daß wir auf diesem Erdball überhaupt, und in der NATO speziell eine nur überschaubare Bedeutung haben, verspielen wir mit einer solchen Haltung, falls sie jemals die Politik unseres Landes einmal bestimmen sollte, jede Möglichkeit, politischen Einfluss auf unsere Verbündeten zu nehmen, wenn sie das dann überhaupt noch sind.

Intelligenz ist etwas anderes.