Ein bißchen Nachhilfe im Fach Demokratie – und warum sie bei der politischen Klasse nichts fruchten wird

Die zweifelsfrei demokratische Wahl des FDP-Politikers Thomas Kemmerich zum Ministerpräsidenten von Thüringen, besser gesagt die Reaktion des Juste Milieu Deutschlands von Merkel („unverzeihlich“) bis Prantl („politische Prostitution“) haben die demokratische Fassade von deren tatsächlichem Demokratieverständnis zum Einsturz gebracht. Nachdem das Getöse und der Staub sich erst mal verzogen haben, ist es an der Zeit, den Vorgang kühl und sachlich zu analysieren.

Die Verfassung ist das eine….

Zunächst zur Rechtslage. Dazu ist schon sehr viel geschrieben worden, so daß wir uns hier auf ein nur kurzes rekapitulieren beschränken können. Die Regeln der Thüringer Verfassung wurden bei dieser Wahl zweifellos eingehalten. Die von der Linkspartei gestellte Landtagspräsidentin hätte ansonsten ja die Gelegenheit beim Schopf ergreifen müssen, die Wahl für ungültig zu erklären und die Vereidigung des gewählten Ministerpräsidenten zu verweigern. Zweifellos war es auch das gute Recht sämtlicher demokratisch gewählter Abgeordneter des Thüringer Landtages, und das sind alle 90 Mitglieder des Hohen Hauses, zu wählen, wen sie wollten. Die Regeln der Thüringer Verfassung, die im Übrigen auch gleichlautend im Grundgesetz stehen, lassen daran nicht den mindesten Zweifel. Deswegen haben auch weder Merkel und ihre Satrapen, noch ihre Schleppenträger in den Medien derartige juristischen Zweifel geäußert. Der Befehl Merkels zur Rückgängigmachung dieser Wahl kam denn auch völlig ohne juristische Begründung aus. Sie wäre auch nicht möglich gewesen. Nicht einmal eine politische Begründung schien vonnöten. Warum das so ist, stelle ich noch dar.

Eine interessante Überlegung knüpft sich an den Merkel’schen Verfassungsbruch, dem unterschiedlich rasch die nahezu komplette politische Klasse des Landes beigetreten ist. Verfassungsbruch deswegen, weil es ganz sicher nicht das Recht des Bundeskanzlers ist, (nach dem Wortlaut der Verfassung ist er halt männlich, generisches Maskulinum, liebe Gender-Professorinnen) in die Regierungsbildung eines Bundeslandes einzugreifen und insoweit personelle und parteipolitische Vorgaben zu machen. Verfassungsbruch auch deswegen, weil der Bundeskanzler deswegen auch nicht befugt ist, einen gewählten und vereidigten Ministerpräsidenten abzusetzen. Verfassungsbruch aber auch deswegen, weil weder ein Bundeskanzler noch sonst jemand das Recht hat, frei gewählte Abgeordnete von der Willensbildung in ihren Parlamenten auszuschließen, indem verfügt wird, Wahlergebnisse, die auf dem Abstimmungsverhalten dieser Abgeordneten beruhen, für ungültig zu erklären. Nur am Rande bemerkt sei, daß es jedenfalls bisher in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland nicht denkbar war, daß eine politische Partei, dazu noch nicht einmal in Gestalt ihrer Vorsitzenden, dem Vorsitzenden einer anderen Partei vorschreibt, welche Politiker seiner Partei in welche staatlichen Ämter gewählt werden, bzw. diese niederzulegen haben. Das ist in Deutschland wohl nur in der DDR möglich gewesen, wo der Generalsekretär der SED wohl ohne weiteres den Vorsitzenden der sogenannten Blockparteien entsprechende Weisungen geben konnte. So weit sind wir in Deutschland also wieder. Honi soit qui mal y pense.

die Politik ist das andere.

