Gestern (31.03.2016) Abend konnte man zum wiederholten Male erleben, wie im deutschen Fernsehen über Kriegsverbrechen deutscher Soldaten im Zweiten Weltkrieg berichtet wird. Diesmal war es die Sendung „Kontraste“ im Rotfunk Berlin Brandenburg. Die investigativen Journalisten dieses Senders hatten herausgefunden, daß ein inzwischen 94-jähriger Kommunalpolitiker aus dem Schwarzwald an einem Kriegsverbrechen in Italien am 29.09.1944 beteiligt war (in Wirklichkeit: daß die Staatsanwaltschaft Stuttgart gegen ihn ermittelt). Demnach soll er als Angehöriger der 16. Panzergrenadierdivision der Waffen-SS an Massakern im Bereich der Gemeinde Marzabotto nördlich von Florenz teilgenommen haben. Aufschlußreich ist, wie das in dieser Sendung dargestellt worden ist. Man kann das im übrigen ja in der ARD Mediathek immer noch nachträglich anschauen.
Nach der Darstellung in dieser Sendung hat eben der Beschuldigte damals an Greueltaten mitgewirkt, wie etwa die Einschließung von Dutzenden von Dorfbewohnern in einer Kapelle, um sie anschließend mit Handgranaten zu massakrieren, Massenerschießungen und sogar dem buchstäblichen Abschlachten von Dorfbewohnern. Natürlich präsentierte man auch einen „Zeugen“, der damals 16 Jahre alt war und seine Angehörigen mit aufgeschlitzten Bäuchen und heraushängenden Gedärmen vor seinem Elternhaus aufgefunden haben will. Der Beschuldigte habe eingeräumt, an dem Einsatz gegen Partisanen im Raum Marzabotto beteiligt gewesen zu sein. Von Greueltaten habe er aber nichts gewußt. Offensichtlich glauben ihm die Journalisten davon kein Wort. Vielmehr erweckt man den Eindruck, er sei führend an Greueltaten beteiligt gewesen. Schließlich habe er Dienstgrad eines Unterscharführers gehabt und sei als „Befehlshaber“ seiner Soldaten für jenen Einsatz verantwortlich gewesen. Wegen dieser Sache seien auch insgesamt zehn SS-Angehörige, darunter der Beschuldigte, von italienischen Militärgerichten verurteilt worden. Dies werde in Deutschland jedoch nicht anerkannt. Warum das so ist, wird dem Zuschauer nicht mitgeteilt. Das soll nun an dieser Stelle erläutert werden. Regelmäßig finden diese Verfahren vor italienischen Militärgerichten in Abwesenheit der deutschen Angeklagten statt. Solche Urteile entsprechen nicht rechtsstaatlichen deutschen Maßstäben. Sie binden daher unsere Gerichte nicht. Verräterisch ist auch der Sprachgebrauch dieser famosen Journalisten. Die Bezeichnung des Beschuldigten als Befehlshaber suggeriert, er sei damals in einer Position gewesen, in der er verantwortlich entscheiden konnte, ob und wie ein Einsatz gegen Partisanen oder unbeteiligte Zivilbevölkerung durchgeführt wird. Davon kann nicht entfernt die Rede sein, was sich schon aus dem SS-Dienstgrad des Beschuldigten ergibt. Er war Unterscharführer, was in der damaligen Wehrmacht und heutigen Bundeswehr dem Dienstgrad des Unteroffiziers entspricht. Ein Soldat in diesem Dienstgrad verfügte weder damals noch heute über die Befehlsgewalt, etwa einen derartigen Einsatz zu befehlen oder auch nur im Rahmen dieses Einsatzes über taktische Einzelheiten zu entscheiden. Vielmehr handelte es sich dabei um Soldaten, denen zum Beispiel selbst die Staatsanwaltschaft Dortmund in der Sache Kephallonia zugebilligt hat, keinerlei Handlungsspielraum gehabt zu haben, als es um die Erschießung von Gefangenen ging.
