Recep Tayyip Erdogan hat bekanntlich die Forderung, Zuwanderer aus dem islamischen Kulturkreis – er spricht natürlich für „seine“ Türken – sollten sich den Deutschen anpassen, als Verbrechen bezeichnet.
So weit geht Lamya Kaddor nicht. Ihre Sprache ist subtil. Sie tritt nun mit der Forderung hervor, die Mehrheitsgesellschaft habe gegenüber den zugewanderten Bürgern, insbesondere denen, die schon in dritter oder vierter Generation hier leben (und sich offensichtlich immer noch nicht integriert haben) eine Bringschuld. Das klingt freundlich und versöhnlich, erweist sich aber bei näherem Hinsehen lediglich als List wie im Märchen vom Wolf und den sieben Geißlein. Der Wolf hat Kreide gefressen.
Frau Kaddor bezeichnet zunächst einmal alle diejenigen, die Wert auf ein kulturell homogenes Staatsvolk in Deutschland (von anderen Ländern, insbesondere im islamischen Kulturkreis, spricht sie nicht) als „Deutschomanen“. Der Wortschöpfung kann man ein gewisses Maß an sprachlicher Kreativität nicht absprechen. Allerdings ist die Vokabel auch aggressiv diffamierend. Die so bezeichneten Deutschen leiden also unter einer Manie des Deutschseins. Manien aller Art gehören jedoch zu Psychosen oder ähnlichen psychischen Defekten. Das muß man sich vergegenwärtigen, wenn man Frau Kaddors Definition dieser Manie betrachtet. Danach zeigt sich die sogenannte Deutschomanie in Forderungen wie: Menschen, die vielleicht schon in der vierten Generation in Deutschland leben, müssten sich anpassen, obwohl sie längst Deutsche sind. Das ist schon starker Tobak. Denn im Umkehrschluß bedeutet das nichts anderes, als daß Parallelgesellschaften wie in Berlin-Neukölln oder Duisburg-Marxloh hinzunehmen sind. Ihnen gegenüber soll die Mehrheitsgesellschaft auch eine „Bringschuld“ haben. Die soll darin bestehen, diese Menschen zumindest „auf Augenhöhe zu respektieren“. Das will besagen, gelungene Integration nach dem Geschmack von Frau Kaddor soll zwar mehr Verfassungspatriotismus, mehr freiheitliche Werte, Gesetze, Regeln, Rechte aller beinhalten. Uns alle in unserem Lande einige doch der Rechtsstaat und die Demokratie. Natürlich müsse Deutsch dabei als Sprache (Kultur und Geschichte werden nicht erwähnt) eine zentrale Rolle spielen, aber auch Nation, nur jenseits des „völkischen“ Denkens. Außerdem dürfe man dazu nicht nur die Mehrheit formulieren lassen, man müsse auch mal Minderheiten formulieren lassen. Da könne auch etwas Konstruktives herauskommen.
Abgesehen davon, daß die Metapher von der Bringschuld außerhalb des juristischen Sprachgebrauchs stets falsch ist, denn es wird damit nur der Ort definiert, an dem eine Verbindlichkeit (Schuld) zu erfüllen ist, ist auch ersichtlich falsch, was damit gesagt werden soll. Frau Kaddor verlangt ja allen Ernstes nicht nur von denjenigen, die in unser Land einwandern, um hier dauerhaft zu bleiben, die geltenden Gesetze einzuhalten. Die Beachtung von Gesetzen und Regeln des Landes, in dem man mit oder ohne seine Staatsbürgerschaft lebt, ist jedoch nur das Minimum dessen, was einen Aufenthalt überhaupt möglich macht. Anderenfalls lernt man von einem Lande entweder seine Gefängnisse kennen oder aber muß es alsbald wieder verlassen. Mehr als Rechtstreue verlangt sie nicht, vielmehr meint sie damit, daß die sogenannte Mehrheitsgesellschaft auch von den Zuwanderern das eine oder andere annehmen soll. Weil die Zuwanderer die Gesetze des Landes beachten sollen, kann damit ja nur ihre kulturelle Identität gemeint sein. Zu dieser Identität gehört natürlich der Islam, und zwar ganz wesentlich. Sie soll wohl in gewissem Maße abfärben. Auf den Vorhalt, daß gerade der Islam als Identitätsressource möglicherweise für besonders große Integrationsprobleme sorge, winkt sie ab. Das sei wissenschaftlich so nicht haltbar, daß der Islam für Integrationsprobleme besonders verantwortlich gemacht werden könne oder die Religion überhaupt der ausschlaggebende Faktor sei, warum Menschen besser oder schlechter integriert seien.
In diesem Zusammenhang muß natürlich gesehen werden, daß Frau Kaddor behauptet, es könne einen liberalen Islam geben, fern aller fundamentalistischen Interpretation und konservativ-religiöser Lebenswirklichkeit. Mit Blick auf den tatsächlich jedenfalls außerhalb kleiner Zirkel in Europa wie ihrer eigenen liberal-islamischen Vereinigung kann man nicht umhin, hier von einer Schimäre wie einem runden Quadrat zu sprechen. Derartige Vorstellungen, sollten sie überhaupt ernst gemeint sein, haben nicht den Hauch einer Chance, den real existierenden Islam nach den Vorstellungen Erdogans, der saudischen Fundamentalisten oder der iranischen Ajatollahs auch nur in unserem Lande abzulösen, von den islamischen Ländern selbst einmal völlig abgesehen. Der unbedarften Vereinsmeierei deutscher Intellektueller mit oder ohne Migrationshintergrund stehen die mit Milliardenbeträgen gesponsorten Moscheevereine saudiarabischer Prägung und vom türkischen Staat finanzierten und gelenkten islamischen Gemeinschaften gegenüber. Deren Einfluß in Deutschland wächst in rasantem Tempo. Ihre Interpretation des Koran und der Scharia ist für die übergroße und weiter wachsende Zahl der Muslime maßgeblich. Ernstzunehmende liberale islamische Theologen, insbesondere auch mit Einfluß auf die übrige islamische Welt, sind weit und breit nicht in Sicht. Zutreffend ist daher das Resümee des islamkundigen Publizisten Ufuk Özbe: Sowohl gläubiger Muslim als auch Befürworter der freiheitlich-demokratischen Grundwerte sein zu wollen, scheint nur dank des Segens der Unwissenheit oder mit hartnäckiger Verdrängung oder durch Aushalten schwindelerregender Verrenkungen möglich zu sein. Wenn jedoch Muslime mit in Deutschland erworbenen akademischen Qualifikationen uns das Lied vom liberalen Islam singen, obgleich sie es ganz sicher besser wissen, dann drängt sich doch das Bild vom bösen Wolf auf, der Kreide gefressen hat, um die arglosen sieben Geißlein über seine Identität zu täuschen, damit sie ihm die Tür öffnen und er sie fressen kann. Das Bild paßt übrigens für beide Seiten. Sowohl der Charakter des Islam als auch die Naivität der deutschen Intellektuellenkaste sind damit wirklichkeitsnah abgebildet.