Doch die wirklich interessante Frage ist doch, warum dies so ist. Natürlich liegt die Antwort zunächst einmal auf der Hand. Der Störenfried im bundesdeutschen Parteiensystem, dessen Mitwirkung an der parlamentarischen Willensbildung hier so brutal unterbunden worden ist, darf nach Meinung des gesamten politisch-medialen Milieus auf keinen Fall in den Kreis der Demokraten aufgenommen werden. Da ist es völlig unerheblich, wie viele Millionen Wähler dieser Partei ihre Stimme gegeben haben. Sie wird eben als Ausgeburt der Hölle gehandelt. Sie ist wahlweise faschistisch, neonazistisch, rechtsextrem und was es sonst für Invektiven gibt. Mit solchen Leuten haben sich brave Demokraten nicht abzugeben. „Spiel nicht mit den Schmuddelkindern!“ sang Franz Josef Degenhardt 1965 mit Blick auf die Haltung des bürgerlichen deutschen Milieus zu APO und Co. Und in der Tat kann die hysterische Reaktion des bundesdeutschen Juste Milieu in Politik, Medien und Universitäten nur so erklärt werden, daß in Gestalt der AfD, mehr noch wegen ihrer beträchtlichen Wahlerfolge zu befürchtenden Veränderung des politisch-gesellschaftlichen Klimas der Instinkt geweckt worden ist, den politisch-geistigen Besitzstand und den Einfluß auf das politische Denken der Bürger mit allen Mitteln zu verteidigen. Es handelt sich noch nicht um „die Reste verfaulender Macht, die hier mit rattenhafter Wut verteidigt werden“ (Heinrich Böll). Doch der Baum der Macht bekommt schon die ersten Risse. Und schon spürt man die Gefahr der Veränderung.

Der säkulare Heilsplan ist in Gefahr

Warum aber ist es notwendig, sich gegen diese aus der Sicht des deutschen Juste Milieu aufkeimende Gefahr mit dieser rattenhaften Wut zu verteidigen? Warum reagiert man so fanatisch mit dem Ruf nach dem Scheiterhaufen, auf dem die Ketzer verbrannt werden müssen? Warum verfolgt man mit der fanatischen Inbrunst glaubenstrunkener Muslime, die wirklich oder angeblich vom Glauben abgefallene Menschen lynchen wollen, jede Regung abseits vom politischen Kanon der Rechtgläubigkeit? Warum dieses „Kreuziget ihn!“ wenn es einer der ihren auch nur wagt, die Regeln von Anstand und Höflichkeit auch gegenüber den Abgesandten der Hölle zu wahren, und ihnen zu einer demokratischen Wahl gratuliert? Warum erstreckt sich dieser abgrundtiefe Haß sogar auf die tragischen Figuren in der Union, die sich mit ihrem Abgrenzlertum gegenüber der AfD einerseits und ihrer mehr als berechtigten Kritik an eben diesem politischen Mainstream zwischen alle Stühle gesetzt haben? Warum dürfen zweitrangige Figuren aus der Union wie Brok und Wanderwitz mit Vokabeln wie „Krebsgeschwür“ und „giftiger Abschaum“ gegen die harmlose WerteUnion hetzen? Welche Sprache ist dann gegen die AfD angebracht? Der Ruf nach Richter Lynch? Warum schweigt das Juste Milieu zu den Gewaltattacken und Bedrohungen nicht nur der Politiker, sondern sogar der Familien des public enemy?

Es geht eben schlicht und einfach nicht nur um Politik in dem Sinne, daß im demokratischen Konkurrenzkampf Lösungen gesucht, gefunden, favorisiert, oder auch verworfen werden, Kompromisse angeboten, abgelehnt oder am Ende doch irgendwie zu Stande kommen. Das alles wäre ja Politik unter Gleichgesinnten. Nebenbei bemerkt die Art von Politik, die unser Grundgesetz voraussetzt, und mit seinen Regeln auch ordnet.