Aber es kam noch dicker. „Kontraste“ sprach mit dem ermittelnden Stuttgarter Staatsanwalt, der darauf hinwies, daß man einem Beschuldigten in einem solchen Falle konkret nachweisen müsse, was er im einzelnen getan habe, also mit anderen Worten, ob er persönlich unbeteiligte Zivilisten ermordet hat, oder zumindest unmittelbar daran beteiligt war. Das ist natürlich völlig richtig. Da dies aber im deutschen Fernsehen im Falle von wirklichen oder auch nur behaupteten Kriegsverbrechen deutscher Soldaten nicht sein darf, mußte man die Rechtsauffassung der Staatsanwaltschaft „korrigieren“. Dazu befragte man die bekannte Linksanwältin Gabriele Heinecke, die schon in mehreren Verfahren wirkliche oder angebliche Hinterbliebene von wirklichen oder angeblichen Kriegsverbrechen deutscher Soldaten auf dem italienischen Kriegsschauplatz des Zweiten Weltkrieges vertreten hat. Ihre engen Verbindungen zur kommunistisch dominierten Resistenza sind offensichtlich. Nach dem sie erst einmal erklärt hatte, hier handele es sich ja um ein Gruppenverbrechen, sodaß jeder Angehörige der Gruppe verantwortlich sei, verwies man in der laufenden Sendung dann auf die Fälle Demjanjuk und Gröning. Hier handelte es sich jeweils um Angehörige von SS-Wachmannschaften, die in den Vernichtungslagern Auschwitz und Sobibor Dienst getan hatten. In jenen Fällen kamen die Gerichte zu dem Schluß, daß hier ausnahmsweise schon die Feststellung genügt, daß jemand dort Dienst getan hat, weil eben diese Lager keinen anderen Zweck hatten, als die dorthin verschleppten Menschen umzubringen. Der Stuttgarter Staatsanwalt wies dann zu Recht darauf hin, daß diese Fälle sich im entscheidenden Punkt von dem vorliegenden unterscheiden. Während es dort ausschließlich um die Vernichtung der eingelieferten Personen gegangen sei, sei das bei einer militärischen Einheit anders, die auch Kampfaufgaben, hier im Partisanenkampf, zu erledigen hatte. Da müsse man schon feststellen, was der betreffende Beschuldigte denn nun genau getan habe. Im vorliegenden Fall hat sich ja der Beschuldigte dahingehend eingelassen, am Kampfeinsatz gegen die Partisanen teilgenommen zu haben, von anderen Dingen jedoch nichts gewußt zu haben. Hinzu kommt, daß an jenem Einsatz gegen die Partisanenbande „Stella Rossa“, die sich in einer Stärke von mehreren 100 Mann in den Dörfern der Gemeinde Marzabotto buchstäblich verschanzt hatte, und den angreifenden deutschen Truppen harten Widerstand leistete, neben Verbänden der 16. SS-Panzergrenadierdivision auch das Ost-Regiment 1059 der Wehrmacht und das Flakregiment 105 der Wehrmacht, letzteres auch mit infanteristischen Kräften, teilgenommen hatten. Somit können einzelne Kampfhandlungen wie auch Tötungen von Dorfbewohnern nicht einzelnen Truppenteilen, und noch weniger einzelnen Soldaten, zugeordnet werden.
Damit aber auch jeder Fernsehzuschauer sicher sein kann, daß sämtliche Teilnehmer an diesem Einsatz als Straftäter angesehen werden müssen, wurde dann noch der Historiker Carlo Gentile als Fachmann für den Partisanenkrieg in Italien vorgestellt. Der wußte natürlich, daß die 16. SS-Panzergrenadierdivision Erfahrung im Vernichten der Zivilbevölkerung hatte, und dies arbeitsteilig organisiert war. Richtig ist, daß Carlo Gentile sehr viel über den Partisanenkrieg in Italien geschrieben hat, wobei er tendenziell stets die Deutschen belastet und die Partisanen entlastet. Richtig ist auch, daß diese Division der Waffen-SS sehr häufig für derartige Kriegsverbrechen verantwortlich war. Somit konnten dann die wackeren Mitarbeiter der Agitpropabteilung des Senders feststellen, daß der Beschuldigte unmittelbarer am Mord beteiligt war, als etwa „ein kleiner Buchhalter in Auschwitz“. Für den unkundigen Zuschauer war damit klar, daß die deutsche Justiz hier – wieder einmal, so sollte es scheinen – einen Kriegsverbrecher der NS-Zeit schützt. Die