Der übergesetzliche Notstand

Für den Ausschluß aus dieser Gesellschaft der Demokraten ist nach dem Grundgesetz allein das Bundesverfassungsgericht zuständig. Und es kann ihn nur verfügen, wenn es in einem ordentlichen und sorgfältigen Prozeß feststellt, daß eine politische Partei verfassungsfeindlich ist. Verfassungsfeindlich ist eine Partei nur, wenn sie aktiv die tragenden Grundsätze der Verfassung bekämpft. Wäre das bei der AfD der Fall, müßten die übrigen Teilnehmer am politischen Prozeß, sei es Regierung, seien es Parlamente oder deren Fraktionen, eine entsprechende Klage in Karlsruhe erheben. Daß sie es nicht tun, zeigt zweierlei: Es geht Ihnen gar nicht um den Schutz der Verfassung vor Verfassungsfeinden. Dazu wären zum Beispiel die Bundeskanzlerin und die Bundesminister kraft Amtseides verpflichtet. Wegen dieser Pflichtverletzung wird sie allerdings niemand verklagen. Zum anderen wissen sie ganz genau, daß eine solche Klage keinerlei Aussicht auf Erfolg hätte. Nicht einmal der unsägliche Bonsai-Hitler aus Thüringen mit seinen Reden im Duktus eines Demagogen der Dreißigerjahre in schnulziger Rosamunde Pilcher-Ausschmückung, gibt juristisch insoweit etwas her. Auch die unappetitlichsten Figuren der AfD haben sich nicht entfernt derartige Hetzreden und Besudelungen anderer Menschen geleistet, wie die Funktionäre der NPD, die das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung aus dem Jahr 2017 ausführlich über viele Seiten zitiert. Programmatisch findet sich dort ohnehin nicht der leiseste Anhaltspunkt für verfassungsfeindliche Bestrebungen. Leider läßt das Grundgesetz ebensowenig wie das Gesetz über das Bundesverfassungsgericht eine sogenannte negative Feststellungsklage zu. Mit einer solchen Klage kann man in anderen Prozeßordnungen gerichtlich feststellen lassen, daß irgendetwas eben nicht der Fall ist. Die Mütter und Väter des Grundgesetzes haben sich 1948/49 in Herrenchiemsee offenbar nicht vorstellen können, daß die Mehrheit der politischen Klasse aus taktischen Erwägungen eine verfassungsfeindliche Partei nicht verbieten läßt, oder, schlimmer noch, einer nicht verfassungsfeindlichen Partei eben diese Verfassungsfeindlichkeit nachsagt, sie also verleumdet. Sie gingen nach überstandener Diktatur davon aus, daß von nun an nur noch überzeugte Demokraten in Deutschland Politik machen würden. Hätten sie geahnt, von welchem Schlage die Mehrheit der Politiker 70 Jahre später sein würde, hätten sie in Anlehnung an andere Prozessordnungen auch in das Gesetz über das Bundesverfassungsgericht eine Regelung über die negative Feststellungsklage aufgenommen.

Der Lauf der Geschichte darf nicht aufgehalten werden

Der wahre Grund, warum das bundesdeutsche Juste Milieu mit dieser rattenhaften Wut den politisch-gesellschaftlichen status quo zu verteidigen sucht, ist ein anderer. Man sieht sich von den Vordenkern aus dem akademischen Milieu eingeordnet und auch hofiert als Vollstrecker der Geschichte. Karl Marx läßt grüßen. Der Verlauf der Geschichte bis zum heutigen status quo wird als Weg des historischen Fortschritts verstanden. Die Gegenwart wird als Ziel des historischen Fortschritts verstanden und von dieser Warte aus alles Frühere beurteilt, und weil regelmäßig unter dem Gesichtspunkt des gesellschaftlichen Fortschritts dahinter zurückbleibend auch verurteilt. Und auf diesem Weg und in der einmal eingeschlagenen Richtung muß man weiter gehen. Jedes Zurück zu irgend einem früheren Zeitpunkt oder auch nur einem Detail früherer Gesellschaftsordnungen wird mit der Strenge des mittelalterlichen Theologen im Dienste der Heiligen Inquisition als sündhaft verdammt. Was als Hindernis auf dem Weg zur postnationalen, multikulturellen, egalitären Demokratie erscheint, muß nicht nur einfach weggeräumt, sondern buchstäblich pulverisiert werden. Der Kampf gegen das Böse ist nichts anderes als Krieg. Der Krieg ist die größte Anstrengung, der eine Gesellschaft fähig ist, die sie aber unternehmen muß, um ihr Überleben zu gewährleisten. In dieser Lage sieht sich das Juste Milieu nicht nur Deutschlands, sondern nahezu die gesamte weistliche Welt, betrachtet man nur den Umgang ihrer politisch-medialen Kaste mit den sogenannten Populisten.  

Im Krieg ist jedes Mittel erlaubt

In einer solchen Lage erscheint es dann auch nur folgerichtig, Formalitäten wie Verfassungsbestimmungen einfach beiseite zu wischen. Der Zweck heiligt die Mittel. Die Einhaltung der Regeln gefährdet das hohe Ziel. Das zeigt sich hier ja ganz deutlich. Die Duldung einer Regierung Kemmerich in Thüringen durch die AfD wäre ja der Einstieg in die Mitwirkung dieser Partei an der politischen Willensbildung gewesen. Mithin der Sündenfall. Ja, dieses Bild trifft hier zu, denn in diesem Falle hätten die Bürger womöglich vom Baum der Erkenntnis gegessen und festgestellt, daß die vorgeblichen Teufelsanbeter in Wirklichkeit genauso in die Kirche gehen, wie sie selbst, mit anderen Worten, schlicht und einfach Sachpolitik im Rahmen der finanziellen Möglichkeiten und des gesellschaftlich mehrheitlich Gewünschten machen. Mehr noch, durch Verhandlungen und Kompromisse mit den politschen Wettbewerbern radikale Positionen auch parteiintern nicht mehr mehrheitsfähig wären, kurzum, eine ganz normale Partei auf den Plan getreten wäre.

Man stellt sich unwillkürlich die Frage, wie denn Merkel, Prantl e tutti quanti reagieren würden, wenn die AfD in irgend einem Parlament, sei es auf Landes- oder kommunaler Ebene einmal die absolute Mehrheit erzielte, und somit von Verfassungs wegen die Regierung bildete und damit die Politik des Landes oder der Gebietskörperschaft gestalten könnte. Einsatz der GSG 9? Ausrufung des nationalen Notstandes? Kampfpanzer vor und Fallschirmjäger auf dem Dach des Parlamentsgebäudes?

Die Hoffnung stirbt zuletzt

Vielleicht ist es noch nicht zu spät. Vielleicht werden die Bürger langsam wirklich wach. Allerdings bedürfte es dazu wohl einer wirtschaftlichen Krise. Die könnte auch schneller kommen, als uns das lieb ist. Die von der sogenannten Energiewende an die Spitze der europäischen Rangliste getriebenen Stromkosten werden im Rahmen der sogenannten Klimaziele in ungeahnte Höhen emporschnellen. Die Klimareligion vom angeblich menschengemachten Klimawandel und dem bevorstehenden Weltuntergang, falls die Durchschnittstemperaturen eine Höhe erreichen, die im Mittelalter in Deutschland reiche Ernten mit sich gebracht haben, gehört jedoch ebenso wie der Glaube an den ewigen Frieden durch Überwindung des Nationalstaates und an das Glück der Menschheit durch unbegrenzte Einwanderung aus den ärmsten Regionen dieser Erde in die prosperierenden Volkswirtschaften Mittel-und Nordeuropas sowie Nordamerikas zu eben dem angeblich zu dieser Zeit erreichtenZiel des historischen Fortschritts, wie der Glaube an eine sogenannte diversifizierte Gesellschaft durch Auflösung der biologischen Geschlechter. Die Ernüchterung kommt beim „unpolitischen“ Menschen mit dem Blick in’s Portemonnaie. Denn in der Regel ist das leere Portemonnaie ein wirkmächtigerer Ratgeber als das Grundgesetz. Letzteres kennt ohnehin außer den Juristen niemand. Ersteres indessen ist von großer Überzeugungskraft. Auch die französische Revolution entstand in erster Linie aus der wirtschaftlichen Not des Volkes. Die schärfte seine Sinne für die Ungerechtigkeit und systemische Unfähigkeit der herrschenden politischen Klassen. Ob indessen die Granden der Berliner Republik das Menetekel an der Wand lesen können, wage ich zu bezweifeln.





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