bereits erwähnte Linksanwältin durfte dann auch abschließend erklären, die Staatsanwaltschaft Stuttgart sei hier gewissermaßen der Stöpsel in der Flasche, den man auch haben wolle, um diese Verfahren zu beenden. Das sei aber nicht die Aufgabe der Staatsanwaltschaft. Es sei rechtsstaatswidrig, nicht die entscheiden zu lassen, die dazu berufen sind, und das seien nun einmal die Gerichte. Diese Erklärung ist nicht nur unverschämt, ja beleidigend gegenüber der Staatsanwaltschaft in Stuttgart. Sie ist aus dem Munde einer erfahrenen Rechtsanwältin auch fachlich bodenlos, das aber mit voller Absicht. Natürlich weiß die Dame, daß die Strafprozessordnung der Staatsanwaltschaft nicht die letzte Entscheidung darüber zubilligt, ob ein Ermittlungsverfahren zur Anklage führt oder nicht. Denn gegen die Einstellung des Ermittlungsverfahrens kann von den Verletzten bzw. ihren nahen Angehörigen das sogenannte Klageerzwingungsverfahren durchgeführt werden, an dessen Ende die Entscheidung eines Oberlandesgerichts steht. So war es ja beispielsweise auch im Falle Kephallonia, in dem gegen den Führer des Exekutionskommandos ermittelt wurde, vor das der italienische General Gandin und seine Stabsoffiziere gestellt worden waren. Hier wurde eben dann von einem Gericht festgestellt, daß ein hinreichender Tatverdacht des Mordes nicht vorlag, und somit auch eine Anklage nicht zu erheben war. Natürlich wurde in diesem Beitrag auch nicht erwähnt, daß sowohl der Kommandeur der 16. SS Panzergrenadierdivision GenLt Simon, als auch der Führer jenes Einsatzes im Gebiet der Gemeinde Marzabotto, Sturmbannführer (entspricht dem Dienstgrad Major) Reder, unter anderem wegen dieses Falles von einem britischen bzw. den italienischen Militärgerichten zum Tode bzw. langjährigen Freiheitsstrafen verurteilt worden sind.
Abschließend kann man nur feststellen, daß seriöse Berichterstattung anders aussieht. Weder die damaligen Vorgänge in Marzabotto, die nun beim besten Willen nicht mehr juristisch aufgeklärt werden können, noch die Rechtslage wurden den Fernsehzuschauern auch nur annähernd zutreffend erklärt. Sicherlich ist es so, daß in Marzabotto sowohl Gefechte zwischen den eingesetzten deutschen Truppen und den italienischen Partisanen stattgefunden haben, in deren Verlauf ganz sicher auch unbeteiligte Dorfbewohner umgekommen sind. So haben die Partisanen ja aus bewohnten Häusern heraus gekämpft. Diese wurden auch, teilweise mit Artillerie, beschossen. Auf der anderen Seite hat es ganz sicher auch Kriegsverbrechen deutscher Truppenteile gegeben. Auch wenn nach den überlieferten Feststellungen der britischen militärischen Ermittler den Aussagen italienischer Zeugen häufig nicht geglaubt werden kann, weil sie gar zu übertrieben und phantasievoll, teilweise ganz offensichtlich falsch waren, so können ja nicht sämtliche Berichte über die Ermordung von unbeteiligten Zivilisten falsch sein. Nur ist es eben so, daß im Nachhinein das eine vom anderen nicht mehr unterschieden werden kann, jedenfalls nicht mit der Sicherheit, die es einem Juristen ermöglicht, einem bestimmten Soldaten ein bestimmtes Verbrechen zur Last zu legen.
Um eine solche ausgewogene Berichterstattung geht es hier aber offensichtlich nicht. Nach dieser Sendung kann man keinen anderen Eindruck haben als den, daß es hier nur darum geht, die Zuschauer darüber zu belehren, daß ihre Vorfahren Kriegsverbrecher gewesen seien. Man nennt das heute, wie man hört, Qualitätsjournalismus. Ach ja, beinahe hätte ich’s vergessen. Nach deutschem Recht gilt jeder als unschuldig, der nicht von einem deutschen Gericht rechtskräftig wegen der zur Last gelegten Tat verurteilt worden ist. Man nennt das auch die Unschuldsvermutung. Für das deutsche Fernsehen gilt das offenbar nicht. Jedenfalls dann nicht, wenn es um deutsche Soldaten geht. Da gilt vielmehr der Verdacht als Schuldbeweis.